Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hundertfünftes Kapitel

Der nächste Tag war wie die früheren: ein ständiges Abhaspeln von vierzig Kilometern. Der darauf folgende dann war der letzte vor der geplanten Unternehmung gegen die Brücke. Da wir uns der Gefahrzone näherten, bildete ich aus der Hälfte meiner Leute bei der Gepäckkolonne eine Patrouille und schickte sie als Aufklärer voraus, um von jeder Höhe aus Umschau zu halten. Das taten sie auch sehr schön, aber es nutzte uns gar nichts: als wir am Vormittag stramm und hoffnungsvoll auf das schon in Sicht vor uns liegende Muaggar, unseren Versteck für den Überfall, zumarschierten, kam von Süden her ein türkischer Flieger, flog längs über unsere Kolonne hinweg und verschwand in der Richtung auf Amman vor uns.

Wir eilten so schnell es ging nach Muaggar, das wir mittags erreichten, und verbargen uns zwischen den Ruinen eines alten römischen Tempels. Unsere Beobachter stellten sich auf dem Höhenkamm auf, von dem aus man die Ebene mit abgeernteten Feldern bis zur Hedschasbahn überblicken konnte. Durch das Fernglas nahmen sich die grauen Blöcke und Steine an den Berghängen drüben wie Herden weidender Schafe aus.

Meine Bauern wurden in die unter uns liegenden Dörfer entsandt, um zu erkunden und die Dorfbewohner zu ermahnen, in ihren Häusern zu bleiben. Sie kamen zurück und sagten, das Glück wäre gegen uns. Bei den Dreschtennen, rings um das geschwenkte Korn, ständen türkische Soldaten, denn die Steuereinnehmer schätzten die Haufen unter Bedeckung von Abteilungen berittener Infanterie. Drei solcher Abteilungen, je vierzig Mann, lägen für diese Nacht in den drei Dörfern zunächst der großen Brücke – und das waren ausgerechnet die Dörfer, die wir notwendigerweise passieren mußten.

Eilig wurde Kriegsrat gehalten. Hatte uns nun der Flieger gesehen oder nicht, schlimmstenfalls konnten seine Meldungen Anlaß geben, die Brückenwache zu verstärken. Im Grunde aber war ich wenig besorgt um die Folgen. Die Türken würden vielleicht annehmen, wir wären die Avantgarde eines dritten größeren Vorstoßes gegen Amman, und daher eher ihre Kräfte zusammenziehen, als sich durch Abzweigungen schwächen. Buxton verfügte über eine kampfbewährte Truppe, seine Pläne waren wohldurchdacht. Der Erfolg war sicher.

Zweifel bestanden nur hinsichtlich des Kostenpunkts der Brücke, genauer gesagt, was sie an britischem Leben wert war, in Anbetracht der Weisung Bartholomews, Verluste unbedingt zu vermeiden. Die Anwesenheit dieser Maultierreiter in den Dörfern bedeutete, daß unser Rückzug nicht ungehindert vonstatten gehen konnte. Das Kamelkorps mußte annähernd eine Meile von der Brücke von Kissir entfernt absitzen (ihre ewig brüllenden Kamele!) und zu Fuß weiter vorgehen. Der Lärm ihres Angriffs, ganz zu schweigen vom Abfeuern von drei Tonnen Schießbaumwolle an den Brückenpfeilern, mußte den ganzen Distrikt in Aufruhr bringen. Die türkischen Patrouillen in den Dörfern konnten dann möglicherweise auf unsere in Deckung zurückgelassenen Kamele stoßen – für uns das schlimmste Unglück – oder uns auf dem Rückweg durch das bewegte Gelände teilweise behindern.

Buxtons Leute konnten sich nicht nach der Zerstörung der Brücke wie ein Schwarm Vögel in alle Winde zerstreuen, um jeder für sich den Weg nach Muaggar zurückzufinden. Bei jedem Nachtgefecht mußten immer einzelne abkommen und sich verlieren. Wir hätten auf sie warten müssen und dabei womöglich noch mehr Verluste erlitten. Das Ganze konnte uns an die fünfzig Mann kosten, und ich schätzte den Wert der Brücke für uns auf keine fünf. Ihre Zerstörung sollte den Zweck haben, die Türken so stark in Unruhe und Besorgnis zu versetzen, daß sie uns bis zum 13. August, wenn unsere langen Kolonnen nach Asrak aufbrachen, in Ruhe ließen. Heute war der 20. Juli. Die Hauptgefahr bestand während des Monats Juli, und der war fast vorbei.

Buxton stimmte mir zu, und wir beschlossen, die Zerstörung der Brücke aufzugeben und sofort abzuziehen. In diesem Augenblick erschienen von Amman her türkische Flieger und suchten, nach uns ausspähend, das rauhe Berggelände nördlich von Muaggar ab.

Die Leute Buxtons murrten enttäuscht über diese Abänderung. Sie waren sehr stolz auf ihren großen Streifzug und brannten darauf, dem ungläubigen Ägypten zu erzählen, daß sie ihr Programm Punkt für Punkt durchgehalten hatten.

Um aus der Lage noch herauszuschlagen, was möglich war, sandte ich Saleh und die andern Führer hinunter zu ihren Stammesgenossen, denen sie Wunderdinge erzählen sollten von unserer großen Truppenstärke, und daß wir als die Vorhut von Faisals Armee gekommen wären, um bei Neumond Amman im Sturm zu nehmen. Das war die Nachricht, die die Türken bereits ängstlich erwartet hatten, der Schlag, vor dem sie bangten. Sie ließen Kavalleriepatrouillen vorsichtig nach Muaggar vorstoßen, die denn auch die wilden Geschichten der Dorfbewohner nur bestätigen konnten. Denn die Höhe oben fanden sie besät mit leeren Konservenbüchsen und die Talhänge von den tiefen Spuren gewaltiger Autos durchfurcht. Sehr, sehr viele Spuren. Diese vermeintlich drohende Gefahr lähmte den Feind und machte ihn – um einen unblutigen Preis unsererseits – für eine Woche lang bewegungslos. Bei einer Zerstörung der Brücke würden wir auch nur vierzehn Tage gewonnen haben.

Wir warteten, bis es völlig dunkel war, und machten uns dann auf den Weg nach Asrak, fünfzig Meilen entfernt. Unterwegs taten wir so, als wäre dieser ganze Streifzug nur eine Landpartie, und unterhielten uns über römische Baureste und Jagdschlösser der Ghassaniden. Das Kamelkorps hatte nun schon Übung und Sicherheit in Nachtmärschen, so daß die Marschgeschwindigkeit die gleiche wie am Tage blieb, ohne daß die einzelnen Gruppen abkamen und die Verbindung verloren. Es war herrlicher Mondschein, und wir rückten weiter, bis er gegen Morgen verblaßte. Um Mitternacht kamen wir an der einsamen Burg von Kharaneh vorüber, waren aber zu gleichgültig, um uns dieses seltsame Bauwerk anzusehen. Mitschuld an dieser Unterlassung hatte wohl auch der Mond, dessen schattenlose Weiße sich wie erstarrend auf unsere Gemüter legte, so daß wir still – ganz still im Sattel saßen.

Zuerst fürchtete ich, arabischen Streifzügen zu begegnen, die aus Unkenntnis das Kamelkorps hätten angreifen können; so ritt ich mit meinen Leuten der Kolonne etwa eine halbe Meile voraus. Plötzlich hörten wir, wie vor dem leisen Schritt unserer Kamele eine große Menge schwarzer, großer Nachtvögel vom Boden vor uns aufflatterten. Es wurden immer mehr, bis es schien, als ob der Boden mit einem Teppich von Vögeln bedeckt gewesen wäre, so dicht flogen sie auf; aber sie waren totenstill. Taumelig umkreisten sie uns wie Federn in einem lautlosen Wirbelwind. Dieses taumelige Gefliege um uns her machte mir den Kopf ganz wirbelig. Die Menge und die lautlose Stille dieser Vögel entsetzten meine Leute; sie schnallten ihre Gewehre los und feuerten Kugel auf Kugel ab. Nach zwei Meilen war die Nacht wieder leer, und schließlich legten wir uns in dem duftenden Wermut schlafen, bis die Sonne uns aufweckte.

Am Nachmittag darauf langten wir ermüdet in Kusair el Amra an, dem kleinen Jagdschloß Hariths, des Hirtenkönigs und Beschützers der Dichter; prachtvoll stand sein Mauerwerk gegen den dunklen Hintergrund rauschender Baumgruppen. Buxton bestimmte zum Stabsquartier das kühle Dämmer der großen Halle, und dort lagen wir herum und suchten die verwitterten Wandfresken zu deuten, mit mehr Gelächter als moralischem Gewinn. Von den Leuten hatte sich ein kleiner Teil in den andern Räumen niedergelassen; die meisten aber streckten sich draußen neben ihre Kamele unter die Bäume, für einen schlummerreichen Nachmittag und Abend. Die feindlichen Flugzeuge hatten uns nicht gefunden – konnten uns ja auch gar nicht finden. Morgen würden wir in Asrak sein bei frischem Wasser, denn das Zeug in unsern Schläuchen, das wir in Bair mitgenommen hatten, war nachgerade allzu würzig geworden.

Asrak war zudem berühmt; es war die Königin dieser Oasen und mit seinem Grün und seinen rauschenden Quellen schöner als Amruh. Ich hatte jedermann ein Bad versprochen; die Engländer, die sich seit Akaba nicht gewaschen hatten, sehnten sich sehr danach. Aber auch Amruh übte seinen Zauber auf sie aus. Sie fragten mich, wer die Könige von Ghassan mit ihren ungemütlichen Sälen und Bildern gewesen seien. Ich konnte ihnen ein paar vage Geschichten von ihren Dichtungen und ihren grausamen Kriegen erzählen; aber das schien ihnen ein traumhaft fernes Zeitalter zu sein.

Am nächsten Tage bewegten wir uns gemächlich Asrak zu. Als wir den letzten Lavarücken hinter uns hatten und den Kreis der Medschabergräber, einen der schönst gelegenen Friedhöfe, vor uns sahen, ritt ich mit meinen Leuten voraus, um uns vor etwaigen Überraschungen dort zu sichern, und zugleich, um die Abgeschiedenheit dieser schönen Ruhestätte zu genießen, ehe die andern heran waren.

Unsere Soldaten schienen mir so selbstsicher, daß ich fürchtete, Asrak würde durch sie seine Eigenart verlieren und in den Strudel des Lebens zurückgeworfen werden, das es vor tausend Jahren verlassen hatte.

Aber diese Bedenken waren töricht. In Asrak waren keine Araber, es war so schön wie je, und sogar noch schöner, als eine Weile später seine schimmernden Teiche von den weißen Körpern der Badenden glitzerten und das leise Rauschen des Schilfs begleitet war von ihren heiteren Rufen und dem Plätschern des aufspritzenden Wassers. Wir hoben eine große Grube aus, um unsere Tonnen mit Schießbaumwolle zu vergraben, die für die Dera-Expedition im September bestimmt waren; und dann wanderten wir umher und sammelten die scharlachroten süßen Beeren der Saa-Sträucher. »Scheraritrauben« nannte sie meine Gefolgschaft.

Wir blieben dort zwei Tage; das köstliche Wasser der kleinen Teiche war eine nur allzu selten genossene Erfrischung. Buxton ritt mit mir zum alten Kastell hinauf, um die den Kaisern Diokletian und Maximian geweihten Altäre zu besichtigen, in der Absicht, eine Inschrift zu Ehren König Georgs V. hinzuzufügen; doch wurde uns der Aufenthalt vergällt durch die grauen Stechfliegen und nahm schließlich durch einen Unfall ein tragisches Ende. Ein Araber, der in einem der Teiche Fische schoß, ließ dabei sein Gewehr fallen, das sich entlud; der Schuß tötete den Leutnant Rowan von den schottischen Reitern auf der Stelle. Wir begruben ihn auf dem kleinen Medschaberfriedhof, dessen unberührte Ruhe schon längst meinen Neid erweckt hatte.

Am dritten Tag marschierten wir über Ammari und Djescha dem Thlaithukhwat zu, dem alten einförmigen Gelände, das ich gut kannte. Vom Hadi ab fühlten wir uns schon wie zu Hause; wir machten einen Nachtmarsch, und die gellenden Stimmen der Leute, die sangen: »Kriegen wir viel zu essen? Nein! – Kriegen wir viel zu sehen? Ja!« donnerten hinter mir die langen Berghänge hinauf Dieses spruchartige Frage- und Antwortspiel ist bei den englischen Truppen auf dem Marsche sehr beliebt. (A. d. Ü.). Als sie in diesem Frage- und Antwortspiel müde waren, die Wahrheit zu sagen, konnte ich das Geklapper ihrer an den hölzernen Sattel angehakten Ausrüstungsstücke hören. Sie hatten elf bis fünfzehn Haken, um ihre Sachen zu verstauen, anstatt der weiten arabischen Satteltaschen, die alles Notwendige enthielten und mit einer Bewegung übergeworfen wurden.

Ich war so verschlungen in der dunklen Masse der Kolonne um mich und hinter mir, daß auch ich nun den Weg zwischen dem Hadi und Bair verlor. Indes bis zur Morgendämmerung richteten wir uns nach den Sternen (die nächste Verpflegung der Leute mußte in Bair sein, da sie gestern ihre eiserne Ration verzehrt hatten); und der helle Tag fand uns in einem bewaldeten Tal; es war sicher der Wadi Bair. Doch um mein Leben hätte ich nicht sagen können, ob wir oberhalb oder unterhalb der Brunnen waren. Ich gestand Buxton und Marshall mein Versehen, und eine Weile suchten wir umher, bis zufälligerweise Sagr ibn Schaalan, einer unserer Bundesgenossen aus den fernen Tagen von Wedsch, des Wegs kam und uns auf die richtige Straße brachte. Eine Stunde später hatte das Kamelkorps seine neuen Rationen und seine alten Zelte bei den Brunnen; und es stellte sich heraus, daß Salama, der vorsorgliche ägyptische Arzt, der mit unserer Ankunft heute gerechnet hatte, die Zisternen bereits mit ausreichendem Wasser hatte füllen lassen, so daß gleich die Hälfte der Tiere sich sattrinken konnte.

Ich beschloß, mit den Panzerautos nach Aba el Lissan zu fahren, denn Buxton war jetzt unter Freunden und brauchte meine Hilfe nicht mehr. So fuhren wir schnell den Abhang zur Ebene von Dschefer hinunter und rasten dann in einem Tempo von sechzig Meilen in der Stunde darüber hin. Wir wirbelten solche Staubwolken auf, daß wir den zweiten Wagen aus den Augen verloren, und als wir den Südrand der Ebene erreichten, war er nirgends zu sehen. Wahrscheinlich hatte er eine Reifenpanne; so setzten wir uns hin, warteten und schauten zurück auf die flimmernden Wellen der Luftspiegelung, die über dem Boden dahinglitten. Der fahle Dunst unter dem blassen Himmel (der nach der Höhe zu immer blauer und blauer wurde) veränderte sich ein dutzendmal in der Stunde, so daß wir öfter unsere Freunde kommen zu sehen meinten; aber endlich erschien in dem Grau ein schwarzer Fleck, der einen langen Schweif von Sonnenglast hinter sich drein zog.

Es war der Greenhill, der schnell hinter uns her jagte durch die zitternde Luft, die um den glühenden Metallturm wirbelte und ihn so erhitzte, daß der blanke Stahl jedesmal die bloßen Arme und Beine der Besatzung versengte, wenn der riesige Wagen auf dem weichen, von der Hitze pulverisierten Boden zu schlingern begann. Der Staub lag wie ein Teppich auf der Erde, auf den Herbstwind wartend, der ihn in einem blindmachenden, erstickenden Sturm über die Wüste tragen würde.

Unser Wagen war bis zu den Felgen eingesunken, und während wir warteten, schütteten unsere Leute Petroleum auf einen Staubhügel und kochten uns Tee – Heerestee, in dem die Blätter einsam schwammen und der sich gelblich färbte von der Büchsenmilch; aber er war gut für unsere trockenen Kehlen. Während wir tranken, kamen die anderen angefahren und berichteten, daß sie infolge der Hitze zweimal Defekte an ihren Beldam-Schläuchen gehabt hätten, als sie mit einer Meile in der Minute über die glühende Ebene gejagt waren. Wir gaben ihnen von unserem Tee, und sie wischten sich lachend die Gesichter mit ihren öligen Händen ab. Sie sahen gealtert aus von dem grauen Staub, der auf ihren gebleichten Augenbrauen, den Wimpern und den Poren lag; nur der Schweiß hatte bisweilen dunkelgerandete Furchen auf der roten Haut ausgewaschen.

Sie tranken eilig (denn die Sonne war am Untergehen, und wir hatten noch fünfzig Meilen zu fahren) und schütteten die Neigen auf den Boden, wo die Tropfen einzeln wie Quecksilber über die Staubschicht kugelten, bis sie endlich zusammenrannen und in die größeren Löcher rollten. Dann fuhren wir über die zerstörte Eisenbahnlinie nach Aba el Lissan.

Joyce, Dawnay und Young berichteten, daß alles im besten Gang sei. In der Tat, die Vorbereitungen waren beendet, und sie gingen auseinander: Joyce nach Kairo, um einen Zahnarzt aufzusuchen; Dawnay ins Hauptquartier, um Allenby zu berichten, daß alles seinen Befehlen gemäß geschehen sei.


 << zurück weiter >>