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Wie sie nach Hause gekommen, sich in ihre Kammer begeben und dort ihr Herz beruhigt hatte, wie sie alsdann der alten Therese zur Hand gegangen war, den Baum fertig geziert und die einfachen Geschenke angeordnet und zurechtgelegt hatte – sie konnte sich keine Rechenschaft darüber geben; sie wußte es nicht mehr.
Sie befand sich in einer eigenartigen Traumwelt, in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Ihre Handlungen führten sich so folgerichtig ein wie die einer Nachtwandlerin. Ihre Fragen und Antworten waren klar und bestimmt. Mit einer Selbstbeherrschung, die auch nicht die geringste Verstörung aufkommen ließ, hatte sie ihre Kleidung gewählt, sich geschmückt und ihr goldblondes Haar zu einer schweren Krone geflochten, hatte sie die Gäste empfangen, Petrikettenfeier ten Hompel begrüßt und Dirk Vogels herzlich willkommen geheißen, auch schweigend geduldet, daß er ihren Scheitel mit heißen Lippen berührte.
In diesem herben, jungfräulichen Körper schienen alle Empfindungen, Leidenschaften und Schwächen des reifen Weibes zur Stunde erloschen, so daß keiner erriet, welch ein Sturmwind ihn noch vor kurzem bis in seine innersten Tiefen aufgewühlt hatte. Nur unbestimmte, verschwommene Begriffe und Bilder stiegen vor ihrer Seele auf, zogen achtlos vorüber, um bald darauf wie Schemen zu zerfließen. Keinem fiel das geringste auf. Sie hatte sich gar nicht verändert, war vielmehr noch sieghafter in ihrer weiblichen Anmut geworden. Nur wer genauer zusah ... Das gewinnende Lächeln war von ihr genommen. Ihre feinen Nasenflügel erinnerten in ihrer bleichen Durchsichtigkeit an die einer Verstorbenen. Auch ihre schmalen Hände waren weißer als sonst. Aber keiner sah diese wächsernen Hände – nicht Dirk Vogels, nicht Hochwürden, selbst nicht der eigene Vater, der sich in trefflicher Weihnachtsstimmung befand, seine Kalkpfeife rauchte und alles aufbot, eine richtige Vorfreude in die Wege zu leiten. Mit innigem Wohlbehagen hatte er die Geschenke für den heutigen Abend gewählt, so für Johanna ein seidenes Kleid, für Hochwürden die Erbauungsschriften des heiligen Franz von Sales, zart illuminiert und mit prächtigen Majuskeln versehen, für Dirk Vogels die neuaufgelegten ›Tabulae geographicae‹ des gelehrten und weisen Gerhard Merkator, hatte solche mit Fichtenzweiglein bedeckt und harrte der Stunde, wo der Heilige Christ erscheinen und sagen würde: »So, Arnt Douwermann, nun magst du die lieben Menschen beglücken.«
Ein kleines Abendessen ging der Bescherung voraus. Kein üppiges Mahl wie beim Kirchenrendanten, wo ein gebratener Bronzeputer aufmarschierte und einen feinen Duft nach Trüffeln und Morcheln hinter sich herschleppte – nein, nur ein schlichtes Gericht, gesottene Schleie in Dill; aber es wurde freudiger aufgenommen als die schwelgerische Speisenfolge bei den Symposien des Trimalchio ... und als dann Arnt Douwermann seiner Tochter ein stummes Zeichen machte und diese schweigend die Tafel verließ, vom Arbeitszimmer her die Klingel ertönte, artig wie ein Wisperstimmchen im Winterwald, und die Geladenen eintraten, da strahlte ihnen das Heil in seinem vollsten Glanze entgegen.
In diesem Augenblick hallten die Glocken von Sankt Nikolai herüber, gläubig und selig, fromm und ergreifend. Wie ein Gloria kam es aus den himmlischen Höhen, wo der liebe Gott auch einen Christbaum angezündet hatte, der mit seinen Myriaden von Lichtern den ganzen Weltenraum erfüllte.
Arnt Douwermann aber ging unauffällig zur Seite, hielt den Perpendikel der Uhr an, um jede Störung zu hindern, nahm hierauf das Evangelium des heiligen Lukas und trat in den Bann der Fichte, so daß ihn die grünen Zweige mit ihren duftigen Nadeln berührten.
Da stand nun der seltsame Mann in seinem schweren Gehrock mit den vergoldeten Knöpfen, im Schmuck seines langfadigen Bartes und mit der großen Menschenliebe, aber auch mit dem gerechten Stolz unter den Rippen, ein Prophet, ein Verkünder des Höchsten, und hob das Buch und begann mit weicher Stimme die Weihnachtslegende zu lesen und senkte die Schrift und schloß mit den Worten: »Und plötzlich war bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen. Die lobeten den Ewigen und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind,« und breitete hierauf die Arme und sagte: »Ja, ihr Lieben um mich, ich biete euch eine freudige Stunde. Der Herr sei mit uns und segne uns alle! So aber in dieser geweihten Nacht einer daher käme und die Herzen zu vergiften gedächte, der wäre verflucht vor dem Herrn, denn er wäre schlimmer als die großen Würger unter uns, die mit Feuer und Schwert umherziehen und das Leben zerbrechen ...« und dann trat er auf seine Tochter zu und führte sie an die Stelle, wo ihr Geschenk ruhte, und sagte: »Das ist für dich, mein Kind, und das ist für Sie, Hochwürden, und das, Herr Vogels, für Sie, und hier liegt Ihr Angebinde, Therese. Es ist alles gerne und freudig gegeben.«
Da sahen sich alle an und dankten, und es war eine Andacht unter ihnen, als wäre der Nazarener selber unter die Menschen getreten, um die Hände zu öffnen.
Keiner sprach mehr, keiner wagte es, die tiefe Stille zu stören; selbst die Glocken nicht mehr, und nur Theresens Ohrgehänge flüsterten verträumt und wie aus weiter Ferne herüber.
Und in diese Stille hinein ...
»Und das ist für dich,« sagte Johanna und enthüllte ein Reliefbild ihrer seligen Mutter, das sie nach einem Daguerreotyp aus Buchsbaum geschnitten hatte. Lebenswahr lächelte das zarte Frauenantlitz aus einem mit Efeu umbordeten Rahmen.
»Johanna ...!« und zwei glückliche Arme zogen ein junges Menschenleben an sich und herzten es lange.
»Und das hier, Herr Douwermann ...«
Petrikettenfeier ten Hompel war näher getreten.
»'ne Kalkpfeife ist zwar ein köstlich Gefäß,« meinte er schmunzelnd, »aber sie tut es allein nicht. Der Mensch muß Abwechslung haben. Nicht immer dasselbe. Varinaskanaster und hier dieses türkische Rohr mit dem Kopf aus Siegelerde sind von jeher 'ne prima Firma gewesen. Treten Sie als Kompagnon ein, Herr Douwermann, und das Geschäft ist gemacht. Ich garantiere dafür: es wird sich verlohnen.«
»Mein Gott! – wie komme ich zu dieser Ehre, Hochwürden?!«
»Ich beantworte die Frage mit Ihren eigenen Worten,« versetzte der Dechant. »Es ist gerne und freudig gegeben.«
»Und das hier ...«
»Was! – auch Sie, mein lieber Herr Vogels?!«
»Es ist das Beste,« sagte der Dechant, »was der heutige Abend uns bietet.«
»Und ist die Chronik Meister Heinrichs,« setzte Dirk Vogels mit bewegter Stimme hinzu, »sein Kämpfen und Wirken, seine Freude und sein grimmiges Leid; in ihr sind seine goldenen Tage gebucht und die, wo ihn seine Tochter mit Geißeln strich und mit Dornen krönte.«
Johanna zuckte schmerzlich zusammen; ihre Blicke suchten ängstlich die ihres Vaters.
Der aber ...
»Lobet den Herrn, den Ewigen ...!« brach es aus ihm heraus, als würden in seinem Herzen alle Schleusen der Überraschung und der Freude geöffnet. »Dirk, das tatet Ihr mir?! Heiliger Gott, wie soll ich Euch danken?!«
Mit strahlenden Augen hatte er dessen Hände ergriffen.
»Den Dank,« meinte der Dechant still vor sich hin, »wird die Tochter ihm geben.«
»Das soll sie, das wird sie,« beteuerte der Alte so recht aus seinem Glücksgefühl heraus, indem er die Chronik erfaßte, sie aufhob und den Mund darauf preßte. »Ich aber, ich komme mir vor wie Moses vor seinem gottseligen Ende, da er auf Geheiß des Allmächtigen von den Ebenen Moabs her den Berg Nebo, den Gipfel des Pisgagebirges, bestieg, um von hier aus das Land der Verheißung zu sehen – das gelobte und gepriesene Land von Gilead bis Dan, das Land Ephraim und Manasse, auch Juda bis zum äußersten Meere und gegen Mittag und die reichen Gefilde von Jericho, der Palmenstadt, bis über Segor hinaus.«
Seine Stimme zitterte.
»Aber der Herr wird nicht sagen,« fuhr der Dechant dazwischen, »nur deinem Samen will ich es geben – nicht dir. Nein, das wird er nicht sagen; denn hineinkommen wirst du, und hineinkommen sollst du ... und das gelobte Land für dich ist die Handschrift, das Vermächtnis des Toten. Und wenn Sie ein übriges tun wollen, Herr Douwermann, dann seien Sie uns Führer und Mentor. Lesen Sie selber, seien Sie der Vermittler zwischen ihm und uns. Wir hören mit Andacht, und seien Sie überzeugt: eine solche Weihnacht wurde niemals begangen.«
Freundlich ihm zusprechend, deutete er auf den zunächststehenden Sessel.
»Es sei denn,« sagte der Alte nach einigem Besinnen, und da richtete Johanna einen Tisch unter der Fichte, an dem er sich niederließ, und als die andern im Halbkreis Platz genommen hatten, Therese den Punsch anpräsentierte und Hochwürden seine Pfeife in Brand setzte, da schlug der alte Herr die Blätter der Handschrift auf und machte sich fertig, eine längst dahingegangene Zeit zu beschwören und was tot war, wieder lebendig zu machen.
Eine bange Erwartung drückte sich in die nächste Sofaecke hinein. Sie hörte auf das Knistern der Kerzen und das behagliche Gangwerk der Uhr, deren Pendel sich wieder auf und nieder bewegte, und sie lauschte auf das Plaudern im Ofen und folgte den Rauchwölkchen, die Petrikettenfeier ten Hompel in bläulichen Reiflein aneinander reihte wie Äpfelkringel auf einem zwirnenen Faden. Und in diese bange Erwartung hinein begann der Alte mit sonntägiger Andacht zu lesen: » Memento, meine Lebens- und Leidensgeschichte, unter Berücksichtigung meines Erden- und Künstlerwallens, so ich, Heinrich Douwermann, Bildschnitzer und Fähnderich der Sankt Lukasgilde dahier, mit Gottes gnädiger und geduldsamer Fürsorg eigenhändig verfaßte ...« und er las gleichmäßig fort, bis er die Stelle erreichte, die da lautete: »Ich aber sage: noch schlimmer als dieses entsetzliche Tier ist das Weib. Ihr sollt es erfahren. – Der aber solches niederlegte – wo ist er geblieben? Wo ist er geblieben? – Mortuus est! Mortuus est!«
Hier dämpfte er die Stimme und sprach die letzten Worte mit einer tiefen Kümmernis, um hierauf in seiner gewöhnlichen Art weiter zu lesen: »Geschrieben steht: Du sollst mit dem Hochmutsteufel keine Gemeinschaft pflegen. Ich fühle mich schuldlos, und obgleich mir die Großen dieser Erde schmeichelten und viel Artiges taten, mich hat es nie danach gelüstet, den Falken zu werfen und nach weltlichen Ehren zu greifen. Und hätte man mir einen Hermelin um die Schultern geworfen, glücklicher wäre ich in meiner Künstlerschaube geblieben. Mein Haus war bestellt, nicht überschwenglich und fürstlich, aber reichlich für die tägliche Notdurft, so daß ich allmonatlich Rechnung ablegen und sagen konnte: Dieses für Küche und Keller, solches für Weib und Kind, item, dieses für Wieswuchs und Äcker, mit jenem beglich ich alle kleinen Sächelchen und Freuden des Lebens, als da sind: Jagd, Spiel und Gastereien ... und habe immer noch ein Erkleckliches übrigbehalten. So durfte ich durch ein freies und sorgenloses Dasein hindurchgehen. Nur dem Ausgang zu ... in den Spiegel der Erkenntnis wage ich jetzt nicht zu schauen, sondern muß mir solches für später aufheben; denn täte ich es in gegenwärtiger Stunde, ich käme mir vor wie ein Fähnderich auf verlorener Walstatt, dem nichts übrigblieb, als sich in das zersplissene Seidentuch seiner Fahne zu drehen, um den letzten Trommelschlag zu hören und den Tod zu erwarten. Ach Gott, du mein lieber Herr Jesus, wie ist mir's ergangen?! Bald ein süßes Hofieren auf einem minniglichen Rauschpfeiflein, bald des Propheten Jeremias Trauergesänge, bald den Kronreifen der Kunst um die Schläfen, um letzten Endes die Hände zu falten und verzweifelt zu stammeln und in die Kissen zu weinen: › Cita mors ruit‹.
Doch ich will folgerichtig erzählen.
Mein Vater, so klevischer Rat war und in hiesiger Stadtgemeinde als Friedensrichter und Custos rotulorum fungierte, hatte viel Anspruch sowohl bei Klerikern und Laien als auch am Hofe des hochmögenden Herzogs von Kleve. Er starb eines plötzlichen Todes, allgemein beklagt und betrauert und mit solennem Gepränge auf den Gottesacker geleitet. Meine Mutter, eine geborene van Holten, unter allen Frauen die reinste und schönste, die ich jemals gesehen, pflegte das Andenken des dahingegangenen Mannes mit geziemender Trauer, nahm sich meiner an, als wäre ich ihr höchstes Kleinod auf Erden, und hatte nur den einen Wunsch, mich später in den Reihen ernster und studierter Männer zu wissen. Zu diesem Behufe übergab sie mich dem Herrn Johannes Paephoff, so als Pfarrer im hiesigen Kirchspiel den Hirtenstab führte. Selbiger, ein subtiler Geist und gewitzigter Kopf, hatte bereits manches geschrieben, vornehmlich solches, was sich mit der reinen Gottesgelehrtheit befaßte, obgleich er auch etliche Tageweisen gedichtet und sie sangbar gemacht für Zupfgeigen- und Violabegleitung. Unter seinen Büchern wurde vornehmlich das › Martyrologium Sanctorum‹ gerühmt. Auch kopierte er die Bulle der Kanonisation der heiligen Brigitta, welche sich im Liber pastoralis, Pagina hundertsiebenunddreißig befindet. Seine Handschrift erschien wie Gedrucktes. Bei diesem lernte ich nun, was nötig war, um mich für die Hochschule würdig und tüchtig zu machen. Da solches geschehen und mir bereits ein zarter Flaum die Lippen umsproßte, legte eines Tages Herr Paephoff seine Fingerspitzen steil gegeneinander und sagte: ›Mein Ziel ist erreicht; denn ich halte dich für wert und geschult genug, gen Köllen zu pilgern, um allda als Artist die › Summula‹ des Petrus Hispanus, die › Vetus ars‹ die › Libri priorum, posteriorum, topicorum, physicorum‹ und das Buch › De anima‹ zu traktieren und emsig zu pflegen, und bin des berechtigten Glaubens, dich nach etlichen Jahren als Lizentiat und Doktor begrüßen zu können.‹ – Solches war meiner herzlieben Mutter eine gar liebliche Botschaft, mir hingegen tönte sie unwirsch zu Ohren, sintemalen ich lieber meinen Gedanken und Träumen nachhing und es in meinen Mußestunden für erfreulicher hielt, auf den Wiesen mit den Geißen zu meckern und die Lerchen von ihren Nestern zu stöbern. Aber alles mit Maßen. Item, ich liebte die Kunst und verstand es, leidliche Figuren in Wachs zu bosseln und solche aus dem Holz von Ahorn und Linden zu bilden.
So saß ich denn eines Tages, als der liebe Gott meine engere Heimat mit weißen und gelben Frühlingsblümchen bestickte, an der Bunten Schleuse und schnipselte an dem Kopf der Jungfrau Maria herum, so ich dem Antlitz meiner gepriesenen Mutter nachzubilden gedachte.
Da geschah es, daß einer seines Weges daherkam, und war ein zierliches Männlein mit schmalem Gesicht und klugen Augen. Selbiger handhabte sein spanisches Rohr so lustig und wirbelnd im Zirkel herum, daß es summelte, als wäre ein Geschwader Bienen bei fleißiger Arbeit. Trug auch eine kostbare Schaube und ebensolche Mütze von Marderfell, obgleich es die Sonne gar tapfer meinte und alles Leben mit ihren warmen Strahlen erfüllte. Als ich näher zusah, ward ich fröhliches Sinnes; denn Meister Arnold von Kalkar, der große Bildschneider und Verfertiger des Leichnams Christi im Grabe, stand vor mir.
›Ei, sieh da, Herr Studiosus!‹ sagte dieser und ließ sein spanisches Röhrlein emsiger kreisen, ›was Ihr da aus dem Holzstock herausholt, verrät eine sichere Hand und ist gar trefflich geraten. Hatte davon auch bereits ein Gewisses erkundet, und so Ihr gewillt seid, mir und meiner Wertstatt zu dienen, so seid Ihr mir herzlich willkommen; denn was rar ist, soll man nehmen und halten, sintemalen solche gottbegnadeten Geisterlein so selten sind wie Armut und Keuschheit bei den jetzigen Pfaffen.‹
Wer war froher als ich! Ein Hochzeiter, der ein minnigliches Jüngferlein freiet und sich bereits darauf einrichtet, die Äpfelchen des Paradieses zu brechen, konnte sich nicht so glücklich preisen wie ich, zumal Meister Arnold eine Tochter sein eigen nannte, die mir von jeher so überirdisch erschien, als wäre sie aus einer Tafel des Kölner Illuminierers Stephan Lochner getreten, etwa als Madonna im Rosenhag oder als die allerseligste Jungfrau mit dem knospenden Veilchen. Item, ich kam in die Werkstatt des Meisters, obgleich Herr Johannes Paephoff dagegen eiferte und mich für einen geborenen Duns Scotus erklärte, meine Mutter desgleichen grämlich verstimmt war und nicht einsehen mochte, wie es möglich sei, sich als fahrender oder seßhafter Künstler mehr Ruhm zu erwerben als solche, die die Palme der Gottesgelehrtheit einhertrugen.
Aber es kam anders, als Herr Johannes Paephoff und meine herzliebe Mutter es sich ausgedacht und vorgestellt hatten; denn kaum, daß drei Jahre vergangen waren und mir ein schönes, tiefschwarzes Haar in den Nacken hineinlockte, ich in meinen Manieren auch einen höfischen Junker abgeben konnte, hatte ich ein Bildwerk zuwege gebracht, von dem die Kundigen und Verständigen sagten, ähnliches sei in der christlichen Kunst kaum noch zu finden. Es stellte die Tochter meines Meisters dar, wie sie als Schmerzensmutter den Leichnam ihres göttlichen Sohnes im Schoße hielt und sein Hinscheiden bitter beweinte.
War auch die Jungfer Lisbet derart enchantieret davon, daß sie mir ihr rubinrotes Mündlein anpräsentierte, mich herzte und sagte: ›Da habt Ihr etwas Großes geleistet. Es ist so über alle Maßen geraten, daß ich das Werk für die beste Arbeit meines Vaters ansprechen möchte.‹ Diesem gab auch Herr Arnold seinen uneigennützigsten Beifall, schaute mir tief in die Augen und sprach in den Worten des mazedonischen Königs, von dem die Geschichte gar bedeutsame Wunderdinge berichtet: »Suchet Euch ein anderes Königtum. Mein Reich ist zu klein und unbedeutend für Euch,‹ und gab mir die Hand und lobte mich höchlichst.«
Da sah Arnt Douwermann von der Schrift auf, nahm sein Glas und sagte: »Gedenken wir des jungen Meisters. Gott gebe ihm eine selige, fröhliche Ausfahrt,« und trank und stellte das Glas still wieder nieder.
Und alle taten ihm Bescheid und tranken und waren gespannt auf den Fortgang der Dinge.
Der Alte aber las weiter: »In dieser Zeit regierte Herr Johann der Zweite über die klevischen Lande, mürrischen Sinnes und mehr darauf bedacht, dem Schrei des brünstigen Hirsches zu folgen, als auf das sanfte Girren einer Turteltaube und eines schönen Weibes zu lauschen. Und sein Weib, die stolze Herzogin Mechthild, war schön, schön wie die Zauberin im Hörselberg und schlank wie eine Weidengerte, die sich an den Altwassern des Rheines wieget und bieget, dazu heißblütig wie die Hitze der großen afrikanischen Wüste Sahara, erst achtunddreißig an Jahren, obgleich sie dem Herzog einen Folger geboren, der meines Alters sein mochte und aussah, als wäre ein Adonis auf die Erde gekommen. So man Didelmanns Pfeife oder der Mutter Fama Glauben schenken darf, war besagte Frau Mechthild mit dem ehelichen Werk ihres mürrischen Herrn nicht sonderlich zufrieden und warf daher gern ein Auge auf solche, die ihr hierzu geeigneter und tauglicher schienen, was ich aber meinerseits nur für ein böses Gerede ansprach und von mir wies, als wäre dieses ein Gericht mit faulen Fischen gewesen.
Und da eines Tages geschah es ... Die Frau Herzogin hatte mein Bildwerk schon öfters bewundert, mir auch einen geschlagenen Goldpfennig zukommen lassen und mit ihrem Lob nicht gekarget, als die klevischen Herrschaften in meiner Vaterstadt Hoflager hielten und ihnen die Zünfte und Bruderschaften Reverenz machten mit Zinken, Pauken und fliegenden Fahnen. Ich, als Fähnderich der Sankt Lukasgilde, wußte mein seidenes Tuch gar mannhaft zu führen, hatte auch einen zierlichen Schritt unter den Füßen und ließ mein dunkles Gelock so modisch im Sommerwind fliegen, als wäre es die Schwinge eines Raben gewesen. Dieses schien der edeln Frau gut zu gefallen; denn sie nickte mir zu und warf mir ein Nelkensträußlein von ihrem Zelter herunter, so ich mit geschickten Händen auffangen konnte. Solches sind Arnold von Kalkar und sämtliche Herren der Sankt Lukasgilde Zeugen gewesen; war auch ein groß Erstaunen darüber, und wurde ich mehr beneidet, als hätte ein Inderfürst mein schlichtes Gewand mit den kostbarsten Edelsteinen, mit Adamanten und Chrysoprasen umkrustet. Nur eine war traurig deswegen – und das war Lisbet, die Tochter meines trefflichen Meisters.
Wochen und Monde vergingen.
Der Nebel braute über den Niederrhein hin und verhäkelte sich mit den herbstlichen Baumkronen des Reichswaldes, der die Residenz der klevischen Fürsten in weitem Bogen umdüsterte. Mehr denn sonst orgelten die brünstigen Kapitalhirsche im Forst, trollten mit gesenkter Nase durch Blöße und Dickung ... und als sich mehrere brave Sechzehnender verkämpften, ließ der Herzog die edle Jägerei anblasen und zum Weidwerk sich rüsten.
Am dreißigsten September tönte das erste Hifthorn im Bannwald. Andern Tages ritt Meister Gratius, so die herzoglichen Sigille führte und unter sich hatte, vor meine schlichte Behausung mit dem Geheiß, mich ins Schloß zu entbieten, um allda die hohe Frau im Brustbild wiederzugeben. Der Auftrag sei dringlich und Eile geboten. Die erste Sitzung sei am dritten im Weinmonde fällig.
Über diesen Auftrag stieg mein Herz wie eine Lerche gen Himmel. In meiner Brust war Palmsonntag, obgleich die Kraniche bereits in hohen Lüften trompeteten und die Bäume ihre goldenen Dukaten wie die reichen Prasser in alle Winde verstreuten.
So freudig nun auch meine Seele gestimmt war, die meiner herzensguten Mutter war mißlaunig geworden und konnte den fröhlichen Ton nicht mehr finden. Auch Herr Johannes Paephoff hatte schwere Bedenken; denn er vergegenwärtigte sich das neununddreißigste Kapitel im ersten Buch Mose, sprach auch darüber und gab mir seinen geistlichen Segen. Bot mir auch bekümmert seine gütige Hand und sagte beim Abschied: ›Ihr habt einen heikeln Auftrag zu lösen, um dessentwegen ich Euch nimmer beneide; denn sie ist eine Hessin, und ihre Werke der Liebe haben sich vor Gott nicht als Wohlgefallen erwiesen.‹
›Ich habe nur ihr Antlitz zu bilden,‹ sagte ich kleinlaut.
›Bleibt es dabei,‹ versetzte Herr Paephoff, ›mag die Sache noch hingehen; aber ich fürchte, ihr Fürtüchlein fällt dabei von den Schultern herunter, und solches täte mir leid um Euer Unsterbliches wegen. Doch wie dem auch sei, fahret in Frieden! Ihr werdet Euch schon als tapfrer Widersacher der heidnischen Göttin bezeigen, auf daß Ihr nicht zu klagen brauchet: O Hüter, war deine Stimme so fern am Tag der Versuchung!‹
Bald darauf war ich mit meinem Werkgerät auf dem Wege nach Kleve, vernahm auch das Hifthorn im Reichswald und hörte des andern, daß Herzog Johann gesonnen sei, nach heute getätigtem Jagen ein solches bei den Herren von Jülich und Geldern weiterzuführen, und somit vier Wochen abwesend bliebe ... und zog meiner Straßen, immer begleitet vom Hornruf und dem Geläut stöbernder Meuten, bis ich die Burg gewann und Losament bezog in einem fröhlichen Stüblein über dem Torweg. Von hier aus brachte mich ein Artschier in blauem Eisen zur Ehrendame, der schönen Gräfin Mary von Mariamont, so beim Nonnenspiel saß, sofort aber aufstand und mir mit vielsagendem Lächeln gebot, ihr auf dem Fuße zu folgen.
Alsbald fand ich mich in einem traulichen Gemach wieder, räumlich und hoch, erfüllt von der gedämpften Pracht flandrischer Tapeten und dem Gefunkel silberner Geräte.
›Hier bleibet,‹ kicherte die schöne Mary von Mariamont mir zu, ›und harret weiterer Befehle! Aber haltet Eure fünf Sinne zusammen; denn wenn die Sonne allzu hoch stehet, werden die Äuglein geblendet, und wo solches geschieht, ist auf die andern nicht viel mehr zu geben. Also hütet Euch, Junkherr!‹
Damit war sie auch schon hinter einem dunkeln Vorhang verschwunden, um bald darauf ihre Herrin ins Zimmer zu führen.
Als diese eintrat, duftete es nach Bisam und sonstigem Würzwerk, so daß ich wähnte, die Spezereien der Levante strömten ihren Hauch durch die geöffneten Fenster.
Ach, und sie selber! Sie war in gegenwärtiger Stunde so begehrenswert, daß mir der Puls heftiger klopfte, obgleich sie ein neidisches Kinn- und Stirngebände trug und nur eine einfache Tracht über ihre ebenmäßigen Glieder herabfloß; wahrscheinlich aus der wohlgeplanten Absicht heraus, sich später um so morgenschöner zu zeigen. Dabei leuchteten ihre Augen in kindlicher Unschuld, so daß ich mich fragen mußte: »Woher das üble Gerede? oder aber, wie ist es nur möglich, daß sich in der Brust eines Weibes solche Gegensätze vereinen?‹
Item, ich stand wie geblendet. Ihre Blicke aber glitten musternd über mich hin. Dann wandte sie sich an ihre Gefährtin und fragte: »Es ist wohl der Sieur, der es so trefflich verstand, sein Fähnlein zu führen und, wie die Fama berichtet, es den besten Künstlern im Reiche gleichtut?‹
›Derselbe, hohe Frau,‹ entgegnete Mary von Mariamont mit heimlichem Blinzeln.
Die Herzogin nickte und sagte, indem sie mich ansah, als gedächte sie, mir die Kleider zu nehmen: ›Ihr wisset, Junkherr, weshalb ich Euch herbeschied. Ihr sollt mein Antlitz in Wachs bossieren, später solches auf den Stock übertragen. Schauet mich dieserhalb an, ob Ihr's auch willig tut und ich mich Eurer Kunst gegenüber als würdig erweise.‹
Da sie solches sagte, ging es durch meinen Geist wie ein Brasseln und Brausen im Walde, so daß ich keine Worte hatte, sondern nur die Hand auf die Herzgrube legte, zum Zeichen, sie, die Fürstin, sei die Schönste im Lande.
›Schade!‹ meinte sie mit weicher Bewegung in ihrer silbernen Stimme, ›daß Ihr bei Euern artigen Manieren kein adliges Wappen führet. Insonsten – ich könnte Euch in meiner Nähe gebrauchen.‹
›Auch die Kunst nobilitiert,‹ sagte ich frank und frei aus meinem Stolze heraus, warf auch mein Gelock in den Nacken, daß es sich gar herrisch und selbstgefällig anließ, fügte aber propter reverentiam et securitatis causa bescheiden hinzu: ›Denn wir, die wir solche betreiben, wurden von dem Herrn geadelt, der uns das Leben gegeben.‹
›Mag sein,‹ entgegnete sie nach kurzem Besinnen und sah die schöne Mary von Mariamont an und trat auf mich zu und berührte mich leicht mit ihrer alabasternen Hand, ›alles schon möglich, aber nur dann, wenn der Künstler ein wirklicher Mann ist. Das merkt Euch, und so können wir denn die Sitzung morgen beginnen. Macht alles bereit! Inzwischen erfreut Euch an Claret und Burgunder, auch an Lachsforellen und dem Feiste vom Hirschen, so man Euch auftischen wird! Bis morgen, Herr Junkherr.‹
Wie sie gekommen war, so verschwand sie auch wieder: in einer Wolke von Bisam und schwebenden Fußes.
Hinter den beiden senkte sich lautlos die flandrische Tapete herunter.
Ich aber stand in tiefem Sinnen und gedachte mit einigem Bangen des kommenden Tages.«
Und zum andern sah Arnt Douwermann von der Schrift auf, nahm sein Glas und sagte mit einer gewissen Erregung: »Möge er die Prüfung bestehen!« und trank und stellte das Glas still wieder nieder.
Und alle taten ihm Bescheid, bis auf Johanna, und tranken und waren gespannt auf den Fortgang der Dinge.
Sie saß regungslos und stierte mit gefalteten Händen und träumenden Blicken in den wirren Glanz des Baumes, dessen Lichter langsam zusammentropften, aber immer noch eine strahlende Zelle verteilten.
Der Alte las weiter: »Den Abend verbrachte ich mit dem ehrsamen und gelehrten Herrn Gratius, dem herzoglichen Siegelbewahrer. Wir lebten wie die gelben Kanari im Fabelreich Schlaraffia und taten uns gütlich an Hirschbraten und Lachsforellen, an Claret und Burgunder, der wie böhmische Granaten in den Stengelgläsern schillerte.
Der Abend lag scharlachrot auf den Wäldern. Vom Kämmerlein des Burgtores aus hatten wir eine prächtige Fernsicht, sahen meine Vaterstadt und weit darüber hinaus bis an den Rhein hin. Auch hörten wir, daß sich die Jägerei immer weiter entfernte und allgemach ins Geldrische einzog. Die Hörnerrufe verstummten. Nur gedämpft klangen noch vereinzelte Büchsenschüsse herüber. Dann verhallten auch diese. Das Spectaculum Dianae schien für heute schlafen gegangen.
Bei noch halbem Taglicht ließ Herr Gratius brennende Kerzen auftragen, füllte die Gläser aufs neue und klingte an mit folgenden Worten: ›Meister Heinrich, ich wünsche Euch ein fröhlich Gelingen und eine tapfere Ausdauer bei Eurer jetzigen Arbeit; denn Eure Bürde ist schwer, so leicht sie auch auf Euern Schultern lastet. Ich für meine Person stünde lieber in blutiger Feldschlacht und dem Feuer der Scharfmetzen und Feldschlangen gegenüber, als diese Bürde zu tragen.‹
›Wie meint Ihr das?‹ fragte ich verloren über das Glas und tat ihm Bescheid; aber die dringliche Mahnung, die mir Herr Johannes Paephoff mit auf den Weg gegeben, hallte mir nach und begann wieder wie ein Armsünderglöckchen zu läuten.
›Gott! Ich meinte nur so,‹ versetzte Herr Gratius und kraute sich nachdenklich den gelichteten Scheitel, hob auch seinen Pokal und leerte ihn in tiefem Zuge bis zur Neige. ›Ihr müßt nämlich wissen, Herr Junkherr: auf fürstlichem Boden ist alles mit Spiegelwachs bestellt und gebohnert. Da kann einer leicht und unversehens ins Straucheln geraten. Daher ist meine fürsorgliche Meinung: Ihr müßt der hohen Frau gegenüber Fürsicht beobachten. Ganz gewißlich: ein blühender Mund ist von jeher ein gut und bekömmlich Gericht gewesen, zumal wenn der Behemoth die schöne Trägerin foltert und quält, gar nicht zu sprechen von einer, der ein gesteintes Diadem um die Stirn liegt. Bei der ist ein königlich Tafeln – kein Zweifel; wer aber von einem solchen Gericht ißt, kann sich den Tod daran essen.‹
So redete Herr Gratius aus seiner Lebensweisheit heraus, bewies mir auch seine aufgestellte Behauptung aus der Geschichte und den Schriften alter und neuer Autoren, als da sind Virgil und Suetonius, die Minnesänger und ähnliche Dichter. Führete auch mehrere Beispiele ins Treffen, so unter anderm die traurige Geschichte von Äneas und der karthagischen Königin Dido, von etlichen römischen Cäsarenfrauen und die von der feurigen Barbara von Cilly, dem stolzen Gemahl Sigismunds, der als römischer Kaiser das Zepter führte. ›Doch Ihr wißt,‹ fuhr er heiterer fort und schenkte sich wieder sein Glas ein, ›raten ist von jeher eine mißliche Sache gewesen. Jeder ist der Schmied seines eigenen Glückes. Vielleicht ist es möglich, daß Ihr mit einem seligen Lachen davonkommt; denn Frau Mechthild ist schön wie eine stille Mondnacht und heiß wie ein brennendes Kornfeld. Die Herzogin, Frau Mechthild, soll leben!‹
›Soll leben!‹ rief ich und schwenkte den Kelch und hielt ihn dem Herrn Siegelbewahrer mit einer herzhaften Entschlossenheit hin; denn ich mußte ein übriges tun, um meinen Kleinmut zu stärken.
Neue Flaschen kamen. Auch waren solche darunter, die die hohe Frau selbst für uns ausgewählt hatte.
Erst gegen Mitternacht trennten wir uns.
Der Nordstern lichterte just in mein Zimmer. Noch lange folgte ich seinem geheimnisvollen Tun und Walten und sah, wie er mit magischen Kräften die lieben Himmelsbilder, als da sind die goldfingerige Kassiopeia, den Bärenhüter, den Wagen Davids und andere, im Kreise bewegte. Bald darauf schlief ich ein, wähnte aber im Traum im Hörselberge zu sein, hörte Harfen und Quinternen und das einlullende Gefummel des Tamburins und sah, wie ein Weib sich vom Lager erhob ... als mich auch schon ein Hornruf weckte, der wie Stiergebrüll von der Zinne klang und den grauenden Morgen ankündigte.
Gleich darauf sang der Torwart seine Tagweis aus der Höhe herunter, und also sang er:
›Wacht auf! Der letzte Ruf erschallt;
Schon dämmert's überm stillen Wald;
Bald gehn die Morgenglocken.
Und wer bei seiner Edeltrud
Noch minniglich im Bette ruht,
Der mache sich auf die Socken.
Sonst brennt die Schande lichterloh,
Hebt flackernd sich wie Haberstroh
Und Hitze
Zur höchsten Kirchturmspitze.
Wacht auf! Wacht auf!‹
Alsbald war ich aus den Federn, kleidete mich an und sah über das heimische Land fort, das zu meinen Füßen lag, im Purpurkleid seiner herbstlichen Wälder, im saftigen Grün seiner Weiden, unermeßlich in seiner Ferne, heilig wie eine Morgenandacht.
Und durch diese Morgenandacht kommt eine gewandelt, schleierweiß und mit Astern im Haar.
Es ist Lisbet, die Tochter meines ehrsamen Meisters.
Sie scheint zu schweben, ihre Füße berühren kaum noch die Erde.
Sie winkt mir zu. Sie ist dicht an meine Seite getreten. Dann spricht sie, und also spricht sie: ›Es ist ein Heiliges um die, die das Weihegeschenk der Kunst empfingen; denn sie wurden begnadet. So auch du. Hüte daher die dir von Gott überkommene Gnade. Gehe nicht abseits, folge nicht dem falschen Schein, der dir leuchtet; denn sein Leuchten ist Trug und sein Werben schlimmer als das scharlachrote Lächeln von giftigen Beeren. Es steht über einem endlosen Moor und bringt dich zu Schaden, Heinrich, wenn du mich lieb hast, ziehe bald heimwärts. Je eher, je besser. Sonst wird es Abend für mich, und ich finde mich selber nicht wieder.‹
Da empfahl ich Gott meine Seele, dachte auch an den Fähnderich auf verlorener Walstatt, verwarf aber das Bild und suchte ein neues, und siehe da: ich ließ mein Seidentuch fliegen, schritt beherzt dem mörderischen Feuer entgegen und hörte durch Trommelwirbel und Pfeifengesang die Viktoria blasen.
Da ward ich fröhliches Mutes und nutzte die Morgenstunde dazu, mein Gerät zu bestellen, den Wachsblock zu richten und die nötige Auswahl unter meinen Modellierhölzern und Spachteln zu treffen, ließ auch alles in den Raum bringen, der für die Sitzung bestimmt war.
Selbiger ging nach Norden hinaus und war ein lauschig Gemach, reich gegliedert und mit Bildern mythologischen Inhalts geziert, mit Bildern, so die Sinne betören, meistens erdacht von gloriosen italischen, aber gottfremden Künstlern. Ich sah Zeus und Europa, die sündige Leda, Venus, wie sie Hephästos mit dem Kriegsgott betrüget, und ähnliches mehr, konnte aber nicht alles beachten; denn die Fürstin trat ein, ohne Begleitung, und ich hörte sie sagen: ›Zum Gruße, Herr Junkherr!‹
Nun hätte ich in höfischer Weise antworten müssen: ›Allerdurchlauchtigste Frau, Ihro Diener harrt der Befehle,‹ aber da ich solches sprechen wollte und schon anhub, dies zu sagen, verstummte meine Zunge, wie sie dem Zacharias, einem Priester von der Ordnung Ubia, verstummte, da ihm der Engel des Herrn erschien und sich stellte zur rechten Hand am Rauchaltar ... denn sie dünkte mich überirdisch zu sein, wenn auch schön wie die Sünde. Stirn- und Kinngebände hatte sie abgelegt, auch ihr dunkles Gewand. Dafür trug sie ein Krönlein um die zartgemeißelten Schläfen. Ihr weißes Antlitz ruhte zwischen dem blauschwarzen Haargeflecht wie in einem Ebenholzrahmen, Hals und Schultern waren entblößet. Ihr dünnmaschiges Kleid, so mit goldenen Bienen durchstickt war und wie seidenfadiges Spinnweb ihre Glieder umschmiegte, ließ auch die feinste Linie ihres geschmeidigen Körpers erraten.
Ich stand wie geblendet und bewunderte den Schöpfer Himmels und der Erde, der solch ein Menschengebilde geschaffen.
Was in mir vorging, schien auch sie zu erraten; denn sie redete leis vor sich hin und setzte sich nieder.
Dann hob sie die Hand und sagte in süßer Verwirrung: ›Ich bin bereit. Ihr möget mit Eurer Arbeit beginnen.‹
Da vergaß ich alles um mich her. Das Stürmen und Drängen verlor sich, und nur der Künstler in mir war lebendig geblieben.
Ich formte Stunde um Stunde, und diese vergingen, als wären ihnen Schwingen gegeben.
Am zweiten Tage kam mir die Herzogin noch strahlender vor, so daß mir bangte vor den Versuchungen ihrer berückenden Nähe.
Und der dritte Morgen erschien, und mit ihm der Tag, wo ich das Modell seiner Vollendung wesentlich näher führte. Immer freier und schöner blühte das Antlitz aus der fügsamen Masse; denn alles, was ich zu vergeben hatte, legte ich in die Fertigkeit meiner Hände und die meines Geistes ... und als sie bemerkte, in welcher Perfektion ich wachste und bildete, als sie mich sah als Künstler und Mensch, dem Irdischen so fern und dem Göttlichen so nah, da geschah etwas Unerhörtes ...
Die Fürstin erhob sich, und siehe: mit einer Ruhe, als wäre diese selbstverständlich gewesen, schlang sie die Arme um mich und legte mit geschlossenen Augen ihren Mund auf den meinen, kam mir dabei auch so nahe, daß ich den Puls ihres Herzens verspürte.
›Das sei vorab Eure Belohnung,‹ sagte sie mit derselben Ruhe von eben. ›Das Weitere findet sich mit den kommenden Tagen. Bis morgen denn und zwar gegen Abend.‹
›Gegen Abend, hohe Frau?‹ wagte ich schüchtern einzuwerfen.
›Ja – und das bei Kerzenbeleuchtung.‹
›Bei Kerzenbeleuchtung ...?‹
›Dünkt Euch dieses seltsam? Warum das? Die Wirkung bei Taglicht kenne ich sattsam; ich möchte auch die der Wachskerzen auf das Bildnis erproben.‹
›Hohe Frau,‹ wagte ich nochmals zu sagen, ›es fördert das Werk nicht.‹
Da versteinten ihre Züge.
›Aber es dient meinen Zwecken,‹ sagte sie hart und riß ihr Haupt gegen mich auf. Hinter ihren herabgelassenen Wimpern brannte es wie in den Lichtern einer herumschweifenden Wölfin. ›Das laßt Euch genügen. Es bleibt dabei: morgen abend bei Kerzenlicht.‹
Vor der Majestät dieses Weibes verstummte jede Gegenrede, und ich fügte mich willig.
Den Abend verlebte ich wieder beim Siegelbewahrer, machte vorher aber noch einen Gang durch das Burggärtlein und trat an die Mauer, um von hier aus in den verglühenden Westen zu schauen.
Aber mir stand eine matte Helle im unendlichen Raum, aus der sich allgemach ein Zwinkern herausschälte.
Ich sah gespannt dem wachsenden Glänzen zu, als sich mir ein weicher Arm um den Nacken legte und eine schmeichelnde Stimme ertönte: ›Was sinnt man, Herr Junkherr? und wie nennt sich der Stern, den Ihr so emsig betrachtet?‹
›Der Abendstern; er wird auch Frau Venus geheißen.‹
Der weiße Arm lastete schwerer.
›Unter ihrem Schein ruht es sich gut,‹ sagte die stolze Frau, und ihr Antlitz berührte einen Augenblick meine glühende Wange. ›Merkt Euch das, sollte sich die Gelegenheit bieten!‹
Leichtes Schrittes ging sie wieder zur Burg hin, während ich ganz versonnen mein Losament aufsuchte, um, wie bereits vermeldet, mit Herrn Gratius diesen schweren und denkwürdigen Tag zu beschließen. Tranken auch an diesem Abend den würzigen Kanariensekt, den uns auf Geheiß der erlauchten Gebieterin eine schmucke Gürtelmagd zugebracht hatte.
Dieser Sekt ist feuriger denn alle Weine, die im Morgen- und Abendland wachsen, maßen er das Geblüt aufreget und die Gedanken verwirret. Er ist wie die Fee Morgana und weiß liebliche Bilder zu malen. Unter seinem Geleit taumelt man wie ein trunkener Sonnenvogel über blumige Auen. Er trennt Körper und Seele und läßt sie tauchen in das Meer des Vergessens. Er lockt wie eine Nachtigall im Fliederstrauch, und obgleich eine innere Stimme mir sagte: ›Rüste dich und ziehe von hinnen ...‹ der Wein raunte mir zu: ›Es ist töricht, auf das Schellenklingeln eines Narren zu lauschen. Bleibet, denn es lebt sich fröhlich im Burgfrieden.‹ Da schlichen meine Bedenken davon wie gefangene Aale aus Reusen und Netzen. Selbst der sonst so fürsichtige und bedachtsame Herr Siegelbewahrer warnte nicht mehr, sondern hob ausgelassen sein spitzes Kelchglas, trank sich von einer Begeisterung in die andere hinein, pries die Herzogin als eine Lilie im Klostergarten, erklärte sie für die frömmste aller gottwohlgefälligen Frauen und brachte zuletzt, wie er es vor etlichen Tagen getan hatte, ihr Wohl aus, nur feuriger und mit weinseliger Zunge, so daß sein Wort dahinstrudelte wie ein Flug aufgestöberter Wildenten. ›Kling, Klang und Gloria!‹ rief er über den Tisch fort, ›der Frau Herzogin gilt es. Sie ist schön wie eine stille Mondnacht und heiß wie ein brennendes Kornfeld. Nicht in einem Brevier oder einem Psalter ist ihr Lob zu finden; aber im Lied Salomonis steht es geschrieben. Nur Scheermausfänger, Düsterer und ähnliche Leute deuten es anders. Ihr aber, Meister Heinrich, seid kein Scheermausfänger, sondern ein Künstler, und Künstler wissen diesen Hymnus zu schätzen. Darinnen wird von einem köstlichen Weinberg berichtet und von einem Liebesbrünnlein gesungen. Seid kein Narre, Herr Heinrich! Sucht diesen Wingert auf und erquickt Euch an dem sprudelnden Brünnleinl Trinket Euch satt daran, trinket Euch satt, trinket Euch satt!‹
Seine Zunge lallte, seine Blicke nahmen einen stieren Glanz an. Aber aufrecht stand er, kerzengrade und fest, als er sein Glas gegen das meinige stieß und den guten Beschluß fand: ›Nieder mit den Scheermausfängern und ähnlichen Leuten! Es lebe die Kunst und die Frau Herzogin Mechthild – die Selige, Süße! Es lebe die Liebe!‹'
›Sie lebe!‹ rief ich begeistert.
Er aber war auf den Stuhl gesunken, schwer und zufrieden wie einer, der ein löbliches Werk vollbracht und der Wahrheit Krone und Zepter gegeben, während ich mein Kämmerlein aufsuchte, um den Schlaf und den andern Tag zu erwarten.
Und der andere Tag kam und der andere Abend. Ich wußte: nur noch ein kleines Mühen und das Wachsbild war fertig. Dann konnte ich mit dem Holzstock beginnen, um in beschaulicher Muße das Begonnene fertigzustellen.
Um die siebente Abendstunde ließ mir Mary von Mariamont sagen, daß die Herzogin warte.
Klopfenden Herzens betrat ich denselben Saal, der kein Taglicht mehr hatte, aber angefüllt war von dem sanften und warmen Schein brennender Wachskerzen, die ihren Glanz verschwenderisch über eine kleine gedeckte Tafel verstreuten, auf der eine Silberplatte mit seltenen Früchten stand, auch zwei geschliffene Kelche aufragten, worinnen bereits der Kanariensekt perlte ... und war ich von allem so geblendet, daß ich kaum die Fürstin gewahrte, so hinter dem Tischlein saß und mich aufforderte, mich ihr gegenüber zu setzen.
Ich sah bei ihr das gleiche Krönlein im Haar, dieselben großen und zärtlichen Kinderaugen wie immer – alles wie früher, nur ein weicher Mantel, so mit Hermelin besetzt war, umhüllte die Schultern und floß bis zum Estrich hernieder.
Zwei Gürtelmägde bedienten.
›Warum so schweigsam?‹ fragte sie nach einiger Weile. ›Entbehret Ihr das Licht des Tages? und wenn es so ist, denket daran: Ihr werdet freier schaffen in dieser weichen Beleuchtung ... vorher jedoch ...‹ und sie hieß die Früchte mir reichen und sagte: ›Esset!‹ und sie zeigte auf den perlenden Wein und sagte: ›Trinket davon, es ist derselbe, den Ihr mit Herrn Gratius tranket,‹ und als sie selber das Glas hob und an die Lippen setzte, gewahrte ich, wie sich ihre Wangen mit Purpurrosen bedeckten, und sah auch, daß ihr Arm entblößt war und nur ein leichtes Kleid sie umschmiegte.
Und ich aß von den Früchten und trank von dem Weine, und da war es mir so, als hätte ich Liebe gegessen und Liebe getrunken und freute mich der schönen Frau, so vor mir saß und mich mit ihren Blicken verzehrte. Sie aber sagte mit scheuer Betonung: ›Habt Ihr schon von der neuen Kunst gehört, die über die Alpen gekommen, die heißblütig ist und die, wie die Fama behauptet, Wunderdinge verrichtet, die Hoheit des Weibes anbetet und in ihm die Auferstehung des Fleisches vergöttert?‹
›Ich hörte davon und hörte auch von einem Stern, der plötzlich erschien wie der Stern von Bethlehem, und den sie Michelangelo nennen.‹
›Das nicht allein. Er soll ein Gigant sein, und dieser Gigant – er hebt eine gewaltige Fackel mit starker Faust und leuchtet in die gotischen Dome und Kirchen hinein und scheucht die Fledermäuse, die die dumpfen Hallen durchflattern. Er will allem, was morsch und faulicht, das Licht der Wiedergeburt bringen.‹
›So heißt es.‹
›Ihr sagt es mit einem bittern Beigeschmack. Gefällt Euch der Mann nicht?‹
›Ja, er gefällt mir. Aber er ist noch jung und wie gärender Most. Man muß abwarten, bis er zu lauterm Wein wird.‹
›So, man muß warten?‹ und sie hieß die Früchte mir abermals reichen und sprach mir zu: ›Esset!‹ und sie deutete auf den schäumigen Kelch und sprach mir abermals zu: ›Trinket davon! er ist derselbe wie gestern und bringt fröhlich Geblüt und hohe Erkenntnis.‹
Und ich trank, während sie sagte: ›Item, da sind andere bei den Borgias und am Hof der Mediceer in Florenz, Bildner in Stein und Erz, Gewaltmenschen, nervig an Geist und nicht umnebelt vom Weihrauch der Kirchen. Prediger eines neuen Evangeliums, reden sie die Formensprache Graecias und treten auf gegen Askese und Mystik. Vernahmt Ihr von ihnen?‹
›Ich tat es.‹
›So vernahmt Ihr auch von Savonarola, dem düstern Mönch, der gegen sie zu Felde marschierte mit hartem Wort und grimmiger Geißel, die er durch ein Laugenbad zog. Er gebietet die Knechtung des Fleisches und will nicht, daß sie das Weib entwerfen und formen in strahlender Nacktheit. Er wettert und flucht und verdammt und ist wie ein Bilderstürmer im Reiche der Kunst, die Weib und Mann vereinigt, auf daß sie opfern mögen am Rauchaltar der freien Liebe. Wie denkt Ihr über diesen Mönchs
›Der Mönch hat recht.‹
›Hat recht?!‹ fragte sie mit Augen, die aufbegehrten wie Demantsteine in ihren Ohrgehenken. ›So will ich Euch eines andern belehren ...‹ und sie erhob sich in ihrer ganzen Herrlichkeit und fürstlichen Würde und nahm ihr Glas und war an meine Seite getreten: ›Ja, Meister Heinrich, obgleich heut ein Passionstag für mich ist und alle weltlichen Gedanken mir fern bleiben sollten – tut mir Bescheid! Ich trinke auf die Jünger jenseits der weißen Alpen, auf alle, die in Florenz und am Hofe der Borgias leben!, ›Herrin, ich möchte nicht gerne.‹
Flammendes Rot übergoß mich.
›Ihr wollt nicht?‹
Ihr weicher Leib schmiegte sich an mich.
›Nein, hohe Frau; denn was ich von der Kunst vernahm, so sie die heidnische nennen – Herrin, da kann ich nicht folgen. Sie ist kein gottwohlgefälliges Amt. Christus, der Herr, regieret noch immer, und das höchste zu bilden, bleibt die Jungfrau Maria, Herrin, ich darf nicht.‹
Da schreckte sie hoch, und ihr Glas klirrte zu Boden.
›Auch dann nicht, wenn Ihr die Majestät im Weibe erkennt?‹
Sie unterbrach sich, und den Gürtelmägden gebot sie: ›Entfernt euch!‹
Da gingen die Mägde.
›Auch jetzt nicht? – Sehet!‹ – und sie deutete auf ihr eigenes Bildnis, so die Kerzen reizvoll umspielten – ›was frommt mir das Antlitz allein, so schön es auch sein mag?! Soll darum mein übriges Leben verdursten und Hunger leiden? Sehet! und wenn Ihr gesehen habt, dann werdet Ihr knien und beten vor der Hoheit in mir ...‹ und mit weißen Händen löste sie die Agraffe des Mantels. Da glitt und rauschte er nieder ... und als schwärmende Heilige und doch als eine Hübschlerin stand die Herzogin vor mir.
Mein Blut rauschte.
Himmlische und satanische Wunderwerke drängten sich an mich. Mit bebenden Händen fuhr sie über meine klopfenden Schläfen, schmiegte ihr Gesicht an das meine und flüsterte unter heimlicher Marter: ›Mich dürstet, Heinrich. Ihr müßt aus dem Dunkel heraus, in das Licht, in die Freiheit. Bildet und schnitzet mich wie der Herr mich geschaffen, so wie die neue Kunst es gebietet, heraus aus dem Dämmer der Kirchen! Nehmt mich so, wie ich bin, und formt mich nach der heidnischen Göttin. Oder glaubt Ihr, ich gehörte zu denen, die ihr Magd- und Frauentum räuchern und einsalzen wollen?!‹
Schlangenartig umwand sie mich und drückte mir ihren Mund auf die Lippen.
›Herrin, was macht Ihr aus mir?!‹
›Ein Mann sollt Ihr sein. Heinrich, oder zittert Ihr vor der Liebe des Weibes und fürchtet, seinen Gürtel zu lösen?!‹ und ehe ich es zu hindern vermochte, hatte sie ihre Mieder- und Lendenschnürlein geöffnet und stand nun ...
›Mein Gott, mein Gott!‹
Wie aus Marmor geschlagen ...
›Heinrich‹, rief sie zum andern, ›mich dürstet nach Euch!‹ und sie hielt ihre Arme gebreitet.
›Heinrich, wie gefall' ich Euch so?'
Ich war wie von Sinnen.
›Herrin, Ihr seid die Schönste auf Erden!‹
›Und wofür haltet Ihr mich?‹
Wie das Toben eines Orkans fiel es über mich her. Die Lichter brannten wie zuckende Fackeln, und in diesem Fackelschein, in dieser heißen Glut, in diesem Lohen und Brennen – die Herzogin Mechthild von Kleve, meine Herrin, meine Fürstin, ach! – in ihrer Sünde noch anbetungswert wie ein Heiligenbild.
›Wofür haltet Ihr mich?‹ klang es zum andern. Ihre Blicke flammten mich an.
›Fürstin,‹ rief ich aus meinem tiefsten Elend heraus, ›so Ihr mich fraget: für die Frau meines Herzogs und – Gott stehe mir bei in dieser Stunde der Not – für eine grande Puttana!‹
Was nunmehr geschah, ich weiß es nicht mehr zu sagen.
Nur sah ich: ihre Augen blitzten wie Schwertklingen; auch hörte ich noch: › ‹Meine Artschiere!‹ – Dann verloschen die Kerzen vor meinen leiblichen Blicken. Ich tastete mich durch würgendes Dunkel, durch endlose Finsternis. Der Boden brannte mir unter den Füßen. Willenlos fühlte ich mich weiter getrieben. Eine heiße Fieberhand rumorte mir gegen die Stirne. Wohl weiß ich, daß ich durch ein hallendes Tor ging, einen Hohlweg hinabstolperte, an schildernden Wachen vorbeijagte und lautes Geschrei und Waffenklirren hinter mir war. Als ich dann weiter taumelte, wirbelten herbstliche Blätter um mich her und hoben und senkten sich und raschelten in einem fort: ›Du hast die Prüfung bestanden, du hast die Prüfung bestanden!‹
Ich befand mich auf dem Wege zur engern Heimat.
Als ich dort ankam – es war schon spät in der Nacht – pochte ich bei Meister Arnold an.
Er und seine Tochter empfingen mich noch.
Ich erzählte ihnen mit hastigem Eifer, was sich alles begeben.
Als ich geendet, hing Lisbet an meinem Hals und lachte und schluchzte: ›Du bist mir wiedergegeben!‹
›Aber das Ende ...‹ sagte der Meister in drückender Sorge. Er stellte sich die Herzogin vor in ihrer schamlosen Hülle und ihrer zügellosen Genußsucht. Eine heiße Blutwelle und eine grenzenlose Angst stieg ihm zu Kopf, und er vergegenwärtigte sich, wie aus der verschmähten Liebe die Rache sich aufheben werde.
›Ihr müßt fort,‹ meinte er mit ernster Stimme, ›und das in heutiger Nacht noch. Wendet Euch gegen das Utrechter Stift hin. Dort habe ich einen Schrein für die Dominikaner zu bauen. Wir folgen bald nach. Man muß sich ducken, wenn ein Wetter aufsteigen will, und verharren darin, bis es vorbei ist, sollten auch Jahre darüber vergehen.‹
›Fort?‹ fragte ich schmerzlich.
›Ihr müßt,‹ sagte der Meister. ›Denkt an den Täufer. Eines Weibes wegen legte man ihm den Kopf vor die Füße.‹
Klagend und völlig gebrochen lag mir Lisbet an der armen Brust.
Ich gelobte ihr ewige Treue.
Dann schied ich, nachdem ich noch kurz meine herzensgute Mutter umarmt hatte. –
In Utrecht erstanden mir Zeiten voll des Glückes und gesättigt mit ersprießlicher Arbeit. Ein junges Weib wurde mein eigen. Sie gab mir zwei Kinder. In stolzer Blüte stand mein Anwesen. Längst war ich wieder daheim und unter den eigenen Sparren. Da senkte sich das Bahrtuch herunter.
Das Schlimmste aber: meine herrliche Tochter, von der ich annahm, sie sei keusch wie der Seraph, der vor dem Tabernakel des Herrn mit flammendem Schwert steht, um dort die Wache zu halten, mein letztes Kind, das ich hatte, ging in die Sünde hinein und von dort in den Tod.
Ihr sollt alles erfahren.«
Arnt Douwermann erhob sich.
Er war tiefbewegt.
Die Kerzen waren dem Verlöschen nahe. Mit zartem Duft, feine Rauchspiralen zur Decke sendend, verknisterten sie.
»Morgen ist auch ein Tag,« sagte der Alte. »Morgen um die Vesperstunde wollen wir uns hier wieder begegnen und das Weitere hören.«
»Das Ende,« versetzte der Dechant mit zitternder Stimme. »Ein Menschenschicksal wie selten zu finden! Kein warmer Maienregen beträufelte es. Es liegt in einem schmucklosen Grabe – dieses Geschick. Nur ein schwarzes Kreuzlein steht auf der Scholle. Das Kreuzlein der Bitternis. Allein das Bild des verewigten Meisters ist uns groß und rein überkommen. Ihm ist kein Schaden geworden.«
Er ergriff die Hand des Alten.
»Es liegt etwas Stolzes darin, einen solchen Vorfahr zu haben,« sagte er herzlich.
»Und eine Tochter, wie er hatte ...?« fragte Arnt Douwermann schmerzlich. »Wie denkt Ihr darüber?«
»Fraget bei Gott an!« meinte der Dechant.
Johanna saß weiß wie der Tod im Sessel. Ihre Hände umkrampften die Lehnen. Ihr weher Blick war auf Dirk Vogels gerichtet.
Plötzlich erhob sie sich.
»Was hast du, Johanna?« fragte Arnt Douwermann.
»Wenn es erlaubt ist – ich möchte allein sein.«
Sie gab allen die Hand und wandte sich mit Tränen im Auge.
Dirk wollte ihr nach.
»Dirk, wenn du mich lieb hast, laß mich für heute.«
Dann ging sie.
»Des Tages Last und Mühen drücken sie nieder,« sagte der Dechant. »Laßt sie gewähren. Ihr und allen aber eine selige Weihnacht.«
Das letzte Kerzlein veratmete in der umdüsterten Fichte.