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Anno Domini ... ich glaube, es war achtzehnhundert und in den sechziger Jahren. Ja, so war es. Anno Domini 1862 und so anfangs November herum äugelte ein rotgedunsenes, aufgeschwemmtes und doch langgezogenes Antilopengesicht, in dem die kleinen Augen wie hineingeknallte Sauposten saßen, durch die blankgeputzten Scheiben der Wirtschaft ›Zur letzten Träne‹ auf den Kirchplatz hinaus, den die ersten Schneeflocken in einem getragenen Hin und Her und in einem geisterhaften Auf und Nieder umspielten.

Traumhaft sanken sie auf die flaumige Decke, die bereits die ganze Umgebung feierlichst eingeschneit hatte.

Die ›Letzte Träne‹ lag der alten Sankt Nikolaikirche schräg gegenüber. Es war ein landläufiger Bau mit hohen Schornsteinen und niedrigem Giebel, lavendelartig gekalkt und mit blauangestrichenen Läden versehen, die in kräftigen Inschriften alle Genüsse anpriesen, worüber die Schenke verfügte. Linker Hand von dem ausgetretenen Hausflur lag der eigentliche Wirtsraum, in dessen Tiefe neben der Anrichte ein mächtiger Kanonenofen eine wohlige Wärme ausstrahlte; denn die Quecksilbersäule im Thermometer hatte sich bemüßigt gefunden, am frühen Morgen fünf Strich unter den Nullpunkt zu gleiten. Dabei drängelte sich die Kälte mit grimmiger Bosheit durch die Schlüssellöcher und Ritzen hinein, kratzte an den Scheiben herum und versuchte, zierliche Eisblumen in die tiefer gelegenen Fensterecken zu pinseln. Napoleonische Bilder hingen an den Wänden: Napoleon in Saint Cloud, Napoleon bei Austerlitz, Napoleon auf den Elysäischen Feldern ... wohingegen die Anrichte mit allen möglichen Schnäpsen und Elixieren bestellt war.

Hier war das Reich einer behaglich aussehenden Frau, die sich damit beschäftigte, Gläser zu spülen, die Bouteillen zu richten und die buntilluminierten Etiketten in die beste Beleuchtung zu stellen.

Langsam und feierlich drehte der Mann mit dem aufgedunsenen Antilopengesicht seinen breiten Schädel, der nur mit einzelnen Sardellensträhnen belegt war, auf den mächtigen Schultern herum, sah mit seinen Saupostenaugen nach dem Schanktisch hin und sagte mit einer Stimme wie aus einer Gießkanne heraus: »Madam Kürlitz, ich ersuche noch um 'nen ›Blumesüte‹, aber 'nen heißen.«

»Aberst ich bitte Ihnen gehorsamst, mein hochverehrter Herr Präsidente,« entgegnete das pummelige Frauenzimmer, wobei es gar lieblich mit den Goldspiralen ihrer Knippmütze hofierte, »bei die schwere Kälte kann man schon 'nen zweiten vertragen,« mischte Pomeranzen, Kandiszucker und kochendes Wasser zu einem köstlichen Gemengsel, tat schön wie eine Pfauhenne und brachte das Hergerichtete zu dem würdigen Mann am Fenster, der ihr Kommen mit einem wohligen Grunzen apostrophierte.

»So, das wäre gemacht. Aberst dürfte ich mir 'ne Frage erlauben, Mynheer Türlütt?«

Der Angeredete nickte herablassend und nippte dabei etliche Tröpfchen von der dampfenden Feuchte.

»Ich meine, Mynheer: für gewöhnlich beehren Sie die ›Letzte Träne‹ so gegen zwölfe herum, und nu ist es erst dreiviertel auf zehne. Ich meine gehorsamst.«

Erwartungsvoll setzte sie ihre Arme in die stämmigen Hüften.

»Madam,« sagte Herr Türlütt, und seine Stimme klang voll und rund wie eine schöne Synodalposaune, »in erster Linie müssen Sie auf meine Position Rücksicht nehmen, Frau Kürliß. Und wenn Sie ferner bedenken, daß ich bereits seit fünfundzwanzig Jahren die Bruderschaft Unserer Lieben Frau als Präside vertrete, daß der von ihr seiner Zeit gestiftete Altar zu den Sieben Schmerzen Mariä schadhaft geworden, daß in einer halben Stunde die Kommission zusammentritt, um das Nötige in die Wege zu leiten, und der Herr Kirchenrendant Anatole Baron zu Klotz zu diesem Behufe mich hier abholen will, wenn Sie das alles bedenken, dann werden Sie auch begreiflich finden, Frau Kürliß, daß es nichts Ungewöhnliches ist, wenn ich bereits zu dieser Stunde mich zwischen Ihren vier Pfählen befinde. Außerdem muß ich feststellen: Ihr Pomeranzenlikör ist ein Kapitel für sich, ganz ohne Wettbewerb. Es gibt keinen bessern zwischen Xanten und Kleve.«

Damit hatte er die heiße Flüssigkeit mit einem schnalzenden Wohlbehagen hinter die schwarzseidene Binde gegossen.

»Ganz ausgezeichnet, über alles Erwarten; man kann dabei den Rosenkranz beten.«

»Aberst ich bitte. Meine schwächlichen Kräfte, Mynheer!«

»Keine Entschuldigung. Sie wissen ja selber: ich bin kein Freund von schnäpsernen Genüssen. Verdamme sie vielmehr in den tiefsten Abgrund der Hölle. Ich weise sie von mir, weil sie entnerven, die Sinnenlust fördern und gegen Sitte und Satzung der christkatholischen Kirche verstoßen. Besonders die Frauenzimmer sollten sie meiden. Sie machen heißes Blut und nach den Mannskerlen gelüstig. Wasser sollten sie trinken. Sie bleiben dabei kälter und enthaltsamer und verfallen nicht auf fleischliche Anfechtungen und ähnliche Sünden. O diese Schnäpse! Im vorliegenden Falle jedoch: noch ein Gläschen, Frau Kürliß. Nur möchte ich bitten, die Portion doppelt zu nehmen; denn ich vertrete den homöopathischen Standpunkt: Beelzebub ist nur durch Beelzebub aus dem Tempel des Herrn zu schlagen.«

»Immerst man feste,« meinte Frau Kürliß, holte das Verlangte und machte sich hierauf hinter der Anrichte bei ihren Gläsern und Bouteillen zu schaffen, während der ehrwürdige Herr mit dem Antilopengesicht sich teils mit dem gebrannten Wasser sinnig und zart amüsierte, teils auf den Kirchplatz hinaussah, auf dem Myriaden von Schneesternchen ihr artiges Ringelspiel immer lustiger trieben. Es war ein vergnügliches Zusehen, ein Dösen und Dämmern in den kalten Schneetag hinein, der sein bestes Wintergesicht aufgesetzt hatte und alles aufbot, das niederrheinische Land in ein weißes Leilach zu hüllen.

Herr Franz Türlütt, gewesener Guanomakler und Schnittwarenhändler, nunmehr Verwalter seines nicht unbeträchtlichen Vermögens und Präsident der Bruderschaft Unserer Lieben Frau, gehörte zu den Honoratioren der kleinen Stadt, die zwischen Dämmen und Deichen, Wiesen und fruchtbaren Ländereien gebettet, unter den kunstliebenden Herzögen von Jülich, Kleve und Berg eine gewisse Blütezeit durchgemacht hatte. Abgesehen von kleineren menschlichen Schwächen war Herr Franz Türlitt ein geradliniger, aufrechter Mann und strammer Katholik, eine biedere Haut und ein Patriot von lauterstem Wasser. Das heißt, alles unter einem gewissen Augenwinkel betrachtet. Er liebte sein angestammtes Königshaus; aber die Erinnerungen aus der napoleonischen Zeit standen ihm höher, ein Vermächtnis seines in Gott ruhenden Vaters, der etliche Feldzüge des kleinen Korporals mitgemacht und dabei als Armeelieferant manchen Taler beiseite gebracht hatte. Außerdem: Herr Türlitt war mäßig und behauptete stets, im allgemeinen nur von Kyrie-eleison-Semmeln und Halleluja-Würstchen zu leben, obgleich alle Welt ihm die größten monatlichen Fleischer- und Bäckerrechnungen nachweisen konnte. Mit gläubiger Einfalt hob er allmorgens die Hände gen Himmel und sagte: »Ich hänge nicht am Besitz, mein Leben ist ein offenes Buch, und meine Erwerbsquellen sind mir so bekömmlich wie kristallklares Brunnenwasser gewesen,« obgleich er noch heutiges Tages auf seinen straffen Geldsäcken saß wie ein feister Moppel auf dem Schoß einer geschminkten Halbweltlerin und mancher aus seinen Bekanntenkreisen herumlief wie ein geschundener und abgelederter Geißbock. Herr Türlütt verfluchte den Alkohol, das heißt öffentlich. Im geheimen jedoch waren ihm Pünsche und steife Grogs Sorgenbrecher und Lebenselixiere geworden. Dennoch hielt man ihn für einen braven und aufrechten Mann, für eine Säule der Kirche, und er wäre, falls er seine Ehefrau nicht vorzeitig hätte bestatten müssen, auch der biederste und treuste Hüter seines schweren Traurings gewesen. So aber ... Gott im hohen Himmel nochmal! – da purzelten im Kirchspiel etliche vaterlose Kerlchen herum, von denen man sagen konnte: »Die pausbäckigen Apfel sind nicht weit vom Birnbaum gefallen,« und die Türlüttschen Taler sorgten dafür, daß die Erzeugnisse einer verwitweten Laune trefflich gediehen und sich gütlich taten wie die Spatzen bei Rübsen und Schoten. Durch die verstorbene Frau Célestine, eine Schwester des pensionierten Steuerempfängers und nunmehrigen Kirchenrendanten Anatole von Klotz, war ein adeliger Abglanz über das Türlüttsche Anwesen gekommen, ein Abglanz, der den würdigen Mann bis heute noch wie eine sanfte Gloriole umglitzerte. Er war seinerzeit stolz auf die Heirat gewesen, konnte es auch sein; denn die Familie von Klotz, wenn auch verarmt und im Laufe der Jahre dünn und fadenscheinig geworden, trug von Rechts wegen die freiherrliche, siebenzackige Krone und hatte im Großvater der heimgegangenen Frau einen Helden erzeugt, der in der französischen Revolution, und zwar bei Gelegenheit der Komödie des Chaumette-Hébertismus, eine bedeutsame Rolle gespielt hatte, um schließlich im fahlen Morgengrauen und in den Armen der blutigen Tochter Guillotins den Kopf zu verlieren. Vive la république! Vive la montagne! Seit diesem Tage war der deutsche Edelmann und französische Citoyen Anacharsis von Klotz ein Märtyrer der Familie geworden. Sein Andenken lebte, lebte besonders in seinem bejahrten Enkel weiter, im Herzen des pensionierten Steuerempfängers, und trieb hier Blüten, als wenn sie aus einem bizarren Orchideenhaus stammten ... und von diesen Blüten sickerten blutrote Tropfen.

Huhu, diese blanken Messerchen!

»Servus, Servus!«

Mit diesen Worten drehte sich ein hochgewachsener Mann mit Vatermördern und fuchsrotem Zylinder in die Wirtsstube herein, klappte seinen Regenschirm, an dem verschiedene Fischbeinstangen durch die splissige Seide hindurchstießen, auf und zu und ließ ein kleines Gestöber von Schneeflocken lustig umhertanzen.

» Morgen, Madam – hier meinen Schirm – in die Ecke damit – und dann 'nen Grog, aber 'nen steifen!«

Anatole Baron zu Klotz reckte sich auf, kurz, abgehackt, wie aus der Pistole geschossen, etwa so, wie er auch gewohnt war, seine Worte zu setzen. Pielgeradeauf, eine dünne Pelerine über den schäbigen Überrock geworfen, aber sauber gestriegelt, halb Oberst a. D., halb Verkäufer in einem Sargmagazin, so stand er neben der Anrichte und stach mit seinen zirkelrunden, nußbraunen Äugelchen in die Stube hinein. In seiner verblichenen Eleganz schien er sich sichtlich zu fühlen. Der Marabukopf mit dem glattrasierten Gesicht und dem kurzverschnittenen Schnurrbärtchen à la Sergeant unter der spitzigen Nase erhob sich mit einer gewissen Selbstherrlichkeit auf dem ausgemergelten Gänserichhals, an dem sich der Adamsapfel globulusartig auf und nieder bewegte.

Anatole Baron zu Klotz war einzig. Der vielbewunderte Caballero de la Mancha konnte sich nicht köstlicher geben. Halb Theater, halb inneres Erleben – so trug er jetzt seine gewichtige Person über die mit Sand bestreuten Dielen der ›Letzten Träne‹. Als er seines Schwagers ansichtig wurde, hielt er den Fuß an und schnellte die rechte Hand an den schmalen Rand des sich nach oben verjüngenden Zylinders. Dabei rutschte die etwas stark mit Wäschebläue behandelte lose Manschette bis an die obersten Knöchel vor. Ein Trillern mit den Fingerspitzen verwies sie wieder in Ärmel und Schlupfloch. »Ah! – votre serviteur, monsieur François!«

Er hielt ihm die Hand hin.

»Tag, Schwager.«

Fixbeinig war Herr Türlütt bei dieser Begrüßung in die Höhe gefahren. Was – in die Höhe gefahren? Ja, in die Höhe gefahren! – und dennoch ... obgleich er vorhin saß und jetzt leibhaftig auf seinen zwei Beinen stand: Mynheer Türlütt war nicht größer als vorhin geworden. Er gehörte zum Geschlecht der Sitzriesen. In dem mächtigen, breitschulterigen Oberkörper steckte eben ein Untergestell, das selbst beim Aufstehen den äußern Menschen nicht nennenswert zu heben vermochte, und so blieb denn Herr Türlütt nach wie vor ein gnomischer Kerl, ein abgebrochener Gigant, ein launiges Spiel der Natur und wie aus einem Hohlspiegel auf die Erde gepurzelt.

»Was?!« sagte der Mann im Zylinder. »Du bist schon beim heißen Pomeranzenwasser angekommen und vertrittst doch die Ansicht: Agape, satana – Gift für Körper und Seele – Teufelswerk – nur geschaffen, den Sinnentaumel zu kitzeln?!«

Herr Türlütt seufzte tief aus seiner Samtweste heraus, schlug die Augen auf zur Decke, um gewissermaßen zu beweisen, daß er gewohnt sei, seine Hände in Unschuld zu waschen, und sagte: »Schon richtig, Schwager. Aber es gibt Ausnahmen. Beispielsmäßig, um dir Gesellschaft zu leisten ...«

Eine mahnende Stimme schlug ihm entgegen.

»François ...!« und Herr Anatole warf sich eine Prise Tabak à la mode de France in die Nase.

»Nur aus diesem puren Grunde allein,« bekräftigte der ehrwürdige Herr mit dem Schnapsgesicht, »so wahr mir Gott helfe, so wahr die Mutter Gottes von Kevelaer ...«

Seine Blicke umflorten sich und gingen zur Anrichte, wo das behagliche Frauenzimmer gerade dabei war, kochendes Wasser mit Rum und Zucker zu mischen: »Madam Kürliß, nur zum Beweise. Ich bitte um 'nen Grog wie mein Schwager, aber 'nen heißen,« und er wandte sich wieder an Anatole von Klotz, der sich mittlerweile niedergelassen und die langen Beine mit den engen Korkzieherhosen breitspurig ausgestreckt hatte: »Schwager, so wahr ich hier stehe, und dann noch aus einem andern Grunde. Ich meine: soll ich etwa in der Kirche erfrieren? Soll ich mir etwa wegen der Besichtigung des Altars zu den Sieben Schmerzen Mariä die Lungensucht holen? Soll ich mir etwa ... Prosit!« und er nahm eins von den dampfenden Gläsern, die Madam Kürliß just anpräsentierte. »Prosit, Anatole, auf daß es uns wohl ergehe und wir noch lange leben auf Erden. Gewiß, der Grog ist ein verbuhltes Getränk, aber solch tapfern und erprobten Männern, wie wir sind, kann er nicht schaden. Im Gegenteil: in gewissen Fällen ist er als heilsam und gottwohlgefällig anzusprechen; denn oftmals bedient sich der Herr satanischer Dinge, um seinen heiligen und großen Zweck zu erreichen. Beispielsmäßig in gegenwärtiger Stunde. Schwager, wir müssen zur Kirche, bei dieser hundsmäßigen Kälte unsere christkatholischen Pflichten erfüllen, wir müssen ... Und daher, Anatole, nur um unserm lieben Herrgott zu dienen, nur um dir Gesellschaft zu leisten ... sonst nicht rühr an die Sache, so wahr mir Gott helfe, so wahr die Mutter Gottes von Kevelaer ... Prosit, Schwager!«

Damit klingte er an und hob gleichzeitig die linke Hand wie beschwörend zum Himmel.

»Schön!« sagte Anatole, während er Bescheid tat und den Gänsehals gummiartig aus den steifen Vatermördern heraushob, »aber wie kommt der Herr Dechant darauf – gerade heute darauf, Altarbesichtigung anzusetzen? – so aus heiler Haut heraus – ganz unvermittelt – und das von heute auf morgen?! – Hm! – unbegreiflich die Sache!«

»Ich bemerkte schon, Schwager ...«

»Ach was, bemerken! – Eigentümliches Vorgehen – vollkommen unnötig – vollkommen! Konnte warten auf wärmere Tage; aber der Herr Dechant liebt es, uns Nüsse knacken zu lassen – Walnüsse und andere Nüsse. – Also knacken wir – die Kirche befiehlt es. – Nur meine übrigen Pflichten – sie leiden darunter. Außerdem: der zehnte November steht vor der Haustür. Der große, heilige zehnte November! – Der Tag, an dem die ›Déesse de la Raison‹ den Thron des dreieinigen Gottes beehrte. – François, es lebe die Republik, die rote Tochter des wackern Guillotin! – Liberé, égalité, fraternité ou la mort! – François, ich muß Vorkehrungen treffen. – Das weißt du. – Auch du bist geladen. – Dampfende Punschbowle und so. – Auch Madam wird erscheinen. – Selbstverständlich in großer Aufmachung – rote Robe – rote Samtschuhe – und mit bleichem Gesicht – bleich wie die Wand in 'ner Sterbekapelle. – Feine Sache! – Man muß doch seinen stolzen Agnaten ehren, den großen Citoyen aus dem freiherrlichen Hause derer von Klotz. Vive la république! Vive la montagne! Vive Anacharsis von Klotz!«

Bei der Erwähnung dieses Namens hatte der Enkel des bedeutenden Mannes sich plötzlich so energisch und straff erhoben, daß davon seine alten, aber noch sehnigen Gelenke in ein gelindes Knacken gerieten, hatte feierlichst den fuchsigen Zylinder gelüftet und sein dampfendes Grogglas mit dem seines Schwagers vereinigt. Dabei stachen seine nußbraunen, etwas rotunterlaufenen Äugelchen wie blutige Messerchen. Und in diesen Äugelchen stand eine ganze Geschichte geschrieben, eine Geschichte des Schreckens, durch die die geisterbleiche Anklägerhand Fouquier-Tinvilles sicher hindurch griff, um die Herren und Damen der Conciergerie zu dem ehrenwerten Citoyen Samson zu führen, dessen ›rasoir national‹ alles hinwegrasierte, was gesonnen war, sich der großen Idee des Konvents entgegenzustellen. Ja, Anatole von Klotz hatte sich zeit seines Lebens mit diesen furchtbaren Dingen beschäftigt. Sie sahen in seine Träume hinein, stiegen aus den Kirchenbüchern heraus, grinsten von seinen Wänden herunter. Er sah sie mit lebhaften Augen, wahrhaft und wirklich; nur – er sah sie verlähmt und verkrüppelt, wie durch einen feinmaschigen Straminrahmen hindurch, etwa so, wie nur ein vertrockneter Kirchenrendant und pensionierter Steuerbeamter sie zu sehen vermochte. Anders nicht. Sie waren Erscheinungen mit Kielkröpfen und purzelnden Beinchen, Fratzengebilde, Narrengesichter, die auf roten Karren heranrollten, Wirr- und Schwarbelköpfe mit Kokarden und Piken, die im Angesicht Seiner Majestät des Todes den Revolutionsplatz umtanzten und dann hingingen, um in Notre Dame der Freiheitsgöttin, Mademoiselle Maillard von der Großen Oper, die weißen Füße zu küssen. Karnevalpossen! – aber der gestrenge und zugeknöpfte Herr mit dem Marabukopf fühlte sich wohl in der grotesken Gesellschaft und hatte alljährlich die Freude, sie am zehnten November aus einer heißen, strammen, dampfenden und meisterlich hergerichteten Punschbowle steigen zu sehen.

Und dieses Fest sollte bald kommen.

»François, à votre santé! – Madam Kürliß, Stoff – mehr Stoff! – Man muß ein übriges leisten – die heutige Stimmung benutzen – benutzen ... François, man ist Rheinländer – gewiß; Preuße, waschechter Preuße – kein Zweifel; ein treuer Diener seines angestammten Herrn und Königs. Man lebt gut und gerecht unter dem preußischen Kuckuck, aber das hindert doch nicht, die Freiheitsgedanken eines Hébert, Momoro, Chaumette und Danton zu würdigen und die geistige Bedeutung eines Citoyen, wie ihn mein Großvater Anacharsis Baron von Klotz glorreich verkörperte, in die richtige Beleuchtung zu rücken.«

Erneut hob sich der abgegriffene Zylinder etliche Zoll von dem nur spärlich bewachsenen Schädel, während Madam Kürlitz in ihren abgetretenen Selfkantpantoffeln anschlurfte und frische Groggläser zubrachte.

»François,« und die Gläser klingten wieder zusammen, »gedenken wir seiner! Frankreich, das Bluttribunal, selbst die Guillotine hatten Respekt vor dem Manne. Allerdings, bei ihm hieß das schließlich: Kopf ab! – War nicht anders zu machen, absolut nicht anders zu machen. Indessen jedoch, nur lediglich ›Kopf ab‹ für 'ne gigantische Sache. Kein Wunder! Alle bedeutenden Männer sind eines unnatürlichen Todes gestorben, so Alexander, Cäsar, Savonarola, Jesus von Nazareth. Warum sollte Anacharsis von Klotz eine Ausnahme machen? In diesem Sinne gedenken wir seiner. – Er lebe ...!«

Die rechte Hand flog wieder nach oben und mit ihr die Manschette. »Halt!« Eine schnalzende Bewegung mit Daumen und Mittelfinger trieb sie sogleich in den Ärmel zurück.

»Er lebe...!«

Herr Türlütt tat ihm Bescheid.

»Und du beehrst mich am zehnten November?«

»So wahr mir Gott helfe! – ich komme,« beteuerte der Biedermann mit dem kurzen Untergestell und saugte den Rest des heißen Getränkes hinter seine rotgepunktete Weste, »aber,« fügte er mit gehobener Stimme hinzu, »das schließt keineswegs aus, daß wir auch dem Herrn Dechanten die ihm gebührende Ehre erweisen. Ich möchte dir daher zu bedenken geben ...«

»Was soll ich bedenken?«

»Beispielsmäßig, daß wir in ihm das Oberhaupt und den Hirten der hiesigen Gemeinde zu erblicken haben.«

»Tun wir.«

»Und daß du Kirchenrendant bist.«

»Bin ich.«

»Und ich die Bruderschaft Unserer Lieben Frau als Präsident vertrete.«

»Tust du.«

»Und daß der Altar zu den Sieben Schmerzen Maria schadhaft geworden« – hierbei seufzte der biedere Gottesmann tief aus der Weste heraus und verdrehte die Augen – »und wir als Kommission umgehend eingreifen müssen.«

»Wollen wir.«

»Und daß ... warte mal, Schwager ... ich meine ... wir dürfen die Zeit nicht verpassen ...«

Er griff in die Westentasche, brachte eine Uhr zum Vorschein, drückte den Stecher und weckte ein scharfes Tinken in dem silbernen Zwiebelgehäuse.

»Noch fünfzehn Minuten. Bitte, Frau Kürlitz ... nur zum Abgewöhnen und um meinem Schwager Gesellschaft zu leisten, nur aus diesem puren und alleinigen Grunde noch zwei Steife, Frau Kürliß,« und er wandte sich wieder an den Nachfahren des großen Anacharsis von Klotz, und seine Stimme klang erneut wie aus einer Gießkanne heraus, um schließlich zu einer schönen, tönenden und weihevollen Jerichotrompete zu werden: »Schwager, ich danke dir aus innigster Seele. Du gehörst auch zu den Großen im Lande. Ich meine: du bist ein würdiger Folger des stolzen Revoluzers ...«

Er wurde unterbrochen.

»Was – Revoluzer?!«

Anatole von Klotz fuhr auf, wie von einer Hornisse gestochen.

»Pardon, Schwager! Ich meine nur, Schwager!«

»Was meinst du? – Was denkst du? – Was sinnst du? – O du kleinliche Seele! Der Mann, der die › Déesse de la Raison‹ inthronisierte, den Samson auf das rote Gerüst komplimentierte und dem eine blutrote Dame das Genick abküssen durfte ... Schwager, ein Mann mit solchen Freiheitsideen, mit solchem Schafottheroismus, der ist unter die Märtyrer und Helden zu stellen, ist Citoyen, ist Welt- und Menschenbeglücker – und wer ihn als Revoluzer anspricht, den muß ich als Knollfink verschleißen. François, Knollfink!«

Der rechte Arm fuhr zur Decke und mit ihm die Manschette. Als weiße Taube kam sie wieder herunter, wurde fingerfertig eingefangen und flugs in den Ärmel zurückgeschoben.

»Sapristi! – das ist ja Mord an den höchsten Gefühlen der Menschheit, Verhöhnung des französischen Tribunals, Vergewaltigung des Freiheitsgedankens, das ist ja ...«

Herr Anatole von Klotz schnappte nach Atem. Die kleinen Äugelchen schossen Blitze und sahen aus wie Tollkirschenbeeren.

»Nicht so, nicht so!« wimmerte Herr Türlütt. Der überrumpelte Mann wollte rein auseinanderbrechen, mit Stumpf und Stiel in den Boden versinken. »Bei der Mutter Gottes von Kevelaer, ich bitte dich, Schwager ...«

Er hob flehend die Arme.

»Ach was, Schwager! Du gehst ja nur drauf aus, mir die Lorbeeren und Palmen vom Leibe zu reißen und den Ruhm des großen Reorganisators – ja Reorganisators – noch im Grabe zu schänden. So aber bist du immer gewesen. – Revoluzer! – Revoluzer! – Dieses entsetzliche Wort bringt mich um, würgt mich, schleppt mich unter den Galgen ...«

»Nein, nein und tausendmal nein!« hielt Herr Türlütt ihm flehend entgegen und schlug verzweifelt die Hände zusammen, wie hilflos vor solchem Ausbruch dickfelliger Leidenschaft. »Du verstehst mich nicht richtig. Du bist auf dem Holzwege. Ich meine, du mußt das Wort ›Revoluzer‹ nicht übel vermerken, nicht auf die Goldwage legen. Es war ehrlich gesprochen und wollte besagen: Revolutionsheld – Blutzeuge – Gigant – Träger der Freiheit – würdig neben Robespierre und Danton zu stehen ... und daher, ich bitte dich, Schwager, den ›Knollfink‹ streichen zu wollen.«

Der Marabukopf lenkte ein und nickte befriedigt.

»Wenn es denn so ist ...«

»So wahr mir Gott helfe, so wahr die Mutter Gottes von Kevelaer...«

Herr Türlütt war die verkörperte Wehleidigkeit, ein wirklicher Büßer, zerknirscht bis in die Zehenspitzen hinein, und mit schöner, seliger Ergebung suchte er ein gerechtes Urteil von den noch immer gekniffenen Lippen seines Schwagers zu lesen, fand aber dabei noch Muße, einen scheuen Blick auf Madam Kürliß zu werfen, die von einer dampfenden Grog- und Pomeranzenwolke umhüllt, eben dabei war, die neue Lage vor die Gesichter der beiden Herren zu schieben.

»Mynheers, die Grögchens sind fertig.«

»Schön!« sagte der wieder besänftigte Kirchenrendant und faßte mit der Linken das Glas, mit der Rechten die Hand des Bußfertigen, der gleichfalls zupackte und mit getragener Duldermiene das › Absolve te‹ des Gestrengen erwartete.

»François,« und die Stimme des Sprechers war wie mit Daunen umwickelt, »irren ist menschlich, und ich irrte mich wirklich. Warum man aber auch so aufbrausen konnte? Unerhört! – aber das steckt mir im Blut. Das ist Revolutionsblut, Freiheitsblut. Drum keine Feindschaft nicht. Der ›Knollfink‹ wird hiermit gestrichen. Zum Wohlsein!« und die beiden sahen sich tief in die Augen – das sanfte Antilopengesicht und der strenge Marabukopf. Sie verstanden sich, und Madam Kürliß nickte, wiegte sich wohlgefällig in ihren abgetretenen Selfkantpantoffeln und sah zu, wie die heiße, dampfende Flüssigkeit den Weg alles Irdischen ging, und zwar so glatt und gefällig, als wäre das gebrannte Wasser eine Limonade oder der Absud eines laulichen Kamillentees gewesen ... und das gebrannte Wasser war allversöhnend, war milde und brachte die Herzen zusammen.

»Anatole...!«

»François ...!«

Nein, diese Eintracht! – und die beiden rechtschaffen Herren stellten wie auf ein gegebenes Kommando die leeren Gläser beiseite, umarmten sich, drückten sich wechselseitig an die blaugestärkten Chemisettchen und gaben sich schließlich so treuherzig und biedermeiermäßig die Hände, als wäre dieser Händedruck dazu bestimmt, einen neuen Bund zu errichten, vierfach geknotet und doppelt gesiegelt – mit Gott für König und Vaterland, auf Leben und Sterben und so gütig leuchtend wie ein schönes, feierliches Licht von einem hohen Berge herunter.

Hierauf tupfte sich Herr Türlütt mit seinem rot und blau bedruckten Schnupftuch gegen die Augen, während die Schneeflocken immer dichter und eisiger fielen und der blankgewichste Kanonenofen seine schönsten und hellsten Glühwürmchen in den Aschenkästen hineinpretzelte.

»Anatole, du bist doch ein Faktotum von Mannbarkeit. Beispielsmäßig ein edler Charakter. Nu aber ...«

Wieder tönte das klingelnde Tinken aus der silbernen Zwiebel heraus.

»Abgemacht!« sagte der Kirchenrendant, »gehen wir. Indessen – es bleibt dabei: am zehnten November Punschbowle, Feier und so. Großartig! Nur schade, daß mein Junge absagen mußte.«

»Wollte André denn kommen?«

»Aber natürlich! Sein Nichterscheinen ist mir sehr gegen den Strich; aber Weihnachten kommt er.«

»So? Weihnachten schon! War doch im verflossenen Sommer erst hier, und Heidelberg ist doch kein Katzensprung nicht. So'n Privatdozent hat doch auch seine Arbeit! – und ich war beispielsmäßig der Ansicht, er wäre gerade dabei, 'ne frische Idee auf die Beine zu stellen.«

»Tut er, und trotzdem ...«

»I der Tausend, da wird sich aber Fräulein Douwermann freuen!«

»Wer wird sich freuen?«

»Nu, dem alten Lehrer die seine.«

»Wird sie, wird sie!« bestätigte Madam Kürliß, »denn was Fräulein Johanna bedeutet, die hat schon 'nen feinen Pli und ein richtig Benehmen. Die wischt man so den Erdenstaub von sich ab und will höher hinaus, weil sie die Ansicht vertritt: ich kann mehr beanspruchen als die gewöhnlichen Menschen.«

Der Kopf des alten Herrn drehte sich ratlos auf dem Gänsehals herum.

»Ich verstehe das alles nicht,« sagte er tonlos.

»Aber Herr Baron! – Die Spatzen priestern's ja schon von den Roßäpfeln herunter.«

»Was priestern die Spatzen?«

»Na, das mit Johanna! – und wenn sie auch schon so halber mit dem jungen Lehrer Vogels versprochen sein soll, wenn ich Johanna Douwermann wäre, ich täte auch lieber 'ne Frau Baronin als 'ne simple Frau Lehrerin werden; denn es sticht doch mehr Propertee in die Sache, von der Noblesse nu mal gar nicht zu reden, und wenn ich mir selber alles genau überlege, so bin ich der Meinung, daß bei 'ner Lehrerpartie einem das Essen lang wird zwischen den Zähnen, bei 'ner baronisierten hingegen ...«

»Und da glauben Sie ...?« warf der pensionierte Steuerempfänger energisch dazwischen.

»Immerst man feste,« sagte die pummelige Frau und ließ ihre Goldspiralen glitzen und blitzen. »Ich für meine Person machte keine langen Fisimatenten. Das Baronisteren gefiel mir, und wenn ich an Stelle von Fräulein Douwermann wäre, ich glaube, daß ich zugreifen würde.«

Die fuchsigen Haare auf dem altmodischen Zylinder des zugeknöpften Herrn sträubten sich merklich.

»Sie sind wohl aus 'nem Affenkasten gesprungen!«

»Gott soll mich bewahren im hohen Himmel da droben!«

»Schwager,« sagte Herr Türlütt, und die Synodalposaune kam wieder in ein sanftes Klingen und Tönen, »wenn ich auch nicht behaupten kann, daß die Ansicht unserer lieben Frau Kürliß so gut destilliert ist wie ihr Pomeranzenlikör, ich auch annehmen will, daß der junge Herr Vogels schon so halber verlobt ist, man kann immer nicht wissen, ob sich irgend 'ne andere Sache nicht anspinnt; denn ich habe immer sagen hören, von zwei Äppeln ist einem der Borsdorfer allweil der liebste. Beispielsmäßig im vorliegenden Fall ...«

»François ...!« warnte der Kirchenrendant. Seine braunen Pupillen hellten sich auf und stachen schon wieder wie scharfe Messerchen.

»Schwager, ich kann mir nicht helfen ...«

»Niemals!«

Das knatterte wie ein Flintenschuß.

Der niederrheinische Caballero streckte die Hand aus. Das steifgestärkte Röllchen schoß mit und wäre zweifellos der braven Frau Kürliß an den Kopf geflogen, hätte es ein scharfes Fingertrillern nicht in den Ärmel verwiesen. Dabei lachte der Inhaber so höhnisch und kurz auf wie ein Gespenst an der Kirchhofsmauer.

»Das sollte mir fehlen! Das wäre schon das richtige Wasser auf die vornehme Mühle derer von Klotz! – Hahaha! – Mein Sohn, mein einziger Sohn, das köstliche Überbleibsel meiner seligen Gattin, dieser Streber und Denker, dieser Forscher und Kunstmensch könnte es über sich bringen, derartige bürgerliche Ambitionen zu hegen?! Utopisch – lachhaft – wirklich rein lachhaft! – Schön!« – und über das ausgemergelte Gesicht des Erregten lief ein satanisches Lächeln – »genügt es ihm, dem Mädel lediglich eine Trommel über die bürgerliche Schürze zu hängen ...«

Madam Kürlitz machte das Zeichen des heiligen Kreuzes: »Um Gott, Herr Baron ...!«

»Mir soll es egal sein!« klang es ihr schartig entgegen. »Aber ehelichen – ein gemeinsames Bett mit ihr teilen – blaues Blut verwässern zu lassen ...?! Lieber 'nen handfesten Mühlstein an das Wappen derer von Klotz, um es in die Tiefe des Rheines zu senken. Niemals! – Das bin ich meinem Geschlecht und meinem großen Vorfahren schuldig.«

Er schwieg. Keine Bewegung mehr. Nur der große Vorfahre wurde geehrt durch eine Lüftung des Zylinders.

Madam Kürliß drückte sich verängstigt hinter die Anrichte. Herr Türlütt jedoch wagte die peinliche Stille zu brechen.

»Ich möchte bemerken,« sagte er ruhig, »die Douwermanns sind doch auch nicht so ohne.«

»Was heißt das: ›sind auch nicht so ohne‹?«

»Daß viele von ihnen zu den illustren Künstlern und Bilderschnitzern gehörten, und Fräulein Johanna diese Künstlerschaft als Erbe bekommen.«

»Künstler, Künstler ...!«

Der freiherrliche Kirchenrendant lachte verächtlich: »Mit solchem Speck werden keine Mäuse gefangen.«

»Schon richtig; aber was Heinrich Douwermann war, der hat vorzeiten schon mit dem hochseligen Herzog Johann von Kleve an ein und derselben Tafel gesessen, und das ist so gegen Anno fünfzehnhundert und so und so viel gewesen.«

»Als Künstler gesessen?«

»Als Künstler.«

»Wo steht das?«

»In den Regesten der Stadt.«

»Allerhand Achtung!«

»Und wenn nicht alles trügt, hat selbiger Heinrich auch den Schrein zu den Sieben Schmerzen Mariä verfertigt und solchen in Gegenwart desselbigen Herzogs der Stadt übergeben. Wenigstens wird solches vom Herrn Dechanten behauptet.«

»Vermutung!«

»Wenn auch Vermutung; aber der junge Herr Vogels ist barbarisch dabei, solches festzustellen und den Nachweis beispielsmäßig aus den städtischen Akten zu suchen. Gelingt's, dann fällt auch 'ne gewisse Nobilität auf die Familie Douwermann und damit auch auf das hiesige Kirchspiel.«

»Wenn auch,« hielt ihm der Alte entgegen. »Mir soll es egal sein! Sapristi! – ich pfeife auf alle Künstler und Künstlergenossen. Distanz, meine Herren! – Ist etwa ein Wappen vorhanden? – I prosit die Mahlzeit! – Hat einer von dieser Künstler- und Lehrergesellschaft die Revolution mitgemacht und die Göttin der Freiheit beschworen? – Nicht im entferntesten Traum. – Hat etwa die rote Madam irgendeinen Douwermann in den Nacken geküßt und ihm für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Kopf vor die Füße geworfen? – Na, François, ich bitte um Antwort.«

Herr Türlütt zuckte die Achseln.

»Dann sind hiermit die freiherrlich von Klotzschen Akten geschlossen. Wir gehen zur Tagesordnung über, um am zehnten November den großen Tag zu begehen. Der ist mächtig mit Genius und Erinnerung behaftet. Vive la république! Vive la montagne! – François, los denn dafür!«

Und da trieben die fetten und mageren Jahre in das lichte Schneegestöber hinaus und dem Portal der Sankt Nikolaikirche entgegen ... und in der Dämmerung der gegurteten Halle, da hob es sich auf, da stand es in seiner köstlichen Einheit, das Wunderwerk eines niederrheinischen Schnitzmessers: der Altar zu den Sieben Schmerzen Maria.


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