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Hundertvierzehntes Kapitel

In der Frühe des nächsten Morgens standen auf dem Flugplatz der Australier zwei »Bristols« und ein »D. H. 9« zum Aufstieg bereit. In dem einen saß Ross Smith, mein alter Pilot, auserwählt, später den neuen »Handley-Page« zu führen. Es war die einzige Maschine ihres Typs in Ägypten und von Salmond wie sein Augapfel gehütet. Daran, daß sie uns zu einem so unwürdigen Zweck, lediglich zum Benzintransport über die feindlichen Linien weg, zur Verfügung gestellt wurde, ließ sich so recht die Bereitwilligkeit gegen uns ermessen.

In einer Stunde hatten wir Umtaije erreicht und stellten fest, daß die Armee von dort abgezogen war. Also flogen wir nach Um el Surab zurück und fanden sie dort: die Panzerwagen schußbereit in ihren Abwehrstellungen, die Araber auf unser verdächtiges Geräusch hin eiligst sich verbergend, wo es gerade ging, indes die klugen Kamele sich längst weithin über die Ebene verstreut hatten und sich ruhevoll den Bauch mit fettem Gras füllten. Als Young unser Abzeichen erkannte, gab er das Landungssignal und ließ Rauchbomben auf dem Rasenfleck aufsteigen, den seine und Nuri Saids Vorsorge von allen Steinen gesäubert hatte.

Ross Smith schätzte, einigermaßen besorgt, Länge und Breite des ausgesperrten Platzes und prüfte seine Unzulänglichkeiten, kam aber dann mit heiterer Miene zu uns zurück, wo die Fahrer gerade das Frühstück herrichteten. Der Landungsplatz war auch für den später zu erwartenden Handley-Page als »all right« befunden worden. Young berichtete von den wiederholten Bombenangriffen gestern und vorgestern; einige Reguläre und mehrere von der Batterie Pisani wären getötet und ihr Aufenthalt in Umtaije sei für jedermann so unerquicklich geworden, daß sie in der vergangenen Nacht das Lager nach Um el Surab verlegt hätten. Die dummen Türken bombardierten nach wie vor Umtaije, trotzdem jetzt nur noch Wasserholer des Nachts oder in den kampflosen Mittagsstunden dorthin gingen.

Winterton erzählte von seiner jüngsten Bahnsprengung. Eine vergnügliche Nacht war es gewesen, und sie hatten einen unbekannten Soldaten angetroffen und ihm in gebrochenem Arabisch erzählt, wie gut es bei ihnen vorwärtsginge. Der Soldat hatte Gott gepriesen für seine Gnade und war dann in der Dunkelheit verschwunden; kurz danach war von rechts und links Maschinengewehrfeuer gegen sie eröffnet worden. Ungeachtet dessen hatte Winterton seine sämtlichen Sprengladungen abfeuern können und sich dann in guter Ordnung ohne Verluste zurückgezogen. Auch Nasir erschien bei uns und berichtete von dem oder jenem, der verwundet oder gefallen sei, von dem oder jenem Clan, der zum Aufbruch rüste oder der bereits zu uns gestoßen sei, und von anderen wiederum, die nach Hause gegangen seien – all die üblichen lokalen Neuigkeiten. Das Eintreffen der drei prächtigen Flugzeuge hatte den Arabern neuen Mut gemacht. Sie ergingen sich in Lobpreisungen der Engländer und ihrer eigenen Tapferkeit und Ausdauer, indes ich ihnen das wunderbare Epos vortrug von Allenbys märchenhaftem Erfolg: – Nabulus genommen, Affuleh genommen, ebenso Besan und Semakh und Haifa. Die Herzen meiner Zuhörer schlugen mir zu wie Flammen. Tallal fing Feuer und geriet in wilde Prahlereien; die Rualla verlangten mit stürmischem Geschrei sofortigen Aufbruch zum Marsch auf Damaskus. Durch das ganze Lager ging eine Woge der Selbstgewißheit und Zuversicht. Ich beschloß bei mir, jetzt zum glorreichen Finale Faisal und Nuri Schaalan zur Armee zu rufen.

Mittlerweile war es Frühstückszeit geworden, und es duftete lieblich nach heißen Würstchen. Also setzten wir uns rundum, schon die Gabeln gezückt, als plötzlich der Wächter an der Turmruine den Ruf ertönen ließ: »Flugzeug in Sicht«. Es kam aus der Richtung von Dera. Unsere Australier waren mit zwei Sätzen bei den noch warmen Maschinen und machten sie im Augenblick startbereit. Ross Smith, mit seinem Beobachter, sprang in die erste beste und kletterte wie eine Katze gen Himmel. Ihm folgte Peters; während der dritte Pilot neben seiner D. H. 9 stand und scharf nach mir hinsah. Ich schien ihn nicht zu verstehen. Gewiß, man hatte mich theoretisch belehrt über das Fliegen und die Handhabung der Maschinengewehre; aber vom Wissen der Vorschriften bis zu ihrer Anwendung ist ein langer und mühevoller Schritt, und ich hatte nicht die geringste Praxis. Nein, mir stand es nicht zu, zum Luftkampf aufzusteigen, mochte ich auch in den Augen des Piloten an Ansehen einbüßen.

Etwas zu sagen, war er zu respektvoll, blickte aber vorwurfsvoll nach mir hin, während wir den Kampf in der Luft beobachteten. Der Feind war mit einem Doppeldecker und drei kleinen Eindeckern gekommen. Ross Smith machte sich an den Stärksten, und nach fünf Minuten heftigen Maschinengewehrknatterns sackte der Deutsche plötzlich gegen die Eisenbahn hin ab. Während er hinter die kleine Erhöhung hinabschoß, zog sich eine Rauchfahne hinter ihm her, und von der Stelle, wo er auffiel, quoll eine weiche schwarze Wolke auf. Ein bewunderndes »Oh« kam von den Arabern um uns her. Fünf Minuten danach war Ross Smith wieder an Land, kletterte vergnügt aus seiner Maschine und erklärte, die arabische Front wäre der Platz für Flieger.

Unsere Würstchen waren noch warm; wir verzehrten sie und tranken Tee dazu (echt englischen, unser letzter Vorrat, für Gäste aufgespart). Doch eben hatten wir uns an die saftigen Trauben von Dschebel Drus gemacht, als der Posten wiederum seinen Mantel schwenkte und rief: »Ein Flugzeug.« Diesmal gewann Peters das Rennen, Ross Smith wurde zweiter, und Traill mußte betrübt als Reserve zurückbleiben. Doch der Feind machte vor unserer Überlegenheit kehrt. Peters jagte ihm nach, faßte ihn erst in der Nähe von Arar und brachte ihn im Kampf zum Absturz. Später, als der Krieg sich nach jener Gegend zog, fanden wir die Trümmer der Maschine und darunter die verkohlten Leichen zweier Deutschen.

Ross Smith wäre am liebsten für immer an der arabischen Front geblieben – alle halben Stunden einen Feind! – und beneidete Peters innig um das, was ihm bevorstand. Aber er mußte ja zurück, um mit dem »Handley-Page« Benzin, Verpflegung und Vorräte heranzuschaffen. Die dritte Maschine sollte nach Asrak gehen, um den feindlichen Beobachter abzufangen, der gestern dort herumvagabundiert hatte. Ich flog mit, um Faisal zu holen.

Dreißig Stunden nach unserer Abfahrt von dort waren wir wieder in Asrak. Ghurkas und Ägypter wurden zu weiteren Bahnzerstörungen im Norden wieder zur Armee in Marsch gesetzt. Dann bestieg ich mit Faisal und Nuri Schaalan den grünen Vauxhall-Wagen, und zurück ging es nach Um el Surab, um die Landung des Handley-Page zu sehen.

Dem starken Wagen volle Fahrt gebend, sausten wir über die flache Ebene aus Kalk- oder Lehmboden dahin, um zur Landung rechtzeitig zur Stelle zu sein. Aber es sollte nicht sein: die Meldung von einem ausgebrochenen Zwist zwang uns, vom Wege abzubiegen nach dem Lager eines Clans der einheimischen Serahin. Doch zogen wir Nutzen aus dem Zeitverlust, indem wir die kampffähigen Männer des Clans nach Umtaije schickten; ferner sandten wir Botschaft von unserm großen Sieg zu den Serahin jenseits der Bahn, damit sie die Straßen durch die Adschlun-Berge den zurückflutenden türkischen Armeen sperren sollten.

Dann ging es von neuem in raschester Fahrt nordwärts. Etwa zwanzig Meilen vor Um el Surab bemerkten wir einen einzelnen Beduinen, der in heller Aufregung nach Süden zu lief; sein graues Haar und der lange graue Bart flatterten im Wind und das weite Kleid (aufgeschürzt im Leibriemen) bauschte sich hinter ihm auf. Er bog auf uns zu, rief uns, seine knochigen Arme schwingend, im Vorbeilaufen zu: »Das allergrößte Flugzeug der Welt!« und stürmte weiter, um die große Neuigkeit überall bei den Zelten zu verkünden.

Als wir dann Um el Surab erreichten, sahen wir den Handley-Page in majestätischer Größe auf dem Rasen stehen, die Bristols neben ihm nahmen sich wie Kücken aus unter seinen weitgespreizten Schwingen. Die Araber standen bewundernd herum und sagten: »Jetzt haben sie uns wirklich und endlich das Flugzeug geschickt; dagegen sind die andern Dinger ja nur kleine Fohlen.« Noch in der Nacht drang das Gerücht von Faisals neuem Machtzuwachs über Dschebel Drus hinaus bis in die Ebene von Hauran und verkündete allem Volk, daß die Waage sich nun zu unseren Gunsten geneigt habe.

Borton war selbst mit dem Handley mitgekommen, um über die weitere Hilfe zu beraten. Während wir mit ihm sprachen, holten unsere Leute aus dem Leib des Handley eine Tonne Benzin heraus und Öl sowie Reserveteile für die Bristolflieger; ferner Tee, Zucker und Rationen für unsere Mannschaften; Post, Reutertelegramme und Medizinen für uns. Dann in der frühen Dämmerung stieg die große Maschine in Richtung auf Ramleh auf, um dem vereinbarten Programm gemäß Dera und Mafrak nächtlich zu bombardieren und so den durch unsere Sprengungen gestörten Eisenbahnverkehr vollständig lahm zu legen.

Wir für unser Teil sollten mit den Sprengungen fortfahren. Von Allenby war uns im besonderen die vierte türkische Armee zugewiesen worden. Wir sollten ständig ihre Verbindungen stören und beunruhigen, bis das Vorgehen Chaytors sie aus Amman herausgezwungen hätte; dann sollten wir sie auf ihrem Rückzug fassen und tunlichst abschneiden. Dieser Rückzug war nur noch eine Frage von Tagen; und es war so sicher, wie nur etwas im Kriege sein kann, daß wir in der nächsten Woche die Ebenen zwischen uns und Damaskus zum Aufstand bringen würden. Faisal entschloß sich daher, die Rualla-Kamelreiter Nuri Schaalans aus Asrak zu unserer Truppe heranzuziehen. Das würde unsere Armee auf die Stärke von etwa viertausend Mann bringen, mehr als dreiviertel davon Irreguläre, aber zuverlässige, denn Nuri, der harte, schweigsame, zynische alte Mann, hielt seinen Ruallastamm in der Hand wie ein gefügiges Werkzeug.

Ein Mann wie er, ohne jeden Sinn für weitschweifige Erörterungen und Auseinandersetzungen, war eine einzigartige Erscheinung in der Wüste. Er wollte oder wollte nicht, mehr gab es nicht. Wenn die andern mit ihren langen Reden fertig waren, so pflegte er mit wenigen kargen Sätzen seinen Willen kund zu tun, und damit gut; des Gehorsams war er sicher, denn er war gefürchtet. Er war alt und weise, was so viel bedeutete wie müde und enttäuscht: so alt, daß ich mich immer wieder wunderte, wie er sich unserer Begeisterung anschloß.

Am nächsten Tag blieb ich im Zelt Nasirs; zahlreiche Besucher kamen vom Lande; ihr wacher Sinn und guter Wille lieferte uns eine Überfülle von Nachrichten, die ich prüfen und zusammenstellen mußte. Eine ansehnliche Truppenmacht unter Führung Nuri Saids, mit Pisani und zwei Geschützen, Stirling, Winterton und Young mit ihren Panzerautos rückte offen gegen die Eisenbahn vor, säuberte die Linie nach allen Regeln der Kunst, zerstörte einen Kilometer Gleise und steckte den hölzernen Behelfsbau in Brand, mit dem die Türken die von Joyce und mir beim ersten Vorstoß auf Dera zerstörte Brücke geflickt hatten. Nuri Schaalan, in weitem Mantel aus feinem schwarzen Tuch, führte persönlich seine Ruallareiter und galoppierte, umgeben von den vornehmsten Scheiks, an ihrer Spitze. Unter seinen Augen bewies der Stamm eine Bravour, die selbst Nuri Said ein Lob abrang.


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