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Hundertdreizehntes Kapitel

Es schien jedoch, als sollten Nasir und ich der freundlichen Gewohnheit des Schlafs dauernd entsagen müssen. Die große Explosion bei Nisib hatte unsere Anwesenheit ebenso weithin kundgetan wie der Brand in Meserib. Kaum waren wir zur Ruhe gekommen, als auch schon von drei Seiten die Bevölkerung der Umgegend herbeiströmte, um mit uns über die jüngsten Ereignisse zu sprechen. Gerüchte waren verbreitet worden, daß wir nur als Räuber, nicht als Eroberer gekommen wären; und daß wir bald wieder, wie die Engländer bei Salt, davonlaufen und unsere Anhänger im Lande die Zeche bezahlen lassen würden.

Stunde auf Stunde in der Nacht kamen immer neue Schwärme der Bevölkerung, umstanden unser Lager, klagten ihre Not wie verlorene Seelen, beugten sich nach Art solcher Dorfsassen über unsere Hände und sabberten Beteuerungen, wir wären ihre allmächtigen Herren und sie unsere niedrigsten Diener. Vielleicht empfingen wir sie nicht so, wie es sonst unsere Gewohnheit war, aber wir litten allzu sehr unter der Folter, ständig von ihnen wachgehalten zu werden. Drei Tage und drei Nächte lang waren wir fast ununterbrochen angespannt gewesen, planend, befehlend, ausführend. Und nun, da uns eben ein wenig Ruhe gewinkt hatte, kam es uns bitter an, auch diese vierte Nacht noch zu vergeuden mit dem alten schalen und zweifelhaften Geschäft, uns lieb Kind zu machen.

Immer bedenklicher stimmte uns der offensichtlich schwer erschütterte Glaube der Bevölkerung an uns. Schließlich nahm Nasir mich beiseite und flüsterte mir zu, allem Anschein nach müßte es irgendwo in der Nähe einen Herd der Unzufriedenheit geben. Ich suchte aus meiner Leibgarde die aus der Gegend Stammenden heraus und beauftragte sie, sich unter die Dörfler zu mischen und die Wahrheit herauszufinden. Nach ihren Wahrnehmungen schien die Seuche des Mißtrauens von Taijibe auszugehen, der uns zunächst gelegenen Ortschaft. Die eilige Durchfahrt der Panzerautos von Joyce gestern auf dem Rückzug und einige unglückliche Zufälligkeiten hatten sie wankend gemacht, und sie fürchteten – nicht ohne Grund – daß sie durch unsern Abmarsch am stärksten in Mitleidenschaft gezogen werden würden.

Ich ließ Asis kommen und ritt mit ihm direkt nach Taijibe. Dort fand ich in der Hütte des Dorfältesten das Konklave beisammen, von dem aus das Gift unter die Bevölkerung verbreitet wurde. Sie berieten eben, wen von ihnen sie zu den Türken schicken sollten, um Gnade zu erflehen, als wir unangemeldet bei ihnen eintraten. Die bloße Tatsache unseres Kommens, die ihnen bewies, wie vollkommen sicher wir uns fühlten, fuhr ihnen gewaltig in die Glieder. Wir blieben etwa eine Stunde, unterhielten uns über gleichgültige Dinge, wie Ernte und Viehpreise, und tranken mit ihnen Kaffee; dann erhoben wir uns und gingen. Hinter uns ging das Getuschel von neuem los, doch nun hatte sich das flatternde Segel ihrer Gemüter in den von uns herwehenden stärkeren Wind gedreht. Und die Botschaft an den Feind unterblieb, obgleich sie tags darauf wegen so hartnäckigem Festhalten an uns gründlich bombardiert und beschossen wurden.

Noch vor Morgengrauen erreichten wir wieder das Lager und hatten uns eben zum Schlaf ausgestreckt, als von der Richtung der Eisenbahn her ein lautes »Bumm« ertönte und gleich darauf ein Schrapnell hinter unsern schlafenden Reihen krepierte. Die Türken hatten einen Panzerzug heruntergesandt, der ein Feldgeschütz führte. Ich für meine Person hätte es schließlich auf einen Treffer ankommen lassen, denn ich hatte nur gerade soviel geschlafen, um nach mehr zu lechzen. Doch die Truppe hatte sechs Stunden geruht und war schon auf den Beinen.

Über scheußlichen Boden ging es in Eile zurück. Ein türkischer Flieger erschien über uns, um das Geschützfeuer zu leiten. Die Schrapnells begannen mit unsern eilenden Marschlinien bedenklich Schritt zu halten. Wir legten im Tempo zu und zogen die Kolonne in kleine Gruppen mit weiten Abständen auseinander. Das Feuerleitungsflugzeug kam plötzlich ins Schwanken, bog seitlich ab, der Bahnlinie zu, und schien dort irgendwo zu landen. Das Geschütz funkte einen weiteren Treffer in uns hinein, der zwei Kamele tötete; dann verlor es seine Sicherheit, und nach etwa fünfzig Schüssen kamen wir ihm außer Reichweite. Das Geschütz machte sich nunmehr an die Bestrafung von Taijibe.

In Umtaije hatte Joyce das Schießen gehört und kam heraus, um uns zu begrüßen. Hinter seiner schlanken Gestalt sah man die Ruinen der alten römischen Niederlassung dicht besetzt mit buntscheckigem Volk, Abgesandten jedes Dorfs oder Stammes im Hauran, gekommen, uns zu huldigen und uns – wenigstens mit dem Munde – ihre Dienste anzubieten. Zu seinem Verdruß überließ ich dieses Geschäft Nasir, dem derlei längst zuwider war, indes ich mit Joyce und Winterton davonging und ihnen von dem gelandeten feindlichen Flugzeug erzählte, das meiner Vermutung nach wohl von einem Lastauto abgeschleppt werden sollte. Eben in diesem Augenblick sahen wir zwei weitere feindliche Flugzeuge erscheinen und ungefähr an der gleichen Stelle niedergehen.

siehe Bildunterschrift

T. E. Lawrence.
Bleistiftzeichnung von John

Nun, vorläufig war zunächst einmal das Frühstück fertig, unser erstes seit langem. Wir machten uns daran, und Joyce erzählte, wie bei seiner Fahrt durch das Dorf Taijibe die Bewohner auf ihn geschossen hätten, vermutlich, um ihre Meinung kundzutun über Fremde, die daherkämen, ein Hornissennest von Türken aufstöberten und dann durchbrannten.

Das Frühstück war beendet. Wir gingen und fragten, wer freiwillig eine Erkundungsfahrt mit uns nach dem feindlichen Flugplatz machen wolle. Alle meldeten sich. Joyce suchte zwei geeignete Wagen heraus – einen für Junor, einen für mich – und wir fuhren die fünf Meilen zurück nach dem Tal, an dessen Ausgang unserer Ansicht nach die Flugzeuge gelandet sein mußten.

Wir fuhren leise und vorsichtig in das Tal ein. Als wir noch etwa zweihundert Yard von der Eisenbahn entfernt waren, bog es in eine Wiese ab, an deren jenseitigem Ende die Maschinen standen. Wir fuhren direkt darauf zu, kamen aber dabei an einen tiefen Graben mit steilen bröckligen Rändern – unpassierbar. Nun den Graben entlang in toller Fahrt, schräg durch den Wiesengrund und heran bis auf zwölfhundert Yard. Gerade als wir bremsten, setzten sich zwei der Flugzeuge zum Aufstieg in Bewegung. Wir feuerten mit Maschinengewehren hinterdrein, die Richtweite nach dem Aufschlagen der Kugeln schätzend, aber sie hatten schon gehörigen Anlauf, kamen ab und schwebten surrend über unseren Köpfen davon.

Die dritte Maschine streikte. Führer und Beobachter mühten sich verzweifelt, den Propeller anzuwerfen. Als wir die Treffweite hatten, sprangen sie in den Schutz des Eisenbahneinschnitts, indes wir Geschoß auf Geschoß in den Motor setzten, bis die ganze Maschine förmlich tanzte unter dem Hagel (sie verbrannten sie am Nachmittag). Dann machten wir uns schleunigst auf den Rückweg. Leider hatten die beiden entwischten Flugzeuge Zeit gehabt, nach Dera zu fliegen und mit Munition versehen boshafterweise zurückzukehren. Das eine warf seine vier Bomben ungeschickt aus großer Höhe ab, so daß sie weit daneben gingen. Das andere ließ sich herunter und setzte jede seiner Bomben mit großer Sorgfalt. Wir krochen langsam zwischen dem wüsten Steingeröll dahin, ohne uns wehren zu können; man kam sich in den Wagen vor wie Sardinen in der Büchse. Eine Bombe sandte einen Splitterhagel durch den Sehschlitz beim Führer, verletzte uns aber nur an den Handgelenken. Eine andere riß den Gummi an einem Vorderrad weg, so daß sich der Wagen fast überschlagen hätte.

Trotz allem gelangten wir heil nach Umtaije, und ich berichtete Joyce den Erfolg. Jedenfalls hatten wir den Türken die Lehre erteilt, daß ihr Flugplatz dort nicht benutzbar für sie war, und daß auch Dera einem Panzerauto-Angriff offen lag. Später streckte ich mich in den Schatten eines Wagens; und sämtliche Araber der Wüste mitsamt den türkischen Flugzeugen, die uns mit Bomben beglückten, konnten mich nicht in meiner Ruhe stören. Wie meist, wenn ich mich niedergelegt hatte, fiel ich sofort in Schlaf und schlief bis in den Nachmittag.

Vom strategischen Gesichtspunkt war es unsere Aufgabe, Umtaije zu halten, von wo aus wir die drei in Dera zusammenlaufenden Hauptbahnen nach Belieben in der Hand hatten. Blieben wir dort noch eine weitere Woche stehen, so konnten wir die türkischen Armeen abschnüren, ganz gleich, wie weit das Vorgehen Allenbys gelang. Taktisch gesehen freilich war Umtaije ein denkbar ungünstiger Platz. Mit unterlegenen Kräften, lediglich aus Regulären bestehend, ohne Deckung durch Kleinkriegsunternehmungen der Stämme, war der Ort kaum mit einiger Sicherheit zu halten. Und doch mußten wir binnen kurzem auf diese unsere paar regulären Formationen beschränkt sein, wenn unsere Ohnmacht in der Luft weiter so anhielt.

Die Türken hatten mindestens neun Maschinen. Wir waren nur zwölf Meilen weit von ihrer Flugstation gelagert, zudem in der offenen Wüste, an der einzigen ausreichenden Wasserstelle, und notwendigerweise war eine große Anzahl Kamele und Pferde ringsumher auf den Weiden zerstreut. Schon die ersten türkischen Bombenangriffe hatten die Irregulären, die doch gewissermaßen unsere Augen und Ohren waren, stark in Unruhe versetzt. Wir sahen voraus, daß sie über kurz oder lang aufbrechen und sich nach Hause verziehen würden; damit aber waren wir so gut wie gelähmt. Auch Taijibe, das nächste Dorf, das uns gegen Dera hin deckte, lag wehrlos dem Feinde preisgegeben, und seine Bevölkerung zitterte unter den wiederholten Angriffen.

Danach also war unsere erste und wichtigste Aufgabe, Luftverstärkung von Allenby zu erbitten. Nach seinen Dispositionen sollte übermorgen ein Nachrichtenflieger nach Asrak kommen. Ich hielt es für ratsam, persönlich zu Allenby zu gehen und mit ihm darüber zu sprechen. Ich konnte am 22. September wieder zurück sein. Umtaije würde sich so lange halten können, und um den feindlichen Fliegern die Arbeit zu erschweren, konnten wir zudem zeitweilig das Lager nach Um el Surab verlegen, der nächsten altrömischen Ansiedlung.

Ob nun Umtaije oder Um el Surab, die beste Sicherheit blieb immer, die Initiative in der Hand zu behalten. Die Seite nach Dera zu war uns durch das Mißtrauen der Landbevölkerung zur Zeit verschlossen, blieb mithin noch die Hedschaslinie. Die Brücke bei Kilometer 149 war nahezu vom Feinde wiederhergestellt; wir mußten sie also nochmals zerstören und obendrein eine zweite Brücke weiter südlich, um den Zügen, die das Material zur Wiederherstellung heranbrachten, die Zufahrt abzubinden. Eine Erkundung Wintertons gestern hatte ergeben, daß das erste nur mit Truppen und Artillerie durchgeführt werden konnte; das zweite war Sache eines überraschenden Überfalls.

Ich ging hin, um zu sehen, ob das meine Leibgarde auf dem Wege nach Asrak besorgen könnte.

Irgend etwas stimmte mit ihr nicht. Sie hatten rot umränderte Augen, waren zaghaft und zitterten. Schließlich erfuhr ich, daß am Morgen, als ich weggewesen war, Saagi, Abdulla und die anderen Führer alle die Drückeberger von Nesib grausam geprügelt hatten. Das war ihr gutes Recht, denn seit Tafileh hatte ich es meinen Leuten überlassen, die Disziplin selbst aufrechtzuerhalten; aber das hatte für den Augenblick die Wirkung, daß sie für meinen Zweck nicht zu verwenden waren. Einer solchen Strafe ging die Furcht voraus, aber nachher blieb noch lange die Erinnerung daran wach, spornte die Stärkeren der Opfer nur zu wilderen Gesetzlosigkeiten an und machte Gewalttaten wahrscheinlich. Jetzt wären sie bei dem Angriff eine Gefahr für mich gewesen, aber auch für sich selber oder für den Feind, wie gerade Laune und Zufall es mit sich brachten, wenn es in dieser Nacht zum Gefecht gekommen wäre.

Ich schlug daher Joyce vor, die Ägypter und Ghurkas nach Akaba zurückzuschicken; ferner sollte er mir ein Panzerauto zur Verfügung stellen, um sie bis zur Bahnlinie zu begleiten und zu sehen, was dort etwa zu machen wäre. Wir gingen dann zu Nasir und Nuri Said, und ich sagte ihnen, daß ich am Zweiundzwanzigsten mit Kampfmaschinen zurück sein würde, um die Luft von den feindlichen Beobachtern und Bombenwerfern zu säubern. Inzwischen könnte man die Bewohner von Taijibe mit Geld über den durch die Türken verursachten Schaden hinwegtrösten und bei der Stange halten. Joyce wollte für unsere zu erwartenden Luftstreitkräfte Landungsplätze vorbereiten.

Die Unternehmung dieser Nacht wurde zu einem tollen Durcheinander. Bei Sonnenuntergang fuhren wir bis zu einem offenen Tal, knapp drei Meilen von der Eisenbahn entfernt. Von Mafrak her war eine Bedrohung möglich, und daher sollte ich mit dem Panzerauto, begleitet von Junor in einem Ford, diesen Abschnitt der Bahn überwachen und etwaige feindliche Angriffe abwehren. Die Ägypter unter Peake sollten indessen direkt zur Bahnlinie marschieren und ihre Sprengladungen abfeuern.

Als Wegführer erlebte ich ein glänzendes Fiasko. Drei Stunden lang irrten wir in allen möglichen Tälern umher, außerstande die Bahn zu finden noch die Ägypter noch selbst wieder unsern Ausgangspunkt. Endlich entdeckten wir ein Licht, fuhren darauf zu und sahen uns unmittelbar Mafrak gegenüber. Wir machten kehrt, um einen gedeckten Platz zu finden, und hörten kurz darauf das Rattern eines Zuges, der nach Norden zu die Station verließ. Wir jagten dem ab und zu sichtbar werdenden Feuerschein der Lokomotive nach in der Hoffnung, den Zug noch vor der zu zerstörenden Brücke abzufangen. Aber noch ehe wir ihn eingeholt hatten, hörte man in der Ferne Explosionen: Peake feuerte seine dreißig Ladungen ab.

Einige Reiter galoppierten Hals über Kopf nach Süden zu an uns vorbei. Wir schossen hinter ihnen her, und dann kam der Patrouillenzug in größter Eile zurückgerasselt, aus der Richtung der zerstörten Brücke. Wir fuhren nebenher und feuerten mit Maschinengewehren auf die besetzten Waggons. Die Türken schossen zurück, meist ins Blaue hinein, aber dabei geschah es denn, daß mein schwerer Wagen plötzlich einen Schnaufer von sich gab und stillstand. Ein Geschoß hatte die Querwand des Benzintanks durchschlagen, die einzige nicht gepanzerte Stelle. Es dauerte eine Stunde, bis wir das Loch verstopft hatten.

Dann fuhren wir die jetzt in tiefem Schweigen liegende Bahn entlang bis zur Sprengstelle, konnten aber die Ägypter nirgends finden. Wir fuhren eine Meile landeinwärts, und nun fand ich einmal Zeit, gründlich auszuschlafen: drei volle Stunden bis kurz vor Morgengrauen. Ich erwachte neugestärkt und fand mich sofort in dem Gelände zurecht. Anscheinend waren es nur die fünf schlaflosen Nächte gewesen, die meinen Verstand umnebelt hatten. Wir fuhren südwärts, kamen an den Ägyptern und Ghurkas vorbei und erreichten am frühen Nachmittag Asrak. Dort trafen wir Faisal und Nuri Schaalan und erstatteten umgehend Bericht. Dann ging ich zu Marshall nach dem Hilfslazarett; er hatte alle unsere Schwerverwundeten in Pflege, aber es waren weniger gekommen, als man erwartet hatte, und so fand sich noch eine Krankentrage für mich als Bett.

In der Frühe des nächsten Morgens traf Joyce unerwartet ein. Er hatte sich überlegt, daß er die Operationspause benutzen könnte, um nach Aba el Lissan herunterzugehen und Seid wie Dschaafar gegen Maan zu helfen, auch auf Hornby bei den Beni Sakhr einen Druck auszuüben. Später dann kam der englische Flieger aus Palästina und brachte die ersten Nachrichten von dem wunderbaren Sieg Allenbys. Sein Angriff hatte die türkischen Linien geworfen, durchbrochen und rückwärts getrieben in einem Umfang, der fast unbegreiflich schien. Mit einem Schlage hatte sich der Krieg zu unsern Gunsten gewendet. Rasch unterrichtete ich Faisal von dem Umschwung und riet ihm, diese neue Lage für den allgemeinen Aufstand in weitestem Maße nutzbar zu machen. Eine Stunde später landete ich wohlbehalten in Palästina.

In Ramleh gab mir die Fliegerabteilung ein Auto, das mich zum Hauptquartier brachte. Dort fand ich den großen Mann in der gelassenen Ruhe des seiner selbst sicheren Führers; und nur wenn Bols alle fünfzehn Minuten hereingeeilt kam mit Bericht von weiteren Erfolgen, leuchtete etwas in seinen Augen auf.

Er gab mir einen kurzen Überblick über seine nächsten Absichten. Das historische Palästina war in seiner Hand, und die geschlagenen Türken, jetzt in den Bergen des Libanon, erwarteten ein Nachlassen der Verfolgung. Aber da täuschten sie sich. Bartholomew und Evans holten bereits zu drei neuen Schlägen aus: die eine Gruppe, Neuseeländer unter der Führung Chaytors, sollte über den Jordan gehen und auf Amman vorstoßen; eine zweite, Barrow und seine Inder, gleichfalls über den Jordan gegen Dera; eine dritte, Chauvel mit den Australiern, über den Jordan gegen Kunetra. Chaytor sollte in Amman stehenbleiben; Barrow und Chauvel sollten nach Erreichung der ersten Ziele konzentrisch auf Damaskus vorgehen. Die arabischen Streitkräfte sollten das Vorgehen der drei Gruppen unterstützen – und mein Unterfangen, Damaskus zu nehmen, sollte nicht eher ausgeführt werden, als bis wir alle vereinigt wären.

Ich setzte unsere Lage und Absichten auseinander und wies nach, daß durch unsere Ohnmacht in der Luft alles in Frage gestellt sei. Allenby drückte auf eine Klingel; und wenige Minuten später saßen wir mit Salmond und Borton zur Besprechung zusammen. Die Luftflotte hatte im Operationsplan Allenbys einen wesentlichen Faktor ausgemacht (wie es denn die besondere Kunst dieses Heerführers war, jede Waffengattung: Infanterie und Kavallerie, Artillerie und Luftstreitkräfte, Flotte und Tanks, Hilfstruppen und Irreguläre, am rechten Platz und nach den ihr eigentümlichen Mitteln zu einem aufs feinste zusammenspielenden Konzert zu verwenden), und sie hatte die ihr gestellte Aufgabe erfüllt. Kein türkischer Flieger erschien mehr am Himmel – ausgenommen bei uns, wie ich schleunigst einschaltete. Um so besser, erklärte Salmond; man würde uns zwei Kampfflugzeuge nach Umtaije senden, die bei uns bleiben sollten, solange wir sie brauchten. Ob wir Vorräte hätten? Benzin? Nicht einen Tropfen? Wie man das dort hinschaffen könnte? Nur auf dem Luftwege? Eine Fliegerformation auf dem Luftweg versorgen? Noch nicht dagewesen!

Nun, Salmond und Borton waren nicht die Männer, vor Neuem zurückzuschrecken. Sie machten sich sofort daran, die erforderlichen Materiallasten für »D. H. 9« und »Handley-Page« Handley-Page: Name eines der größten Flugzeugwerke in England. (A. d. Ü.) zu berechnen, während Allenby dabei saß und lächelnd zuhörte, sicher, daß es geschafft würde. Die Luftflotte hatte in einer außerordentlich geschickten, raschen und verständnisvollen Weise mit den Operationen der Landarmee zusammengewirkt und deren Erfolge wirksam auszunutzen gewußt. Sie war es gewesen, die den türkischen Rückzug zur Flucht gewandelt hatte, die des Gegners telephonische und telegraphische Verbindungen zerstört, seine Kolonnenbewegungen gehemmt und seine Infanterieformationen zersprengt hatte.

Salmond und Borton wandten sich an mich mit der Frage, ob wir auch einen geeigneten Landungsplatz hätten für einen schwerbeladenen »Handley-Page«. Ich hatte die starke Maschine früher mal in ihrem Schuppen stehen sehen und sagte ohne Zögern »ja«, wenngleich es vielleicht besser gewesen wäre, man hätte in einem der »Bristols« morgen einen Sachverständigen mit mir nach Umtaije geschickt, um die Sache fachmännisch festzustellen. Er hätte schon gegen Mittag zurück sein können und die Handley gegen drei Uhr dort. Salmond erhob sich. »Also gut«, erklärte er, »wir werden das Nötige veranlassen.« Damit war die Frage erledigt und ich ging, um zu frühstücken.

Allenbys Hauptquartier war ein Ort, wo es sich wohlsein ließ: ein großes, weißgetünchtes Haus mit kühlen, luftigen Räumen, geschützt gegen die Fliegenplage und umrauscht von den windbewegten Bäumen draußen. Ich schämte mich fast, hier den seltenen Luxus eines sauber gedeckten Tisches und gewandt bedienender Ordonnanzen zu genießen, während meine Leute draußen in Umtaije wie Eidechsen zwischen den Steinen lagen, ungesäuertes Brot aßen, gefaßt darauf, daß vielleicht im nächsten Augenblick eine Bombe zwischen sie schlug. Ich fühlte mich unruhig wie das dunstige Sonnenlicht, das durch das Laubdach hindurch zuckende Lichter über die Pfade spann; so lange gewöhnt an den herben Zauberbann der Wüste, empfand ich Blumen und Wiesen als etwas Spielerisches, und das Keimen und Sprossen des trächtigen Lebens allerwärts bekam in seiner Üppigkeit etwas niedrig Erdgebundenes.

Jedoch das freundliche Entgegenkommen der Offiziere des Stabes wie auch die heitere, kräftige Selbstsicherheit des Oberkommandierenden waren wie ein erfrischendes Bad für einen durch lange Tage der Mühsal Erschöpften. General Bartholomew breitete Karten aus und setzte mir die weiterhin geplanten Operationen auseinander. Die ihm bekannten Nachrichten über den Feind konnte ich, der ich durch die Araber stets aufs beste unterrichtet war, mannigfach ergänzen und vervollständigen. Hinwiederum lehrten mich die Ausführungen des Generals, daß uns der Sieg gewiß war, ganz gleich, was sich etwa noch mit unserer kleinen zur Zeit festgenagelten Armee da drüben in Umtaije ereignen mochte.

Mir schien jedoch, daß in der Hand der Araber die Entscheidung darüber lag, diesen Sieg zu einem von vielen oder durch nochmaligen Einsatz ihres Lebens zum Endsieg zu gestalten. Natürlich war das im Grunde keine Wahl, denn wenn sie an Körper und Geist so müde waren wie ich, suchten sie fast instinktiv einen Vorwand, der Gefahr aus dem Wege zu gehen.

siehe Bildunterschrift

Fliegerangriff auf türkische Truppen im Wadi Fara.
Ölgemälde von Carline


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