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6.

Scipio war in der bedauernswürdigsten Stimmung; er wollte den Bruder warnen und zurückhalten, und doch beschränkte ihn darin sein Zartgefühl. Gute Menschen sitzen für ihre Handlungsweise fortwährend über sich selbst zu Gericht, ihre verborgensten Neigungen, ja Regungen gelten ihnen für unabweisliche Zeugenaussagen, und die Regungen, welche Scipio Hedwig gegenüber empfand, traten dem offen abratenden Worte, welches er an Stanislaus richten wollte, in den Weg. Er äußerte also nur schüchterne Einwendungen gegen den Bruder, als ihm dieser auf dem Heimritte die Fülle seines glücklichen Herzens ausschüttete. Sein Herz war schmerzhaft zusammengepreßt vom Jubel des glücklich Aufgeregten, und wie weh ihm dieser Jubel tat, weil er seinem eigenen Herzen alle Hoffnung raubte, weil er ihm ein Frevel war gegen den bürgerlichen Stolz der Bandomire, weil er dem hinterlassenen Willen des Vaters schnurstracks entgegenlief, und weil er endlich nur Widerwärtigkeit und Weh für die Zukunft des geliebten Bruders daraus entsprießen sah; doch brachte er es nicht über sich, entschlossen dawider zu reden. Zunächst deutete er nur an, daß ja die Knorre entschiedenste Feinde der Bandomire seien. –

»Nun, so werden sie vielleicht von nun an unsere Freunde,« erwiderte Stanislaus.

»Wir wollen die ihrigen werden, nicht sie die unserigen. Wird der alte Knorre um eines Schwiegersohns willen, der sich ihm anbietet, seine politischen Grundsätze ändern?«

»Gleichgültig! Ändere ich die meinen? Lieb' ich die Knorreschen Ansichten, weil ich Knorres Tochter liebe? Sie mögen treiben, was sie wollen und können, ich will nichts von ihnen als mein Weib, und Hedwig hat nichts zu tun mit der Politik ihres Vaters!«

»Aber wird denn dieser harte Vater nur das Herz seiner Tochter befragen? Wird er einem Widersacher, der nicht zu ihm treten will, sein Kind geben?«

»Das wissen wir noch nicht, quälen wir uns also nicht mit schlimmen Möglichkeiten! Ich reite morgen nach Ellern und übermorgen wieder, und wenn die Sache spruchreif ist, so werden wir erfahren, wie sich der Alte benehmen will, genug, daß ich weiß, wie ich mich in jedem Falle benehmen werde.«

»Du willst nach Ellern?«

»Natürlich.«

»Hat man dich eingeladen?«

»Nicht, daß ich wüßte – was frag' ich danach! Ich ritte nach Braslaw, wenn Hedwig beim Ökonomus wohnte, oder gar« –

»Chabelskys Tochter wäre! Stanislaus, ist dir denn das Andenken an unsern Vater gleichgültig geworden?«

»Welche Frage, Scipio! Lieb' ich die Feinde unseres Vaters, wenn ich ein Kind oder eine Verwandte dieser Feinde liebe? Bin ich denn etwa den Grundsätzen alter Stammbäume, alten Adelstorheiten zugetan, nach denen die Feindschaft unter Familien für eine heilige Erbschaft gilt? Sind wir Korsikaner, denen Blutrache Gesetz?«

»Aber wir sind gute Söhne, die nichts tun wollen, was den Vater im Grabe verletzen müßte.«

»Wie sollte das meine Liebe zu Hedwig? So absonderlich haßte der Vater die Ellernschen gar nicht, er haßte ja überhaupt nicht mehr in seinen letzten Jahren – ich begreife dich nicht, Scipio« – und hier hielt er sein Pferd an – »von deinem liebevollen Herzen hoffte ich die innigste Teilnahme, Glück erhöhendes Mitgefühl, und du hast nichts als Widerspruch! Was ist mit dir vorgegangen?«

Scipio reichte ihm die Hand und versicherte ihn mit fast gebrochener Stimme seiner unverbrüchlichsten Bruderliebe. »Aber du bist so ungestüm,« setzte er hinzu, »die Lage ist so dringend, und meine Pflicht ist so bestimmt vorgezeichnet, dich von Ellern abzuhalten.«

»Warum nicht gar!«

»Ich geschweige des Herzogs Ferdinand, der uns beim Abschiede just auf den Punkt passender Heirat aufmerksam machte.«

»Und mich schon damals mit dieser Zudringlichkeit ärgerte!«

»Der seine Hand ganz von uns abziehen wird, wenn er unsere Verbindung mit seinem ärgsten Feinde, dem Ellernschen, erfährt.«

»Seine Hand! Wo haben wir eine Hilfe dieser Hand gespürt? Sie ist ohnmächtig in Kurland, und wäre sie auch mächtig, werd' ich mein Herz verschließen um Aussicht auf eine politische Begünstigung?«

»Aber daß Frau von Knorre eine geborne von Thorhacken, daß der Vater entschieden gerade gegen eine Verbindung mit den Ellernschen war, und uns nachdrücklicher als vor etwas anderem davor gewarnt hat, das muß ich« –

»Bah! Davon weiß ich nichts! Und ich prüfe und richte mein Leben nicht nach eines anderen Ansicht, und wär' es die meines Vaters, ich reite morgen nach Ellern, und ich gewinne mir von dort mein Weib, und verlör' ich darüber Vater und Bruder und Ohm! Gute Nacht!«

Sie waren am Scheidewege, wo es links nach Kummeln, rechts nach Brüggen hineinging. Stanislaus sprengte bei den letzten Worten auf dem Brüggenschen Wege von dannen, daß der Huf seines Tatars Funken aus den Steinen im Wege schlug, die noch weithin durch die stockfinstere Nacht die Richtung des Reiters bezeichneten. Scipio hielt still auf seiner Stelle, wohl eine halbe Stunde lang. Tränen brachen aus seinen Augen, und sein Weh war groß, auch darüber, daß er dem Bruder Widerwärtiges und doch das Rechte nicht gesagt hatte.

Es hätte auch nichts geholfen, wie hoch in Wogen jetzt eben sein gewaltsames Wesen einhergeht! mußte er sich gestehen.


Der alte Herr von Knorre war ein schlimmer Mann. Obwohl ihm die Bandomire innerlichst verhaßt waren, so hielt er doch an sich bei diesem unerwarteten Zudrängen des älteren. Umsonst hetzte Puttkammer, ein Bewerber gutmütigen, gewöhnlichen Schlages um Hedwig, umsonst fragte Julius, der einzige Sohn Knorres, was denn für eine Stellung einzunehmen sei? »Denn wenn wir nicht rasch eine nehmen,« setzte er hinzu, »so gibt's ein Unglück, diese Bandomire lassen nicht mit sich scherzen!«

»Ich glaube Junge, du fürchtest dich?«

Auch Frau von Knorre bat, eine entschiedene und zwar eine abweisende Stellung einzunehmen. Wie lieb ihr allem Augenscheine nach die Bandomire waren, und vielleicht besonders Stanislaus, so sehr zitterte sie vor dem Gedanken, daß er ihre Tochter lieben und gar zur Ehe begehren könne. Sie war krank geworden von den peinlichen Eindrücken auf Schloßberg, und als sie jetzt nach einigen Tagen so weit wieder hergestellt war, um der Angelegenheit ruhig ins Auge zu sehen, eröffnete sie ihrem Gatten unverhohlen ihre desfallsige Bitte. Von Knorre aber schwieg hartnäckig; nicht der Gattin, vor welcher er sonst großen Respekt zeigte, nicht seinem Sohne, nicht Puttkammern gelang es, nur irgend eine bezeichnende Äußerung von ihm zu gewinnen. »Ihr macht zuviel Wesens,« sagte er ablehnend, »von einer Sache, die noch gar nichts ist – laßt die Dinge kommen!«

Er war ein heftiger Mann, aber er war politischer Parteigänger und spekulierte als solcher. Dies Interesse hielt seine Leidenschaftlichkeit in Schranken, und jetzt eben war ein politischer Moment eingetreten, welcher ihn zu großer Tätigkeit aufforderte, und für welchen ihm der Beistand der Bandomire gar wünschenswert sein konnte. Er wußte sehr wohl, welch eine wohlgeübte bewaffnete Macht, welch ein Anhang unter der oberländischen Jugend dem Brüggenschen und Kummelnschen zu Gebote stand; diese Macht war ihm, der zu Litauen und Polen hielt, just hier im Oberlande an der litauischen Grenze ein Dorn im Auge, und deren Gewinn wäre ihm gerade jetzt, wo an dieser Seite etwas im Werke war, ein außerordentlicher gewesen. Ein interessanter Prätendent nämlich für den kurischen Herzogshut war eben aufgetreten, und da er das Interesse des polnischen Königs und das Interesse der Großfürstin Anna, die von Rußland geschützt wurde, in sich vereinigte, so fand er viel Zustimmung in Kurland, und Knorre besonders warb für ihn. Dieser Prätendent war der natürliche Sohn Königs August und der schönen Gräfin Königsmark, war der als Graf Moritz von der Raute eingeführte, um seiner Tapferkeit willen zum Grafen von Sachsen erhobene, vielbegabte Mann, welcher als Marschall von Sachsen in der Geschichte bekannt ist. Er erschien, ein glänzender, genialer Kavalier, damals zum ersten Male in Kurland, ward von der Großfürstin Anna günstig angesehen, und man verhoffte, sie werde ihn heiraten und er werde Herzog von Kurland werden. Herzog Ferdinand galt dabei immer als das geringste Hindernis; er war hohen Alters, war noch immer nicht belehnt, kam nicht nach Kurland, hatte kein Kind, und wohl oder übel, erwartete man, werde der König von Polen zum Besten seines Sohnes eine Ausgleichung mit dem alten, eigensinnigen Herrn finden, von dem doch ein für allemal Kurland nichts wissen wollte.

Diese Angelegenheit war ganz neu, als die Bandomirsche plötzliche Annäherung Herrn von Knorre überraschte. Das sind ein paar Jungen für den Grafen Moritz! dachte er sogleich, als sein erster Zornesunmut niedergedämpft war – er wird ihnen, sie werden ihm gefallen, mit ihnen ist das Oberland an der Grenze uns gewonnen!

So verhaßt, wie ihm der verstorbene Oberstwachtmeister gewesen, waren sie ihm doch auch nicht, wenn sie ihm auch widerwärtig waren, und ob die geduldete Annäherung des ältesten bis zu einem Heiratsbegehr kommen, oder dies Heiratsbegehr gar bewilligt, Hedwig von Knorre eine Bandomir werden sollte, bis dahin war ja noch ein weiter Weg. Also »laßt die Dinge kommen!« war ein ganz wohl überlegter Ausdruck des Ellernschen.

Sie kamen. Stanislaus sprengte eben in den Hof zu Ellern, als die Knorresche Familie mit Puttkammer im Wohnzimmer versammelt und im Gespräch über dies Thema begriffen war, im Gespräch, das von Julius und von Puttkammer im wesentlichen unterhalten wurde, da Herr von Knorre meist schweigend im Zimmer auf und ab ging, und Frau von Knorre ebenfalls wortkarg am Fenster saß. Hedwig, welche bisher ganz außer Frage geblieben war, trat eben ins Zimmer. Ihr gerötetes Antlitz, ihre leuchtenden Augen verrieten der zitternden Mutter, daß sie die Ankunft des Reiters bemerkt, und daß hier rasches Einschreiten not tue, wenn das Kind nicht geopfert werden solle.

Stanislaus fand also einen sehr frostigen Empfang, denn auch der alte Herr von Knorre fühlte seinen Bandomirhaß unwillkürlich aufgeregt, als er diesen stolzen Jüngling eintreten und, des kalten Empfanges ungeachtet, mit einer Sicherheit und Zuversicht sich benehmen sah, als sei außer der Liebe Hedwigs und außer der Achtung der Mutter nichts Beachtenswertes für ihn vorhanden im Ellernschen Hause. Stanislaus' Empfindungen waren so innig und stark, daß sie sich von keinerlei Rücksicht und von keinerlei Besorgnis oder Furcht beeinträchtigen ließen. Wo ein anderer befangen oder gepeinigt worden wäre, von einer ihm so deutlich mißwollenden Familie, da hatte er für nichts Augen als für die Augen seiner Geliebten und war so frei und heiter, daß er die Unterhaltung lebhaft zu beginnen und bei aller Ungunst der Erwiderung lebhaft fortzuführen, am Ende auch Frau von Knorre dahinein zu nötigen wußte. All seine Seelenkräfte waren geweckt und in munterster Lebendigkeit. Julius von Knorre, ein lebelustiger Charakter, ließ sich auch von einigen ihn ansprechenden Wendungen des Gesprächs allmählich zur Teilnahme verlocken, Puttkammer, der durch Opposition stören wollte, ward durch überlegene Erwiderung gezwungen, seine übel gemeinten Einwürfe zu begründen, und solchergestalt ebenfalls teilzunehmen, und der Hausherr fand somit Zeit, seinen Widerwillen zu bekämpfen, fand Gelegenheit, dem Gespräche eine politische Wendung zu geben. Damit sollte Stanislaus ausgehorcht werden.

Obwohl nun Stanislaus keineswegs gemeint war, sich in diesem Betracht irgendwie hinzugeben, so folgte er doch dem natürlichen Takt seiner Lage und entzog sich mehr als sonst aller entschiedenen Äußerung.


Je mehr man ein Wasser zurückstaut, desto mächtiger schwillt die Flut an, desto ungestümer wird später der Durchbruch. Der alte Herr von Knorre versuchte es bei nochmaligem Besuche Stanislaus', dessen politische Teilnahme zu gewinnen, und als dieser wiederum darauf nicht einging, war die Geduld des alten Edelmanns zu Ende, er verließ das Zimmer mit dem festen Vorsatze, jetzt nur nach der schreiendsten Gelegenheit zu trachten, wie er diesen zudringlichen Feind aus seinem Hause weisen könne. Zu dem Ende ritt er nach Grünewald zu Herrn von Roop und ersuchte diesen, doch in den nächsten Tagen, wenn er Bandomir vorüberreiten sähe gen Ellern, sich ihm anzuschließen und mit nach Ellern zu kommen.

»Gibt's Verlobung?« fragte dieser erfreut.

»Ja!« erwiderte Knorre.

»Das freut mich, Knorre, das freut mich. Besser kann das Geklatsch, welches umgeht, nicht niedergeschlagen werden.«

»Welches Geklatsch?«

»Nun, der Bandomir mache eigentlich deiner Frau den Hof und verspotte durch sein häufiges furchtloses Erscheinen auf Ellern den Haß, welchen du gegen sein Haus hegest. So hat das Gerücht ein Ende, und auch diejenigen sind beruhigt, welche an Bandomir teilnehmen, welche jene Klatscherei nicht glauben, es aber dem Stanislaus verargen, daß er dem Feinde seines Hauses wie ein Bettler sich aufdränge.«

»Beide Teile sollen zur Genüge aufgeklärt werden!« erwiderte Herr von Knorre.

Schon am folgenden Tage meldete der aufpassende Diener Roops, daß er den Herrn von Bandomir vom Schiskowaer Kruge her nach der Windmühle des Grünwalder Beihofes heraufsprengen sähe. Roop stieg zu Pferde und schloß sich an den Jüngling, dem er wohlwollte, und den er dem Glück entgegen zu begleiten glaubte. Es war fröhliches Sommerwetter und sie genossen in heiterer Stimmung den Duft und das Sonnenglitzern der Waldungen, durch welche in nordwestlicher Richtung der Weg nach Ellern führt. Bei dem Flecken Oknist hatten sie einen sich hereindrängenden Zipfel Litauens zu passieren, und Roop sagte munter: »Nun, lieber Stanislaus, wird wohl auch das schlimme Andenken an dieses Landes Raubritter auf Brüggen vergessen werden –«

»Ich vergesse nichts!« erwiderte plötzlich ernsthaft der Angeredete, dem auch in aufwallendster Stimmung kein Zug von Leichtsinn beikommen konnte. – Jenseits des kleinen Sees, der vor Ellern liegt, sahen sie Herrn von Puttkammer nach dem Hofe zu reiten; das erhöhte Stanislaus' Ernsthaftigkeit, welche durch jene Bemerkung Roops aufgescheucht worden war, und eine gewisse Feierlichkeit des Empfanges auf Ellern war nicht geeignet, ihm die heitere Stimmung, in welcher er ausgeritten war, zurückzubringen.

Hedwig war nicht zugegen, und als Stanislaus ohne weiteres nach ihr fragte, hieß es, sie sei nach dem Pastorate gegangen. Nerft, die nächste Pfarrei, war ziemlich entfernt, und es war vorauszusehen, daß Hedwig erst spät wiederkommen werde. Stanislaus wurde unruhig und ungeduldig – wahrscheinlich hatte der Ellernsche solche Stimmung, die ihre Wünsche am voreiligsten verrät, herbeiführen wollen. Aber daß Stanislaus plötzlich verschwinden und sich nach dem Pastorate auf den Weg machen würde, hatte er wohl nicht erwartet.

Stanislaus eilte in Hast den sonnigen Weg dahin. War es bloß liebende Ungeduld, war es Vorgefühl unheilbarer Störungen – es trieb ihn mit unwiderstehlicher Gewalt der nach Westen hinabsteigenden Sonne entgegen, von woher seine Geliebte kommen sollte. Die Aussicht war offen bis zu einem fernen Gehölz, aber es war kein Mensch zu sehen, die Tagesglut lag schwer auf den blühenden Getreidefeldern, ein Gewitter stieg hinter dem Eilenden auf, und immer hastiger strebte dieser, das Gehölz zu erreichen und dahinter neue Aussicht. Er erreichte es, glühend in körperlicher Hitze, noch glühender vor Verlangen, und achtete nicht der wohltuenden Waldeskühle, ängstlich umherspähend und alle Nebenwege zwischen den Bäumen aufsuchend, daß er die Erwartete nicht verfehle. Erschreckt von dem Gedanken, daß dies doch geschehen könne, rief er laut den Namen »Hedwig«, der Wald hallte ihn wider, und dieser einsame, unbeantwortete Widerhall schlug ihm wie ein Furchtschauer, den er nie gekannt, ins Herz. So aufgeregt erreichte er das Ende des Gehölzes, und – brünstig und fromm, wie es ihm selten begegnete – dankte er Gott. Am Spiegel eines Sees hoben sich zwei Frauengestalten von der Landschaft ab, er unterschied ein weißes Gewand und fliegende Bänder, es war Hedwig mit ihrem Mädchen. Mit verdoppelter Eile flog er ihr entgegen – das Verhältnis zwischen ihnen, so jung und neu, war noch ein unausgesprochenes; jetzt war die erste Gelegenheit da, vielleicht auch die letzte, sich durch Wort und Zusage einander zu versichern. Hedwig hatte den Hut abgenommen, weil weiße Wolken vor die Sonne getreten waren, ihr dunkles Haar wallte um das vom Gehen leicht gerötete Antlitz, das Auge leuchtete in Freude über den Anblick des ihr Entgegenkommenden, und eine schelmische Genugtuung bewegte sich um die schwellenden Lippen, Genugtuung, daß der prächtige Mann sich ihr so ergeben zeige. So empfing sie ihn denn mit einem mutwilligen Ausrufe, daß er über Gebühr erhitzt und wunderlich aussähe.

»Ich habe Ihnen rasch etwas mitzuteilen, Fräulein Hedwig! Erlauben Sie, daß ich Ihr Mädchen vorausschicke, und daß ich Ihnen mein Geleit nach Hause anbiete.«

Ohne auf die Antwort Hedwigs, welche die Augen niederschlug, zu warten, winkte er dem Mädchen und gesellte sich zu Hedwig. Jene beschleunigte ihre Schritte, und das Paar ging schweigend bis in das Gehölz, weil dem stürmischen Stanislaus vielleicht die Dienerin noch zu nahe schien. Jetzt war sie hinter den Bäumen verschwunden, und Stanislaus blieb stehen und ergriff Hedwigs beide Hände. Ein leises Beben flog über des Mädchens Körper, dann hoben sich langsam ihre Augenlider, wie aufwärts gezogen von magnetischer Kraft des drängenden, fragenden, liebeheißen Blickes, in welchem Stanislaus' Seele auf ihrem Antlitze ruhte. Als die Blicke voll einander gegenüber waren, zuckte es wie Blitzesstrahl durch beide, sie sank an seine Brust, er drückte sein Antlitz an das ihre, heiße Tränen flossen ihm über die Wangen, als er sich wieder zurückbeugte, um ihre Augen zu suchen. –

Da hörte er durch den still über die Fluren sich hinbreitenden Sommerabend den Hufschlag eines Pferdes, hörte Stimmen, als ob der Reiter Hedwigs Dienerin befrage, und zog eilig seine Geliebte vom Wege ab, hinter ein Gebüsch. Rasch nahte sich der Reiter, es war Herr von Puttkammer; er hielt in ihrer Nähe, um nach ihnen über das Feld hin auszublicken. – Hedwig hielt den Atem an und sah, halb ängstlich, halb lächelnd, zu Stanislaus empor. Eben wollte Puttkammer weiter reiten, da schoß ein großer Hund an ihm vorüber, hielt plötzlich wie von einem scharfen Zügel angehalten in seinem Laufe inne und wandte den Kopf nach dem Busche, hinter welchem das Liebespaar stand. Es war der steinalte, immer noch rüstige Pascha, der seine Anhänglichkeit vom verstorbenen Vater auf den ältesten Sohn übertragen hatte – ein Luftzug hatte ihm die Nähe seines jetzigen Herrn verraten, und das treue Tier, unter den Oberländern überall als Bandomirisch bekannt, verriet vielleicht in diesem mißlichen Augenblicke den Herrn, welchen es schützen wollte. Denn Puttkammer, Pascha erkennend, hemmte sogleich wieder sein Pferd und machte Anstalt, in der Richtung, welche der Kopf des Hundes andeutete, vom Wege abzubiegen. Pascha aber richtete jetzt den Kopf nach ihm, fletschte die Zähne und knurrte – »Bandomirsche Bestie!« brummte dieser, und hielt unschlüssig. Da hörte man einen neuen Reiter kommen; Puttkammer sah sich um und erblickte Urban. Dieser hatte im Flure des Ellernschen Hauses bemerkt, daß man seinen Herrn suche, und nicht, um ihm Angenehmes zu sagen; er hatte verstörte, zornige Worte gehört und Puttkammer zu Pferde steigen sehen. Ihm war dieser Ellernsche Hof überhaupt unheimlich. Er eilte in den Stall, zäumte die Pferde, nahm den Tatar an den Zügel, schwang sich auf das seine und folgte Puttkammer.

»Wo ist dein Herr?« fragte dieser.

»Ich glaube, er ist eines Geschäftes wegen nach dem Sauckensee hinüber.«

Das war eine Richtung, welche nördlich abbog von dem Pfarrwege. Puttkammer sah ihn böse an und ritt weiter nach dem Pastorate zu, Urban, der still hielt, hinter sich lassend. Als er eine Strecke entfernt war, sprang Pascha wedelnd hinter das Gebüsch, und Urban hörte die Stimme seines Herrn, der ihm befahl, ruhig wieder zurückzureiten nach Ellern – der Diener gehorchte, ohne zu fragen, ohne sich umzublicken, und Arm in Arm folgten ihm Stanislaus und Hedwig.

»Wir werden einen schweren Stand haben zu Hause,« sagte Hedwig, »die Eltern wollen dir nicht wohl, und Puttkammer, dem sie mich, fürcht' ich, bestimmt haben, ist nicht in guter Absicht nach dir aus. –«

»Nach uns! Laß uns standhaft und tapfer sein, Hedwig, dann soll uns kein Mensch was anhaben. Wenn du mich nur zur Hälfte so liebst, wie ich dich liebe, dann siegen wir ob, und wenn sich alles gegen uns verschwört.«

Er fühlte den bekräftigenden Druck ihres Armes und hörte mit Freuden ihre Versicherung, daß sie schon tapfer sein wolle. Sie vergaßen, in Liebeswonne dem Hofe zuschreitend, alles Bedrohliche, was ihrer dort warten möge, und kamen an, beleuchtet vom roten Abendscheine, versunken in Liebesgedanken und Liebeshoffnung. Doch trieb der Mädchentakt Hedwig auf ihr Zimmer, und Stanislaus trat allein in das Gesellschaftsgemach, wo das Knorresche Ehepaar und Roop noch beisammen waren.

Er war so voll Liebe und Wallung, daß er gar nicht wahrnahm, welch eine Wirkung sein Verschwinden gemacht, und wie sich alles zu einem furchtbaren Ausbruch gereift hatte. Als Herr von Knorre rasch auf ihn zukam, ließ er ihn gar nicht zu Worte kommen, sondern erzählte ihm mit dem Freimut einer edlen Seele, daß er so glücklich sei, seine lebhafte Neigung für Hedwig von dieser geteilt zu sehen, und daß er nichts auf der Welt lebhafter wünsche, als Herrn von Knorres Tochter nach Brüggen führen zu dürfen, eine geliebte Gattin und Gebieterin. –

Hier stieß Frau von Knorre einen schmerzlichen Schrei aus und lehnte sich bleich in ihren Lehnstuhl zurück. Stanislaus, nur einen Augenblick erschreckt, fuhr lebhaft fort: »Nehmen Sie mich auf in Ihren Familienkreis, segnen Sie uns, die Gott mit göttlicher Liebe gesegnet! Sie kennen meine äußeren Verhältnisse, Sie wissen, daß ich reich und mächtig bin, meiner Gattin alle Lebensannehmlichkeiten, alle Bedürfnisse ihres Standes bieten zu können.«

Herr von Knorre hatte sich mit der Faust auf den Tisch gestützt, es dunkelte bereits, und da sein Rücken gegen die Fenster zu gekehrt war, so konnte man den Ausdruck seines zusammengezogenen Gesichtes nicht deutlich sehen; aber das sah man, daß die heftigste Bewegung in ihm arbeitete, und daß er sich mit einem halb wütenden, halb triumphierenden Blicke nach dem am Fenster stehenden Herrn von Roop wendete und nach Worten suchte. Nach einer Pause hörte man ihn sagen: »Nun, wie gefällt Ihnen das, Herr von Roop? Ich hatte Ihnen von einer Verlobung gesprochen, und ich könnte Ihnen, wenn ich eine Kammerjungfer Hedwig, von welcher dieser Herr zu sprechen scheint, im Hause hätte, mit zweien aufwarten. Sie werden mit einer zufrieden sein, sobald Puttkammer zurückkommt, und dieser Herr muß sich für Einweihung seiner befremdlichen Gelüste eine andere Stätte suchen.«

»Was ist das? – Aber, Knorre!« riefen Stanislaus und Roop gleichzeitig.

»Was das ist? Meine Hedwig, Hedwig von Knorre, ist ein zu kostbarer Edelstein, Herr Bandomir, als daß der Erbe eines schwedischen Läuflings seine Hand danach ausstrecken dürfe. Die Reichtümer, mit denen Sie prahlen, und die in den Raubkriegen des schwedischen Raufbolds zusammengeplündert sein mögen, die können Sie mit Ihresgleichen verzehren, und kurz und gut, eine Knorre an Herrn Bandomir, Pfandbesitzer in Kurland, zu verehelichen, hieße: sie angesichts der kurischen Ritterbank und der erlauchten Republik Polen an den Pranger stellen – das ist's! Wo sind denn die Adelsbeweise der Bandomire? Soviel ich weiß, stammen diese Leute von böhmischen Bauern, die wahrscheinlich rechtswidrig entlaufen und durch glückliches Abenteuern bereichert sind, wenigstens hat die Ritterschaft bis jetzt zu dieser Stunde noch keine Dokumente gesehen, die eine Standesebenbürtigkeit der Bandomire beweisen könnten. Gehen Sie also, mein Herr, woher Sie gekommen, und vermeiden Sie Ellern und jede Knorresche Gesellschaft, wenn Sie sich nicht herberer Zurechtweisung aussetzen wollen. Daß man Ihrem zudringlichen Besuche und Ihrem soeben geäußerten überdreisten Antrage nicht nach Gebühr begegnet ist, daß ich Ihnen hier persönlich Gründe der Zurückweisung mitteile, das haben Sie nur der kurischen Gastfreundschaft zu danken.«

Bis zum Tode erbleicht und an allen Gliedern zitternd stand Stanislaus vor dem wütenden Alten. Solch eine Beleidigung hatte er nie für möglich gehalten, die Fassungskraft versagte ihm ihre Dienste, es drehte und schaukelte sich alles vor ihm, sein Blick schweifte wie leer im Zimmer herum, da traf er auf das Haupt der Frau von Knorre, die es eben stöhnend nach der Fensterseite bewegte, das unsichere Licht ließ ihn in diesem Profil die Formen seiner Hedwig erkennen, er kam zu sich, er holte Atem, und als die Pause noch eine Sekunde länger gedauert hatte, war er gefaßt. Das Schrecklichste befürchtend näherte sich Roop, als Stanislaus dem alten Knorre noch einen Schritt näher trat, fast Stirn an Stirn – aber er blieb stehen, da Stanislaus zu sprechen anhub. Die tiefe, wie mit einzelnen Donnerschlägen entsetzlich betonende Stimme fesselte und erschreckte ihn mehr, als sonst ein Gewaltausbruch, den er befürchtet, vermocht hätte.

»Alter Mann,« sagte Bandomir, »nicht deinem grauen Haare, nicht, daß ich dein Gast bin, nicht, daß du Gatte jener von mir verehrten Dame bist, hast du's zu danken, daß du in diesem Augenblicke noch atmen kannst, daß du nicht zerschmettert unter meinen Füßen stirbst – deiner Tochter allein und meiner grenzenlosen Liebe für sie dankst du dein Leben. Du hast ihr das ihrige gegeben, jetzt hat sie dir das deinige erhalten, ihre Verpflichtung gegen dich ist aufgehoben – und was mich betrifft, so höre, wahnsinniger alter Mann, und präg' dir's ein in den verworrenen Sinn: Hedwig wird meine Gattin, so wahr ein Gott im Himmel lebt und mir in meiner letzten Stunde helfen wolle!«

Wie das in voller Höhe losbrechende Gewitter hatten die letzten Worte geklungen, und die betäubten Hörer hatten kaum bemerkt, daß Bandomir das Zimmer verlassen. Er flog in Hedwigs Gemach. Sie hatte schon Licht und fuhr schreiend auf, als sie des Geliebten entsetzlich verstörtes Antlitz erblickte. – »Was ist geschehen?«

In kurzen hastigen Worten erzählte er ihr den Vorgang. Schon hörte man die Tür des Gesellschaftszimmers aufreißen und zufliegen, hörte des alten Knorre, der sich von der durch Bandomirs Worte hervorgebrachten Betäubung erholt hatte, fast brüllenden Ruf über den Vorsaal herüber: »Wo ist er? – Wo ist er?« – Bandomir schloß die zitternde Hedwig in seine Arme, preßte mit fieberhaften Lippen einen Kuß auf die ihren und sprach die fliegenden Worte: »Hedwig, heiligst Geliebte! willst du mir schwören vor Gott dem Allmächtigen, mein zu sein, mir zu folgen durch Not und Tod?«

Bebend, aber entschieden sprach Hedwig: »Ich schwör's!«

»– Um meinetwillen zu verlassen Vater und Mutter?«

»Vater und – wenn es sein muß, auch meine Mutter.«

»Gott lohne dir's! Ich fordere es ein, ich hole dich, meine Liebe zu dir reicht über Not und Tod.«

Da war der alte Knorre an der Türe und griff schon ans Schloß. Mit einem Sprunge war Bandomir auf der Schwelle, stieß die Tür auf, die sich nach dem Saale zu öffnete, stieß solcherweise den alten Edelmann ein Stück über den Saal zurück, warf die Türe hinter sich ins Schloß, um der Tochter den Anblick einer Szene zu entziehen, wie er sie erwarten mußte, und wollte wortlos nach der Treppe vorübereilen. Diener kamen mit Lichtern die Treppe heraufgestürzt, sie hatten das Rufen ihres Herrn gehört und am heiseren Tone erkannt, in welcher wütenden Stimmung ihr Herr sei. Er trat denn auch den eilenden Bandomir mit Worten und Gebärden an, welche diesen zum Stillstand bewogen. Daß der verhaßte Freier aus dem Zimmer Hedwigs kam, hatte die Wut des Vaters über alle Grenzen gesteigert. – »Augenblicklich, Elender,« – schrie er oder stöhnte er vielmehr – »packe dich aus meinem Hause, aus meinem Gebiete, oder ich lasse die Hunde auf dich hetzen und meinen Jäger dich niederschießen wie eine Bestie!« – Als bei diesen Worten die Handgebärde des Wütenden dem Körper Bandomirs nahe kam, stieß dieser, ebenfalls außer sich, das Wolfsgeschrei aus, welches er in wilder Jagdlust, Aug' in Auge mit dem wilden Tiere sich angewöhnt hatte, faßte, ein riesenhaft starker Mensch, den langen Edelmann an der Gurgel, preßte sie zusammen, wiederum als wenn er einen Wolf zwischen der Faust hätte, und drückte ihn auf einen Sessel, der in der Nähe stand. Noch entsetzlicher wurde die Szene dadurch, daß Pascha, der seines Herrn Wolfsruf unten an der Haustür gehört, in polternden Sätzen die Treppe heraufgeflogen kam, einen der entsetzten Diener, welche mit Armleuchtern den Schauplatz erhellten, über den Haufen rannte, mit einem Sprunge dem überwältigten und nach Atem ringenden Knorre mit den Tatzen auf Brust und Schultern sprang und offenen Rachens sein Mordgeheul demselben ins Gesicht brüllte. Von dem schweren Anprall des Hundes und vom jähen Rückbeugen Knorres schlug der Stuhl hinten über. – »Brich den Hals wie Elias!« rief Bandomir, pfiff dem Hunde und stieg die Treppe hinab.

Urban, der so etwas erwartet hatte, stand mit den Pferden bereit, sie schwangen sich auf und jagten durch die Nacht davon. Es tat ihnen not, gut beritten zu sein, denn sie waren eben aus dem Gehöfte, da hörten sie die heisere Stimme des Ellernschen durch die stille Nachtluft schrillen: »Hunde los!«


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