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Hundertzweites Kapitel

Nach dem Friedensgeschwätz konnten wir uns wieder an eine saubere Arbeit machen. Joyce und ich entschlossen uns zu einem neuen gemeinsamen Autoausflug, diesmal nach Asrak, um den Weg nach Dera bis dahin zu erkunden. Wir fuhren zunächst nach Dschefer und begegneten unterwegs dem siegreichen Kamelkorps, das gerade vor Sonnenuntergang prächtig in Ausrüstung und Ordnung über die schimmernde Ebene zog. Offiziere und Mannschaften waren von ihrem Erfolg bei Mudewwere und von der Freiheit von Befehl und Zwang in der Wüste begeistert. Buxton sagte, man könne sie jetzt überall verwenden.

Sie wollten zwei Nächte ruhen und vier Tagesrationen aus ihrem Depot entnehmen, das Young fürsorglich in der Nähe von Audas Lager eingerichtet hatte. Joyce und ich bestiegen früh am nächsten Morgen unseren Panzerwagen, geführt von dem trefflichen Rolls, und fuhren bequem nach Wadi Bair, an dessen Brunnen Alwain, Audas Verwandter, sich aufhielt, ein glattwangiger, bedrückter, ruhiger Mann; er verbarg sich hier, fern von Auda, um seinen Frieden zu haben.

Wir blieben nur ein paar Minuten, um für den gesicherten Durchmarsch von Buxtons Abteilung zu sorgen; dann fuhren wir mit einem jungen, wilden Scherari los, der uns helfen sollte, den Weg zu finden. Seine Erfahrung auf dem Kamel machte ihn noch nicht als Schrittmacher für einen Fünf-Tonnen-Panzerwagen brauchbar, aber seine Kenntnis des Weges konnte anderen Wagen, die später allein heraufkamen, nützlich sein.

Auf dem Plateau von Erha hatten wir guten Weg, da seine Kieselsteinflächen mit hartem Lehm vermischt waren. In raschem Tempo gelangten wir zu den niedrigen Höhen von Wadi Dschins, die gutes Weideland boten.

Eine Menge grasender Kamele wurde hier von den ängstlichen, zerlumpten Hirten, die den Abu Taji angehörten, zusammengetrieben; sie ritten barhaupt, hielten das Gewehr in der Hand und sangen ein Kriegslied. Als sie den Lärm unserer Wagen hörten, stürzten sie auf uns zu und riefen laut, daß sie berittene Männer gesehen hätten, die in der Niederung vor uns lauerten. Wir fuhren in die bezeichnete Richtung und jagten nach einer Weile fünf Kamelreiter auf, die, so schnell sie konnten, nach Norden zu entweichen suchten. Zehn Minuten dauerte die Jagd. Dann ließen sie ihre Kamele anmutig niedergehen und begrüßten uns als Freunde – das einzige, was ihnen zu tun übrig blieb, da sie es nicht mit uns in dem Panzerwagen, der noch dazu schneller war, aufnehmen konnten. Es waren Dschasi Howeitat, zweifellos Räuber; aber jetzt waren sie eitel Freundlichkeit und riefen laut, daß sie sich freuten, mich hier so unvermutet zu treffen. Ich war etwas kurz angebunden und befahl ihnen, sofort zu ihren Zelten zurückzukehren. Sie ritten niedergeschlagen gen Westen davon.

Wir folgten dem östlichen Ufer des Um Karugh. Der Weg war fest, aber wir kamen nur langsam vorwärts, denn wir mußten die Rinnen der Nebentäler überqueren und dort, wo die alten Stromtäler weich und sandig waren, Reisigfaschinen einlegen. Gegen Ende des Tages kamen wir in eine Gegend des Tales, die dicht von Grasbüscheln bewachsen war, gute Weideplätze für unsere künftigen Karawanen.

Gegen Morgen war die Luft und der frische Nordwind dieser Wüstengegend so kühl, daß wir ein warmes Frühstück bereiteten. Dann kurbelten wir unsere Wagen an und fuhren über das breite Bett des Dhirwa und vorbei an der kaum merkbaren Wasserscheide zum Dschescha. Dies waren flache Wadis, die bei Amari, das ich besuchen wollte, in den Sirhan mündeten. Wenn uns in Asrak etwas mißglückte, sollte Amari unser nächster Zufluchtsort sein, wenn man es mit den Autos erreichen konnte. Solche tausend »Wenns« schwirrten bei uns stets um jeden neuen Plan.

Die Nachtruhe hatte Rolls und Sanderson erfrischt, und sie fuhren glänzend über die safranfarbene Rinne des kleinen Dschescha in das große Tal. Nachmittags erblickten wir die Kalksteindämme und fuhren ihre grauen Abhänge hinunter zum Sirhan, gerade bei den Wasserstellen. Immer mehr schien mir unser Rückzug gesichert, denn kein Feind konnte beweglich genug sein, uns gleichzeitig von Asrak und Amari abzuschneiden.

Dann füllten wir unsere Kühler mit dem scheußlichen Wasser des Teiches, in dem Farradsch und Daud sich vergnügt hatten, und fuhren weiter über die flachen Höhenrücken, bis wir weit genug von den Brunnen entfernt waren, daß wir keinen Streiftrupps mehr begegneten, die etwa in der Dunkelheit auf uns stoßen konnten. Joyce und ich setzten uns hin und beobachteten den Sonnenuntergang, der von grau in rosa und dann in rot überging. Zuletzt erreichte er ein Karmoisinrot von so unerträglicher Tiefe, daß wir den Atem anhielten und zitternd darauf warteten, daß eine Flamme daraus hervorschlüge und ein Donner diese schwindelnde Stille unterbräche. Die Leute machten inzwischen das Büchsenfleisch auf, kochten Tee und servierten ihn mit Keks auf einer Schlafdecke, die uns als Speisetisch diente. Später wickelten wir uns in unsere Decken und schliefen herrlich bis zum Morgen.

Am nächsten Tage fuhren wir schnell über das Delta des Ghadaf, bis wir die ungeheure Lehmebene erreichten, die sich südlich und östlich des Moorlandes in der Nähe des alten Schlosses von Asrak sieben Meilen weit erstreckte.

Die Luftspiegelung vor uns war mit stahlblauen Tupfen gefleckt; es waren Tamariskenbüsche, die in dem Hitzedunst wie schwebend und leicht verwischt erschienen. Ich wollte die Quellen des Medschaber erreichen, dessen baumbewachsenes Bett wir ungesehen hinunterfahren konnten. Rolls ließ seinen Wagen atemberaubend über die weite Ebene dahinjagen; vor uns fiel der Boden ab, und hinter uns wehte eine Rauchwolke wie ein Staubteufel einher.

Schließlich quietschten die Bremsen, und wir fuhren langsam in eine Plantage junger, hoher Tamarisken ein, die auf vom Wind zusammengewehten Sandhügeln standen. Wir wanden uns zwischen den Bäumen hindurch, bis die Tamarisken zu Ende waren und wir eine feuchte, von Dornbüschen dicht bestandene Sandschicht erreichten. Die Wagen hielten hinter der Anhöhe von Ain el Assad, verdeckt von dem hochgewachsenen Schilf, zwischen dessen bewegten Stengeln das Wasser leise rauschte.

Wir fuhren langsam die Gräberhügel hinauf, die oberhalb der großen Teiche lagen, und sahen, daß die Wasserstellen leer waren. Über der offnen Ebene hing eine Luftspiegelung; aber hier, wo der Boden mit Buschwerk bewachsen war, konnten sich keine Hitzewellen sammeln; und in dem starken Sonnenlicht schien uns das Tal so kristallklar wie das Wasser darin; es war verlassen bis auf die Vögel und die Gazellenherden, die, aufgescheucht von dem Lärm unseres Auspuffs, in scheuen, zur Flucht bereiten Gruppen standen.

Rolls lenkte seinen Wagen an dem römischen Fischteich vorbei; wir fuhren an dem Saum des westlichen Lavafeldes und an dem jetzt mit hartem Gras bewachsenen Sumpf entlang bis zu den bläulichen Mauern der stillen Burg mit ihren seidig rauschenden Palmen, hinter deren Schweigen vielleicht mehr Furcht als Friede lag. Ich fühlte mich schuldig, daß ich die pochenden Wagen und ihre Mannschaft von strammen, in Khaki gekleideten Nordländern hierher gebracht hatte in die Verlassenheit dieses tief verborgenen, sagenumwobenen Ortes. Aber meine Vorahnung täuschte mich; denn es waren diese Menschen, die als die Wirklichkeit erschienen, während die Umgebung zur Kulisse wurde. Die neue Erscheinung der selbstsicheren Truppen (die wie alle Engländer in Uniform sehr bestimmt auftraten) machte Asrak größere Ehre als die nüchterne Verlassenheit.

Wir blieben nur ganz kurz. Joyce und ich erstiegen den westlichen Turm. Wir waren uns einig über die mannigfachen Vorteile von Asrak als Operationsbasis, obwohl es hier zu meinem Kummer kein Weideland gab, so daß wir die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Zug hier nicht verbringen konnten. Dann fuhren wir über den nördlichen Zipfel des Lehmfeldes, das ein guter Landungsplatz für die Flugzeuge war, die Siddons unserem Expeditionskorps zugeteilt hatte. Unter anderen Vorzügen des Platzes war seine gute Sichtbarkeit hervorzuheben. Unsere Flugzeuge, die jetzt von ihrer neuen Basis zweihundert Meilen entfernt waren, konnten dieses silbergoldene, die Sonne widerspiegelnde Schild nicht verfehlen.

Wir kehrten nach Ain el Assan zurück, wo der Panzerwagen war, und fuhren in noch schnellerem Tempo wieder zu der offenen Kieselsteinwüste. Es war Spätnachmittag und sehr heiß, besonders unter dem glühenden Metall des stahlverkleideten Wagens; aber die langsam gerösteten Fahrer hielten sich dran. Vor Sonnenuntergang waren wir auf dem Bergrücken, der die Dscheschatäler teilte, und fanden hier einen kürzeren und bequemeren Weg als den, den wir gekommen waren.

Die Nacht fand uns nicht weit südlich von Ammari; wir lagerten auf dem höchsten Punkt der Gegend, wo eine nach dem glutheißen Tage köstlich erfrischende Brise wehte, die die Düfte der blühenden Hänge des Dschebel Drus mit sich führte. Wir freuten uns des heißen Tees und der Schlafdecken, mit denen wir die Winkel des Wagens weich ausgepolstert hatten.

Die Fahrt war für mich eine einzige Freude gewesen, denn bis auf die Erkundung des Weges hatte ich keine Verantwortung. Die Zeit wurde mir durch die Betrachtungen des Scherarijungen verkürzt, Betrachtungen, die er natürlich nur mir anvertraute, weil ich allein seine Art Kleider trug und seinen Dialekt sprach. Er, der arme Ausgestoßene, war noch niemals wie ein Wesen, dem man Beachtung schenkt, behandelt worden und war erstaunt über die Sitten der Engländer. Er war nicht ein einziges Mal geschlagen oder auch nur bedroht worden.

Er meinte, daß jeder Soldat sich wie eine Familie für sich hielt, und daß er ihre engen, ungenügenden Kleider und ihr stetes Beschäftigtsein als eine Art Selbstabschließung empfände. Er selbst wehte in Röcken, Kopftuch und Mantel einher. Sie trügen, meinte er, nur Hemden, kurze Hosen, Wickelgamaschen und Stiefel, und der Wind könnte nicht an sie heran. Ja, sie hätten diese Sachen Tag und Nacht in Hitze und Schweiß getragen, während sie sich an den staubigen, öligen Wagen zu schaffen machten, so daß das Tuch an ihren Körpern klebte wie die Rinde am Baum.

Weiter, meinte der Scherari, seien sie alle glattrasiert und alle gleichgekleidet; und sein Auge, das daran gewöhnt war, die Menschen nach ihrer Kleidung zu unterscheiden, würde durch diese äußere Gleichheit verwirrt. Um sie auseinanderzuhalten, müsse er die Gestalt jedes einzelnen so genau kennenlernen, als ob sie nackt seien. Und dann brauche ihr Essen nicht gekocht zu werden, ihre Getränke seien heiß, und sie sprächen kaum miteinander; aber dann wieder brächen sie auf ein einziges Wort hin in ein unverständlich lautes Lachen aus, was unwürdig und unmenschlich sei. Er glaubte, daß sie meine Sklaven seien, und daß es in ihrem Leben wenig Ruhe oder Zufriedenheit gebe, obwohl es für einen Scherari der größte Luxus wäre, schnell wie der Wind und sitzend zu reisen; und es sei ein Vorrecht, täglich Fleisch, Büchsenfleisch, zu essen.

Am Morgen fuhren wir schnell den Bergrücken entlang, um Bair am Nachmittag zu erreichen. Leider machten uns die Reifen zu schaffen. Der Panzerwagen war für die Kieselböden zu schwer und sank immer etwas ein; es war ein schweres Fahren, immer mit dem dritten Gang. Das erhitzte die Reifendecken, und wir hatten eine Reihe ärgerlicher Pannen, mußten immer wieder halten und den Wagen aufbocken, um Rad oder Reifen zu wechseln. Es war ein heißer Tag, und wir hatten Eile; kein Wunder, daß die wiederholte Hebelarbeit und das Pumpen uns die Laune verdarb. Gegen Mittag erreichten wir den großen Mittelgrat bei Ras Muheiwir. Ich versprach den mürrischen Fahrern, daß der Weg jetzt großartig werden würde.

Und so war es auch. Wir faßten alle frischen Mut; und sogar die Reifen hielten besser, als wir den gewundenen Grat entlangfuhren und in langen Kurven von Osten nach Westen und wieder in entgegengesetzter Richtung dahinschaukelten, bald nach links über niedrigen Tälern nach dem Sirhan zu, bald nach rechts bis an die Hedschasbahn. Fern im Dunst sahen wir schimmernde Pünktchen, die weißen, von der glühenden Sonne beleuchteten Stationsgebäude.

Am Spätnachmittag erreichten wir das Ende des Bergrückens, tauchten in die Tiefe hinunter und fauchten dann mit vierzig Meilen in der Stunde die Anhöhe von Hadi hinauf. Es dunkelte schon, als wir über die Senken von Ausadschi zu den Brunnen von Bair fuhren, wo die Täler erfüllt waren von Lagerfeuern und Menschen; Buxton, Marshall und das Kamelkorps hatten eben hier nach zwei leichten Märschen von El Dschefer ihr Lager aufgeschlagen.

Es herrschte eine gereizte Stimmung bei ihnen, denn Bair hatte nur noch zwei Brunnen, und beide waren umlagert. An dem einen schöpften die Howeitat und die Beni Sakhr Wasser für ihre sechshundert Kamele, die seit den eine Tagereise südöstlich entfernten Weiden durstig waren; und an dem anderen war eine Menge von tausend Drusen und syrischen Flüchtlingen, Händlern aus Damaskus und Armeniern, die unterwegs nach Akaba waren. Alle diese Menschen versperrten uns mit ihrem lärmenden Gedränge den Zugang zum Wasser.

Wir setzten uns dann zu einem Kriegsrat mit Buxton zusammen. Young hatte pflichtgemäß vierzehntägige Rationen für Mann und Tier abgesandt. Jedoch fanden wir in Bair nur achttägige Verpflegungsportionen für die Leute und Tierfutter für zehn Tage. Die Kameltreiber waren schon in Dschefer aus Angst vor der Wüste aufsässig geworden, und nur der eiserne Wille Youngs hatte sie zum Abmarsch gezwungen. Auf dem Wege nach Bair hatten sie fast die Hälfte des für Buxton bestimmten Nachschubs verloren – gestohlen oder verkauft.

Ich verdächtigte die Armenier, die sich beschwerten; aber wir konnten nichts von ihnen zurückbekommen und mußten unseren Plan den neuen Bedingungen anpassen. Buxton entzog seiner Kolonne alles nicht unbedingt Notwendige, während ich an Stelle von zwei Panzerwagen nur einen nahm und die Marschroute abänderte.


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