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Hundertfünfzehntes Kapitel

Nach dieser Unternehmung Nuris gaben die Türken fürderhin jeden weiteren Versuch auf, die Bahnlinie zwischen Amman und Dera wieder betriebsfähig zu machen. Das wußten wir natürlich noch nicht, sondern machten uns im Gegenteil daran, eine noch größere Strecke der Bahn matt zu setzen. Zu diesem Zwecke fuhren Winterton, Jemil und ich in Autos in der Frühe des nächsten Tages los, um die Strecke südlich der Station Mafrak zu erkunden. Als wir uns der Bahn näherten, wurden wir mit Maschinengewehrfeuer von einer völlig ungewohnten Heftigkeit, Treffsicherheit und Hartnäckigkeit empfangen. Später nahmen wir dann diese Meisterschützen gefangen, und es stellte sich heraus, daß es eine deutsche Maschinengewehreinheit war. Für den Augenblick ließen wir uns ins Bockshorn jagen und fuhren weiter nach Süden, wo eine verlockende Brücke lag. Meine Absicht war, im Wagen den Hang hinab unter die Brücke zu fahren, bis das Gewölbe ausreichend Schutz gab, um die Ladung an den Pfeiler zu legen. Ich stieg also in ein Panzerauto um, packte sechzig Pfund Schießbaumwolle hinten drauf und hieß den Lenker unter den Brückenbogen fahren.

Winterton und Jemil folgten als Deckung im zweiten Wagen. »Verdammt heiß heute«, brummte Jemil. »Keine Bange, wird gleich noch heißer werden«, erwiderte Winterton, während wir über den flachen Boden unter unwirksamem Schrapnellfeuer dahinfuhren. Wir hatten uns glücklich bis auf fünfzig Yard herangearbeitet, bedacht mit einem auf unsere Panzerung prasselnden Hagel von Maschinengewehrkugeln, die für eine ganze Gefechtswoche gelangt hätten, als plötzlich von jenseits des Bahndamms her eine Handgranate auf uns geworfen wurde.

Dieser neue Umstand vereitelte meine Absicht, unter die Brücke zu gelangen. Denn einmal hätte ein Treffer in die Rückseite des Wagens unsere Ladung Schießbaumwolle zur Entzündung gebracht und uns sehr rasch ins Jenseits befördert, zum andern war unser Wagen gegen von oben herabfallende Handgranaten wehrlos. Also machten wir kehrt, vergebens bemüht, die Gründe zu einer solchen an ein Stückchen Eisenbahn verschwendeten Verteidigung zu verstehen, und sehr angeregt, ja belustigt durch diesen zähen und ernst zu nehmenden Widerstand, nachdem wir bisher immer so leichte Arbeit gehabt hatten.

In unserer Vorstellung war die Niederlage ein kleiner, untersetzter, wütender Mann, der unter buschigen Brauen drohende Blicke um sich warf, um seiner Pein ledig zu werden; neben ihm stand der Sieg: eine langgliedrige, weißhändige, etwas müde Frau. Jedenfalls aber blieb uns nichts anderes übrig, als im Schutz der Nacht einen neuen Versuch zu wagen.

Nach Um el Surab zurückgekehrt, erfuhren wir, daß Nasir das Lager wieder nach Umtaije verlegen wollte. Das entsprach durchaus unsern Wünschen, da ja Umtaije die erste Etappe war auf dem Marsch nach Damaskus. Der Umzug bot uns willkommenen Vorwand, in dieser Nacht nichts gegen die Bahn zu unternehmen. Statt dessen saßen wir plaudernd und unsere Erlebnisse austauschend beisammen und warteten auf die Mitternacht und den Handley-Page, der alsdann die Station Mafrak mit Bomben belegen sollte. Und so geschah es; eine Hundertpfundbombe nach der anderen schlug in die Gebäude und das angestaute Wagenmaterial, bis alles Feuer fing und das Schießen der Türken verstummte.

Wir legten uns schlafen, nachdem wir den ersten Preis der abendlichen Unterhaltung einer Geschichte über Enver-Pascha zuerteilt hatten, die sich bei der Wiedereinnahme Scharkois durch die Türken zugetragen hatte. Enver-Pascha war mit Prinz Dschemil und seinem großartigen Stab auf einem kleinen Dampfer hingefahren, um sich die Sache anzusehen. Als die Bulgaren in Scharkoi eingedrungen waren, hatten sie die Türken massakriert; als sie sich wieder zurückzogen, räumten mit ihnen auch die bulgarischen Bewohner den Ort. So fanden die Türken kaum einen zum Umbringen. Ein graubärtiger alter Bulgare wurde an Bord gebracht, damit der Oberkommandierende sein Mütchen an ihm kühlen konnte. Schließlich wurde Enver seiner müde. Er winkte zweien seiner Bravi, öffnete die Klappe des Dampfkessels und sagte: »Schiebt ihn rein.« Der alte Mann schrie, aber die Offiziere waren stärker, und die Tür schlug über seinem zuckenden Körper zu. »Wir wandten uns ab, fühlten uns elend, wollten weggehen. Aber Enver hielt uns zurück und lauschte, den Kopf zur Seite geneigt. Wir lauschten ebenfalls; dann hörten wir ein Krachen im Ofen. Er lächelte, nickte verständnisvoll und meinte: ›Das war der Kopf; ihre Köpfe knallen immer so.‹«

Die Nacht hindurch und den ganzen nächsten Tag griff das Feuer im Wagenmaterial immer weiter um sich, ohne daß der Feind etwas dagegen unternahm. Eine Bestätigung des Zusammenbruchs der Türken, von dem die Araber schon gestern gemunkelt hatten. Sie erzählten, die vierte türkische Armee ströme in aufgelösten Massen von Amman zurück. Die Beni Hassan, die bereits Nachzügler und kleinere Abteilungen abfingen, verglichen sie mit wandernden Zigeunerhorden.

Wir hielten Kriegsrat. Unsere Aufgabe gegenüber der vierten türkischen Armee war beendet. Was von ihren Resten dem Zugriff der Araber entging, würde als Trümmer nach Dera gelangen. Also galt es jetzt, eine möglichst rasche Räumung von Dera zu erzwingen, um zu verhindern, daß sich die Türken dort festsetzten und mit den zurückflutenden Truppen eine Aufnahmestellung einrichteten. Ich schlug daher vor, die arabische Armee nordwärts in Bewegung zu setzen, über Tell Arar, nördlich Dera, zu marschieren, in der Frühe des nächsten Morgens die Bahn zu überschreiten und bis Scheik Saad vorzurücken. Das Dorf lag in freundlich gesinntem Land, hatte reichlich Wasser, ermöglichte eine vorzügliche Beobachtung und gestattete bei direktem und überlegenem feindlichen Angriff sicheren Rückzug nach Westen und Norden, im Notfall sogar nach Südwesten. Durch unsere Stellung dort wurden Dera und auch Meserib völlig von Damaskus abgeschnitten.

Tallal war sofort mit Feuereifer dabei. Nuri Schaalan nickte ein stummes Ja; auch Nasir und Nuri Said stimmten zu. So wurden alle Anordnungen zum endgültigen Abbruch des Lagers getroffen. Die Panzerautos konnten nicht mitkommen; sie blieben bis zum Fall von Dera besser in Asrak und sollten dann wieder zum Vormarsch gegen Damaskus herangezogen werden. Auch die Bristol-Kampfmaschinen hatten ihre Aufgabe erfüllt und die Luft von türkischen Fliegern gesäubert. Sie konnten nach Palästina zurückkehren und Meldung bringen von unserem Vormarsch auf Scheik Saad.

Sie stiegen auf und kreisten davon. Während wir den Entfliegenden nachblickten, bemerkten wir eine breite Staubwolke, die sich dem träg aufsteigenden Rauch der niedergebrannten Station Mafrak vermischte. Einer unserer Flieger kehrte zurück und warf einen Zettel ab mit der Meldung, daß sich eine starke feindliche Kavalleriemasse von der Eisenbahn her gegen uns entwickelte.

Das war eine unwillkommene Nachricht, denn wir befanden uns gerade im Aufbruch und waren nicht gefechtsbereit. Die Panzerwagen und Flugzeuge waren fort, eine Kompanie berittene Infanterie war abmarschiert; die Geschütze Pisanis lagen bereits wohlverpackt auf den Maultieren, schon zur Kolonne formiert. Ich ging zu Nuri Said, der mit Nasir auf dem Bergrücken stand. Wir schwankten, ob wir standhalten oder uns davonmachen sollten; schließlich erschien es aber doch klüger, abzuziehen, um möglichst bald das gut zu verteidigende Scheik Saad zu erreichen. Die Regulären wurden schleunigst in Marsch gesetzt.

Doch konnte man den Gegner nicht gänzlich unbeachtet lassen. Nuri Schaalan und Tallal führten daher die zu Pferde berittenen Rualla und Hauran zurück, um einen etwaigen feindlichen Nachstoß aufzuhalten. Sie fanden unerwartete Unterstützung durch die Panzerautos, die auf ihrem Wege nach Asrak die türkische Kavallerie entdeckt hatten. Und wie die Dinge lagen, handelte es sich hier nicht um einen Feind, der gekommen war, um anzugreifen, sondern um abgeirrte Truppenteile, die den kürzesten Weg zur Heimat suchten. Das Endergebnis war denn auch eine große Menge erbeuteten Gepäcks und einige hundert halb verdursteter Gefangener. Unter dem nachfolgenden Haupttrupp brach eine solche Panik aus, daß die Fahrer die Stränge an den Protzen durchschnitten und auf den blanken Pferden durch die Ebene davonjagten. Der Schrecken lief, lawinenartig anschwellend, längs der Bahn hinunter; und türkische Truppen, die Meilen von jeder Bedrohung durch Araber entfernt waren, warfen Ausrüstungsstücke und selbst die Gewehre fort, nur noch darauf bedacht, möglichst rasch in den vermeintlichen Schutz von Dera zu gelangen.

Aber diese Unterbrechung hielt uns auf; denn wir konnten kaum ein reguläres Kamelkorps in Khakiuniform des Nachts durch den Hauran marschieren lassen, ohne daß es von einheimischen Berittenen begleitet wurde, die den argwöhnischen Dörflern dafür bürgten, daß wir keine Türken waren. So mußte unser Haupttrupp am Spätnachmittag haltmachen, um Tallal, Nasir und Nuri Schaalan mit ihren Reitern abzuwarten.

Dieser Aufenthalt gab manchen unter uns Zeit, über unser Vorgehen nachzudenken; und es kamen Zweifel darüber auf, ob wir klug daran täten, die Bahnlinie nochmals zu kreuzen und uns in die gefährliche Stellung von Scheik Saad zu begeben, quer zum Rückzug der türkischen Hauptkräfte. Schließlich trat Sabin an den Platz heran, wo ich inmitten der Truppen auf meinem Teppich ausgestreckt noch wach lag. Er deutete an, daß wir nun genug getan hätten. Allenby hätte uns die Beobachtung der vierten Armee übertragen und wir hätten doch nur eben ihre überstürzte Flucht gesehen. Unsere Pflicht sei damit erfüllt, und wir könnten uns ehrenvoll nach Bosra zurückziehen, zwanzig Meilen östlich des Weges, wo die Drusen sich unter Nesib el Bekri sammelten, um uns zu helfen. Wir könnten dort mit ihnen zusammen warten, bis die Engländer Dera eingenommen hätten und dann, mit der siegreichen Beendigung der Schlacht, die Belohnung käme.

Das paßte mir durchaus nicht, denn wenn wir uns nach Dschebel Drus zurückzogen, beendeten wir unsere tätige Teilnahme, bevor das Spiel gewonnen war, und überließen Allenby die letzte Anstrengung. Ich war sehr auf die Ehre der Araber bedacht, zu deren Bestem ich um jeden Preis bis zum Ende gehen wollte. Sie waren in den Krieg eingetreten, um die Freiheit zu erlangen; und die Rückgewinnung ihrer alten Hauptstadt kraft eigener Waffengewalt war das Symbol, das sie am besten verstehen würden.

»Pflicht« – ebenso wie ihre Lobpreiser – war etwas recht Armseliges. Augenscheinlich übten wir durch unseren Vorstoß bis hinter Dera nach Scheik Saad einen größeren Druck auf die Türken aus, als irgendeine britische Truppe es vermocht hätte. Dadurch würde verhindert werden, daß die Türken sich noch einmal diesseits von Damaskus festsetzen konnten – ein Gewinn, für den unser bißchen Leben ein wohlfeiler Preis war.

Die Einnahme von Damaskus bedeutete das Ende des Krieges im Osten und, wie ich glaubte, auch das Ende des ganzen Krieges. Da die Mittelmächte voneinander abhängig waren, würde das Herausbrechen ihres schwächsten Gliedes, der Türkei, ihren ganzen Bau zum Einstürzen bringen. Deshalb, weil alle vernünftigen Gründe strategischer, taktischer, politischer und sogar moralischer Natur dafür sprachen, mußten wir weiter.

Sabins hartnäckiger Eigensinn ließ sich nicht überzeugen. Er kam mit Pisani und Winterton zurück und begann die Frage zu erörtern, dabei langsam und deutlich sprechend, weil Nuri Said auf dem Teppich neben uns im Halbschlummer lag und Sabin ihn gern in die Diskussion ziehen wollte.

Daher stellte er besonders den militärischen Gesichtspunkt in den Vordergrund, sprach von dem schon erreichten Ziel und der Gefahr, die die Hedschasbahn für uns bedeutete. Unsere Verzögerung mache es unmöglich, heute noch die Strecke zu überqueren. Morgen würde es Irrsinn sein, einen solchen Versuch zu unternehmen. Die Strecke würde auf ihrer ganzen Länge von Zehntausenden von Türken aus Dera bewacht sein; und selbst wenn wir hinüberkämen, würden wir nur in noch größerer Gefahr sein. Er sagte, Joyce habe ihn zum militärischen Ratgeber der Expedition ernannt, und es sei seine Pflicht, darauf hinzuweisen, so unangenehm ihm das auch sei, daß er Berufsoffizier sei und daher sein Geschäft kenne.

Wäre ich Berufsoffizier gewesen, hätte ich es nicht für richtig gehalten, daß Sabin uns die Araber aufsässig machte. So aber ertrug ich seine Klagen und seufzte nur jedesmal geduldig, wenn ich glaubte, ich könne ihn damit irritieren. Schließlich sagte ich zerstreut, daß ich nun schlafen wolle, denn wir müßten ja morgen früh auf sein, um die Bahn zu überqueren. Es sei meine Absicht, mit meiner Leibgarde mich zu den Beduinen aufzumachen, wo sie auch sein mochten, denn es sei doch sonderbar, daß Nuri Schaalan und Tallal uns noch nicht überholt hätten. Jedenfalls wolle ich jetzt endlich schlafen.

Pisani, der in seiner langen militärischen Laufbahn immer nur Untergebener gewesen war, sagte korrekt, er habe den Befehl verstanden und werde folgen. Das gefiel mir an ihm, und ich versuchte seine ehrlichen Zweifel zu beschwichtigen; ich erinnerte ihn daran, daß wir seit achtzehn Monaten zusammenarbeiteten, ohne daß er je Ursache gehabt hätte, mich tollkühn zu schelten. Er antwortete mit seiner französischen Art zu lachen, daß er die ganze Geschichte ziemlich tollkühn fände, aber er sei ja Soldat.

Winterton neigte instinktiv bei allem außer der Fuchsjagd zu der schwächeren und sportlicheren Seite. Nuri Said hatte während unserer Unterhaltung schweigend dagelegen und so getan, als ob er schliefe; aber als Sabin wegging, drehte er sich herum und flüsterte: »Stimmt das?« Ich erwiderte, daß ich keine besondere Gefahr darin sähe, die Strecke im Laufe des Nachmittags zu überqueren, und mit einiger Vorsicht könnten wir vermeiden, bei Scheik Saad in eine Falle zu gehen. Er legte sich befriedigt wieder hin.


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