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Hundertelftes Kapitel

Das gab eine langwierige Arbeit; und als wir dann endlich zum Aufbruch bereit waren, erschien ein neuer Besucher: das jugendliche Oberhaupt von Tell el Schehab. Sein Dorf war der Schlüsselpunkt zur Brücke. Er beschrieb uns ihre Lage, berichtete von der starken Besatzung und wie sie verteilt war. Offenbar lag der Fall doch schwieriger, als wir geglaubt hatten, falls seine Erzählungen der Wahrheit entsprachen. Wir hegten darüber unsere Zweifel, denn sein jüngst verstorbener Vater war uns feindlich gewesen, und der Junge zeigte sich denn doch zu schnell bei der Hand mit seiner Ergebenheit für unsere Sache, als daß wir ihm ganz trauen konnten. Jedoch schlug er zuletzt vor, er wollte in einer Stunde mit dem Kommandanten der Besatzung, einem Freund von ihm, wieder zu uns zurückkehren. Wir schickten ihn fort, seinen Türken zu holen, und wiesen unsere wartenden Leute an, sich nochmals zu kurzer Rast niederzulegen.

Bald erschien auch wieder der junge Bursche in Begleitung eines Hauptmanns, eines aufgeregten, kleinen Armeniers, voll Eifer, seine Regierung, wo er nur konnte, zu schädigen. Die ihm unterstellten Offiziere, so erklärte er, und auch ein Teil der Unteroffiziere wären treue Türken. Er machte uns nun den Vorschlag, wir sollten mit den Truppen bis dicht an das Dorf rücken und uns dort verborgen halten, indes er drei oder vier unserer kräftigsten Leute in seinem Zimmer verstecken würde. Dann wollte er seine Untergebenen einzeln zu sich bestellen, und jeder, der bei ihm eintrat, sollte von unseren im Hinterhalt liegenden Leuten überwältigt und gefesselt werden.

Das klang ja schlechthin wie aus einem Abenteurerroman, und wir stimmten begeistert zu. Es war jetzt neun Uhr abends; Punkt elf Uhr wollten wir mit den Truppen das Dorf umzingeln und den jungen Scheik abwarten, der unsere Goliaths zum Hause des Kommandanten geleiten sollte. Die beiden Verschwörer zogen hochbefriedigt von dannen; wir indessen weckten unsere Truppen, die neben den beladenen Kamelen den Schlaf der Erschöpfung schliefen. Die Nacht war pechrabenschwarz.

Meine Leibgarde machte Sprengladungen für Brücken fertig; ich stopfte mir Zündkapseln in die Taschen. Nasir sandte Offiziere zu jeder Abteilung des Kamelreiterkorps, um die Leute von dem bevorstehenden Abenteuer zu unterrichten und sie zu ermahnen, sich der Höhe der Aufgabe gewachsen zu zeigen: größte Stille müßte herrschen und namentlich das unglückselige Brüllen der Kamele vermieden werden. Alles war mit Feuereifer bei der Sache. In zwei langen Reihen schlich sich unsere Truppe einen gewundenen Pfad hinab, hart zu seiten eines Bewässerungskanals. Der Weg war schmal, stark geschlängelt, schlüpfrig vom durchsickernden Kanalwasser, ohne Entwicklungsmöglichkeit nach rechts oder links; und war etwa Verrat im Spiel, so saßen wir rettungslos in der Falle. Nasir und ich gingen voraus mit unseren Leuten, ihre geübten Ohren gespitzt auf jeden Laut, ihre Augen wachsam die Dunkelheit durchdringend. Vor uns lag der Wasserfall, dessen schweres Dröhnen schon die Begleitung abgegeben hatte zur wilden Musik jener unvergleichlichen Nacht mit Ali ibn el Hussein, damals, als wir eben diese Brücke von der andern Seite der Schlucht aus zu überfallen versucht hatten. Nur waren wir ihm heute näher, und sein Getöse schlug ohrenbetäubend über uns zusammen.

Sehr langsam und vorsichtig schlichen wir weiter, geräuschlos auf nackten Füßen. Hinter uns schlängelte sich, mit angehaltenem Atem, die schwerfälligere Masse der Truppe; auch sie nahezu geräuschlos, da Kamele meist schweigsam wandern bei Nacht und man Vorsorge getroffen hatte, daß kein Sattel knarrte, kein Ausrüstungsstück klapperte. Die Stille ließ die Dunkelheit noch dunkler, die Drohung der raunenden Täler rechts und links noch drohender erscheinen. Schon strichen uns Wogen feuchter Luft vom Flußtal her kühl übers Gesicht; und dann glitt Rahail von links an mich heran, faßte mich am Arm und wies stumm auf eine weiße Rauchsäule, die langsam aus dem Tal aufstieg.

Wir ritten vor zum Rande des Abhangs und blickten aufmerksam hinunter; doch in der Tiefe brauten die vom Fluß aufsteigenden Nebel, und in dem grauen Dunst war nichts zu sehen als der fahle Dampf, der sich wirbelnd aus der Nebelbank löste. Irgendwo da unten lag die Eisenbahn. Wir hielten die Truppe an, in der Besorgnis, dies könnte die befürchtete Falle sein. Unserer drei kletterten wir Schritt für Schritt den schlüpfrigen Hang hinunter, bis wir Stimmen hörten. Dann plötzlich quoll der Dampf stärker auf und schob sich vor, zugleich keuchte eine Lokomotive. Gleich darauf hörte man das Quietschen von Bremsen, wie von einer anhaltenden Maschine. Dort mußte ein langer Zug auf die Einfahrt warten. Etwas beruhigt setzten wir den Marsch zur verabredeten Stelle jenseits des Dorfes fort.

Dort wurde die Truppe gedeckt bereitgestellt, die Ortschaft von der einen Seite umzingelnd, und wir warteten – fünf Minuten, zehn Minuten. Sie vergingen sehr langsam. Man hörte das warnende Anschlagen von Hunden und von der Brücke her von Zeit zu Zeit den hallenden Anruf der Posten. Schließlich ließen wir die Truppe möglichst geräuschlos absitzen; und dann hockten wir wartend beieinander, einigermaßen beunruhigt durch die Verzögerung und die ungewohnte Wachsamkeit der Türken und den schweigsamen Zug dort unten im Tal. Unsere wollnen Mäntel wurden steif und schwer vom feuchten Nebel, und Frösteln überkam uns.

Endlich nach einer langen Zeit des Harrens zeigte sich in der schwarzen Nacht vor uns ein hellerer Flecken, der sich rasch näherte. Es war der junge Scheik; er hielt den braunen Mantel weit ausgebreitet, uns die weiße Unterkleidung wie eine Flagge weisend. Er flüsterte, der Plan wäre mißlungen. Vor kurzem wäre ein Zug (eben jener unten in der Schlucht) angekommen mit einem deutschen Obersten und deutschen wie türkischen Reserven aus Affuleh, von Liman von Sanders heraufgesandt zur Verstärkung des bedrohten Dera.

Die Deutschen hätten den kleinen Armenier in Arrest gesetzt wegen Pflichtversäumnis. Überall wären Maschinengewehre aufgestellt, und mit rastloser Energie wären sofort alle Zugangswege mit Wachen besetzt worden und würden ständig abpatrouilliert. Gerade vor uns auf dem Wege, keine hundert Yard von der Stelle entfernt, wo wir saßen, stünde eine starke Feldwache.

Nuri Said schlug sofort vor, den Platz mit Gewalt zu nehmen. Wir hätten genügend Handgranaten und Leuchtpistolen, wir wären an Zahl überlegen und hätten den Vorteil der Überraschung auf unserer Seite. Gewiß, die Gelegenheit war günstig; aber ich berechnete im stillen den Wert des Objektes im Verhältnis zu den Menschenleben, die es uns kosten würde, und, wie meist, fand ich den Preis zu hoch. Gewiß, im Kriege ist das meiste zu teuer erkauft, und wir hätten, gutem Beispiel folgend, einfach drauflosgehen und die Sache zu Ende führen sollen. Doch ich war im geheimen und ohne es recht wahrhaben zu wollen sehr stolz darauf, daß ich stets der Planer und Leiter unserer Unternehmungen war. Also erklärte ich mich gegen Nuris Vorschlag; wir hätten heute die Damaskus-Palästinabahn an zwei Stellen unterbrochen; und daß wir durch unser Erscheinen hier die Besatzung von Affuleh hergezogen hätten, bedeutete eine dritte Gabe an Allenby. Unser Vorstoß hätte auf diese Weise reiche Früchte getragen.

Nach kurzer Überlegung stimmte Nuri zu. Wir verabschiedeten den Burschen, der uns so wacker zu helfen versucht hatte. Dann gingen wir durch die Reihen der Truppen und flüsterten den Leuten zu, sich in aller Stille zurückzuziehen. Währenddessen saßen wir in Gruppen beieinander, die Flinten im Arm (die meinige war eine Lee-Enfield, eine englische Trophäe der Türken aus den Dardanellenkämpfen, die Enver mit einer goldenen Inschrift versehen und vor Jahren Faisal zum Geschenk gemacht hatte), und warteten, bis die Truppen außerhalb der Gefahrzone waren.

Das waren sonderbarerweise die schwersten Augenblicke dieser Nacht. Nun alles vorüber war, konnten wir kaum der Versuchung widerstehen, diesen deutschen Spielverderbern einen kleinen Schabernack anzutun und sie in ihrem Lager aufzustöbern. Es wäre so leicht gewesen, ein paar Leuchtraketen in ihr Biwak abzufeuern und dann zuzusehen, wie diese ernsthaften Männer in drolliger Hast herausgelaufen wären und ein gewichtiges Feuer eröffnet hätten gegen die leeren, nebligen Hänge vor ihnen. Wir alle, Nasir, Nuri Said und ich, hatten unabhängig voneinander die gleichen Gedanken. Wir platzten auch gleichzeitig damit heraus, und jeder schämte sich prompt darüber, daß die anderen ebenso kindisch gewesen waren. Durch wechselseitige Ermahnungen stellten wir unsere Würde wieder her. Um Mitternacht kamen wir bei Meserib zu der Überzeugung, daß etwas geschehen mußte, um uns für das Mißlingen bei der Brücke wieder auszugleichen. So stießen zwei Abteilungen meiner Leute mit Führern von Tallals Leuten über Schehab vor und zerstörten dahinter die Linie an zwei einsamen Stellen, wo es bergan ging. Das Echo der Explosionen bereitete der deutschen Abteilung eine schlechte Nacht. Fackeln wurden entzündet und die Umgebung nach einem vermuteten Angriff abgesucht.

Wir freuten uns, daß sie eine ebenso unruhige Nacht hatten wie wir, denn dann mußten sie am Morgen ebenso matt sein. Unsere Anhänger kamen immer noch herbeigeströmt, küßten uns die Hände und schworen ewige Treue. Ihre struppigen Pferdchen zogen durch den Nebel unseres Lagers zwischen Hunderten von schlafenden Menschen und den unruhigen Kamelen, deren große Kiefer die ganze Nacht durch das Gras wiederkäuten, das sie am Tage gefressen hatten.

Von Tell Arar kommend, trafen noch vor Morgengrauen der zweite Teil der Batterie Pisani und der Rest von Nuri Saids Truppen bei uns ein. Joyce hatten wir schriftlich Nachricht gegeben, daß wir am heutigen Tage südwärts auf Nisib rücken würden, um dort den Kreis der Unterbrechungen rund um Dera zu schließen. Ich schlug vor, daß er mit den Panzerautos unmittelbar nach Umtaije zurückgehen und dort auf uns warten sollte. Umtaije mit seinem Überfluß an Wasser und den prächtigen Weiden, gleich weit entfernt von Dera wie vom Dschebel Drus und der Rualla-Wüste, schien mir der geeignetste Ort, um unsere gesamten Kräfte dort wieder zu sammeln und das glückliche Fortschreiten Allenbys abzuwarten. Setzten wir uns in Umtaije fest, so war die türkische vierte Armee jenseits des Jordans von Damaskus so gut wie abgeschnitten; auch waren wir dort rasch bei der Hand zu erneuten Unterbrechungen der Hauptbahnen, sobald sie der Feind leidlich wiederhergestellt haben sollte.


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