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»Uns«, das waren etwa sechzig Mann, zu zwei Haufen geballt hinter dem Rücken, der eine unten im Grunde, der andere nahe dem Kamm. Der untere Haufen waren die Bauern, zu Fuß, atemlos, völlig erschöpft, aber trotzdem die einzigen Draufgänger, denen ich an diesem Tage begegnet war. Sie riefen mir zu, sie hätten ihre ganze Munition verschossen, und alles wäre zu Ende. Ich erklärte, im Gegenteil, es finge gerade erst an, und wies nach meinem besetzten Reserverücken. Dort, sagte ich, ständen Truppen aller Waffen, und sie sollten nur schnell zurücklaufen, ihre Patronengürtel wieder füllen und nur weiter so durchhalten. Wir würden inzwischen ihren Rückzug decken und die Stellung hier oben halten, für die wenigen Minuten, die es noch möglich war.
Sie machten sich mit Freudenrufen davon, indes ich zu der oberen Gruppe hinaufstieg. Hier befehligte der junge Metaab seine Motalga, nackt bis auf die engen Reithosen, um besser schaffen zu können, seine schwarzen Liebeslocken zerzaust, das Gesicht beschmutzt und eingefallen. Er schlug in wilder Ratlosigkeit die Hände zusammen und schrie heiser, denn er hatte doch wer weiß was für uns zu leisten gemeint, in diesem seinem ersten Kampf. Meine Anwesenheit im letzten Augenblick, gerade als uns die Türken fast schon abgeschnitten hatten, kam ihm bitter an, und er wurde noch ärgerlicher, als ich erklärte, ich wäre nur gekommen, um mir die Gegend zu betrachten. Er glaubte, ich wollte ihn auch noch höhnen, und schrie etwas von einem Christen, der unbewaffnet in die Schlacht zöge. Ich erwiderte mit einem Zitat aus Clausewitz: daß eine Nachhut ihren Zweck erfülle mehr durch ihr bloßes Dasein als durch ihre Tätigkeit. Aber ihm war jetzt nicht mehr zum Lachen zumute, denn der schmale Kamm, hinter dem wir lagen, war von Feuer umknattert. Die Türken hatten zwanzig Maschinengewehre auf uns vereinigt, die Kugeln summten wie Bienenschwärme und pfiffen und klatschten um uns herum, daß es sicheren Tod bedeutet hätte, auch nur die Nasenspitze über den Kamm zu stecken. Wir mußten schleunigst zurück, das war klar, und da ich kein Pferd hatte, ging ich als erster. Metaab versprach, wenn es irgend ginge, mit seinen Leuten noch weitere zehn Minuten auszuhalten.
Der Lauf erwärmte mich. Ich zählte meine Schritte, um für später möglichst genaue Entfernungen zu haben; denn den Türken blieb nur noch diese eine Stellung, aus der sie uns jetzt vertrieben, und nach Süden zu war sie schlecht geschützt. Der Verlust des Motalgarückens konnte uns möglicherweise den Sieg bringen. Die Reiter hielten noch ihre zehn Minuten stand und galoppierten dann ohne Überstürzung davon. Ich faßte Metaabs Steigbügelriemen, um mich mitziehen zu lassen, und bald waren wir – etwas atemlos – auf dem Reserverücken bei den Ageyl angelangt. Es war inzwischen Mittag geworden, und wir hatten Muße und Ruhe, das Weitere zu bedenken.
Der Rücken lief in einen etwa vierzig Fuß hohen Kamm aus und war seiner ganzen Gestaltung nach vorzüglich zur Verteidigung geeignet. Achtzig Mann waren schon da, und immer neue trafen ein. Meine Garde war auch zur Stelle mit ihrem Maschinengewehr, und Lutfi schleppte noch zwei weitere herbei; dann kamen noch hundert Ageyl. Die Sache sah sich nachgerade wie eine Landpartie an. Wir gingen umher, machten hocherfreute Mienen und riefen ein ums andere Mal »Großartig! Ausgezeichnet!«; das kräftigte den Mut der Leute und ließ sie ihre Lage mit Ruhe betrachten. Die Maschinengewehre wurden auf die Kammlinie vorgeschoben und bekamen Befehl, von Zeit zu Zeit kurze Feuergarben abzugeben, um die Türken ständig zu beunruhigen, mehr aber nicht. Ansonsten trat Ruhe ein. Ich legte mich auf einer gedeckten windgeschützten Stelle in ein Fleckchen Sonne und schlief eine geschlagene Stunde. Die Türken besetzten inzwischen den von uns verlassenen Rücken.
Früh am Nachmittag trafen Seid mit Mastur, Rasim und Abdulla ein. Sie brachten den Hauptteil unserer Kräfte mit: zwanzig Mann Infanterie, auf Maultieren beritten, dreißig Motalgareiter, zweihundert Mann Landbevölkerung, fünf leichte und vier schwere Maschinengewehre und das Gebirgsgeschütz der ägyptischen Armee, das schon bei Medina, Petra und Dschurf mitgefochten hatte. Das war großartig, und ich stand auf, um sie zu begrüßen.
Die Türken sichteten unser Gewimmel und eröffneten Schrapnellfeuer auf uns, aber sie hatten nicht die richtigen Schußweiten und verschwendeten nur ihre Munition. Wir erinnerten uns an den alten strategischen Grundsatz: Angriff ist die Seele der Verteidigung; und danach wurde verfahren. Der Artillerist Rasim wurde zum Kavallerieführer gemacht und bekam unsere achtzig Kamelreiter. Damit sollte er östlich ausholend den linken Flügel des Feindes umgehen; und da man ja nach den Regeln der Taktik nicht eine Linie angreifen soll, sondern einen Punkt, so konnte bei genügend weitem Ausholen dieser Punkt gerade der äußerste linke Flügelmann des Feindes sein. Rasim gefiel diese meine Auffassung der ihm gestellten Aufgabe.
Er versprach, freundlich grinsend, mir diesen Flügelmann zu bringen. Hamd el Arar aber ging weiter. Bevor er abritt, weihte er sich selbst dem Tod für die arabische Sache; er zog feierlich seinen Säbel, und, ihn bei Namen anredend, hielt er ihm eine heldische Ansprache. Rasim nahm fünf Maschinengewehre mit, was entschieden noch besser war.
Wir im Zentrum eröffneten ein lebhaftes Feuer, damit der Feind, abgelenkt, den Abmarsch der Abteilung Rasims nicht bemerkte. Der Türke brachte in endloser Prozession seine Geschütze heran und baute sie deutlich sichtbar links auf einem Höhenrücken schön nebeneinander auf, ganz wie in einem Museum. Das war die Taktik von Verrückten. Der Rücken war aus hartem Gestein und so blank, daß keine Eidechse Deckung finden konnte. Wir hatten sehen können, wie bei dem Aufschlag unserer Geschosse auf den Boden ein ganzer Schauer tödlicher Splitter hochspritzte. Auch kannten wir die Schußweite. Wir gaben also unsern Vickersmaschinengewehren die genaue Erhöhung und segneten die altmodischen, nur auf direkten Schuß eingerichteten Visiere des Gegners. Unser Gebirgsgeschütz wurde schußfertig gemacht, um dann in dem Augenblick, wo Rasim in der Flanke zupackte, den Feind mit Schrapnellfeuer zu überschütten.
Während wir das Weitere abwarteten, kam unverhoffte Verstärkung durch hundert Mann von Aima. Sie hatten sich tags zuvor mit Seid wegen der Kriegslöhnung entzweit, aber nun, wo Not am Mann war, großmütig entschlossen, die alte Zeche zu streichen. Ihre Ankunft bewog uns, von Marschall Fochs Kriegskunst abzuweichen und, koste es, was es wolle, den Feind von drei Seiten gleichzeitig anzugreifen. Die Aimaleute, mit drei Maschinengewehren, wurden daher nach links ausgeschickt, um des Feindes rechten Flügel zu umgehen. Dann faßten wir im Zentrum fest zu und belegten seine exponierten Linien mit wohlgezieltem Feuer.
Der Feind fand, daß sich der Tag nicht mehr günstig für ihn anlasse. Der Abend war nicht mehr fern, und oft schon hat der Sonnenuntergang dem noch in der Defensive Ausharrenden den Sieg gebracht. Der alte General Hamid Fakhri ließ alle Offiziere und Mannschaften seines Stabes kommen und befahl ihnen, jeder sollte ein Gewehr nehmen. »Ich bin vierzig Jahre Soldat gewesen, aber ich habe noch nie Rebellen so kämpfen sehen wie diese … Vorwärts in die Schützenlinie.« Aber es war zu spät. Rasim ging bereits zum Angriff vor mit seinen fünf Maschinengewehren, jedes mit doppelter Bedienung. Sie stürzten vor, erst bemerkt, als sie schon in Stellung waren, und zerkrümelten des Gegners linken Flügel.
Die Aimaleute, die jeden Grashalm hier auf ihren eigenen Weideplätzen kannten, schoben sich ungesehen bis auf dreihundert Yard an die türkische Artilleriestellung heran. Der Feind, beschäftigt durch unsere frontale Bedrohung, merkte überhaupt erst etwas von den Aima, als diese, in plötzlichem Feuerüberfall, die Geschützbedienung zusammenschossen und seinen rechten Flügel in Verwirrung brachten. Wir im Zentrum sahen es und riefen den Kamelreitern und Aufgeboten zu, jetzt vorzugehen.
Mohammed el Ghasib, der Oberste von Seids Leibwache, führte auf seinem Kamel an, seine prächtigen Kleider vom Winde gebläht, und über seinem Kopf flatternd das hochrote Banner der Ageyl. Alles, was noch im Zentrum war, unsere Diener, Geschütz- und Maschinengewehrmannschaft, stürzte ihm nach in breiter, reichbewegter Linie.
Für mich war der Tag zu lang gewesen, und ich fühlte nur den einen Wunsch, daß er jetzt ein Ende haben möchte. Seid neben mir klatschte vor Freude in die Hände, als er sah, wie prächtig sich jetzt im roten Schein der untergehenden Sonne der letzte Akt des Schauspiels in wohlbedachter Regieführung vor seinen Augen abspielte. Rasims Kavallerie fegte des Gegners aufgelösten linken Flügel in die Tiefe jenseits des Rückens hinab, während drüben auf dem rechten Flügel die Aima die Flüchtenden grausam niederstachen. Das ganze feindliche Zentrum flutete in Unordnung durch die Schlucht zurück, ihnen nach unsere Mannschaft zu Fuß, zu Pferd, zu Kamel. Die Armenier, die sich den ganzen Tag scheu und angstvoll hinter unserer Front herumgedrückt hatten, zogen ihre Messer, riefen sich auf türkisch etwas zu und sprangen vor.
Ich dachte an die tiefen Klüfte zwischen hier und Kerak, die Schlucht von Hesa mit ihren bröckligen steilen Pfaden, dem dichten Unterholz, den Hohlwegen und Engpässen des Weges. Es mußte ein Massaker werden, und ich hätte hinreiten und für Schonung des geschlagenen Feindes sorgen sollen. Doch nach den Ärgernissen und Aufregungen des Tages war ich viel zu erschöpft, um mich noch in diese Hölle aufzumachen und die ganze Nacht dranzugehen zur Rettung der Flüchtigen. Durch meinen Entschluß, zu kämpfen, waren zwanzig bis dreißig der Unsrigen gefallen und vielleicht die dreifache Zahl verwundet. Der sechste Teil unserer Kräfte war vertan für einen Sieg ohne jeden Wert, denn die Hinopferung von tausend armen Türken konnte auf den Ausgang des Krieges nicht den geringsten Einfluß haben.
Erobert hatten wir zwei Gebirgshaubitzen (Konstruktion Skoda, sehr brauchbar für uns), siebenundzwanzig Maschinengewehre, zweihundert Pferde und Maultiere, und außerdem hatten wir zweihundertfünfzig Gefangene gemacht. Nur fünfzig völlig erschöpfte Flüchtlinge, so hieß es, erreichten die Eisenbahn. Die Araber in den rückwärtigen Distrikten fielen über sie her und schossen unwürdigerweise viele auf der Flucht nieder. Die Unsern gaben die Verfolgung bald auf, sie waren zu erschöpft und hungrig, und es war bitter kalt.
Bald begann es auch zu schneien, und erst sehr spät und unter Anspannung der letzten Kräfte gelang es uns, unsere Verletzten zu bergen. Die türkischen Verwundeten blieben draußen liegen und waren am nächsten Tage tot. Das war unentschuldbar wie die ganze Theorie des Krieges, aber uns war kein besonderer Vorwurf daraus zu machen. Wir wagten unser Leben im Schneesturm, um unsere Kameraden zu retten; und wenn wir es uns zur Regel gemacht hatten, keine Araber zu verlieren, um auch noch soviel Türken zu töten, so wollten wir unsere Leute noch weniger verlieren, um Türken zu retten.
Am nächsten und übernächsten Tage schneite es noch stärker. Das Wetter lähmte uns, und als Tag um Tag in ewig gleichem Aussehen verging, entschwand uns die Hoffnung, noch etwas unternehmen zu können. Wir hätten, beflügelt vom Sieg, über Kerak hinaus vorstoßen und die Türken durch die Kunde unseres Kommens bis nach Amman jagen sollen; doch wie die Dinge lagen, blieben Mühen und Verlust umsonst vertan, abgesehen von einem Bericht, den ich dem englischen Hauptquartier in Palästina sandte, um ihn dem Stab vorzusetzen. Er war auf eine ziemlich mindere Art von Effekthascherei geschrieben, voll von rührenden Lächerlichkeiten und gespielter Einfachheit. Dieser Bericht brachte dem Stab die Überzeugung bei, daß ich ein bescheidener Amateur war, der sein Bestes nach großen Vorbildern zu tun versuchte, und nicht ein Clown, der hinter ihnen her grinste, wenn sie mit ihrem Kapellmeister Foch an der Spitze die alte ausgetretene Straße des Blutvergießens entlang trommelten, dem Hause des Herrn von Clausewitz zu. Wie die Schlacht war der Bericht eine beinahe unverhüllte Parodie auf alle anerkannten Regeln der Kriegführung. Das Hauptquartier fand Gefallen an ihm und bedachte mich ahnungslos, um dem Witz noch die Krone aufzusetzen, mit einer Auszeichnung von entsprechender Höhe. Wir hätten mehr dekorierte Brüste in der Armee, wenn jeder Mann in der Lage wäre, seinen eigenen Bericht ohne Zeugen niederzuschreiben.