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Achtes Buch.
Hohe Hoffnungen werden zerstört


Zweiundneunzigstes Kapitel

In Kairo, wo ich vier Tage verbrachte, war unsere Sache nun nicht mehr von wechselnden Glücksfällen abhängig. Allenbys Geneigtheit verschaffte uns sogar einen vollständigen Stab: wir hatten jetzt Nachschuboffiziere, einen Marinesachverständigen, einen artilleristischen Berater und eine Nachrichtenabteilung, das Ganze unter der Oberleitung von Alan Dawnay, einem Bruder des Eroberers von Berseba, der jetzt nach Frankreich gegangen war. Dawnay war Allenbys größte Gabe an uns – wertvoller als tausend Lastkamele. Als Berufsoffizier hatte er die sichere Hand des Fachmanns, dessen methodische Überlegenheit auch unsere hitzigsten Draufgänger anerkennen mußten. Er war ein kluger, einsichtsvoller Kopf, der instinktiv die ganz besonderen Gegebenheiten und Erfordernisse eines Aufstandes herausfühlte; zugleich aber brachte seine Kriegserfahrung gänzlich neue Gesichtspunkte in die Durchführung einer so ganz anders gearteten Aufgabe. Regulärer Krieg und Aufstand waren gewissermaßen in seiner Person vereinigt, wie ich es mir, seit Janbo, für jeden bei uns tätigen Berufsoffizier gewünscht hatte. Aber in meiner dreijährigen Praxis war Dawnay der einzige, der diesem Ideal gerecht wurde.

Ein direktes Kommando an leitender Stelle konnte er nicht übernehmen, da er nicht Arabisch sprach und außerdem seine Gesundheit in Flandern gelitten hatte. Er besaß die bei Engländern seltene Gabe, aus einer guten Sache das Beste herauszuholen. Für einen Berufsoffizier war er ungewöhnlich gebildet, und seine liebenswürdige, formvollendete Art erwarb ihm Freunde bei allen Völkern und in allen Schichten. Dank seiner Unterweisung lernten wir allmählich eine geschulte Kampftechnik bei Unternehmen anzuwenden, die wir bisher in einer groben und verschwenderischen Art aus dem Handgelenk zu erledigen uns begnügt hatten.

Die arabische Bewegung hatte sich bisher gleichsam nur als eine Art Wild-West-Schau ausgewirkt, in ihren Mitteln ebenso beschränkt wie in ihren Möglichkeiten und Aufgaben. Von nun an jedoch rechnete Allenby mit ihr als einem wesentlichen Faktor seines Gesamtplans, und das Bewußtsein, jetzt als verantwortliche Mitträger der großen Entscheidung unser Bestes, womöglich noch über seine Erwartung hinaus, dransetzen zu müssen, zugleich mit der Erkenntnis, daß Fehler und Versagen von unserer Seite unfehlbar mit dem Leben seiner Soldaten bezahlt werden würden, entrückte für uns den Aufstand mit einemmal der Sphäre eines frisch-fröhlichen Kleinkrieges, so daß uns fast ein wenig bange wurde.

Zusammen mit Joyce arbeiteten wir unsern dreifachen Plan zur Unterstützung von Allenbys erstem Vorstoß aus. In unserm Zentrum sollten die arabischen Regulären, unter Dschaafar, Maan angreifen. Inzwischen sollte Joyce mit den Panzerautos nach Mudewwere vorstoßen und die Eisenbahn zerstören – nun aber nachhaltig und für immer, da wir jetzt soweit waren, Medina abzuschneiden.

Im Norden sollten Mirsuk und ich uns an Allenby anschließen, sobald dieser um den 30. März herum wieder auf Salt zurückging. Dieser Termin gab mir Zeit und Muße, und so beschloß ich, mit Seid und Nasir nach Schobek zu gehen.

Es war Frühling, und das war köstlich nach dem schlimmen Winter, dessen Bitterkeiten nur noch wie ein Traum erschienen in dieser kraftvollen und verjüngenden Natur; und eine frische Kraft lag in dieser Bergesluft, wenn die strenge Kühle des Abends die erschlaffenden Mittagsstunden wiedergutmachte.

Alles Leben erwachte mit uns – sogar die Insekten. In der ersten Nacht hatte ich mein Kaschmirkopftuch als Polster für meinen Kopf auf den Boden gelegt, und als ich es am Morgen aufhob, hatten sich achtundzwanzig Läuse im schneeweißen Gewebe angesiedelt. Von da ab schliefen wir auf unseren Satteldecken – den gegerbten Schaffellen, die obenauf über den Sattel gebreitet wurden, um den Sitz für den Reiter glatt und schweißdicht zu machen. Aber auch so blieben wir nicht ungestört. Die Kamelzecken, die sich von dem Blut unserer Kamele so vollgesogen hatten, daß sie zu harten, bläulichen Knollen geworden waren, ganz dick und breit wie ein Daumennagel, pflegten sich auf der Unterseite unserer Schaffelle festzusetzen, und wenn wir uns nachts darauflegten, zerplatzten sie unter unserem Gewicht zu braunen blutigen Schmutzflecken.

Während wir die erquickende Bergesluft genossen, reichlich übrigens mit Milch versehen, kam Nachricht aus Asrak, daß Ali ibn el Hussein und die Inder noch treue Wacht hielten. Ein Inder war an der Kälte gestorben und ebenso auch Daud, mein Ageyldiener, Farradschs Freund. Farradsch erzählte es uns selbst.

Die beiden waren Freunde von Kindesbeinen an gewesen, in ungetrübter Heiterkeit; sie hatten zusammen gearbeitet, zusammen geschlafen und Freud und Leid stets miteinander geteilt, mit der Offenheit und Ehrlichkeit einer vollkommenen Liebe. So war ich nicht überrascht, daß Farradsch düster und hart aussah, bleierne Augen hatte und gealtert erschien, als er mir mitteilte, daß sein Freund tot war. Und von diesem Tage an bis zum Ende seines Dienstes hatte er kein Lachen mehr für uns übrig. Er sorgte mit noch größerer Gewissenhaftigkeit als vorher für meine Kamele und meine Kleidung, meine Sättel und meinen Kaffee und verrichtete jeden Tag regelmäßig seine drei Gebete. Die anderen versuchten ihn zu trösten, aber er wanderte ruhelos, grau und schweigsam umher und war sehr viel allein.

Vom glutheißen Osten aus betrachtet, schien die britische Auffassung von der Stellung der Frau ein Ausfluß des Klimas zu sein, der ja auch unserer Religion eine bestimmte Prägung gegeben hat. Im Mittelmeergebiet wurde der Einfluß der Frau und ihre Bestimmung im Leben durch die Regelung klar abgegrenzt, daß man ihr die Sphäre der physischen Welt schlechthin und ohne jede Problematik als der Armen im Geist überließ. Diese Übereinkunft, die eine Gleichheit der Geschlechter leugnete, machte Liebe in unserem Sinne, Kameradschaft und Freundschaft zwischen Mann und Frau unmöglich. Die Frau nahm lediglich die körperliche Seite des Mannes in Anspruch, während seine seelische Welt nur unter seinesgleichen sich ausleben konnte. So entstanden die für den Osten charakteristischen Männerfreundschaften, die der menschlichen Natur etwas gaben, das über das rein Körperliche hinausging.

Wir Westländer dieses überfeinerten Zeitalters, wie Mönche in der Zelle unseres Körpers hausend, die wir nach etwas suchen, das über Vernunft und Sinne hinaus unsere Seele erfüllen könnte, schließen uns eben durch dieses Suchen für immer davon aus. Aber es kam zu den kindhaften Menschen wie diesen Ageyl, die zufrieden waren, zu geben, ohne dafür zu empfangen und ohne miteinander zu rechnen. Wir quälen uns mit ererbten Gewissensbissen wegen der fleischlichen Lust, die uns mitgegeben wird, und mühen uns, durch ein Leben voller Pein dafür zu bezahlen, wir begleichen Glück, des Lebens Überschuß, durch den Gegenwert der Hölle und legen ein Hauptbuch des Guten und Bösen an, um gewappnet zu sein an dem Tage eines Jüngsten Gerichts.

In Aba el Lissan stand es inzwischen nicht gut um unseren Plan, die Besatzung von Maan dadurch abzuschneiden, daß wir mit den arabischen Streitkräften die von Maan nach Norden führende Bahnstrecke besetzen und so die Besatzung zwingen wollten, sich uns in offener Feldschlacht zu stellen, während Allenby gleichzeitig die Basis und die türkischen Zufuhrlinien bei Amman angriff. Faisal und Dschaafar waren mit dem Plan einverstanden, aber ihre Offiziere drangen auf einen direkten Angriff auf Maan. Joyce machte sie auf die Schwäche ihrer Artillerie und der Maschinengewehre aufmerksam, auf ihre noch unerprobten Leute und auf die größere strategische Klugheit des Eisenbahnplans, aber vergebens. Maulud, der auf einen sofortigen Angriff brannte, sandte Denkschriften an Faisal über die Gefahr der englischen Einmischung in den arabischen Freiheitskampf. Gerade jetzt erkrankte Joyce an Lungenentzündung und reiste nach Suez ab. Dawnay kam, um die Unzufriedenen zur Vernunft zu bringen. Er war unsere beste Karte mit seinem erprobten militärischen Ruf, seinen tadellosen Langschäftern und der Atmosphäre eines wohlausgestatteten Wissens. Aber er kam zu spät, denn die arabischen Offiziere glaubten, nun ihre Ehre aufs Spiel gesetzt zu haben.

Wir einigten uns dahin, daß wir ihnen in diesem Punkt nachgeben mußten, obwohl wir wirklich die ganze Macht besaßen, denn wir hatten das Geld, den Nachschub und jetzt auch die Transportmittel in Händen. Aber wenn die Leute großzügig waren, gut, so sollten sie auch eine Leitung haben, der es auf ein bißchen mehr oder weniger nicht ankam. Und wir mußten insbesondere mit einer sich selbst regierenden Demokratie, wie die arabische Armee es war, sanft umgehen, denn der Dienst war hier ebenso freiwillig wie die Anwerbung. Joyce und ich waren vertraut mit der türkischen, der ägyptischen und der englischen Armee, und jeder trat für das ihm Nächstliegende ein. Joyce wies auf die parademäßige Pracht seiner Ägypter hin – formgebundener Leute, die mechanische Bewegungen liebten und die britischen Truppen im Körperlichen, in Schneid und Vollendung des Drills übertrafen. Ich war für die Anspruchslosigkeit der Türken, dieser Armee von zerlumpten Knechten mit dem Motto: Kommst du heute nicht, dann kommst du morgen. Die britische Armee kannten wir beide in einer oder der anderen Form; und wenn wir den Dienstbetrieb in den verschiedenen Armeen miteinander verglichen, so fanden wir eine Verschiedenheit des Gehorsams, je nach dem Grade des Zwanges, der in den Heeren zur Anwendung kam.

In Ägypten gehörten die Soldaten ganz ihrem Dienst an, ohne Kontrolle der öffentlichen Meinung. Infolgedessen hatten sie einen friedensmäßigen Ansporn zur Vervollkommnung ihrer formalen Haltung. In der Türkei waren die Leute ebenfalls mit Leib und Seele Eigentum der Offiziere, aber ihr Los wurde dadurch gemildert, daß sie die Möglichkeit hatten, davonzulaufen. In England diente der freiwillige Rekrut ebenso gründlich wie irgendein Türke – mit der Ausnahme, daß mit dem Wachsen des Ehrgefühls der Autorität die Möglichkeit genommen wurde, ihn körperlich zu bestrafen. Aber in der Praxis wirkten auf unsere weniger abgestumpfte Bevölkerung der Massendrill und die Strenge des Dienstbetriebs nicht viel anders als ein orientalisches System.

In dem stehenden arabischen Heer gab es überhaupt keine Möglichkeit zu strafen. Dieser wesentliche Unterschied zeigte sich bei all unseren Truppen. Sie hatten keine formale Disziplin, es gab keine Subordination, der Dienst war immer ein aktiver, sie standen gewissermaßen immer im Kampf. Im übrigen waren sie nicht Soldaten, sondern Pilger, immer darauf bedacht, ein wenig weiterzukommen.

Ich war mit diesem Zustand der Dinge nicht unzufrieden, denn es schien mir, daß die Disziplin, zum mindesten die formale Disziplin, eine Tugend des Friedens war, ein Merkmal oder ein Stempel, der den Soldaten vom ganzen, intakten Menschen unterschied und das Menschentum im Einzelnen auslöschte. Am leichtesten ließ sie sich auf das Einschränkende zurückführen, auf Verbote, dies oder jenes zu tun, und konnte demnach durch Vorschriften anerzogen werden, die streng genug waren, die Leute an der Möglichkeit des Ungehorsams verzweifeln zu lassen. Das war ein Vorgang in der Menge, ein Element der unpersönlichen Masse, das sich nicht auf den einzelnen Mann anwenden ließ, da es den Gehorsam, eine Dualität des Willens, einschloß. Es ging nicht darum, den Leuten einzuprägen, daß ihr Wille tätigerweise den des Offiziers unterstützen müsse; denn dann hätte es so sein müssen wie in der arabischen Armee und unter den Freiwilligen, daß man eine Pause für Gedankenübertragung und -verarbeitung ließ, eine Pause, in der die Nerven den beiseitegestellten persönlichen Willen zur tätigen Wirkung zurückbrachten. Dagegen schaltete jede reguläre Armee durch ihren Drill unbekümmert diese bedeutungsvolle Pause aus. Die Instrukteure des Drills versuchten den Gehorsam zum Instinkt zu machen, zu einem geistigen Reflex, der so spontan auf das Kommando folgte, als ob die treibende Kraft der persönlichen Willenseinheiten zusammen in dieses System eingebaut worden wäre.

Das war soweit gut, als es die Schlagkraft erhöhte, aber es traf keine Vorsorge für Ausfall, nämlich Verluste, abgesehen von der schwächlichen Annahme, daß bei jedem Untergeordneten der Wille nicht herabgesetzt, sondern in schönster Ordnung aufgespeichert war, bereit, augenblicklich die Pflichten des gefallenen Vorgesetzten zu übernehmen. So stieg die Fähigkeit zur Führung allmählich die ganze Stufenleiter der Hierarchie herab, bis sie sich schließlich in dem rangälteren der beiden überlebenden Gemeinen verkörperte. Es hatte noch eine weitere Schwäche in Anbetracht der menschlichen Eifersucht, indem es die Macht in die Hände des despotischen Alters legte, mit seiner kleinlichen Geschäftigkeit, das noch dazu durch die langgewohnte Machtausübung verdorben war. Ferner hatte ich auch die Idiosynkrasie, dem Instinkt zu mißtrauen, der seine Wurzel im Animalischen hat. Die Vernunft scheint den Menschen etwas erheblich Wertvolleres zu bieten, als Angst oder Schmerz, und so lehnte ich den Wert des Friedens als einer Erziehung für den Krieg ab.

Denn im Kriege ging eine wesentliche Veränderung mit dem Soldaten vor. Die Disziplin war eine andere, wurde ersetzt, ja aufgewogen durch den Eifer des Soldaten, zu kämpfen. Dieser Eifer war es, der den Sieg im moralischen Sinn des Kampfes und oft auch im wirklichen Sinne herbeiführte. Der Krieg baute sich aus Krisen intensivster Anspannung auf. Aus psychologischen Gründen wünschten die Befehlshaber eine möglichst geringe Dauer dieser maximalen Anspannung, nicht als ob die Menschen sie nicht hätten hergeben wollen (gewöhnlich machten sie weiter, bis sie umfielen), sondern weil jede solche Anspannung die noch verbleibende Kraft schwächte. Eine Begeisterung solcher Art war eine Nervensache und konnte, wenn sie zu weit getrieben wurde, Leib und Seele auseinanderreißen.

Eine solche Kriegserregung zur Schaffung eines militärischen Geistes in Friedenszeiten zu erwecken, war gefährlich – gleichsam wie die verfrühte Verbeugung eines Preiskämpfers. Folglich wurde die Disziplin mit der dazugehörigen Schneidigkeit (ein gefährliches Wort, bei dem eine oberflächliche Beschränkung und Schmerz inbegriffen waren) erfunden, um sie zu ersetzen. Die arabische Armee, die in der Kampflinie geboren und aufgewachsen war, hatte nie Friedenszucht gekannt und hatte noch nicht vor dem Problem gestanden, durchzuhalten bis zum Waffenstillstand – da versagte sie in sehr bezeichnender Weise.


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