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Wie es so oft mit den Sorgen geht, waren sie am Morgen alle wie fortgeblasen, und unser Schiff segelte plötzlich unter klarem Himmel. Die Panzerwagen trafen ein, und die Freude auf den gelassenen Gesichtern unserer Leute stärkte mir das Herz. Damaskus war wieder wie sonst, die Läden waren offen, die Straßenhändler machten Geschäfte, die elektrische Straßenbahn fuhr wieder, Getreide, Gemüse und Obst kamen in genügenden Mengen in die Stadt.
Die Straßen wurden gesprengt, um den schrecklichen Staub des Lastverkehrs dreier Kriegsjahre zu löschen. Die Menge war ruhig und zufrieden, und viele englische Soldaten gingen ohne Waffen in der Stadt umher. Der Telegraph mit Palästina und mit Beirut, das die Araber in der Nacht besetzt hatten, war wieder in Betrieb. Schon vor langer Zeit, in Wedsch, hatte ich den Arabern geraten, nach der Einnahme von Damaskus den Libanon den Franzosen zu überlassen und dafür Tripoli zu nehmen, da sein Hafen den von Beirut übertraf und die Engländer bei Friedensschluß zu ihren Gunsten den ehrlichen Makler spielen würden. So war ich betrübt über ihren Fehler, aber doch wieder froh, daß sie jetzt selbständig genug geworden waren, um auf meine Ratschläge nicht mehr zu hören.
Sogar das Lazarett war in besserem Zustand. Fünfzig Gefangene reinigten den Hof und verbrannten die verlausten Lumpen. Eine zweite Schicht hatte ein großes Grab im Garten ausgehoben und füllte es fleißig, sooft sich Gelegenheit bot. Andere waren durch die Krankensäle gegangen, hatten jeden Patienten gewaschen, ihm ein sauberes Hemd gegeben und die Matratzen umgedreht, so daß eine halbwegs anständige Seite nach oben kam. Wir hatten geeignetes Essen für alle (bis auf die kritischen Fälle) beschafft, und in jedem Saal war ein Türkisch sprechender Wärter in Hörweite, falls ein Kranker etwas verlangte.
Wenn es so weiterging, würde in drei Tagen alles in schönster Ordnung sein. Ich dachte gerade sehr befriedigt darüber nach, was etwa noch weiter geschehen könnte, als ein Stabsarzt im Lazarett auf mich zutrat und mich barsch fragte, ob ich Englisch spräche. Mit verächtlichem Stirnrunzeln betrachtete er meine langen Gewänder und Sandalen und fragte dann: »Sind Sie im Dienst?« Ich brachte bescheiden vor, daß ich es gewissermaßen sei; darauf fuhr er gegen mich los: »Skandalös, schandbar, empörend, sollte erschossen werden, so ein Kerl …« Ich konnte nicht anders, ich gackerte einfach los, von einem wilden Lachkrampf befallen, infolge meiner zerrütteten Nerven. Es schien mir einfach grotesk, daß ich so beschimpft wurde, gerade als ich mich selbst gelobt hatte, in diese schauerlichen Zustände wenigstens – etwas Ordnung gebracht zu haben.
Der Stabsarzt hatte gestern das Leichenhaus weder gesehen noch gerochen, noch hatte er zugeschaut, wie wir die Leichen im letzten Verwesungszustand begruben; und die Erinnerung daran hatte mich wenig Stunden zuvor noch im Schlaf heimgesucht, daß ich zitternd und schweißgebadet hochgefahren war. Der Stabsarzt starrte mich an und schnarrte dann: »Viechkerl«. Erneut platzte ich heraus; darauf schlug er mich ins Gesicht und stolzierte davon. Ich blieb mehr beschämt als zornig zurück, denn im Herzen fühlte ich, daß er im Recht war, und daß jeder, der einen Aufstand der Schwachen gegen ihre Herren erfolgreich durchgeführt hatte, mit so befleckter Ehre daraus hervorgehen mußte, daß ihm danach nichts in der Welt das Gefühl der Sauberkeit wiedergeben konnte. Doch es war ja bald vorbei.
Als ich zum Hotel zurückkam, drängte sich eine Menge um den Eingang, vor dem ein grauer Rolls-Royce stand; ich erkannte ihn als den Wagen Allenbys. Ich eilte zu ihm und traf ihn mit Clayton, Cornwallis und anderen hochstehenden Persönlichkeiten. Mit wenigen Worten gab er seine Zustimmung zu der arabischen Regierung, die ich aus eigener Machtvollkommenheit, inmitten des Chaos des Sieges in Damaskus und Dera, eingesetzt hatte. Er bestätigte die Ernennung Ali Risa Rikabis zum Militärgouverneur unter Befehl Faisals, nunmehr Allenbys Armeekommandanten, und grenzte die Einflußsphäre Chauvels und der Araber voneinander ab.
Er war damit einverstanden, das Lazarett und den Betrieb der Bahn zu übernehmen. In zehn Minuten waren all die irrsinnigen Schwierigkeiten weggeräumt. Traumhaft begriff ich, daß die harten Tage meines einsamen Kampfes vorbei waren.
Dann hieß es, daß Faisals Sonderzug soeben von Dera eingetroffen sei. Wir ließen ihn schnell durch Young benachrichtigen und erwarteten ihn im Hotel. Ein brausender Sturm von Hochrufen brandete zu unserem Fenster empor und kündete sein Kommen. Es war gut so, daß die beiden Führer einander zum erstenmal auf der Höhe ihres Sieges begegneten, während ich selbst noch weiter die Rolle des Dolmetschers zwischen ihnen spielte.
Allenby gab mir ein Telegramm vom Auswärtigen Amt, in dem die Araber als kriegführende Partei anerkannt wurden. Er bat mich, es dem Emir zu übersetzen; doch keiner von uns wußte, was es auf englisch bedeutete, geschweige denn auf arabisch. Faisal, durch Tränen lächelnd, die ihm das Willkommen seines Volkes in die Augen getrieben hatte, ließ es auf sich beruhen und dankte dem Oberkommandierenden für das Vertrauen, durch das die arabische Bewegung zum Erfolg geführt worden war.
Als Faisal gegangen war, erbat ich von Allenby zum letzten (und, wie ich glaube, auch zum ersten) Male etwas für mich selbst: meine Entlassung.
Anfangs wollte er nicht darauf eingehen; aber ich erinnerte ihn an sein Versprechen vor einem Jahr und wies darauf hin, wieviel leichter es die neu eingesetzte Regierung haben würde, wenn ich selbst aus den Augen des Volkes verschwände. Schließlich willigte er ein – und im Augenblick fühlte ich, wie sehr ich es bedauerte.
Damaskus war mir nicht als die Scheide meines Schwerts erschienen, als ich zuerst in Arabien landete; aber seine Einnahme enthüllte die Erschöpfung der Haupttriebfeder meines Handelns. Mein stärkster Beweggrund war während der ganzen Zeit ein persönlicher gewesen, der hier nicht erwähnt wurde; aber er ist, wie ich glaube, mir zu jeder Stunde dieser zwei Jahre gegenwärtig gewesen. Leiden und Freuden des Tuns mochten im Verlauf meines Werkes wie gesprengte Türme in die Luft fliegen; aber wieder aus der Luft zurückströmend, baute sich dieser verborgene Drang immer wieder von neuem auf, um das beharrende Lebenselement zu bleiben, bis fast ans Ende. Er war tot, noch bevor wir Damaskus erreichten.
Die nächste Triebfeder war ein stachelnder Wunsch gewesen, den Krieg zu gewinnen – gepaart mit der Überzeugung, daß ohne die arabische Hilfe England nicht imstande war, auf dem türkischen Kriegsschauplatz die Oberhand zu bekommen. Wenn Damaskus fiel, mußte der Krieg im Osten – und wahrscheinlich auch der ganze Krieg – seinem Ende zusteuern.
Dann blieb auch die Neugier. In der Jugend hatte ich »Super flumina Babylonis« gelesen, und das hatte in mir den Wunsch erweckt, mich selbst einmal als Triebkraft einer nationalen Bewegung zu fühlen. Wir nahmen Damaskus ein – und ich schreckte zurück. Noch drei weitere Tage despotischer Gewalt hätten in mir den Keim zum Tyrannen zur Entwicklung gebracht.
Blieb noch ein historischer Beweggrund, der aber an sich ohne feste Substanz war. Während meiner Schulzeit in Oxford hatte ich davon geträumt, während meines Daseins dem neuen Asien den Anstoß zu neuer Formung zu geben – jenem Asien, das im Lauf der Zeit unabwendbar über uns kommen wird. Mekka mußte nach Damaskus führen, Damaskus nach Anatolien und weiterhin nach Bagdad; und dann war da noch der Jemen. Als Phantasien möge das jenen erscheinen, die in meinem Beginnen nichts weiter zu sehen vermögen als ein Bemühen wie jedes andere.
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