Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Man hat lange geglaubt, es komme nur auf den Erdboden an, ob dieser oder jener Baum bei uns wachsen und gedeihen könne, man hat nicht begriffen, wie im haltlosen Flugsande die Kiefer und Birke eine ihrem Wuchse zuträglichere Nahrung finden könne als in feistem Boden, man ist von einer beginnenden Wissenschaft überrascht worden, welche die atmosphärische Einsaugung durch Blatt und Rinde in ganz eigentümlichen Verhältnissen lehrt, welche nachweist, daß nicht nur der Erdboden allein das Klima ändere, sondern daß auch Klima und Boden gemeinschaftlich eine ganz bestimmte, manchen Bäumen allein förderliche Luftnahrung bereite.
So zusammengesetzt, so schwer nachweisbar ist das Wachstum des mageren Baumes auf öder Sandheide, so Jahrhundert langen Beobachtens hat es bedurft, um nur zu ahnen, daß solcher Baum sich nicht besser entwickeln werde in guter Erde, sondern schlechter. Und wir wollen Wachstum und Charakterausbildung eines Menschen bestimmen durch Unterricht und Beispiel? Wir wollen einen Charakter beurteilen nach Symptomen, welche der gewöhnliche Lebensgang entwickelt?
Xaver von Bandomir, welcher soeben von der östlichen Seite nach dem Brüggenschen Edelhofe zurückkehrt, und von derselben strahlenden Morgensonne beschienen wird, die ihn vor acht Tagen beim Auszuge ermunterte, ist durch eine allem Anscheine nach rein elementarische Macht in seinem Grundwesen so total verändert, als ob ihn ein Blitzstrahl gelähmt habe. Sein Sohn Stanislaus reitet auf der andern Seite des Edelhofes am Kiesufer des langen Sees, der auf der gegenüberliegenden Seite den Edelhof Demmen bespült, ein wildes junges Pferd, um es durch Gebiß und Schenkel an Regelmäßigkeit und Gehorsam zu gewöhnen. Er ist ein hoch und kräftig aufgeschossener Jüngling, dessen scharf geschnittenes Antlitz von dunklen Augen belebt, von schwarzem, glattem Haare beschattet wird. Das blasse Antlitz rötet sich ruckweise, wenn das rohe Pferd sich nicht fügen will, und die Zornesader auf der Stirn quillt dann unschön stark hervor, die starken Brauen ziehen sich dann sträubend zusammen, und zwei scharfe Einschnitte bilden sich auf der sonst noch so glatten und prallen Haut über der Nasenwurzel. Wird dieser tief heftige junge Mann durch Bildungsfürsorge zu sänftigen, werden ihm durch passende Schule und Leitung die verderblichen Ausbrüche der Leidenschaft abzuwenden sein, wie sie dem Pferde unter ihm vielleicht abgewöhnt werden, wenn ein Reiter mit längerer Geduld dies Pferd in Schule nimmt?
»Du bringst den ›Tatar‹ nicht zustande,« rief der zusehende Scipio, »wenn du ihn eine Viertelstunde lang mit musterhafter Ruhe geritten hast, bringt dich ein Fehler des Tieres in Zorn, und du erbosest ihn durch übermäßigen, jählings angewendeten Zwang. Man muß ein Pferd hundert Stunden lang Schritt reiten können, wenn es gezogen werden soll!«
»Kannst du's?« rief Stanislaus herunter, und zwischen den Brauen war zu bemerken, daß ihn dieser abfällige Widerspruch des wohlwollenden Bruders schon erbittert hatte.
»O nein! Ich kann's auch nicht!« erwiderte dieser lachend und warf dem geliebten Bruder eine Kußhand zu. Er saß auf einem großen Feldsteine, wie sie zu Millionen über den Boden Kurlands zerstreut liegen, Granit- und Gneistrümmer, die mitunter, große Haufen bildend, dem Anbau des Landes sogar hinderlich sind, aber treffliches Material bieten für Wohnungen. Scipio, den Einflüssen des Onkel Boleslaus zugänglicher, hatte ein Buch in der Hand und las auf seinem Steinsitze abwechselnd eine Zeitlang, sah über den spiegelglatt zugefrornen See, auf dessen Fläche die Sonne tanzte, gen Demmen hinüber, und beobachtete dann wieder eine Weile das Reiten des Bruders. Er war nicht ganz so groß wie der ältere Bruder, war von braunblondem, schlichtem Haare, von leise geröteter Gesichtsfarbe, und obwohl er ebenfalls jene in kleinen Zügen zusammengefestete Verschlossenheit des Antlitzes zeigte wie Stanislaus, so ward sein Ausdruck doch durch zutrauliche hellblaue Augen sanfter und einschmeichelnder. Als die Sonne bis gegen die Mittagsstunde heraufgerückt und dem Lesenden beschwerlich geworden war, wendeten sich diese großen blauen Augen zum ersten Male nach dem Gehöfte zurück und erblickten die Fahne, welche vom kleinen Dachturme des Herrenhauses wehte, eine schwarz und rote Fahne, welche die Farben der Bandomire zum Zeichen, daß der Herr des Hauses daheim sei, über See und Felder leuchten ließ. Laut aufrufend sprang er von seinem Steine, zeigte dem still haltenden Stanislaus, was er erblickt, und eilte, den Vater zu begrüßen. Stanislaus flog auf dem Tatar an ihm vorüber in den Hof hinein, daß Schnee und Schmutz hoch in die Luft spritzten. Die natürlichen Gefühle waren in diesen Jünglingen überaus stark, und die kurze Zeit, seit welcher sie den Vater kannten, hatte hingereicht, eine lebhafte, ja leidenschaftliche Anhänglichkeit für den ernsten gebieterischen Vater auszubilden.
Ach, der gebieterische trockene Ernst dieses Vaters war für immer dahin. Nicht wie sonst festen, klirrenden Schritts war er den Flur hinüber in sein Zimmer geschritten, sondern zagenden, schleppenden Tritts war er sogleich zum Bruder Boleslaus hinaufgestiegen. Urban hatte tränenden Auges ihm nachgesehen, nachdem er an der Haustür ihm den Mantel und gegen Gewohnheit den Säbel abgeschnallt. Es war nur eine Säbelscheide, und der Herr schien das nicht zu wissen und beachtete es nicht, daß sie Urban eilig in den Mantel wickelte, als sollte niemand den Fehl entdecken.
Urban bestellte auch beim Stallknechte, der die Pferde abnahm, daß sein Pferd rasch gefüttert, aber nicht abgesattelt werden sollte, dann rief er Pascha, der gleichfalls traurig zu sein schien, und nahm ihn mit sich auf seine Kammer samt Mantel und Degenscheide des Herrn.
Dieser hatte durch ungewöhnlichen Eintritt und durch sein verändertes Aussehen den Bruder erschreckt, hatte den Lehnstuhl bereitwillig angenommen, ein stärkendes Frühstück ebenfalls, und war alsdann durch redselige Mitteilung dem Bruder entgegengekommen, wie nie in seinem Leben. Man konnte von dem früheren Xaver nicht behaupten, daß er ein verschlossener Mann sei, aber er sprach wenig, weil er nichts von sich zu sagen hatte. Jetzt war es anders, er sprach nur über sich, die Begebenheiten und Vorfälle wurden nur beiläufig erwähnt, er gedachte seiner Jugend, seiner Ehe, und trieb den Bruder beinahe hastig an, einem Seelenleben nachzuspüren, welches er weder in der Jugend noch bis daher gekannt zu haben schien. Er brauchte ein solches, und es sollte nun eiligst nachgewiesen und beschafft werden. »Du glaubst es gar nicht, Boleslaus,« rief er ein Mal über das andere aus, »wie trostlos mir jählings in dieser Nacht zumute wurde. Ich zitterte vor Furcht, und die Furcht schob mir mein ganzes Leben wie über einen Spiegel an mir vorüber, und immer und überall war's nur rasch hingleitende, eilende Begebenheit, nirgends konnte meine Seele haften an einem tröstlichen Sinne, nirgends ausruhen, und ich fühlte mit Entsetzen, daß ich leer und leicht sei wie die Brustfeder eines Vogels, jedem Windeshauche, jedem Zufalle preisgegeben. Es schüttelte mich die Furcht wie einen Schulknaben, und diese Furcht lehrte mich, daß doch eine Seele in mir sei. Hastig beschwor ich die Jugend in Kurland noch einmal vor mir herauf, da war doch Drang, da war doch Liebe gewesen, da mußte ich doch eine Anknüpfung finden an einen Sinn, der über die äußeren Vorfälle und Schicksale hinausreicht – nein, Boleslaus, nein, und das Zittern von innen heraus ward immer furchtbarer! Ich gedachte der Mutter, ich gedachte des Predigers, die in früher Jugend mich beten gelehrt, die mir von Gott gesprochen, von Ursache und Zweck aller Dinge, mein Gedächtnis war leer, die bloßen Worte, welche sie mir eingeprägt, waren ausgesogen, waren undeutlich, wie fünfzig Jahre die mit Kreide geschriebenen Worte an einer schwarzen Holztafel bis zur Undeutlichkeit aussaugen und verwischen; sie waren kein Sinn für mich geworden, waren kein befruchtender Keim gewesen. Ich gedachte meiner ersten Neigung – ach, Boleslaus! Deine Worte, die du neulich an Stanislaus richtetest, fielen mir dazwischen ein, die Neigung des einen Menschen zum andern sei eine Brücke in den Himmel, die kein Schicksal zerstören könne, selbst nicht das Ermatten der Neigung in einem von beiden. Dieser Worte gedenkend, kam ich mir vor wie allein ausgestoßen aus dem wahren Menschensegen! Erinnerst du dich noch der hohen Anastasia von Thorhacken, die wie eine Königin dastand unter den Mädchen des Oberlandes? Sie war nicht die schönste, aber alles neigte sich vor ihr, und alles sagte damals, es gehe ein Odem von ihr aus, der jeglichen erhöbe und veredle. Ihr eindringender, schöner Blick brachte mich damals zum Stillstande in dem leichtsinnigen Liebesgetändel, welches mich hierhin und dorthin trieb nach flüchtigem Genuß, Gott weiß wie es geschah, denn ich war ein nichtiger Patron, aber es geschah, sie liebte mich, sie gestand mir's, sie gab sich meinen jugendlichen Umarmungen feurig und völlig hin, sie fesselte mich eine Zeitlang. Eine Zeitlang! Die Seele also, welche aus ihrem Auge auf alle Welt erhebend wirkte, hatte auf mich nur den äußerlichen Sinnenreiz üben können, denn ich erinnere mich jetzt, daß mich ihre aller Welt bedeutende Unterhaltung langweilen und daß ich sie verlassen konnte, ehe mir noch Elisabeth begegnet war. So leichtsinnig war ich, daß ich noch zwei Jahre hier in Brüggen lebte und nicht ein einziges Mal fragte, was aus ihr geworden sei; ich weiß heute noch nicht, ob sie tot ist oder lebt. Aber du fandest Elisabeth, könntest du sagen, und in ihr eine gegenseitige leidenschaftliche Neigung und die Mutter deiner Söhne, deshalb, meinst du, sei jenes leichtsinnige Vergessen Anastasias wenigstens erklärlich. Boleslaus! Wie man nach einem Schatze die Erde umgräbt, harte steinige Erde, wie man gräbt und gräbt, der Schweiß stürzt einem stromweise über die Augen, man gräbt rastlos, denn man ist verloren, wenn man den Schatz nicht findet – so hab' ich in mir gewühlt diese Nacht, in der heftigen Liebe, die ich doch offenbar zu meinem Weibe gehegt, eine höhere Bedeutung für mein Leben zu finden, und ich habe sie nicht gefunden. Gott stehe mir bei in meiner Armut! Gedankenlos, völlig, völlig gedankenlos muß ich die zwei Jahre gewesen sein, während welcher mich doch die Liebe Elisabeths so beglückte, daß ich nichts wußte, nichts von der mich über Brüggen hinaus umgebenden Welt! Erkläre mir's, Bruder, hilf mir! Gibt es eine durchaus geistlose Liebe, die doch von solcher Macht, und die, einmal durch den natürlichen Tod aufgelöst, für den übrig bleibenden Teil auf immer ohne weitere Nachwirkung, auf immer beendigt sein kann?! Meine war's, und sie hat in mir nichts zurückgelassen! Lebten nicht meine Söhne, so könnte ich zweifeln, ob sie je existiert! Bruder!«
Xaver schwieg nach diesem Ergusse und sah den Bruder wie um Hilfe flehend an. Dieser erwiderte auf die letzte Frage mit einiger Schüchternheit, daß allerdings unter gescheiten Physikern und materialistischen Philosophen die Rede gehe von einer alles überwältigenden Liebe, bei welcher doch der eigentliche Geist nicht in Bewegung, nicht in Betracht komme. »Es soll dies übrigens, lieber Xaver,« setzte er hinzu, »nichts so Untergeordnetes sein, wie du es darstellen möchtest; die Rangordnung, welche wir in unsere Kräfte und Fähigkeiten bringen möchten, ist ja überhaupt etwas gar Mißliches, wenn nicht selbst Törichtes. Sie sind ja nicht so getrennt, unsere Eigenschaften, wie wir sie uns auseinanderlegen in Herz, Seele, Geist und so weiter, um sie besprechen zu können, und gerade diejenige Kraft, für welche man neuerdings den Ausdruck magnetisch angewendet hat, und welche auf deine Neigung zu Elisabeth anwendbar scheint, gerade diese Kraft ist die wunderbarste, unnachweislichste Zusammensetzung. Da treten untergeordnete physische Eigenschaften zu Eigenschaften der Seele und des Geistes, und geben eine Mischung, die all unserer erklärenden Kenntnis spottet. Unsere Familie scheint mir besonders dafür geneigt zu sein, wie ich im speziellen Leben unserer Vorfahren und in Beobachtung deiner wie des Stanislaus bemerkt zu haben glaube. Solche Menschen gewinnen die Gottheit viel unmittelbarer, als andere, von denen sie mühsam gesucht wird vermittelst der Gedankenfolge.«
»Mag sein,« rief Xaver, »aber diese anderen haben einen Nachweis und Anhalt in dieser Gedankenfolge, wenn Not an Mann kommt, während wir verlassen sind, sobald uns das Selbstvertrauen verläßt – nicht so?«
»Deshalb muß der Geist geübt, es muß ihm ein Schatz von Formeln und Kenntnissen aufgehäuft werden, damit man in Zeit der Not wenigstens daran, wie an dämmendem Stoffe sich festhalten könne.«
»Du hast recht, du hast recht! Vergib mir, daß ich dir entgegen war, unsere Jungen auf hohe Schulen zu senden, daß ich dir nicht lebhaft genug gedankt habe für alle die Kenntnis, welche du ihnen schon zugebracht – vergib mir, und hilf uns jetzt, da es vielleicht noch Zeit ist! Die Jungen sollen schon in nächster Woche auf die Universität nach Deutschland, und ich will mich zu dir in die Lehre begeben, und auf die alten Tage nachzuholen versuchen, was ich so lange verabsäumt. Wird es nicht zu spät sein, Boleslaus? Nicht ganz zu spät? Ach« – und dabei wies er mit der Hand zum Fenster hinaus – »sieh nur die Bandomirsche Art! Da kommt Stanislaus auf dem rohen Pferde einhergerast, als ob er in dieser wilden Beschäftigung in seinem Elemente sei; wird uns an diesem Geschlechte eine Bildung, wie ich sie an mir vermisse, gelingen?«
»Eine solche schließt ja die fröhliche und tapfere Lebenskunst nicht aus, lieber Xaver!«
Die Söhne nahmen es munter auf, daß sie schon in nächster Woche nach Deutschland sollten. Es schmerzte sie wohl, daß sie sich auf Jahre von dem kaum gefundenen Vater trennen sollten, aber Jugend ist ja auf Unternehmung gestellt und rechnet nach phantastischen Wünschen und nicht nach Jahren.
»Urban soll euch bis Königsberg begleiten,« sprach der Vater, »um euch für die erste Einrichtung an die Hand zu gehen – ruft ihn herauf!«
»Er ist eben wieder nach Kummeln zu hinweggeritten und hat Pascha mitgenommen.«
»Urban?« – Und nach einigem Besinnen schien dem alten Herrn eine Erinnerung zu kommen, er seufzte und tadelte den alten Diener, daß er sich ohne Not in Gefahr begebe. Ehe man nachfragen konnte, verkündete Scipio, der am Fenster stand, daß Hemmo, der Jäger, soeben von Mitau heimkehre.
»Wie?« fragte Xaver, »hast du damals wirklich noch –?«
»Ich habe, wie du wolltest,« erwiderte Boleslaus, »die Eingabe ums Indigenat an den Landtag abgesendet und Hemmo aufgetragen, den Bescheid abzuwarten.«
»Mein Gott, mein Gott, Kinder! In so unglücklicher Zeit – jetzt hätten wir nichts versuchen sollen!«
Die Brüder sahen einander fragend an, nicht begreifend, was der Vater meine, und Stanislaus ging rasch hinab, um dem Jäger die Briefschaft abzunehmen.
»Ich tröste mich damit,« sprach unterdessen Xaver, »daß noch keine Entscheidung gefaßt sein wird. Die Ritterschaft müßte ja ihr Wesen von Grund aus geändert haben, wenn sie innerhalb acht Tagen eine Rechtsanfrage erledigen sollte. Nur die äußerste Gunst oder Ungunst könnte so etwas bei ihr zuwege bringen – der ersten haben wir uns nicht zu erfreuen, und die zweite haben wir doch auch nicht gerade zu fürchten, wenn uns auch ein Teil der Kurländer politischer Dinge halber abgeneigt ist, nicht wahr, Boleslaus?«
Ehe dieser noch antworten konnte, trat Stanislaus wieder ein, einen großen Brief in der Hand haltend und dem Vater überreichend. Dieser wies ihn damit an den Onkel, nachdem er flüchtig auf das Siegel gesehen und die kurländischen Löwen und Hirsche darauf erkannt hatte. Er sah mit Unruhe auf seine Söhne und schien auf einen Vorwand zu sinnen, welcher die Entfernung derselben bewerkstelligen könne, Boleslaus aber ward dieser Absicht nicht inne, schlug den Brief auseinander und begann ohne weiteres zu lesen:
»Demnach des so weit uns bewußt Edelgebornen Herrn Xaver von Bandomir, königlich schwedischen Oberstwachtmeisters Meriten mehr das Ausland, welches uns nicht jederzeit wohlgesinnt verblieben, als die kurische Landschaft betreffen, obenerwähnter Herr Oberstwachtmeister Xaver von Bandomir sodann erst vor kurzem nach zwanzigjähriger Abwesenheit auf die kurischen Pfandgüter Brüggen, Kummeln, Brunnen und Born zurückgekehrt ist, als sehen wir uns gemüßigt, auf dessen Petition, in das Gremium unserer Indigenas aufgenommen zu werden, hiermit vorläufig ablehnend zu bescheiden.«
»Im Namen Einer Wohlgebornen Ritterschaft und Landschaft
Johan Christopher v. Sacken.
Auf der brüderlichen Konferenz
zu Mietau d. 3. März 1719.«
Eine Totenstille folgte dieser Vorlesung; dann griff Stanislaus hastig nach dem Briefe, sah eine Minute lang starr hinein, warf ihn dann auf die Erde und trat mit den Füßen darauf. Sein blasses Gesicht war blutrot geworden, und die Stirnader strotzte hochaufgelaufen dräuend hervor. Vater und Onkel verwiesen ihm das Benehmen, aber sein Zorn brach ungehemmt in die Worte aus: »So wahr ich Bandomir heiße, diese verworrenen Menschen sollen sich mit Schrecken ihres dritten März erinnern!«
»Aber Stanislaus!«
»So wohlfeil,« fuhr dieser fort, »ist sonst dieses Indigenat, noch vor wenig Wochen ist es einigen Advokaten zuteil geworden, und einem berühmten Krieger aus einem tadellosen Hause, einem Manne, der mehr gesehen, erlebt und getan als die ganze Ritterbank zusammen, dem tapfersten Manne des Landes, zu dem sie flüchten, wenn sie in Not sind, meinem Vater verweigern sie – oh! Und wie? Mit einem hämischen Seitenblicke auf unsern Adel, und das könnte ein Bandomir vergeben? Meine eigene Hand würde ihn erwürgen!«
Damit stürzte er aus dem Zimmer. Scipio folgte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, die alten Herren saßen regungslos und schweigend, Kummer und Niedergeschlagenheit lagen wie ein schwerer Regenhimmel auf Xavers Antlitze, welches starr nach der Türe gerichtet blieb, als wollte es durch seinen trostlosen Ausdruck die Söhne zurückrufen.
Am andern Tage um die Mittagszeit kam Urban wieder heim. Er sah traurig aus und Pascha desgleichen. Die Säbelscheide, welche er in Leinwand gehüllt mitgenommen, war auch jetzt noch leer, und er trug sie ebenso verhüllt, damit niemand die Schmach gewahren möge, auf das Zimmer seines Herrn. Zum ersten Male in seinem Leben fand Urban seinen Herrn dergestalt mit Lesen beschäftigt, daß der eintretende Diener und der heranwedelnde Pascha nicht bemerkt wurde, und daß die Pfeife darüber vergessen war.
Militärisch am Eingange stehen bleibend, machte Urban seinen Bericht, wie er vermittelst Paschas Ortssinn die Stelle ausgefunden habe, wo der Herr Oberstwachtmeister mit dem Schimmel gestürzt und des Säbels verlustig gegangen sei, aber der Säbel –
»Ach ja, Urban, du bist nach dem Säbel ausgewesen!«
Aber der Säbel sei verschwunden, und zwar könne man nur eines einzigen Mannes Fußtritte neben den Pferdehufen spüren, er sei also vielleicht nicht einem der Litauer in die Hände gefallen.
»Dann wollen wir nachfragen lassen, ob ihn ein Oberländer gefunden.«
»Gnädiger Herr –«
»Nu warum nicht! König Karl hat mir ihn bei Bender geschenkt, es ist ein Andenken, welches der Familie verbleiben soll.«
»Aber – gnädiger Herr – wir alten Soldaten sagen doch nicht gern – daß wir unsere Waffe verloren haben!«
»Es ist vorbei mit dem kriegerischen Ehrgeiz, Urban!«
»Das wolle Gott nicht, Herr Oberstwachtmeister!«
»Du hast mich in jener Nacht schwach gesehen – ich bin schwach geworden für immer.«
»Gott bewahre! Der Hieb, den Sie, durch die Beiwacht sprengend, ausgeteilt, ist noch von gutem, altem Schlage gewesen, und hat mit gutem, altem Kriegsglück just den Chabelsky niedergeworfen!«
»Was sagst du?«
»Jakut hat's heute morgen in Schönhaiden erzählt.«
»Es wäre ein trauriger Spott des Schicksals, wenn ich mit furchtsam zitternder Hand noch einen tapfern Kriegsmann gelähmt hätte, ja, es wäre mir peinlich und schmerzlich.«
»Gnädiger Herr –«
Urban wurde unterbrochen durch großes Geräusch auf dem Vorsaale. Er öffnete die Tür, und der Schloßberger, der Grünwalder und noch einige andere Kurländer zeigten sich, traten ein und begrüßten mit vielem Jubel Herrn von Bandomir, den alten Schweden, den Befreier des Landes, wie sie sich ausdrückten. »Es klingt wie aus der alten Ritterzeit,« rief der Grünwalder, »daß ein einzelner Kämpe mit seinem Knappen sich mitten unter den Feindeshaufen stürzt, den Führer des Haufens mit einem Streiche zu Boden streckt, damit die Fehde endigt und unbeschädigt von dannen reitet – zieht Euch nicht hinter allzu große Bescheidenheit zurück, tapferer Bandomir, wir wissen alles! Ein Läufling, den sie mir fortgeschleppt, ist in dem Getümmel entsprungen und hat mir alles erzählt, und soeben erfahre ich noch, daß Chabelsky schwer verwundet in Braslaw daniederliegt, und daß aller Einfall von dieser Seite wie mit einem Zauberschlage beendigt ist.«
Xaver fühlte sich so beschämt und verlegen, daß er nichts zu antworten wußte. Der Schloßberger schrieb dies anderen Gründen zu, und als eben auch Stanislaus und Scipio eintraten, und auf die frostigste, beinahe unhöfliche Weise ihre Begrüßung ausdrückten, ward er in diesem Glauben bestärkt, und hielt es für angemessen, den bedenklichen Fleck ohne weiteres zu berühren. »Ich begreife es,« sprach er, »Herr von Bandomir, daß es Ihnen peinlich ist, in diesem Augenblicke Danksagungen anzuhören von Kurländern, da Ihnen eben die kurländische Ritterbank ein Gesuch abgeschlagen hat –«
»Eine Anfrage, Herr von Sieberg,« schaltete Stanislaus ein.
»Erinnern Sie sich aber, Herr von Bandomir, daß wir selbst Ihnen dringend abgeraten haben, jetzt um das Indigenat nachzusuchen, daß wir Ihnen offen die politischen Mißlichkeiten des Augenblicks auseinandergesetzt. Nun wissen Sie ferner selbst, wie schwer eine Korporation von mehr denn hundert Köpfen, die nichts Gemeinschaftliches haben als den Trotz auf Eigenmächtigkeit, zu behandeln ist, wie schwer in einem Herrenregimente, wo jeder genießen und keiner opfern will, eine milde Rücksicht Platz finden kann. Es war also uns Oberländern, denen Sie sich gleich nach Ihrer Heimkehr so willfährig und gefällig erwiesen, es war uns schwer, gegen die Knorres und Thorhackens, Ihre Widersacher, aufzukommen, da die Kurländer des Niederlandes Ihren Wert nicht so in Anschlag brachten als wir hier an der Grenze. Aber dennoch hätten wir vielleicht etwas Besseres erreicht, wäre nicht etwas zur Sprache gekommen, das alle andern politischen Übelstände überbot. Der Kommandeur der russischen Truppen nämlich, welche in Mitau stehen, ließ der Ritterbank anzeigen, es sei der Oberstwachtmeister von Bandomir gewesen, welcher, um sich nach der Niederlage von Pultava aus russischer Gefangenschaft zu befreien, einen russischen General getötet habe. Dieser General sei ein Verwandter des Fürsten Menschikoff gewesen. Sie können denken, daß dies schon entscheidend gegen Sie wirken mußte, denn niemand will jetzt, da noch russische Truppen im Lande stehen, den Fürsten Menschikoff, sei es auch noch so entfernt, beleidigen. Aber als ob dies alles noch nicht hingereicht, verbreitete Thorhacken und bewies es im letzten Augenblicke, daß Ihre Aufnahme vom Herzog Ferdinand gewünscht werde. So wird Ihnen der Ausgang erklärlich sein, Sie werden ihn uns nicht zurechnen, und Sie werden an der Offenherzigkeit unseres Dankes für Ihre so überaus tapfere Anführung gegen die Litauer nicht zweifeln. Lassen Sie ein Jahr oder zwei ins Land gehen, erlauben Sie uns, die wir die lärmende Stube in Mitau kennen, Ihnen den richtigen Zeitpunkt anzugeben, und Ihr Name wird ins Buch der kurländischen Ritter kommen, so würdig, wie irgendeiner.«
»Er steht im böhmischen Adelsbuche seit längerer Zeit, als es eine kurische Ritterbank gegeben,« sprach Stanislaus, der sich neben seinen Vater gestellt hatte. Xaver, den von Siebergs Rede über die peinliche Verlegenheit, welche ihm von Roops Zuruf verursacht, hinausgebracht hatte, hieß seinen Sohn schweigen, lenkte die Aufmerksamkeit auf die Tafel, für welche die Zeit gekommen, und auf die Abreise seiner Söhne, die in den nächsten Tagen bevorstände, und brachte sich damit für den Augenblick und bei Tafel durch Schilderungen des seligen König Karl über diese Themata und die peinlichen Beziehungen hinweg, welche der Besuch erweckt hatte. Als die Kurländer mit einbrechendem Abende von dannen geritten waren, erklärte er den Söhnen, daß er sie selbst nach Königsberg bringen werde, und zwar schon den zweitfolgenden Tag. Nachdem er sie dort eingerichtet, wollten sie zusammen nach Danzig. Dort wolle er sie dem Herzog Ferdinand vorstellen, denn es sei ihm einleuchtend, daß dieser Adelsregierung im Lande eine Veränderung bevorstehe, und es könne ihnen Nutzen bringen, wenn sie dem Herrn empfohlen seien, der wenigstens dem Namen nach Herzog von Kurland, und der bei einer eintretenden Katastrophe doch sicherlich eine wichtige Stimme haben werde.
Vierzehn Tage später finden wir die drei Bandomire, Xaver, Stanislaus und Scipio, in einem mit Waffen dekorierten Saale zu Danzig. Sie harren des Winkes, in das Kabinett des Herzogs Ferdinand einzutreten, welcher als königlich polnischer Generalleutnant in dieser Weichselfestung seinen beständigen Sitz hatte, und das Herzogtum, welches der Tat nach vom kurischen Adel regiert wurde, mit keinem Fuße betrat. Sein Zerwürfnis mit dem kurischen Adel hatte damals den höchsten Grad erreicht, besonders infolge eines Vorfalls, der sich einige Jahre vorher ereignet und in seiner gerichtlichen Konsequenz alle Regierungsverhältnisse auf die Spitze gestellt hatte. Ein königlich polnischer Oberst, Karl Friedrich von Firks, hatte sich geweigert, ein Pfandgut herauszugeben, welches von der Kammer als frei von der Pfandsumme erklärt worden war. Der Herzog, immer geneigt, die kurischen Formen gewaltsam zu durchbrechen, hatte befohlen, jenen Herrn von Firks durch bewaffnete Reiter aus seinem Hause zur persönlichen Haft zu bringen. Kurische Rechtsverhältnisse gestatteten dies nur auf frischer Tat eines Verbrechens oder nach gefälltem rechtskräftigem Urteil. Von Firks, sich hierauf berufend, erklärte also die auf Befehl des Herzogs abgesandten Reiter für eine Räuberhorde, die er durch Schuß und Hieb von sich abhalten werde; während er aber also gesprochen, hatte ein Korporal dieser Reiter auf ihn angeschlagen, Feuer gegeben und ihn zu Boden gestreckt. Das erregte den Ausbruch allgemeiner Entrüstung, und es ward eine Kommission errichtet, welche, von diesem speziellen Falle ausgehend, die Schattenmacht des Herzogs bis zur völligen Nichtigkeit beschränkte.
Gegen die Kurländer also war das Verhältnis des Herzogs ein einfach feindseliges, ein Kampf um Sein oder Nichtsein. Seine Lage war aber noch viel verwickelter; er verschob es trotzig, sich von Polen belehnen zu lassen mit dem Herzogtume, und obwohl die Kurländer es sonst ganz gern gesehen hätten, der polnischen Lehensoberhoheit ledig zu sein, so war ihnen doch hier dem verhaßten Herzoge gegenüber der Vorwand willkommen. Sie verweigerten einem nicht belehnten Herzoge die Huldigung. So blieb der Thron der eigentlichen Form nach halb erledigt. Das war in einer Zeit, da sämtliche Nachbarn: Schweden, Rußland, Polen und Preußen, ein Auge auf das verworren regierte Kurland warfen, von unmittelbarer Gefahr für die Unabhängigkeit des Landes. Denn die Zeit der Oberlehensherrschaften war vorüber, wenn also ein Nachbar Kurland an sich brachte, so war nicht mehr von einem bloßen Lehenswechsel, sondern es war dann von einer Einverleibung Kurlands die Rede. Solche Wendung lag um so näher, da Herzog Ferdinand schon ein alter Mann und unvermählt, außer ihm aber kein Sproß des Kettlerschen Hauses mehr übrig war. Starb er also, so verfiel die Herrschaft ohne weiteres der politischen Übermacht der Nachbarn. Wohin spekulierten denn nun wohl die Kurländer, indem sie von einem Herzoge nichts wissen wollten, der leichtlich ihr letzter sein konnte, und doch eine Einverleibung an einen Nachbarstaat keineswegs wünschten aus gegründeter Besorgnis, damit ihre Adelsherrschaft einzubüßen? Wohin? Ihre Aristokratie, wie anmutig oder selbst freisinnig bis auf einen gewissen Punkt sie sich im einzelnen darstellen mochte, erhob sich doch damals als politische Körperschaft nicht über die Gedankenlosigkeit oder den Wirrwarr halber Gedanken, wie dergleichen einem Haufenregimente eigen zu sein pflegt. Ob der Haufe etwas größer oder kleiner, das heißt ein demokratischer oder ein aristokratischer sei, wenn ihm ein zu Opfern bereiter Gemeinsinn und eine infolgedessen streng geordnete Verwaltung gebricht, so ist und bleibt er in politischer Frage ein Haufe, der keine kompakte Spekulation zustande bringt.
Und wohin trachtete der Herzog? Nach einer unumschränkteren Herzogsmacht, die er am sichersten zu erreichen glaubte, wenn Kurland, in sich aufgelöst, einer monarchisch durchgreifenden Hand am bedürftigsten wäre? Vielleicht. Wenigstens war sein Aussehen und sein persönliches Wesen das eines Mannes, welches dem gebieterischen Monarchismus ähnlich sah, wie er sich Ende des siebzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in starken Persönlichkeiten dargestellt hatte, in Ludwig XIV., in Peter dem Großen, in Karl XII., im großen Kurfürsten, und selbst auf zweiter Linie in König August von Polen und Sachsen, in Friedrich Wilhelm I. von Preußen.
Die Bandomire fanden ihn aufrecht stehend vor einem Tische, auf welchem eine große Landkarte ausgebreitet lag. Hinter ihm an der Wand hing das lebensgroße Bildnis Ludwigs XIV.; von den Seitenwänden sahen die Kettler von Gotthard bis auf Friedrich Wilhelm herab, dem Bilde des französischen Königs gegenüber sah den Herzog sein eigenes Porträt in Lebensgröße an. Er war ein Mann von Mittelgröße mit kahlem Vorderhaupte, um dessen Schläfe sich weißgraue Locken ringelten. Das Antlitz hatte durch die stark hervortretende Nase, durch die tiefliegenden Augen, deren Blick ungleichmäßig, aber wo er sich zusammendrängte, dringend und streng war, und durch einen festgeschlossenen Mund etwas Finsteres und Herrisches, dem der starke Knochenbau des Körpers, wohl ausgeprägt durch die knappe sarmatische Uniform, Nachdruck gab. Er begrüßte die Bandomire, deren Namen der einführende rot gekleidete Kammerhusar laut ausrief, vornehm leutselig, und begann das Gespräch sogleich, unverrückt stehen bleibend, mit zornigen Äußerungen über das abgelehnte Indigenatsgesuch. »Sie sollen in Mitau,« fuhr er fort, »die mir getreuen Bandomire auf ihrer Ritterbank sehen, diese aufsässigen Kurländer, so wahr noch nicht aller Tage Abend und Herzog Ferdinand noch lebendig ist.«
»Herzogliche Hoheit!« nahm sogleich Stanislaus zum Schrecken seines Vaters voreilig das Wort, »wir petitionieren fürder nicht bei unseresgleichen um Gunst oder Recht, sondern gedenken uns geltend zu machen ohne ein Kurländertum, dessen wir nicht bedürfen. Wir bitten nur um Fortdauer Eures herzoglichen Wohlwollens, und daß selbiges unserer gedenken möge, wenn der Tag der Rechenschaft eintritt. Wir sind vier Männer, denen mancher Oberländer folgt, wenn endlich ein scharfes Regiment eingeführt wird.«
Der Herzog hatte mit zusammengezogenen Augenbrauen zugehört, weil ihm offenbar das rasche Wortnehmen des jungen Mannes nicht gefallen hatte. Der Sinn dieser Worte gefiel ihm aber, und er fragte mit erheitertem Angesichte, ob dieser junge Mann der älteste Sohn des Oberstwachtmeisters sei. Darauf ließ er sich gegen diesen in eine Betrachtung der politischen Lage Kurlands ein, und verweilte nur bei dem einen Nachbar, dem Zaren, alle anderen für ungefährlich in betreff Kurlands haltend. »Wenn Ostermann von dem Friedensgeschäfte mit Schweden aus Nystädt zurückkehrt,« setzte er hinzu, »wird Zar Peter den Titel eines Kaisers annehmen, und da er alle Hauptanstrengung seines Lebens, Rußland an der Ostsee mächtig zu machen, mit Ruhm und Erfolg gekrönt, und Schweden, seinen Hauptgegner, überwunden sieht, so wird sein nächstes Augenmerk auf Abrundung dieses Ostseekreises gerichtet sein, und dafür ist Kurland erforderlich. Gelingt es uns also nicht bald, ein festes, ruhiges Regiment, das den Nachbarn keinen Grund zur Einmischung gibt, in Mitau zu errichten, dann wird die russische Leibwache, welche jetzt meine Nichte, die Frau Großfürstin, umgibt, anwachsen und anwachsen, daß die Ritterbank wie ein Bach im Meere verschwinden wird. Gelingt es uns aber – und Gott sei Dank, der einzig übrige Kettler ist in mir noch vermögend an Leib und Seele – die Kurländer zur Räson und dem Throne eine leibliche Nachfolge zuwege zu bringen, dann wird der russische Kaiser, der bei allem Unternehmungsgeiste ein billiger und gerechter Regent, sich zu freundnachbarlichen Verhältnissen bereitwillig finden. Tut also, ihr Herren von Bandomir, soviel an euch ist, alles dazu, daß der kurländische Eigensinn gebrochen und einem durchaus neuen, frei monarchischen Regimente geneigt werde. Es sind mehrere Familien vorhanden, darunter die Howen, die Brinken, die das bereits einsehen, die Sieberg und Roop vielleicht auch. Eure Widersacher, die Knorre und Thorhacken, sind auch die meinigen, mit ihnen sucht keinerlei Vereinigung, ihr verschwendetet damit eure Kräfte und entzöget euch meine Teilnahme. Solche Widersacher müssen gedemütigt, nicht versöhnt werden. Habt Ihr wegen Vermählung Eurer Söhne schon Engagements getroffen, Oberstwachtmeister?«
»Nein, herzogliche Hoheit!«
»Nun so tut bald dazu! Dergleichen ist im Augenblicke wichtig und vermehrt die Macht, wenn man politisch zu wählen weiß.«
Solcherweise und noch näher eingehend unterhielt er sich noch einige Zeit mit den Bandomiren. Es entwickelten sich Winke, ja Vorschriften, wie er entschlossen sei, das kurländische Adelsregiment umzustoßen, und in welcher Weise seine Freunde dafür handeln sollten. Zu diesem Handeln rechnete er als etwas sehr Wichtiges die Wahl der Gattin, und äußerte sich darüber unverhohlen und deutlich, hinzusetzend, daß er selbst, obwohl schon so weit vorgeschritten an Jahren, aus politischer Ursache noch eine Vermählung schließen werde. Erst nachdem alles genau vorgezeichnet, und die Mittel und Wege für regelmäßige, gegenseitige Mitteilung bestimmt waren, entließ er sie.
Xaver war über die Aufnahme und alle die Einleitungen sehr erfreut. Die Brüder waren es über den rein politischen Teil ebenfalls und versprachen sich eine um so größere Genugtuung, je gründlicher das kurische Regierungswesen umzugestalten sei. Nur die Heiratsvorschriften mißfielen ihnen.