Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7.

Menschen, welche sich starker Kräfte bewußt sind, scheitern zumeist in ihren Unternehmungen – wenn sie scheitern – an zwei Mängeln. Im Grunde ist es ein und derselbe Mangel: sie übersehen alle die Mittelglieder, alle die kleinen Verbindungen, welche sich zwischen Absicht und Ziel immer zahlreich vorfinden, sie schätzen die Menschen gering, welche nicht offenbar Hauptpersonen des beabsichtigten Interesses sind, kurz, sie haben nur das Hauptziel und die Hauptpersonen im Auge, sie setzen ihre Handlungen nicht künstlerisch zusammen. So kommen sie allerdings rascher und öfter ans Ziel, als der berechnende und umsichtige Mensch; aber am Ziele angekommen, sind sie machtlos, es fehlt ihnen der Nachdruck alles dessen, was um die Dinge und Menschen her liegt, sie erliegen angesichts des letzten Erfolges.

Stanislaus hatte eine Ahnung davon, daß man Held und Diplomat zugleich sein müsse, um das unmöglich Aussehende möglich und dauernd zu machen. Er nahm sich vor, jetzt, da all sein Trachten auf den Besitz Hedwigs gerichtet war, überallhin Verbindungen anzuknüpfen, nicht die geringsten Personen mehr für unwichtig zu halten. Als ob wir unser Naturell austauschen könnten, je nach dieser oder jener Verstandeseinsicht! Nun, aber doch ergänzen können wir's – bis auf einen gewissen Punkt; vielleicht wird dieser Punkt so weit abliegen von Bandomirs unwillkürlichem Drange, daß die Ergänzung hinreicht für den Sieg, den er sich vorgesteckt. Hedwig müsse sein Weib werden, das stand so fest in ihm wie der Polarstern, und wenn ein Heer zwischen ihm und seiner Geliebten schlagfertig gelagert wäre. Die abenteuerlichsten Pläne flogen wie Vögelschwärme zwitschernd und purrend durch seinen Sinn. Bald wollte er mit seinen kriegerisch eingeübten Leuten Ellern überfallen und Hedwig gewaltsam rauben – denn an eine Landespolizei dachte man in dem herrenlosen, weil herrenüberreichen Kurland zu allerletzt – bald wollte er sich verkleidet einschleichen und sie zur Flucht bewegen, bald wollte er sich tagelang in den Hinterhalt stellen, um sie von einem ihrer Spaziergänge zu entführen. Jedenfalls brauchte er zu irgend einer solchen Unternehmung geschickte Aufpasser, und brauchte, um nach ausgeführtem Streiche seine Beute vor ähnlichem Streiche zu sichern, ein möglichst befestigtes Brüggen. Deshalb, und weil ihm auch das Herz überging, und weil er vor dem erprobten alten Urban nichts zu verheimlichen brauchte, teilte er diesem in jener Nacht, als sie in der Gegend von Oknist den raschen Lauf ihrer Pferde hemmten, das Geheimnis mit und alle Absichten, welche er im Sinn herumwälzte. Urban seufzte. – »Was seufzest du?« –

»Der selige Herr Oberstwachtmeister wollte mit den Ellernschen in keiner Weise etwas zu schaffen haben!«

»Ich habe auch nichts für sie als Flintenschüsse und Klingenstreiche, ich will bloß meine Hedwig aus ihren Klauen retten.«

Darauf faßte Urban, als wohlgeschulter Soldat, zuerst den sichern Rückzug, die Befestigung von Brüggen, ins Auge, die Pläne über Entführung zunächst mit den Worten ablehnend: »Das findet sich, und das ist leichter.«

Die Befestigung eines kurischen Hofes ist aber darum nicht leicht, weil das dazu gehörige sogenannte Gesinde, aus Ställen, Vorratshäusern und dem Wohnhause des Gesindes bestehend, gewöhnlich breit auseinandergestreut ist, da man nirgends auf Bodenersparung ein Augenmerk richtet. So liegt neben dem Wohngebäude der Leute, aus dessen glaslosen Schiebefenstern meist ein dicker Rauch qualmt, ein Gebäude, welches »die Kleete« heißt, das wichtigste Vorratshaus, worin das ausgedroschene Korn, der Flachs und die Lebensmittel verwahrt werden, und wogegen alle Diebeseinbrüche gerichtet sind. Dann folgt das Fahlland, worin das Rindvieh und die Schafherde unter Dach und Fach gebracht ist. Der Pferdestall ist das nächste Gebäude, und erst in einiger Entfernung davon steht vereinzelt Badestube, Riege und Scheuer. In der Riege wird das Korn in einer eigenen Kammer, »Hilzriege« geheißen, abgedörrt und dann gedroschen und gereinigt. Alle diese Häuser in den Befestigungsplan aufzunehmen, war ein allzu schwieriges Unternehmen, und da deren Besetzung bei etwaigem Überfall im Grunde gleichgültig heißen konnte, das Brüggensche Herrenhaus auch in hinreichender Entfernung von diesem Gesinde lag, um von einer Besetzung desselben durch die Angreifer nicht gefährdet zu sein, so beschränkte Urban seinen Festungsplan auf dieses Herrenhaus. Es war ein einstöckiges hölzernes Gebäude, an dem ein Bach vorüber nach dem See hinabrieselte. Er wollte einen breiten Graben und hohen Damm um das Haus zustande bringen, das Wasser des Baches solle den Graben füllen, ein Tor von eisenbeschlagenen Eichenbohlen solle den Zugang von der Brücke schließen, und darin angebrachte Schießlöcher sollten den Sturm darauf vereiteln. Und für den Fall, daß alles dies von überlegener Macht bezwungen würde, hatte er noch vor, einen Fluchtgang unter dem Hause auszugraben – »das verstehen unsere Fuchsjäger, gnädiger Herr, und sobald wir nach Hause kommen, geh' ich ans Werk; nun können wir uns nach dem Angriff von unserer Seite umtun – da ist der Hemmo drüben im Gesinde ein guter Spion, und sein jüngerer Bruder, den damals die Chabelskyschen als einen Läufling mit fortgeschleppt, das ist einer der geschicktesten Letten, nicht so träge und stumpf wie die andern alle sind. –«

»Und Jakut müssen wir werben, Urban!«

»Jakut? – das ist bedenklich, gnädiger Herr, ich hab' ihn immer noch im Verdachte mit dem Säbel.«

»Was ist das?« – Die Reiter waren inmitten des Waldes zwischen Kasimirswahl und Lowiden, und sahen über eine Kieferdickung empor einzelne Feuer leuchten. Ohne auf Urbans Warnung zu achten, ritt Stanislaus darauf los und sah bald über die niedrige Waldung hinweg in ein Zigeunerbiwak hinein, wie es trotz aller Verordnungen des Landtags überall in Kurland zu finden war. Juden und Zigeuner wurden auf allen Landtagen des Landes verwiesen, waren aber immer zahlreich im Lande zu finden, da hier ein Kurländer dem Edikte gemäß sie verjagte, dort ein anderer des Ediktes lachte und sie gewähren ließ. – Die bunte ägyptische Gesellschaft schlief jetzt großenteils, nur eine Alte saß vor einem Kessel und rührte zuweilen mit einem Löffel darin umher. Ein Mädchen, als Knabe gekleidet, schlief mit dem Kopfe auf ihrem Schoße. Stanislaus kannte beide; er hatte der Alten ein Häuschen und Stückchen Landes im Brüggenschen Forste eingeräumt, weil sie ihn darum angesprochen, und weil er den Versuch machen wollte, diese nomadischen Menschen an feste Wohnsitze zu gewöhnen. Ärgerlich, daß er die Alte doch wieder vagabundieren sah, wollte er von dannen reiten, als die Hunde des Biwaks laut wurden, im Nu einen Aufstand zuwege gebracht und ihn mit Zigeunern umringt hatten. »Seid demütig und höflich!« schrie das knabenhafte Mädchen, »es ist der Brüggensche Herr, unser schöner Beschützer!« Und dabei sprang sie heran und küßte ihm den Stiefel, die schwarzen schönen Augen zu ihm aufschlagend, als ob sie sein Antlitz um und um in sich aufnehmen wollte.

»Schämst du dich nicht, Petruschka, daß du dich mit deiner Mutter wieder im Herumstreifen betreffen läßt?«

»Verzeiht, Herr von Stanislaus, wenn die Vögel immer wieder gern einmal hinausfliegen, ob auch ihr Käfig noch so wohnlich sei. – Wofür haben sie Flügel? Und Ihr fehlt ja seit einer Woche auch tagtäglich in Brüggen, und Ihr jagt nicht mehr und seid unstet, und Marussa sagt, aus Ellern käm' Euch wohl das Liebste, aber auch das Schlimmste.«

»Holla, seid ihr Spione?«

»Nicht bloß das, blanker, gnädigster Herr,« sagte hierauf die alte Marussa, »wir wissen auch viel Dinge, die wir nicht sehen.«

»Possen! Aber wollt ihr mir alles sagen, was ihr sehet? –«

»Alles, Herr!« rief Petruschka. »Alles gehört der Sonne,« wendete Marussa ein, »aber was Euch not tut, sollt Ihr erfahren. Wir sind nicht treu, aber dankbar. So reitet Ihr einen falschen Weg, Herr, denn Eures Vaters zweiter Sohn ist nicht in Kummeln, sondern auf dem Wege nach Mitau, und Ihr solltet immer beieinander sein. Wenn Ihr beieinander seid, wird Euch ganz Kurland nicht besiegen; wenn Ihr Euch aber trennt, so unterliegt Ihr!«

»Mein Bruder nicht in Kummeln?«

»Wir haben ihn von den Bergen bei Illuxt hinabreiten sehen, gen Bevern, immer auf Mitau zu.«

»Von da ist's noch weit nach Mitau, er kann wo anders hingeritten sein!«

»Ferber hatte Briefe in der Tasche, die in Mitau auf die Post sollen, und der Kummelnsche Herr sagte, als er an Petruschka vorüberritt und sie nicht sah, er wolle drei Tage in Mitau bleiben – geht nach Mitau, Herr, der junge Ellernsche ist auch da, und er liebt Euren Bruder nicht.«

Stanislaus beschloß wirklich, auf der Stelle umzukehren und nach Mitau zu eilen. Er erinnerte sich, daß Scipio und Ferber, der Kummelnsche Verwalter, in Verkaufsgeschäften nach der Hauptstadt gewollt hatten, von den Ellernschen war jetzt überall der feindlichste Angriff auf einen Bandomir zu gewärtigen, und Scipio mußte von dem so entsetzlich ausgebrochenen Zerwürfnis unterrichtet, mußte gewarnt und geschützt werden. Auch fühlte sich Stanislaus so von Unruhe und Plänen gepeitscht, daß ihm jetzt der Aufenthalt in Brüggen unmöglich und ein Umherstreifen erwünscht schien. Er schwieg eine Weile, nahm dann ein Goldstück aus der Tasche und hielt es der alten Marussa hin mit den Worten: »Halte mir immer Botschaft in deiner Hütte bereit, Marussa! Nun, was steht in meiner Hand geschrieben, daß du sie so prüfend betrachtest?«

»Es ist nicht gut, alles zu lesen, Herr!«

»Ich will's aber wissen, Weib, rede! Werd' ich erlangen, wonach ich trachte?«

»Ihr werdet's erlangen, aber um hohen Preis –«

»Werd' ich's bewahren?«

»Bis zum Tode, – aber Ihr sterbt nicht langsam.«

»Desto besser! Euer Gott schütze euch – und seid mir zur Hand!«

Und somit wandte er seinen Tatar so rasch, daß er Petruschka, die ihm eiligst den Fuß wieder küssen wollte, an den Boden warf. Er schickte Urban nach Brüggen, und trabte mit Pascha den Weg zurück, den er gekommen.


Als die Morgenröte heraufdämmerte, sah er sich unweit des Susseibaches nahe bei der Ellernschen Forstei und spornte hastig den Tatar, um wieder aus dem Ellernschen Gebiete hinauszukommen. Ein lettischer Hirt kam von Saucken dahergeritten mit Pferden und Rindern, und sang nach einer melancholischen Weise der aufgehenden Sonne entgegen:

Es kommt die Jagd,
Die alles plagt:
Die Erde, das Tier und den Bauer.
Der Herr hat's gut,
Wohlfeilen Mut,
Und uns wird alles sauer.

Es kommt die Jagd,
Gott sei's geklagt!
Was hilft nun Sparen und Schonen!
Herr Christus spricht:
Verzage nicht,
Droben ist besser Wohnen.

Doch wird die Jagd
Dort angesagt,
Was will Herr Christus machen!
Sie reiten ihn um,
Christ, sieh dich um,
Sie schreien und töten und lachen.

Der Lette grüßte Stanislaus und rief: »Seht Euch vor, Herr, wenn Ihr kein Ellernsch Gewissen habt, 's ist seit gestern abend alles auf den Beinen da drüben und will schießen und stechen. Da kommen eben wieder die Jäger nach der Forstei heim und reiten uns durchs Getreide, so breit und sorgfältig, als hätten sie ein Taschenmesser verloren.«

Stanislaus konnte nicht antworten, denn eine Stute von den Weidepferden war dem Tatar zu nahe gekommen, dieser hatte einen unerwarteten Satz und seinen Herrn dadurch bügellos gemacht, dann ging er, dem straffsten Zügel trotzend, mit sausender Schnelligkeit durch in einen Eichenhag hinein, und an den niedrigen starken Ästen eines Baumes streifte er seinen Reiter ab. Betäubt von dem Stoße an den Kopf, fiel dieser zu Boden, wirr durcheinander schwirrten ihm nur die Gedanken, Ellern sei nahe und Scipio bleibe ohne Kunde und ohne Hilfe; dann ward er bewußtlos.

Als er die Augen wieder aufschlug, stand die Sonne schon tief am Nachmittagshimmel, zahlreiche Gruppen von Männern erfüllten den Eichenhag, und lebhafter Wortesaustausch, beinahe wie Streit klingend, schallte hin und wieder. Die Wiese, über welche hinweg der Blick nach dem von der Sonne beschienenen Edelhofe Ellern reichte, war belebt von den Knorreschen Jägern zu Pferde und zu Fuß; Herr von Knorre selbst stand etwa dreißig Schritte abseits von Stanislaus, umgeben von einer großen Anzahl Reiter, die zum Teil abgestiegen waren, und mit denen er die lebhafteste Rede und Gegenrede führte. Fünf bis sechs Männer standen dicht bei Stanislaus, unter ihnen ein fremdartig, prächtig gekleideter Herr, der sich durch ein offenes schönes Antlitz, durch einen blitzenden Federhut vor allen übrigen auszeichnete. Man schien ihn auch mit einem Respekt anzusehen und zu behandeln, wie dies zwischen Kurländern, die sich alle als Pairs ansahen, nicht vorzukommen pflegte. – Waren es die eleganten, vornehmen Manieren, war es sein sicherer, herrschgewohnter und doch höflicher Ton, welche dies zuwege brachten? Und er zeigte sich teilnehmender für die Wiederbelebung Bandomirs als irgend ein anderer. Kurz bevor dieser die Augen aufgeschlagen, hatte er sich mit einem Riechfläschchen niedergebeugt und es ihm zum Einatmen vorgehalten, jetzt sprach er lebhaft in französischer Sprache zu dem Kavalier, der Bandomirs Haupt emporgerichtet und an seine Knie gelehnt hatte, riet ihm dies und jenes zur Erleichterung des Kranken, und wiederholte leise vor sich hin, was er beim ersten Anblick Bandomirs ausgerufen hatte: » Ah, c'est un bel homme!« Er war mit einer großen Suite fremder Edelleute, meist polnischer, diesen Vormittag auf Ellern angekommen, um dort ein Frühstück einzunehmen und dann seinen Weg nach Mitau fortzusetzen. Herr von Knorre hatte ihn mit der größten Auszeichnung aufgenommen und sich mit all seinen Leuten zum Geleit nach Mitau angeschlossen. In der Gegend des Forsthauses die weidenden Pferde erblickend, war der Fremde, weil ihm eines der Pferde auffiel, mit wenigen Kavalieren etwas abseits vom großen Zuge geritten, hatte den hütenden Letten über Alter und Herkunft des Rosses befragt und zur Antwort erhalten, es gehöre einem toten Herrn, der dort unter der Eiche liege. – So hatte er selbst Bandomir entdeckt. Pascha leckte seinem Herrn das Haupt und blickte, zweifelhaft, ob er knurren oder gewähren lassen sollte, zu dem Fremden auf. Als Herr von Knorre mit den übrigen, worunter von Thorhacken, Knorres Schwager und Jakob Chabelsky, der Sohn des Ökonomus, herbeikamen, und jener, frohlockend über den Fund, die zweifelhafte Herkunft, das freche Betragen, die dem Knorreschen Hause angetane Beschimpfung seitens dieses Bandomir erzählte und mit dem Bemerken schloß, er werde diesen Menschen, den Gott also in seine Hand gegeben, ausgesucht züchtigen und für immer unschädlich machen – da machte der Fremde eine ablehnende Handbewegung und sprach: »Nicht doch, Herr von Knorre, ich habe den Mann gefunden und werde über ihn disponieren.«

»Erlauchter Herr,« fuhr Knorre auf, »dies ist Ellernscher Grund und Boden, und« – setzte er nach einer kleinen Pause hinzu – »dieser Mensch hält zu Herzog Ferdinand.«

»So? Das tut nichts! Eine also gestempelte Mannesgestalt geht nicht für immer mit dem abscheidenden Geschlechte! Sie haben ihn unrichtig behandelt, Herr von Knorre! Wenn er sich von seiner Betäubung erholt hat – Charpentier versichert, er sei nur betäubt – werd' ich ihn mit nach Mitau nehmen, und ich hoffe ihn zu bekehren.«

Auf diese Äußerung hatte sich Knorre grollend entfernt, und in der Gruppe, welche sich um ihn gesammelt, ward die Angelegenheit heftig hin und her besprochen, als Stanislaus zu sich kam und mit Hilfe jenes Charpentier, eines französischen Arztes, sich aufrichtete. Grimmig sah Herr von Knorre zu, als der Tatar herbeigebracht und von dem Hirten, welcher ihn eingefangen und sich seiner angenommen, gesattelt wurde; grimmig sah er zu, als Bandomir, den Pascha jauchzend umsprang, mit Hilfe Charpentiers, sein Pferd bestieg. Die Hand zuckte ihm konvulsivisch, die Schenkel preßten das Roß, und mit ein paar Sätzen war er nahe bei dem Fremden, der eben auch sein Pferd, ein in hiesiger Gegend ganz ungewöhnliches, hohes andalusisches Tier, bestieg. »Noch einmal, erlauchter Herr!« rief er mit gepreßter Stimme, »dies ist Ellernscher Grund und Boden, und jener Mensch mein Gefangener!«

»Kurländischer Boden, Herr von Knorre!« erwiderte dieser, und der Gruppe rief er heitern Angesichts zu: » Messieurs, en route, s'il vous plaît!«

Ein breitschulteriger, rot aussehender Herr mit starrem Blick, Herr von Thorhacken, machte den Fremden mit einigen plumpen Worten darauf aufmerksam, daß diese Behandlung von Knorres Abfall zuwege bringen könne, daß er mit Chabelsky und noch einigen bereits zurückgeblieben sei und dem Zuge nicht mehr folge. – »Das tut mir leid, Herr von Thorhacken, besonders, da Sie mir dies wohl mitteilen, weil Sie selbst zurückbleiben wollen; empfehlen Sie mich Ihrem Herrn Schwager, und drücken Sie ihm mein Bedauern aus, daß ich nicht im Geschmack roher Hassesausbrüche erzogen worden sei!«

Man ritt des Kranken halber langsam; dieser aber hatte sich nach einer Viertelstunde völlig erholt, und sich bedankend, erkundigte er sich, wem er soviel freundliche Teilnahme schulde.

»Einer leidlichen Erziehung und einem beweglichen Herzen,« erwiderte dieser, »zwei Gaben einer Mutter, für welche der Freund Ihres Vaters, König Karl von Schweden, kein freundliches Wort finden konnte. Pardon! Das ist ohne Ranküne gesagt. Ihr Herr Vater, Herr von Bandomir, bewies sich meiner Mutter, als König Karl ihr den Rücken wandte, ganz wie es einem höflichen Kavalier zusteht, und durch meine Mutter, die Gräfin Königsmark, bin ich auf Ihre Familie aufmerksam geworden. Politisch Günstiges konnte ich zwar am Hofe meines Vaters von Ihrer Familie nicht hören, denn die Bandomire waren immer gegen die polnische Herrschaft, aber es interessieren mich noch andere Dinge als Krieg und Politik. König Karl ist auch, meines Erachtens, an seiner soldatischen Einseitigkeit zugrunde gegangen, und ich freue mich zu hören, daß Sie, Herr von Bandomir, bereits von anderen Interessen belebt sind. Mars ist ein roher Geselle, wenn Amor nicht neben ihm hergeht. Verlassen Sie sich auf meine Bereitwilligkeit, Sie mit Herrn von Knorre auszusöhnen, Fräulein Hedwig ist ein sehr artig Wesen; aber freilich gefällt sie eben deshalb auch vielen, und Sie werden einen harten Stand haben. Chabelsky ist wohl mehr um der schönen Augen, die ihn heut morgen so sichtbar entzückten, als um Herrn von Knorres willen zurückgeblieben, wie ich sehe, und er ist gefährlicher als der Bräutigam Herr von Puttkammer. Seien Sie trotzdem munter, Herr von Bandomir, die Liebe ist nicht so sparsam verteilt, daß wir auf ein Wesen beschränkt wären. Hoffentlich werden wir auch dem jungen Herrn von Knorre begegnen, dem der Vater in der ersten Hitze über Ihr gestriges Renkontre einen Reitenden nach Mitau gesendet, um ihn gegen Sie heim zu berufen; er ist jung und heiter und wird zu Ihnen halten, und Grüße und Bestellungen für die Dame des Herzens mitnehmen, von der wir uns jetzt auf einige Zeit entfernen. Lange wird's nicht dauern, wenn wir auch augenblicklich in Mitau lebhafte Beschäftigung finden mit den Russen, die jetzt gerade nicht gut auf mich zu sprechen sind und mich lieber fern von Mitau sähen. Wir sind lauter tapfere Leute, diese Herren des polnischen und deutschen Adels werden ein Vergnügen darin finden, Sie in lustigem Gefechte neben sich zu sehen. Und sind wir erst auf dem reinen, dann sind Ihre kurischen Mißverhältnisse rasch ins reine gebracht. – Aber, Messieurs, ist das nicht Alt-Saucken mit dem nahen Kirchturme? Da müssen wir einsprechen, um Herrn von Reyer mit uns zu führen.«

Der Fremde war also der Graf Moritz von Sachsen. Stanislaus sah sich durch diese Mitteilungen in die mannigfaltigste Verlegenheit gebracht! Scipio war dringend gefährdet, und die Reise unter immerwährendem Aufenthalte, wie sie Graf Moritz betrieb, war in diesem Betracht eine Pein für Bandomir; Hedwig ferner, von der ihn jeder Schritt mehr entfernte, war einem neuen Bewerber ausgesetzt, und ein neuer Stoff der Besorgnis erhob sich hiermit im Hintergrunde; die polnische Partei endlich, welche den Sohn des Königs von Polen umgab, mißfiel Stanislaus; die leichtsinnige Darstellung der Liebe, wie sie Graf Moritz äußerte, mißfiel dem leidenschaftlich und wahrhaft Liebenden; eine loyale Hilfe für das Verhältnis zum Knorreschen Hause war außerdem eine Schimäre, denn hier handelte es sich um bereits zu tief gegrabenen Haß, um unheilbar gemachte Wunden – was soll, was hilft die Verbindung mit dem Grafen Moritz? war die kopfschüttelnde Endfrage von alledem.

Stanislaus ward aber nicht durch Berechnung bestimmt, ihn leitete Regung, Wallung, Gefühl, und wohltuende Wallungen zogen ihn zu dem Grafen. Wäre Stanislaus ein Politiker gewesen, so hätte ihn die leichtsinnige Art, eine mächtige Partei, wie die Knorresche, aufzugeben, belehrt, daß dieser also ritterliche Kronprätendent keine nachhaltige Parteimacht zusammenhalten würde! Statt dessen bestach ihn eben diese ritterliche Weise, und sie hatte just ihm ihr Wohlgefallen zugewendet, unverkennbar zugewendet. Dieselben romantischen Regungen, welche ihn innerlichst beherrschten, schenkten ihm die rasche Teilnahme des Grafen, was Wunder, daß er geschmeichelt und unwiderstehlich angezogen war! Sah er in die Zukunft, so konnte er unter den jetzigen Verhältnissen Kurlands nirgends eine erfreuliche Existenz für sich erblicken. Die Ritterbank hatte er beleidigend zurückgewiesen, und doch gab's ohne sie kein wohltuendes Bestehen in Kurland; Hedwig mußte er rauben, wenn sie sein werden sollte, und doch bedurfte er ungewöhnlichen Schutzes oder der Ansiedelung im Auslande, um des Raubes froh und sicher zu werden. Also ein ganz neues Regiment in Kurland, Umwälzung alles Bestehenden war für seine Zukunft erforderlich, oder ein Anhalt im Auslande. Graf Moritz konnte beides bieten. Und welchen Zauber übt das Ideal einer Zeitrichtung! Solch ein Ideal war Graf Moritz, welcher ein unter modernem Geleit neubelebtes Mittelalter in sich darstellte: persönlichen abenteuerlichen Mut, Kriegskenntnis, glänzende Erscheinung, feine Sitte, raschen, witzigen Geist, leichten Sinn.

Vorwärts getrieben, rückwärts gezogen, behielt doch das geschmeichelte und angezogene Naturell die Oberhand; er blieb beim Grafen, und als sie am folgenden Abende an der Brücke vor Mitau ankamen, waren sie sich gegenseitig durch Wohlgefallen und Wohlwollen in Vertraulichkeit so nahe gerückt, als ob sie jahrelang in Freundschaft miteinander gelebt hätten. – Zu ihrer Überraschung fanden sie die Aabrücke von einer kleinen Abteilung russischer Truppen besetzt, und der Offizier näherte sich, respektvoll grüßend, dem Grafen, ihm anzeigend, daß er beordert sei, Seiner Erlaucht den Eintritt in Mitau zu verweigern. Alle solche Strömungen und Gegenströmungen von seiten der Nachbarstaaten wechselten damals überraschend schnell. Kurland war so unordentlich regiert, daß es den Nachbarn immerwährende Veranlassung gab zum Einspruch, und in Rußland wechselte durch rasch aufeinander folgende Todesfälle die Herrschaft so vielfach, daß das Verhältnis dieses Reichs zu Kurland ebenfalls immerwährenden Wechseln unterworfen war. Die Großfürstin Anna, Witwe des zuletzt verstorbenen kurischen Herzogs und in Mitau residierend, war natürlich ein unmittelbarer Anhalt für Rußland. Sie war mit einer russischen Leibwache versehen, und russische Truppen marschierten von Riga ab und zu. Es war unzweifelhaft, daß demjenigen, den sie zum neuen Gatten wählen würde, der Weg zum kurischen Herzogshute am breitesten gebahnt sei; in ihrer Person vereinigte sich die Verwandtschaft mit dem erblichen Herzogsgeschlechte der Kettler und die Verwandtschaft mit dem mächtigen Reiche Rußland, von welchem in der Tat bereits das Schicksal Kurlands allein abhing, wie gebieterisch auch die Republik Polen ihre Oberlehensherrschaft geltend machen, ja gar eine Einverleibung Kurlands beschließen mochte. König und Adel waren in Polen immer getrennter Meinung über diese Frage, in Rußland aber folgte dem Willen des Herrschers eine unmittelbare Maßregel und Tat. So wollte der König von Polen seinen natürlichen Sohn zum Herzoge machen; aber der polnische Adel, wenn auch einzelne dem Grafen Moritz anhingen, war keineswegs dieser Meinung. Da Graf Moritz indessen der Großfürstin Anna zu gefallen schien und von einer Verehelichung derselben mit ihm die Rede war, so hatte Rußland bisher der Prätendentschaft des Grafen nichts entgegengesetzt, obgleich Fürst Menschikoff selbst für seine Person Absichten auf den kurischen Herzogshut hatte. Es mußte also etwas vorgegangen sein, daß dem Grafen jetzt plötzlich der Eintritt in Mitau gewehrt wurde; und da er selbst dies nur einer vorübergehenden Sinnesänderung der Großfürstin zuschrieb, welche durch Neider und Feinde ihm veranlaßt worden sei, so bedachte er sich nicht lange, den Zugang zu erzwingen. Er zog also seinen Degen, sein Gefolge tat desgleichen, salutierte den Offizier, erklärte ihm, daß dies auf einem Mißverständnisse beruhen müsse, dessen Aufklärung er jetzt, beeilt, zur Frau Großfürstin zu kommen, nicht abwarten könne, und daß die Truppen ihre Schuldigkeit tun möchten. Damit sprengte er, geschwungenen Degens, in vollem Rosseslaufe vorwärts, seine Suite folgte ebenso, die geringe Truppenmannschaft hatte nicht Zeit, einen geregelten Widerstand zu leisten, und nur ein vorspringender Soldat war von dem ungestümen Tatar Bandomirs niedergeritten worden. Der ganze Zug sprengte wie eine donnernde Windsbraut in die Stadt hinein bis zum Hause des Bürgers Wilmitz, das Graf Moritz bewohnte. Es steht auf derselben Stelle jetzt das viel größere Haus des Baron von Wolf. Die kleine Streitmacht des Grafen, sechzig Mann, welche er mit vieler Mühe zusammengebracht hatte, war davor aufmarschiert, und Wilmitz stürzte den Ankommenden verstört und mit der Nachricht entgegen, er habe die Truppen herbeirufen müssen, weil man die Effekten Seiner Erlaucht unter dem Bemerken habe ausräumen wollen, Seine Erlaucht dürfte Mitau nicht mehr betreten. Seine Exzellenz, Fürst Menschikoff, sei in Mitau gewesen, habe achtzehnhundert Mann Truppen berufen, einen Landtag ausschreiben lassen, welcher die Nichtigkeit der Wahl Seiner Erlaucht aussprechen solle, auch aus Danzig von Seiner Hoheit dem Herzoge Ferdinand sei eine Protestation gegen Seine Erlaucht angekommen, von allen Kanzeln zu verkündigen, und selbst die gnädigste Frau Großfürstin scheine Seine Erlaucht aufzugeben; er sei dreimal um Audienz und Rat eingekommen, wie er sich mit Dienerschaft und Effekten Seiner Erlaucht zu benehmen habe, sei nie vorgelassen, wohl aber bedeutet worden, der Militärbehörde zu gehorchen, da Seine Erlaucht, Graf Moritz von Sachsen nicht wieder nach Mitau kämen.

Dies hatte Wilmitz berichtet, während Graf Moritz vom Pferde stieg, ins Haus und in ein weites Empfangzimmer trat. Er lachte zu alledem, bat die Herren, welche ihm gefolgt waren, sich nach Kräften unterzubringen, da er zu eng logiert sei, um als Wirt seine Schuldigkeit tun zu können, und forderte, als sich alle empfahlen, nur Stanislaus auf, bei ihm zu bleiben. Diese auszeichnende Gnade setzte diesen in große Verlegenheit, denn ihn drängte es mit Zentnerschwere, sich nach Scipio umzusehen, und er verhehlte dies denn auch dem Grafen nicht. »Eine oder ein paar Stunden später,« erwiderte dieser, »sind nun doch von geringem Unterschiede,« und der Moment, auf dem Schlosse eingeführt zu werden, sei für Bandomir von Wichtigkeit, für ihn, den Grafen selbst, augenblicklich von Nutzen. Der Eintritt werde allen Anzeichen nach schwierig zu erlangen sein, man kenne aber Bandomir auf dem Schlosse nicht, man sei neugierig, der immerwährende, unerwartete Wechsel herrschender Personen habe die Leute schüchtern gemacht gegen einen neu auftretenden, stattlich aussehenden, unbekannten Mann, denn in jedem könne der neue Machthaber verborgen sein – »kommt uns der kalte Kammerherr nicht in den Weg, so gehen wir unangehalten bis in das Spielzimmer der Großfürstin, wo sie jetzt ihre Partie macht. Sind wir erst da, dann wird alles ins Geleis gebracht, die Großfürstin ist eine wohlwollende Dame, welche nicht bloß politischen, sondern auch augenblicklichen Eindrücken folgt; kurz, machen wir Toilette! Bedienen Sie sich dort meiner Garderobe, allons!«

Der Graf hatte dem Kutscher Befehl gegeben, keiner Wache, keiner Frage Rede zu stehen und im Galopp bis ans Portal zu fahren. So geschah's. Die beiden glänzend aussehenden Männer waren wie der Blitz aus dem Wagen, durch die Halle, die Treppe hinauf, wieviel auch, wie deutlich auch Diener Einsprache anbringen wollten. Der imponierende Königssohn ließ nichts aufkommen und schritt mit dem unbekannten, ebenso in schimmernde französische Tracht gekleideten Bandomir hindurch. Er drang bis in das letzte Vorzimmer, hier aber trat ihm wirklich jener gefürchtete Kammerherr in den Weg, und zwar stellte sich dieser sehr entschieden, wenn auch sehr höflich entgegen. Zu Schreck und Entrüstung Bandomirs sprach der Graf hier im hochfahrendsten Tone: »Gehen Sie mir aus dem Wege, Parvenü, oder ich spieße Sie mit meinem Paradedegen an die Wand. – Unterhalten Sie sich mit diesem Herrn, der gleiches Schicksal mit Ihnen hat, nicht Indigena von Kurland werden zu können.«

So schritt er durch die letzte Türe, man hörte den Aufschrei einer Dame, und Bandomir sah sich dem Kammerherrn allein gegenüber. Zerstreut in seiner Entrüstung und unschlüssig, ob er nicht von dannen gehen solle, sah Bandomir in das wohlausgebildete, fest und forschend blickende Antlitz dieses Mannes, der ein kräftig aussehender Dreißiger zu sein schien, in der Tat aber schon ein Vierziger war. »Sie wundern sich noch,« hub derselbe nach einer Pause langsam gegen Bandomir an, »über die Rücksichtslosigkeit des vornehm Geborenen, der wahrscheinlich plötzlich im Tone umschlug gegen Sie? Das muß man gewohnt werden, wenn man viel braucht und viel erreichen will. Ihr Indigenat betreffend, seien Sie übrigens unbesorgt; es kommt eine andere Ordnung der Dinge: eine Stunde vor Seiner Erlaucht ist eine königlich-republikanische Kommission, den Erzbischof Szembek an der Spitze, aus Polen eingetroffen, welche die unwiderrufliche Absetzung des halb zum Herzog gewählten Grafen gebracht, und um dieselbe Stunde sind Boten aus dem Oberlande, wo Seine Erlaucht Ihren zahlreichsten Anhang hatte, angelangt, Vollmacht bringend, daß sich die Knorres, die Thorhackens, und wie sie weiter heißen, von ihm lossagen. Und wäre dies auch nicht, Fürst Menschikoff, der selbst Herzog werden will, ließe ihn nicht aufkommen. Und wäre auch dies nicht, die Frau Großfürstin, zu welcher er sich jetzt fruchtlos eindrängt, liebt es nicht, daß man sich um ihre Hand bewerbe, und gleichzeitig für jedes hübsche Lärvchen galant sei, nach Art französischer Kavaliere. Und wäre das alles nicht, mein Herr, diesem Lande tut ein anderes, festes Regiment not, und dies steht vor der Tür – seien Sie unbesorgt, wenn man Ihnen auch jetzt das Indigenat verweigert hat.«

»Mein Herr, es hat mir's niemand verweigert, denn ich habe niemand um etwas gebeten, was ich als freier adeliger Mann nicht brauche.«

»Desto besser, desto besser! Lassen Sie diese sich absperrende Kaste eine Unabhängigkeit empfinden, die sie in ihrem Dünkel für unmöglich halten. Es ist mit diesem Dünkel keine Regierung mehr möglich, denn jeder tut, was ihm gut dünkt. Da hat soeben ein Begleiter Seiner Erlaucht einen kaiserlichen Soldaten niedergeritten, das soll ihm heimkommen! Da hat es erst heute früh auf offenem Platze eine Ausforderung, ein Duell gegeben angesichts der höchsten Behörden des Landes, und einer der Raufbolde ist auf dem Platze geblieben – das muß anders werden! Und besonders diese Oberländer –«

»Waren die Duellanten aus dem Oberlande?«

»Ja, ein Knorre und ein Bandomir!«

»Wie? Und wer ist geblieben?«

»Interessiert Sie das so? Ich will den Offizier rufen, der die Truppenabteilung an der Brücke kommandiert hat, und an welchem der Sieger vorübergesprengt ist hinaus in die Wälder.«

»Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen.«

»Es ist an dem Leben des einen soviel gelegen, wie an dem Leben des andern, denn der eine hält zu den unruhigen Litauern, der andere zu dem Erbfeinde all dieser Länder, zu Schweden.«

Stanislaus erwartete kaum die letzten Worte, verbeugte sich und eilte hinweg. Erstaunt sah ihm der Kammerherr nach und ging dann ins Vorzimmer, um den wachthabenden Offizier zu sprechen. Von diesem erfuhr er, daß der wegeilende Herr derselbe sei, welcher an der Brücke den Soldaten niedergeritten, er habe ihn wegen der veränderten Tracht erst jetzt beim Hinweggehen erkannt.

»So eilen Sie ihm nach und verhaften Sie ihn auf der Stelle!«

»Und wenn er, oder andere Kurländer sich widersetzen –?«

»So verhaften Sie ihn doch! Es muß den Befehlen, die von hier ausgehen, Achtung werden in einem Lande, wo niemand gehorchen will!« »Und,« setzte er im Zurückgehen für sich hinzu, »es ist kein Kurländer!«

Dieser Mann war niemand anders als der Kammerherr von Biron, der sich ohne erbliches Vorrecht durch eigenes Verdienst emporgearbeitet hatte, der selbst nach dem kurischen Herzogshute blickte und wirklich sechs Jahre später unter Beihilfe seiner Herrin Anna, die unterdes Kaiserin von Rußland geworden, Herzog von Kurland wurde, Gründer einer Familie, die bis gegen Ausgang des vorigen Jahrhunderts das Adelsreich als letzter Herzogsstamm beherrschte.


 << zurück weiter >>