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Es war nur ein niedriges, langgestrecktes Häuschen, das vor dem Tor lag, unmittelbar am Ausgang der Stadt, und sich nicht weit vom Ravelin hinter kurz verschnittenen Bäumen versteckt hielt. Sieben platte Linden auf Reihe! Jetzt kahl und nüchtern, und das Häuschen selber ... gummiartig ausgezogen, hatte es karminfarbige Läden, Fenster mit purpurroten Vorsetzern, und die Pfannen hingen so tief, daß ein erwachsener Mensch sie mit den Fingerspitzen berühren konnte. Es war ein Riese und doch ein Gnom unter den zunächstliegenden Gebäulichkeiten. Man konnte sich des Schmunzelns nicht erwehren, wenn man vorbeikam, so putzig sah es aus, so steif und geschwollen, daß man unwillkürlich den Kopf schütteln und sagen mußte: »Komisch, sehr komisch!« – und wenn man dann noch die Klingel in Bewegung setzte, dann schellte sie nicht, nein, dann quiekste sie wie 'ne Porkshiresau oder rasselte wie ein altes Waffeleisen oder stieß ein Gelächter aus, wie es die Ärzte, Pfleger und Pflegerinnen in einem Irrenhause vernehmen. Unwillkürlich zog man dann die Hand von dem blankgeputzten Messinggriff, ging schnell seines Weges und freute sich im stillen, daß man nicht einzukehren brauchte.
Unter dem Messinggriff befand sich ein Schildchen von Weißmetall, oval geschnitten und ebenso sauber gehalten wie alles, was mit diesem kuriosen Anwesen zusammenhing. Auf diesem Schildchen stand eingraviert: »Anatole Baron von Klotz, Kirchenrendant und emeritierter Steuerempfänger,« gekrönt von einer Jakobinermütze, die aus einer siebenzackigen Krone herauswuchs und von je einer Pike flankiert war.
Nein, diese Schelle! – und wie sie auch lamentieren, rasseln und quieksen mag, wir nehmen uns dennoch ein Herz, greifen zu und setzen den Draht in Bewegung. Herr Jesus, dieses infame Gewimmer! Der Ton verstärkt sich, als wenn er einen Resonanzboden unter den Füßen hätte, gellt durch die engbrüstigen Korridore und meckert schließlich in die Küche hinein, wo die Haushälterin eben dabei ist, einen saftigen Hasenrücken zu spicken. Eilfertig legt sie Speck und Nadel beiseite. Dann hurtige Schritte, die Tür öffnet sich vorsichtig, und Stina Birgels, vom Herrn Baron nur Charlotte Corday genannt, erscheint auf der Schwelle. Auch ein drolliges Fraumensch! – genau so drollig wie alles, was in diesem merkwürdigen Haushalt lebt und atmet, in den Ecken herumsteht, im Ofen plaudert, aus den Glasservanten sieht oder von den Wänden herabschildert. Als eine Kurze, Gedrungene präsentiert sie sich, mit roggenstrohblonden, straffgescheitelten Haaren, weichen, feuchten Händen und einem stattlichen Busen, der sich mit einer getüpfelten Kattunbluse umschleiert. In dem appetitlichen Gesicht leuchten die runden Augen gleich angeschwitzten Maronen. Ihre spitze Zunge kennt keine Ruhe, ist stetig mobil und leckt die frischen Lippen, wie die Katzen sich lecken. Stina Birgels, in dem benachbarten Wissel daheim, steht seit fünfzehn Jahren im Dienst der Familie von Klotz. Sie hat viel geliebt, und ihr mußte viel vergeben werden. Im übrigen sieht sie auf Sitte und Anstand, besucht täglich die Messe, hält gewissenhaft ihre österliche Zeit, steht mit der Köchin im Pastorat auf du und du und wirbelt allmorgens die Bettposen ihres Herrn so liebevoll durcheinander, als müsse sie ihm jetzt schon eine paradiesische Schlafstätte bereiten. Obgleich zuweilen kriegerisch gestimmt und mit den französischen Revolutionsideen vertraut, zählt sie doch zu den frommen Jungfrauen der ›Ewigen Anbetung‹, und gedenkt sie ihres frühern Lebens und der kleinen Geschichten im hohen Kornfeld, die eigentlich gegen die Gebote der Keuschheit verstießen, dann feuchtet sie ihre Lippen mit dem spitzen Züngelchen an und betet glaubenskräftig herunter: »Und wären eure Sünden so rot wie Scharlach, schließlich werden sie doch weißer gewaschen sein als Schnee der aus dem Himmelreich niedergleitet ...«
Ja, Stina Birgels, gemeinhin Charlotte Corday geheißen, zählte schon zu den putzigen Wesen.
»Ist der Herr Baron zu Hause?«
»Well, Mynheer.«
»Und ist er zu sprechen?«
»Auch dieses, Mynheer.« Bedächtig gleitet sie vor, dreht sich nach rechts, legt ihre gallertartigen Wurstfinger auf die Klinke und drückt geräuschlos das Schloß auf.
»Ich bitte – angtree!«
Auf der Türfüllung steht in goldenen Lettern geschrieben: »Vive la montagne!« –
Das Allerheiligste des Herrn Kirchenrendanten und emeritierten Steuerempfängers umfaßte eine ganz absonderliche Welt für sich, war erfüllt mit Grotesken, obgleich das Mobiliar nicht von dem landläufigen abwich und die Gardinen so nüchtern und blütenweiß vor den niedrigen Fenstern hingen, wie sie es auch beim Herrn Pastor und bei Arnt Douwermann taten. An allen Ecken und Enden die niederrheinische Ordnung und Sauberkeit, das Exakte eines gängigen Uhrwerks. Nirgends ein Stäubchen. Die Dielen gewichst und gebohnert. Stühle und Sofa aus hellem Kirschbaumholz, mit purpurrotem Fries überzogen. Die Glasservante alltäglich, wie in den andern Bürgerhäusern. Auf den Korbsesseln die üblichen Schoner und Schlummerrollen, bestickt mit buntfarbigen Perlen ... aber dann weiter! Aus schmalen Goldleisten sahen die Schreckensmänner der französischen Revolution von den Wänden herunter: Chaumette, Hébert, Danton, Momoro, Robespierre; daneben ein Kupferstich, auf dem ein Königskopf von den Brettern stolperte. Herr Gott, ja – die Metze Paris machte schon gründliche Arbeit! Von einem weitern Bild grinste das ›rasoir national‹, die furchtbare Tochter Guillotins, in das seltsame Zimmer. Ihr zur Seite die ›rote Eminenz', der größte Revoluzer aller Zeiten und Völker; ferner der Graf Mercy-Argenteau, › le vieux renard‹, der Staatsanwalt Fouquier-Tinville, Gannay, der Perückenmacher, Trinchard, der Tischler, Grenier-Trey, der Blutmensch mit Schere und Zwirn – Gevatter Schneider und Handschuhmacher – alle die Männer, die Marie Antoinette auf den einspännigen Karren setzten, um sie dem Citoyen Samson in die Arme zu führen. Ringsum die Herrschaft des Schreckens, Szenen aus den ›Vorhallen des Todes‹, dem Temple, den Madelonnettes und dem Gefängnis Sainte-Pelagie ... und dort über dem Sofa! – Da hing sie, von einem vergilbten Lorbeerkranz umrahmt, sie, die Silhouette des großen Anacharsis von Klotz, der › Orateur du genre humain‹, der Pontifex maximus des Vernunftkultes, der Inthronisator der gewaltigen Göttin, zuerst verkörpert durch die schöne Demoiselle Maillard in der Kathedrale von Paris, als am zehnten November des Jahres 1793 der nackte Wahnwitz seine scheußlichsten Saturnalien feierte und Robespierre die Worte prägte: » Le peuple français renonnaît l'existence de l'Etre suprême de l'immortalité de l'âme.« Diese entsetzlichen Dinge und Erinnerungen, diese Purzelbäume aus mohnroten Tagen, wie sie die Seele bedrängten! Diese Andenken! – sie gemahnten an Klub und Konvent, an das Revolutionstribunal, an die Conciergerie – › cette vaste antichambre de la mort‹ – an Anacharsis von Klotz, und selbst bis in die Glasservante hinein hatten sie ihren Weg gefunden. Säuberlich hatte der Enkel die Überbleibsel des Großvaters auf Reihe gelegt: die Tabatière, den Zweispitz, die Berlocke und die seidene Weste, die er auf seinem letzten Gange getragen ... und schließlich ein kleines Pastell der Maillard, so wie sie aussah, als sie sich zuerst dem › Peuple Dieu‹ präsentierte. Liberté, égalité, fraternité ou Ia mort! – und heute war der Vorabend dieses furchtbaren Tages.
Die Läden waren vorgelegt, die alte Moderateurlampe zirpte und näselte durch ihren Glaszylinder, während draußen die Kälte sich mausig machte und ihren spitzen Odem durch die Schlüssellöcher hineinblies. Sie war noch bissiger geworden, als sie vor einigen Tagen gewesen war.
Die Hände in den Hosentaschen vergraben, das glattrasierte Gesicht steif zwischen den Vatermördern, die etwas angefransten Hosen auf den Stiefeln gestaucht, also schritt Anatole von Klotz über den gemusterten Binsenteppich, der die Dielen halbwegs bedeckte. Plötzlich senkte er das Kinn tiefer und gnetterte einige Worte zwischen den Kiefern, als wenn er, sich allein fühlend, ein Selbstgespräch hielte.
Aber er war nicht allein in der Stube.
Jemand war bei ihm. Mit gestreckten Beinen, eine landfremde Virginia zwischen den gesunden Zähnen wippend, saß ein stattlicher Mann, der die dreißiger erreicht haben mochte, neben dem Glasschrank und stieß von Zeit zu Zeit bläuliche Wölkchen zur Decke. Dabei gespensterte das Zigarrenende wie ein Glühwürmchen durch die Dämmerhelle, immer auf und ab, hin und wieder, unruhig wie ein fahriges Gewissen.
Das Gesicht des Fremden, gleichsam aus Bronze gegossen, leicht olivenfarbig überhaucht, wäre männlichschön und bedeutsam gewesen, hätte man das Spöttische um die Mundecken und den scharfen Glanz der Augen fortnehmen können. Die Blicke zergliederten, gingen in die Tiefe hinein, ähnelten Falkenlichtern und waren imstande, die innern und äußern Reize des Weibes skrupellos zu entkleiden ... und diese energischen Augen ließen den in monotoner Regelmäßigkeit Auf- und Abschreitenden nicht außer Obacht.
Dieses stetige Einerlei in Verbindung mit dem verwaschenen Murren und Knurren des alten Herrn interessierte ihn sichtlich und veranlaßte ihn, bei jedem Schritt ein scharfumrissenes Wölkchen aufwärts zu paffen.
So ging es mehrere Sekunden und Minuten hindurch, als Anatole plötzlich den Fuß anhielt, sich vor den jungen Mann aufpflanzte und die in den Hosentaschen verstauten Hände mit einem kurzen Ruck frei machte und in die Seiten stemmte.
Dann krähte er los: »Nochmals gesagt: Votre serviteur, monsieur André. Herzlichst willkommen! Aber offen gestanden: ich hatte dich erst um Weihnachten erwartet. Weißt du: heilige Nacht – vergoldete Apfel und Nüsse – Spieldose – Lamettastreifen – Christbaum und so ...«
»Das seh' ich,« versetzte André von Klotz und wies auf eine junge Fichte, die aus einer dunkeln Ecke hervorsah und eine knallrote Mütze aufgesetzt hatte. »Etwas vorzeitig zwar, aber da steht schon das Bäumchen.«
Der Alte meckerte vergnügt vor sich hin, fingerte aus seiner Rocktasche eine Schnupftabaksdose aus Ebenholz, die mit einem Sarg › en miniature‹ eine verteufelte Ähnlichkeit hatte, entnahm ihr eine Prise Spaniol, schnupfte und ließ die Dose wieder verschwinden.
»Bäumchen hin, Bäumchen her!« meinte er lustig. »Alles schon richtig, und doch nicht richtig, mein Junge. Doch später hierüber. Vorderhand möchte ich wissen, wie es dir möglich wurde, mir so unversehens unter die Sparren zu trudeln. Selbstverständlich, hochwillkommen, mein Junge!«
»Nichts einfacher als das,« entgegnete André, brannte sich eine neue Virginia an und schlenkerte das eine Bein über das andere. »Wir sind eben geplagte Menschen, wir Kunsthistoriker. Katheder, Galerien, Forschungen, Kongresse – alles kunterbunt durcheinander. Wie in einem Kaleidoskop, so schachteln sich bei uns die Dinge zusammen. Und so kam es denn auch ... Gestern tagte eine wichtige Sitzung im Wallraf-Richartz-Museum. Altkölnische Schule. Meister Wilhelm und so was. Vergilbte Scharteken. hatte das Referat. Hob die Renaissance auf den Schild. Schnitt glänzend ab und machte, um mich selber zu lohnen, einen Abstecher in die engere Heimat. Na, was sagst du dazu? Doch einfach großartig, und statt um Weihnachten, sitze ich schon jetzt zwischen deinen vier Pfählen.«
» Tant mieux!« triumphierte der Alte und stach mit seinen zirkelrunden, nußbraunen Augen in die dämmerigen Fichtennadeln hinein, als wenn sie dort einige Kerzchen anstecken sollten. »Keine Frage: 'ne ingeniöse Idee. Da bist du mehr als gelegen gekommen.«
»Wieso – ›mehr als gelegen gekommen‹?«
»Herrgott! morgen ist doch der zehnte November.«
»Na, und ...?«
»Herzensjunge ...! Aber ich bitte dich, André!«
»Und da glaubst du, ich wäre des zehnten Novembers wegen, ausgerechnet dieses Tages wegen, von Heidelberg nach Köln und von Köln bis unter diese Pfannen gesegelt? Gott bewahre, alter Herr! Du mußt mich schon in 'ne feinere Klasse versetzen; denn nur du allein bist Trumpf in der Karte gewesen, sonst – ich wäre schnurstracks vom Rhein in den Neckar geschwommen.«
»So!«
»Aber natürlich.«
»Danke.«
Anatole nahm seinen Rundgang von neuem auf, nur energischer, mit schärferm Nachdruck, ähnlich wie es die eingekäfigten Raubtiere tun, wenn sie an den Eisenstäben ihres Gefängnisses vorbeidefilieren, bis er sich wieder säulengerecht aufbaute, den Gänsehals vorschob und sagte: »Merci! Sehr obligiert, Monsieur André; aber was wichtiger ist ... denke an den großen Anacharsis von Klotz. Morgen ist sein Jubeltag, morgen leuchtet das revolutionäre Feuer von der Opferstätte herunter, morgen« – und er deutete auf Fichte und Jakobinermütze – »morgen wird der Freiheitsbaum errichtet, wird das Fest der ›Déesse de la Raison‹ gefeiert ... und diesen Tag konntest du vergessen, mein Junge?«
»Ach so!« machte André und schlug mit der Zunge eine künstliche Volte, wobei er die Virginia vom rechten Mundwinkel in den linken spedierte.
»Na, endlich!« atmete Anatole auf. »Endlich ist dir die Erkenntnis gekommen. André« – und er streckte die Hand aus, und zwar so gesinnungstüchtig, daß das blaugestärkte Röllchen unzweifelhaft wie ein Wachtelhahn abgeschwirrt wäre, hätte nicht eine geschickte Fingerbewegung es wieder in die Ärmelstauche befördert – »André, wir wissen ja alle, was der große Bonaparte in seinem Code dekretierte. Er sagte: La recherche de la paternité est interdite. Aber nicht immer. Es gibt Ausnahmen, André. Fm vorliegenden Falle hat das Gesetz keine Geltung. Unter keiner Bedingung. Die Vaterschaft des bravsten aller Citoyens ist Gemeingut für alle, ist unter Glas zu behüten, wenn auch leider ihr Träger den ›Nasenstüber auf den Nacken‹ – ›chiquenaude sur le cou‹ – einstecken mußte. Sapristi! Der Erzeuger der Göttin der Vernunft darf nicht wie ein Kapaun abgetan werden. Sein Name muß leuchten, glänzen, wie die Tafeln Mose auf dem Berge Horeb erstrahlten. Muß brillieren durch die Jahre hindurch, durch die Jahrhunderte hindurch, unvergänglich und ewig ... ein bengalisches Farbenspiel ... eine Ampel des Herrn ... Großartig, was?!«
»Hm!« sagte André, besah den glimmenden Stengel und schnippte die Asche über den Teppich. »Ich ersehe daraus, du gedenkst diesen Tag in deiner üblichen Art zu begehen?«
»Selbstverständlich, mein Junge.«
»Und hast schon geladen?«
»Auch das.«
»Und wer ist gebeten?«
»In erster Linie der Dechant, Seine Hochwürden Herr Petrikettenfeier ten Hompel.«
»Und kommt?«
»Er gibt sich die Ehre.«
»Wen darf ich weiter begrüßen?«
»Herrn Bollig.«
»Ach, der! Was ist das doch für 'ne Geschichte mit Ohm Jakob gewesen? Mir schwant so etwas von Spiegeln, gepuderten Weibern und ähnlichen Chosen.«
Anatole überhörte die Frage und zählte an den Fingern herunter: »Als dritter François Türlütt.«
André lachte: »Sieh mal an, der abgebrochene Riese, der Pomeranzen- und Punschmann!«
In den kreisrunden Augen des alten Herrn zuckten zwei blanke Messerchen auf.
»Wenn ich bitten darf, keine Anzüglichkeiten, André« sagte er rissig. »Er ist immer dein Onkel, der Mann meiner Schwester, der schönen Célestine, gewesen. Und Célestine war ein Enkelkind des großen Anacharsis aus dem freiherrlichen Hause derer von Klotz, hast du etwas gegen Herrn Türlütt?«
»Nicht das geringste, nur habe ich immer so 'nen Schnaps- und Fuselduft unter der Nase, wenn dieser Pottwal das Sauglöckchen läutet.«
»André, ich muß mir energisch verbitten ... Ohm François hat schon seine großen Meriten, sowohl in sozialer wie in kirchlicher Hinsicht, ist Präsident der Bruderschaft Unserer Lieben Frau, hat mit den ihm überwiesenen Talenten christkatholisch gewuchert und das Seine zusammengehobelt. Er stinkt, sozusagen, nach preußischen Talern, ist in jeder Weise gentil – nie dagewesen – erhaben ... Ohne dieses wäre dein Studieren einfach unmöglich gewesen. Also – ich bitte.«
»Ich armer, sündiger Mensch bekenne vor Gott und meinem Gewissen ...«
»Spotte nicht, André!«
»Fällt mir nicht ein,« wehrte der junge Mann ab. »Im Gegenteil, ich freue mich innigst und werde ihn in pflichtschuldigster Weise begrüßen. Ist noch sonst wer gebeten?«
»So! – also auch das Rotspongesicht mit der weißen Perücke?! Warte mal, alter Herr! Er ist doch derselbe, dessen Stiefel immer wie leere Sardinenschachteln krachen und knarren, der Apotheker vom Markt, derselbe, der die Karnickelzucht hat und jedesmal 'ne diabolische Freude empfindet, wenn Rammler und Häsin dabei sind, dem Karnickelstorch Arbeit zu geben?«
Anatole muffelte grindig.
»Allerdings,« sagte er kleinlaut, »aber du mußt immer bedenken: Herr Remmelmann ist nicht nur Apotheker allein, sondern auch Naturforscher, Beobachter und als solcher bestrebt, dem Mysterium der tierischen Liebe näher zu kommen.«
»Auch eine Lebensaufgabe!«
»Mein Gott! Es ist schon alles eins. Es gibt solche Menschen und solche.«
»Kein Zweifel,« bestätigte der junge Baron mit einem tiefen Seufzer und flitzte zum andern einen feinen Aschenkegel über den Teppich, »und mit diesem Herrn Remmelmann wäre wohl die hochlöbliche Korona beisammen?«
»I Gott bewahre! Die Hauptsache kommt noch.«
»Also kommt noch? Allerhand Achtung! Ein prächtiges Fest l – und dabei wird wohl unter Absingung der Marseillaise und zur Feier der Göttin Natur die Carmagnole getanzt, so ähnlich, wie es die Konskribierten in der Conciergerie und im Temple im Handgelenk hatten – Chapeau claque und mit allen Schikanen? Kostenpunkt Nebensache. Ohm François bezahlt's ja. Aber was gibt's denn? Ich meine: was soll aufgetischt werden?«
Der alte Herr schnalzte und drehte die Augen zur Decke.
»Süperb!« sagte er nach einigem Besinnen, indem er Zeigefinger und Daumen graziös zusammenstellte und die Lippen spitzte. »Nobel wie immer; André, wir Klotze wissen schon Feste zu geben, Revolutionsfeste, dem großen Anacharsis zu Ehren,« und damit, steif wie ein Storch zwischen Erbsenrabatten, den Marabukopf pielgerade in die Höhe gerichtet, ging er der Klingelschnur zu und setzte den aus derben Glasperlen zusammengestellten Strang in Bewegung.
Auch hier dasselbe impertinente, nichtswürdige, abscheuliche Bimmeln: ein Quieksen und Wimmern und dann wieder das harte, metallene Lachen, und als es ausgetönt und sich in alle Ecken zerknüllt hatte, trat Stina Birgels mit blankem Lächeln ins Zimmer.
»Mynheer Baron ...!«
Ergeben und mit umschleierten Maronenaugen legte sie je eine Hand auf einen ihrer weiblichen Hügel.
»Charlotte,« meinte der Alte, »mein Sohn möchte wissen, was morgen zum Revolutionsfest serviert wird.«
»Piekfein!« entgegnete Stina. »Um es kurz zu sagen, Mynheer, wir benehmen uns zuerst mit Schellrippchen und roten Karotten.«
»Also rot muß dabei sein?« vergnügte sich André.
»Rot,« konstatierte der Alte. »Und hierauf, Charlotte?«
»Um es weiter zu sagen, dann Gänsebraten mit Rotkohl.«
»Also Rotkohl, nicht Weißkohl?«
»Rotkohl,« stellte der Alte nachdrücklich fest. »Schon der Jakobinermütze zu Ehren. Und ferner, Charlotte?«
»Um auch dieses zu sagen, Mynheer, dann Grützauflauf mit Johannisbeersauce.«
»Von weißen oder roten?«
»Von roten, Mynheer.«
»Also zum drittenmal rot,« sagte der Doktor.
»Rot,« nickte der Alte und machte den Gänsehals länger.
»Ausgezeichnet!« schmunzelte André. »Fehlt nur noch der Kardinal de la mer.«
»Leider nicht zu haben gewesen.«
»Tut nichts. Und welche Getränke, Charlotte?«
»Um es einfach zu sagen, Mynheer, das schlägt nicht in meine Ressource. Das ist dem Herrn Baron seine Sache.«
»Burgunder und Rotspon,« entgegnete dieser. »Anschließend daran noch ein Pünschchen, um Ohm François zu seinem Recht zu verhelfen.«
»Ende rot, alles rot,« griemelte André. »Da wird es einem ja blutrot vor Augen und blutrot im Magen.«
»Rot,« konstatierte der Alte, »wie es der Tag und die heilige Sache gebieten. Ich danke, Charlotte.«
»Keine Ursach', Herr Baron,« sagte Stina, knickste und trug sich und ihren Seelenwärmer wieder in den engbrüstigen Hausflur.
Mit melancholischem Seufzer schob sich die Tür nach.
»Was sagst du nun?« fragte der emeritierte Steuerempfänger und knöpfte forsch seinen Rock zu. »'ne lukullische Eruption! Bin ich des großen Anacharsis nicht würdig?«
Seine Augen brannten wie Strontianfeuer.
»Ich bin platt,« sagte André, »einfach erschlagen.«
»Magnifik, gefühlvoll – was?!«
»Ganz meine Ansicht. Das ist ja, um vor lauter Pläsier einen Salto mortale zu mimen. Aber nun sage mir mal, wie kommen denn diese, im großen und ganzen preußisch denkenden Männer dazu, mit dir so'n antiquiertes Revolutiönchen zu feiern?«
»Warum? – Aus Tradition, aus purem Respekt mir gegenüber ... Allons, enfants de la patrie! – Wir sind alle Kinder desselben Gedankens, der Mutter Natur, der erzeugenden Gottheit. In mir verkörpert sich die Idee des gewaltigen Mannes, der sich Citoyen Anacharsis nannte. Das wissen und estimieren die Leute.«
»Gratuliere, und schließlich, um wieder auf den besagten Hammel zu kommen ... Du sagtest doch selber: die Hauptsache fehlt noch. Na also! wer wird denn noch weiter erwartet?«
»Dirk Vogels.«
»Der Lehrer?«
»Was hat dich denn hierzu bewogen? Steißtrommler, kleiner Beamter ...«
»Sapperlot! Da muß ich aber Einspruch erheben. André, Distanz! Der Mann ist geachtet – ingeniöser Kopf – hat seine Meriten– ist Urkundenmensch und Regestenforscher – und schließlich: wenn Herr Douwermann das Fest beehrt, darf Herr Vogels nicht unter den Tisch fallen. Fertig! Die Chose war nicht anders zu machen.«
Der alte Herr schlug einen energischen Lufthieb, so daß die rechte Manschette auf und davon wollte. Sie kam nicht weit. Trillernd schlüpfte sie wieder in ihre enge Behausung.
»Nein, André, es war nicht anders zu machen, absolut nicht anders zu machen.«
»Auch eine Logik!«
»Aber die richtige; denn sieh mal, mein Junge ...« und Anatole steifte sich hoch, brachte seine Sargdose wieder zum Vorschein, klappte sie auf und tunkte Daumen und Zeigefinger in den köstlichen Spaniol, um diesen in die Nase zu führen. Tat's aber vorläufig nicht, sondern ... in der Linken die Dose, in der Rechten die Prise, die Blicke fest auf André gerichtet, hielt er den noch zu erwartenden Genuß in einer gewissen Reserve und sprach wie ein Kathederdozent: »Denn sieh mal, mein Junge ... Der kundige Thebaner hantiert mit Katzenpfötchen, um in diesem sogenannten Chassé-croisé einer wirbelsinnigen Kleinstadt nicht dem einen oder dem andern an den Karren zu fahren. Herr Vogels ist nicht zu umgehen, schon wegen Fräulein Douwermann nicht. Erst recht nicht der Alte. Warum nicht? Er zählt zu den Notabeln des hiesigen Kirchspiels, hat 'nen großen Stein bei Hochwürden im Brett, besitzt eine gewisse Ambition, und die letzten Ereignisse ... Sapristi! die sind nicht so ohne gewesen.«
»Wie so nicht?«
»André,« fuhr der Alte unbeirrt fort, »man soll Verbrieftem nicht in die Parade fahren, darf keine Vogelstraußpolitik treiben, sondern: man hat die Zähne zusammen zu beißen und herzhaft zu glauben. Du hältst es nicht für möglich, aber es ist so: Herr Douwermann nahm sich das Recht, den großen Bildner und Schnitzer in seinem Stammbaum neu zu vergolden. Eine umstrittene Arbeit von diesem ...«
»So hieß es schon früher.«
»Ist aber heute bewiesen.«
Der Kunsthistoriker merkte auf.
»Bewiesen? Durch wen denn bewiesen?«
»Durch eben diesen Dirk Vogels. Die alten städtischen Rechnungen und Akten bezeugten es: der Schrein zu den Sieben Schmerzen Mariä ist das Werk Meister Heinrichs. Das ist beglaubigt, und da besagter Schrein schadhaft geworden und Eile geboten erschien, so haben wir, der Kirchenvorstand hiesiger Pfarre, als da sind der hochwürdige Herr Dechant, François Türlütt und meine Wenigkeit, einstimmig beschlossen, fragliche subtile und künstlerische Arbeit in die Hände der Nachfahrin des besagten Künstlers zu legen. Auch die neue Pieta ...«
»Nanu ...!«
André fuhr hoch.
»Das muß man ändern,« sagte er heftig.
»Unmöglich! Punktum, streu Sand drauf,« versetzte der Kirchenrendant mit aller Bestimmtheit, warf sich den präparierten Spaniol in die Nase, klappte die Dose mit einem herzhaften Knall zu und brachte sie wieder fingerfertig an Ort. »Sapperlot noch einmal, was muß man denn ändern?!«
»Mit einem Wort: euern ganzen Areopag,« entgegnete André und nahm nun seinerseits den energischen Schritt an, den kurz vorher sein Vater innegehalten hatte. »Herrgott nochmal! – mir ist von alle dem so dumm ... Das ist ja gar nicht auszudenken, die Sache. Dieses kleinstädtische Chaos! Dieser Sturm im Wasserglas! Diese Krähwinkelei! Erst die Geschichte mit Dirk Vogels und Fräulein Johanna, dann der neue Schmuck im Stammbaum, der die Familie Douwermann durcheinander zu rütteln scheint wie ein Spiel Karten und schließlich: Fräulein Johanna Arm in Arm mit ihrem steifleinenen Vorfahr und Herrgottsschnitzer aus Olimszeiten... Das geht nun mal nicht, das ist einfach utopisch, mit andern Worten: so gut wie erledigt.«
Die Flügel seiner feingeschnittenen Nase vibrierten.
»Aber ich ersuche dich, Andre ... Du bist doch früher entgegengesetzter Ansicht gewesen, hast diesen Künstler gefeiert.«
Der Kopf des Auf- und Abschreitenden ruckte empor.
»Gefeiert? – niemals!« sprang es ihm hart von den Lippen. »Doch verstehe mich richtig. An seinen Qualitäten bin ich nicht achtlos vorüber gegangen. Im Gegenteil – habe sie vielfach gewürdigt. Krittelei lag mir fern. Nur – er war ein Mann seiner Zeit, kam nicht aus seinem nordischen Dusel heraus, blieb in der starren Gotik befangen, verbosselte christkatholisches Holz, modellierte Weiber mit Kielkröpfen und Bäuchen, die sie wie stumme Diener oder als Ruhekissen für ihre Hände benutzten, wenn ich auch zugeben will, daß sich hin und wieder bei ihm die Pulse des wirklichen Lebens bemerkbar machten. Aber nur leise, nur andeutungsweise ... Und da soll Fräulein Johanna, diese Kraftnatur mit den ehernen Schwingen ... Einfach unmöglich. Es ist doch ein Unding, ein aussichtsloses Geschäft, einen niederländischen Schwermüter mit einer feurigen Renaissancestute zusammen zu schirren. Bei einem solchen Verfahren gehen Zaum und Zügel, Stricke und Stränge zum Teufel.«
»Ansichtssache, mein Junge! Auch ich wurde belehrt. Jedenfalls vertritt seine Hochwürden, vertritt Herr Petrikettenfeier ten Hompel einen ganz andern Standpunkt.«
»Zugegeben, aber das sagt nichts und hat absolut keine Beweiskraft. Er trägt die Fahne der Indolenz, der › Saison morte‹, ich die des Fortschritts. Ihm genügt die Sakristei, mir wird die Welt fast zu enge. Er ist Theologe, ich Kunsthistoriker. Das dürfte hinreichen, meine Behauptung zukunftsicher in die Arena zu werfen. Qui vivra, verra. Er begreift und umfaßt nicht die Kunst dieser Titanin. Sie hat mit dem ausgegrabenen Meister nicht das geringste zu schaffen. Sie berühren sich gar nicht. Heinrich Douwermann konnte nicht durch den Riß seiner Nebelmauer hindurch. Fräulein Johanna hingegen – sie kann es. In der gärt's wie in einem brausenden Tobel. Sie muß aus der Enge heraus, muß das Dumpfe, das Befangene, das ihr noch anklebt, wie Bettlergelumpe von sich streifen. Sonst verkümmert sie elend, trotz ihres bedeutsamen Könnens. Ich hab's ihr schon im verflossenen Sommer gepredigt und auf die Seele gebunden. Ihre Flügel müssen klingen und klirren im Sonnenlicht der Früh- und Hochrenaissance. Donatello, Michelangelo, Leonardo da Vinci, das sind ihre Kerle, ihre Vorbilder. Mit ihnen vereint, wird ihre Kunst zu einer rauschenden Schönheit, die die Berechtigung hat, den Olymp zu besteigen. Ich habe gesprochen. Kein Wort mehr; denn ich folge der Weisung: Qui nimium probat, nihil probat ... Aber noch eins: du sagtest soeben ... Verflucht! – was ist denn das für 'ne Sache mit dem jungen Lehrer und – ihr ...? Dieses potenzierte Seelenleben, dieses Genie, diese verkörperte Urkraft, kurz – dieses Weib, bestimmt, nur einen seinesgleichen in die Arme zu schließen und an die junge Brust zu reißen...«
»André ...!«
»Ach was ...! Wie kann so'n obskurer Schulmagister, so'n Bakelschwinger es wagen ...«
Herrisch hielt er den Fuß an und stellte sich seinem Vater gerade gegenüber. »Jedenfalls, so etwas Ähnliches hast du mir doch soeben andeuten wollen ...«
»André ...!«
Energisch hatte der Alte die Hand seines Sohnes ergriffen: »Wie kommst du mir vor? Was hast du mit der Kraft, mit der Unbändigkeit dieses Weibes zu schaffen? Mir ist schon so'n niederträchtiges Gebimmel davon in die Ohren geschlagen ... André, die Familie ist gut – nichts dagegen zu sagen – vornehmlich jetzt nicht, wo sie in den höhern Turnus gekommen... aber du – parbleu, monsieur André! – du bist aus dem freiherrlichen Geschlecht derer von Klotz, ein Urenkel Anachartis' des Großen, und daher ... Du willst mir doch die Schande nicht antun, die Lebenskerze nicht auspusten, meinen stolzen Namen nicht wie 'ne verluderte Krähe begraben! Es wäre hirnlos, lachhaft – wirklich rein lachhaft. Sacré nom de Dieu!«
Seine Stimme riß ab, sein Gänsehals kroch in sich zusammen. Dafür aber flog sein rechter Arm in die Höhe und mit ihm das Röllchen. Fidel schnurrte es los, dem Freiheitsbaum und der Jakobinermütze entgegen.
Anatole ließ schnurren, was schnurren wollte, machte seine Messerchen blank und sah seinem Sohn fest in die Augen.
»Alles, was du willst,« sagte er abgehackt, »nur das nicht. Nur das nicht, mein Junge! Jamais, niemals, unter keiner Bedingung. Sonst: ich wüßte mir nicht mehr zu helfen, würde veraasen. Meine Sonne ging unter.«
Seine Blicke umflorten sich.
»Alter Herr,« lenkte André sänftiglich ein, »nur keine Erregung, keine Mouvements. Die bekommen uns nicht. Machen wir halbpart. Begegnen wir uns auf einer neutralen Zone. Dann kann's nicht fehlschlagen. Ich lasse dir dein Revolutionsfest mit allen Schikanen, tue mit, werfe dir keinen Knüttel zwischen die Beine. Dafür wünsche ich nach eigener Fasson selig zu werden. Betreibt im Kirchenvorstand, was ihr wollt, pfropft die neue Kunst auf die alte – mir soll's egal sein, und darum keine Feindschaft. Nur laßt mir Fräulein Johanna in Ruhe! Das übrige ist meine Affäre. Aber Dirk Vogels« – und ein bitteres Lachen ertönte – »Mensch du, Hand von diesem Renaissanceweib ...! – Dies mein Glaubensbekenntnis, und nun« – und er legte den Arm in den seines Vaters – »wie wär's denn, wenn wir zwei beide bei 'nem Gläschen Punsch 'nen gemütlichen Abend verlebten, den Schrein zu den Sieben Schmerzen Maria vergäßen und des großen Anacharsis gedächten?! Doch immerhin ein Vorschlag zur Güte.«
Still war's in der Stube geworden.
Die Wogen der Erregung zerteilten sich langsam, ebbten zurück, waren wie mit Öl übergossen.
Auf den halbschattigen Gesichtern ruhte der Friede.
Die Züge des alten Herrn klärten sich auf.
» Serviteur, monsieur André!« sagte er lebhaft, ging zur Klingel, setzte sie in Bewegung und gebot, als Charlotte Corday erschien: »Zwei Gläser Punsch, aber den Punsch doppelt gemessen!«