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Hundertdrittes Kapitel

Mit sanfter Geduld half ich dem Kamelkorps bei dem langwierigen Wassernehmen an den vierzig Fuß tiefen Brunnen und erfreute mich Buxtons und seiner dreihundert Mann. Das Tal wimmelte von ihnen, und die Howeitat, die sich niemals vorgestellt hatten, daß es so viele Engländer in der Welt gäbe, konnten sich nicht sattsehen. Ich war stolz auf meine Landsleute, auf ihr flinkes Zupacken und ihre tüchtige Geschäftigkeit bei ihrer freiwillig gewählten Arbeit. Neben ihnen erschienen die Araber wie Fremdlinge in Arabien. Auch war Buxtons Unterhaltung eine Freude. Er war verständnisvoll, belesen und von scharfem Urteil; allerdings war er die meiste Zeit mit der Vorbereitung für den langen Gewaltmarsch beschäftigt.

Ich verbrachte daher viele Stunden allein für mich und machte im Geist einen Überschlag über mein Leben an meinem dreißigsten Geburtstag. Es erschien mir komisch, daß ich mir vor vier Jahren vorgenommen hatte, mit dreißig Jahren General und geadelt zu sein. Solche weltlichen Würden lagen jetzt (wenn ich die nächsten vier Wochen überlebte) durchaus in meiner Reichweite. Aber mein Gefühl für die Verkehrtheit meiner und der arabischen Situation hatte mich von meinem unreifen Ehrgeiz geheilt, mir jedoch die Sehnsucht nach einem guten Ruf unter den Menschen belassen.

Diese Sehnsucht machte mir meine Aufrichtigkeit mir selbst gegenüber stark verdächtig. Nur ein vollendeter Schauspieler konnte so seine gute Meinung von sich seinen Mitmenschen beibringen. Hier waren die Araber, die an mich glaubten, Allenby und Clayton, die mir vertrauten, meine Leibwache, die bereit war für mich zu sterben, und ich begann darüber nachzudenken, ob jeder gute Ruf so wie der meine auf Betrug beruhte.

Ich mußte jetzt Lobpreisungen für meine Taten entgegennehmen. Wenn ich das ablehnte und mich dagegen wehrte, so nannte man das Bescheidenheit, Selbstunterschätzung und fand das sehr nett – die Menschen glauben ja immer gern eine romantische Geschichte. Mich irritierte das, diese dumme Vermengung von Schüchternheit, die in meinem Wesen lag, und Bescheidenheit, die ein Schein war. Ich war gar nicht bescheiden, sondern schämte mich meiner Unbeholfenheit, meines Äußeren und meines einsamen Anderssein, das mich kein Kamerad sein ließ, sondern immer nur ein Bekannter, abgeschlossen, eckig, unhandlich, wie ein Kristall.

Wenn ich mit Menschen zusammen war, hatte ich immer das Gefühl, nicht ich selbst zu sein. Das führte zu einem Sichmühegeben, der Untugend des Dilettanten, der um die Kunst herumtappt. So wie ich meinen Krieg übergenau ausgedacht hatte, weil ich kein Soldat war, so hatte ich meine Taten übergenau ausgearbeitet, weil ich kein Mann der Tat war. Es waren sehr bewußte Versuche, und mein Ich stand dabei abseits als kritischer Zuschauer.

Joyce.
Bleistiftzeichnung von Dobson

Zu dieser angenommenen Haltung kam noch die Überanstrengung durch Hunger, Müdigkeit, Hitze oder Kälte und der teuflische Zwang, unter Arabern leben zu müssen. Das führte zu etwas Unnormalem. Meine Notizbücher waren statt mit Tatsachen und Zahlen mit Gemütszuständen angefüllt, mit Träumereien und Selbstquälereien, von dem jeweiligen Zustand ausgelöst, die ich mit abstrakten Worten zu dem holpernden Rhythmus des Kamelschrittes aufgezeichnet hatte.

Um meinen Hang zur Aufrichtigkeit zu befriedigen, begann ich an diesem meinem Geburtstag in Bair, meinen Glauben und meine Motive zu zerlegen, dabei in der Stockfinsternis meiner Seele herumtappend. Jene aus dem Mißtrauen gegen mich selbst erwachsende Schüchternheit legte mir eine Maske vor mein Gesicht, eine Maske der Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit oft, die mich verwirrte. Meine Gedanken kratzten verwundert an dieser Scheinglätte der Oberfläche, denn sie wußten, daß er nur eine Maske war. Denn obwohl ich mir Mühe gab, niemals bei dem zu verweilen, das mich fesselte, gab es doch Augenblicke, da ich mich nicht beherrschen konnte, Augenblicke, da mein Hunger hervorbrach und mich erschreckte.

Ich war mir der in mir wirkenden Kräfte und Wesenheiten durchaus bewußt. Da war mein Verlangen danach, daß man mich gern hatte, ein Verlangen, so stark und treibend, daß ich mich nie einem anderen freundschaftlich offenbaren konnte. Die Furcht vor dem Mißerfolg eines so bedeutsamen Bestrebens ließ mich davor zurückschrecken, es auch nur zu versuchen; außerdem war da noch die Vergleichsmöglichkeit, denn jede Intimität schien mir beschämend, wenn der andere sie nicht vollkommen erwiderte, mit derselben Sprache, auf dieselbe Art und aus denselben Gründen.

Dann hatte ich das Verlangen danach, berühmt zu sein, und ein Entsetzen davor, es könne bekannt sein, daß ich berühmt sein wolle. Aus Verachtung für meine Leidenschaft, mich auszuzeichnen, lehnte ich jede mir angebotene Ehrung ab. Ich war auf meine Unabhängigkeit fast so eifrig bedacht, wie die Beduinen es waren, aber da ich des inneren Schauens entbehrte, sah ich mich am deutlichsten gleichsam in äußeren Bildern meiner selbst, und die versteckten, aufgeschnappten Bemerkungen anderer zeigten mir am besten den Eindruck, den ich erweckte. Dieser Eifer, mich selbst zu überwachen und zu überhören, war nichts als der Sturm auf die unversehrte Feste meines Ich.

Die niedere Kreatur mied ich, da in ihr sich nur unser Mißlingen widerspiegelte, wirkliche Geistigkeit zu erreichen. Wenn sie sich mir aufdrängte, haßte ich sie. Meine Hand auf etwas Lebendiges zu legen, erschien mir wie eine Besudelung, und ich zitterte, wenn sie mich berührte oder ein zu reges Interesse an mir nahm. Das war eine atomische Repulsion, die dem unberührten Fluge einer Schneeflocke glich. Ich hätte das Gegenteil gewählt, wäre nicht mein tyrannischer Geist gewesen. Ich hatte ein Verlangen nach dem Absoluten der Frauen und der Tiere und beklagte mein Schicksal am meisten, wenn ich sah, wie ein Soldat mit seinem Mädel ging oder ein Mann einen Hund streichelte, denn ich wünschte mir, ebenso oberflächlich und ebenso klar umrissen zu sein; doch mein Kerkermeister hielt mich fest.

Meine Gefühle und meine Illusion lagen in mir stets miteinander im Streit. Die Vernunft war stark genug, die Oberhand zu gewinnen, aber nicht stark genug, das Unterlegene zu vernichten oder sich dessen zu enthalten, ihm nur noch mehr Neigung zuzuwenden. Und vielleicht mochte das wahrste Wesen der Liebe darin liegen, das zu lieben, was das eigne Ich verachtet. Aber das konnte ich eben nur wünschen; konnte das Glücksgefühl in der Oberherrschaft des Materiellen sehen und konnte mich ihm nicht ausliefern; konnte versuchen, meinen Geist in Schlaf zu versetzen, damit die Suggestion frei durch mich hindurchwehen könnte – und blieb doch bitterlich wach.

Ich mochte alles das, was unter mir stand, und suchte meine Vergnügungen und Abenteuer in den Niederungen. Mir schien in der Erniedrigung eine Gewißheit, eine endgültige Sicherheit zu liegen. Der Mensch kann zu jeder Höhe emporsteigen, aber es gibt ein tierisches Niveau, unter das er nicht zu sinken vermag. Das ist eine Zuversicht, bei der man Ruhe finden kann. Die Macht der Umstände, die Jahre und eine künstlich angenommene Würde versagten mir das mehr und mehr. Aber der Nachgeschmack der Ungebundenheit von jugendlichen zwei Wochen des Untertauchens in Port Said hielt vor, da ich am Tage zusammen mit anderen Ausgestoßenen dreier Kontinente Kohlen getrimmt und nachts auf der Hafenmole bei De Lesseps mich zum Schlafen zusammengerollt hatte, wo das Meer vorüberrauschte.

Freilich lauerte immer jener Wille, der unruhig darauf wartete, auszubrechen. Mein Hirn war gleichzeitig hitzig und lautlos, wie eine Wildkatze, meine Sinne hemmten es wie Bleigewichte an den Füßen, und mein Ich (das sich stets seiner selbst und seiner Schüchternheit bewußt war) belehrte die Bestie, daß es schlechter Stil sei, anzuspringen, und gemein, sich von der Beute zu nähren. Da es so in Scheu und Unschlüssigkeit verstrickt war, konnte es nicht etwas sein, vor dem ich mich zu fürchten brauchte. Aber trotzdem war es eine wirkliche Bestie, und dies Buch ist ihr räudiges Fell, getrocknet und ausgestopft und breit vor die Menschen hingestellt, zu dem Zweck, damit die Menschen es anglotzen können.

Über das Intellektuelle wuchs ich bald hinaus. Daher mißtraute ich den Sachkundigen; sie waren oft Intelligenzen, die gleichsam zwischen hohen Mauern eingeschlossen waren und jeden Pflasterstein ihres Gefängnishofes kannten; während ich dagegen immer wissen wollte, von welcher Art die Steine waren und welchen Lohn die Maurer bezogen. Ich widersprach ihnen nachlässig, denn ich hatte gefunden, daß Materielles immer geeignet ist einem Zweck zu dienen, und daß der Wille ein zuverlässigerer Führer auf einem der vielen Wege war, die vom Zweck zur Durchführung leiten. Da war kein Leben.

Viele Dinge hatte ich aufgegriffen, mit ihnen gespielt, sie betrachtet und wieder weggeworfen; denn ich fühlte keinen Zwang zum Tun. Erdichtung schien mir beständiger als Taten. Ein selbstsüchtiger Ehrgeiz kam über mich, aber er währte nicht lange, denn mein kritisches Ich lehnte angeekelt seine Früchte ab. Ich beherrschte immer die Dinge, in die ich hineingeweht wurde, aber in keins davon ließ ich mich freiwillig ein. Tatsächlich war es so, daß ich in mir eine Gefahr für normale Menschen sah, wenn mein steuerloses Schiff mit seinem so großen Rauminhalt ihnen zur Verfügung lag.

Ich folgte, aber war selbst nicht schöpferisch, ja hatte nicht einmal den Wunsch zu folgen. Nur meine Schwäche hielt mich vom geistigen Selbstmord zurück, der Erfüllung irgendeiner langwierigen Aufgabe, die auf die Dauer die Glut in meinem Hirn zum Ersticken brachte. Ich hatte die Ideen anderer Menschen weiter entwickelt und ihnen geholfen, hatte aber niemals etwas Eignes geschaffen, da ich Schöpfung nicht billigen konnte. Wenn andere etwas schufen, so diente ich dabei und flickte daran herum, damit es möglichst gut ausfiel; denn wenn es sündig war, zu schaffen, so mußte es Sünde und noch Schande obendrein sein, als Einäugiger oder Lahmer geschaffen zu haben.

Bei meiner Arbeit hatte ich immer zu dienen versucht, denn beim Führen stand das Wägen und Prüfen allzusehr im Vordergrund. Die Unterordnung unter Befehl sparte Gedanken, konservierte Charakter und Willen und leitete schmerzlos über zum Vergessen des Tuns. Es war ein Teil meiner Unzulänglichkeit, daß ich nie einen Vorgesetzten gefunden hatte, der mich zu gebrauchen verstanden hätte. Alle ließen sie mir freie Hand, aus Unfähigkeit, aus Schüchternheit oder weil sie mich gern hatten; es schien, als könnten sie nicht einsehen, daß freiwillige Sklaverei der tiefe Stolz eines angekränkelten Geistes war und stellvertretender Schmerz seine am freudigsten getragene Auszeichnung. Statt dessen gab man mir Vollmacht, die ich in törichter Frönung mißbrauchte. Jeder Obstgarten, den zu berauben sich lohnt, braucht einen Wächter, Hunde, eine hohe Mauer und Stacheldraht. Zum Henker mit der freudlosen Straflosigkeit.

Faisal war ein tapferer, schwacher und naiver Geist, der ein Werk zu unternehmen versuchte, zu dem nur ein Genie, ein Prophet oder ein großer Verbrecher fähig gewesen wäre. Ich diente ihm aus Mitleid – ein Motiv, das uns beide erniedrigte. Allenby kam meiner Sehnsucht nach einem Herrn und Meister am nächsten, aber ich mußte ihm aus dem Wege gehen; ich wagte nicht, mich vor ihm zu neigen, um nicht etwa zu erleben, daß auch er auf tönernen Füßen stand mit jenem Wort vertraulicher Nähe, das meine bewundernde Ergebenheit vernichtet hätte. Aber was war uns dieser Mann für ein Idol, kristallklar in der unvermischten und in sich selber ruhenden Größe, instinktsicher und festgefügt!

Es gibt Eigenschaften, wie den Mut, die nicht für sich allein bestehen können, sondern ein gutes oder ein böses Medium brauchen, um in Erscheinung zu treten. Allenbys Größe gehörte einer anderen Kategorie an, sie war sich selbst genug, ein Ergebnis des Charakters, nicht des Intellekts. Dies machte andere, gewöhnliche Eigenschaften bei ihm überflüssig. Verstand, Phantasie, Scharfsinn, Fleiß nahmen sich neben ihm kümmerlich aus. Er ließ sich nicht mit unserem Maßstab messen, so wenig, wie man die Schärfe eines Schiffsbuges mit der eines Rasiermessers vergleichen kann. Er konnte solche Eigenschaften entbehren durch die innere Gewalt seines Wesens.

Wenn ich hörte, daß andere gelobt wurden, verzweifelte ich argwöhnisch an mir selber, denn ich faßte das als eine vergleichende Bewertung auf; aber hätte man zehnmal so gut von mir gesprochen, ich hätte es für nichts gerechnet. Ich saß stets über mich zu Gericht; das war unvermeidlich, weil in meinem Inneren die Quellen der Tat trocken lagen, da ich wußte, daß Tun ein Berechnen der Möglichkeiten notwendig macht. Das Verdienstvolle mußte vorausbedacht, vorausgesehen, vorbereitet und vorher bearbeitet sein. Mein Ich, das seine Schäden kannte, wurde durch das kritiklose Lob der anderen zur Selbstverachtung gezwungen. Das war die Rache meiner geschulten Geschichtskenntnis über die Urteilsbildung der öffentlichen Meinung, dem niedrigsten gemeinsamen Nenner für alle, die Bescheid wußten: aber es gab keine Berufung dagegen, denn die Welt ist groß.

Wenn ich etwas erreichen konnte, dann interessierte es mich nicht mehr. Nur das Wünschen erfreute mich. Alles, was mein Geist ersehnte, war erreichbar – wie jeder gesunde Ehrgeiz jedes gesunden Menschen; und wenn ein Wunsch Gestalt annahm, pflegte ich mich bis zu dem Punkt anzustrengen, wo ich nur die Hand auszustrecken brauchte, um alles zu erreichen. Dann wandte ich mich ab und begnügte mich damit, daß es in meiner Macht gelegen hatte. Ich begehrte nur, mich zu bestätigen, und scherte mich nicht im geringsten darum, es andere wissen zu lassen.

Eine besondere Anziehungskraft war für mich immer der Anfang einer Sache, was mich stets wieder dazu trieb, meine Persönlichkeit von Wachstum zu befreien und sie auf ein neues Medium zu projizieren, damit meine Neugierde sich an seinem wehrlosen Schatten nähren konnte. Das unsichtbare Ich spiegelte sich scheinbar am klarsten in dem stillen Wasser eines anderen, noch unbefangenen Charakters wider. Überlegte Urteile, die Vergangenheit und Zukunft mit einbezogen, waren wertlos, verglichen mit der alles enthüllenden ersten Begegnung, bei welcher der Mensch dem Fremden instinktiv sich gab oder sich verschloß.

Vieles tat ich nur aus dieser egoistischen Neugier. In neuer Gesellschaft ließ ich mich oft auf die kleinen, eitlen Fragen des Benehmens ein, beobachtete den Eindruck hiervon auf meine Zuhörer und behandelte meine Mitmenschen als Zielscheiben für meinen intellektuellen Scharfsinn: bis ich selbst nicht mehr wußte, wo das Spiel anfing und wo es endete. Diese Spielereien machten mich bei anderen unbeliebt, denn sie fürchteten, meine Laune könne schließlich dahin führen, daß ich sie nur als Trophäen meiner Schießkunst betrachtete. Außerdem waren sie an so vielem interessiert, das ich aus Selbstbewußtsein ablehnte. Sie sprachen vom Essen und von Krankheit, von Spielen und Vergnügungen mit mir, der ich schon die bloße Anerkennung des Körpers als entwürdigend empfand, ohne daß ich mich dazu über sein Versagen und seine sonstigen Eigenschaften zu verbreiten brauchte. Ich schämte mich vor mir selber, wenn ich sah, wie sie im Körperlichen gleichsam herumwühlten, das doch zu nichts anderem gut war als zur Verherrlichung des Kreuzes, das der Mensch zu tragen hatte. Die Wahrheit war übrigens, daß ich mein eigenes Selbst nicht hören oder sehen wollte.


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