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Das Volk von Paris beweinte seine Toten und schrie laut nach Gerechtigkeit und Bestrafung derer, die das Gemetzel um die Tuilerien hervorgerufen hatten.
Elfhundert Menschen, sagt Michelet, dreitausend nach den Gerüchten, die umliefen, waren von den Verteidigern des Schlosses getötet worden. Es waren hauptsächlich Pikenmänner, die Ärmsten der Faubourgs, die getroffen worden waren. Sie hatten sich in Massen auf die Tuilerien gestürzt und waren unter den Kugeln der Schweizer und der Adligen, die von den starken Mauern geschützt waren, gefallen.
Man fuhr, sagt Michelet, die Leichen auf Karren in die Faubourgs, und dort stellte man die Toten zur Schau, damit sie rekognosziert werden konnten. Große Scharen sammelten sich an, und die Racherufe der Männer mischten sich mit dem Schluchzen der Frauen.
Am Abend des 10. August und am nächsten Tage richtete sich die Wut des Volkes hauptsächlich gegen die Schweizer. – Hatten nicht Schweizer ihre Patronen zu den Fenstern hinausgeworfen und so die Menge eingeladen, den Palast zu betreten? Hatte nicht eben das Volk versucht, mit den Schweizern, die auf der großen Eingangstreppe postiert waren, zu fraternisieren, als diese plötzlich aus nächster Nähe ein langes und mörderisches Feuer auf die Menge eröffneten?
Bald aber begriff das Volk, daß man höher greifen mußte, wenn man die Urheber des Gemetzels finden wollte. Das waren der König, die Königin, das ›österreichische Komitee der Tuilerien‹.
Aber eben den König, die Königin und ihre Getreuen deckte die Nationalversammlung mit ihrer Autorität. Zwar waren der König, die Königin, ihre Kinder und die vertrauten Damen Marie-Antoinettes im Turm des Temple eingesperrt. Die Kommune hatte bei der Nationalversammlung durchgesetzt, daß sie in diesen Turm verbracht wurden, indem sie jede Verantwortung für den Fall ihres Verbleibens im Luxembourg ablehnte. Aber im Grunde war nichts Endgültiges getan worden. Nicht bis zum 4. September.
Am 10. August hatte sich die Nationalversammlung sogar geweigert, die Absetzung Ludwigs XVI. auszusprechen: unter dem Einfluß der Girondisten hatte sie nur seine Suspension ausgesprochen und hatte sich beeilt, dem Dauphin einen Erzieher zu bestellen. Und jetzt waren die Deutschen, die am 19. August in der Zahl von 130 000 Mann französischen Boden betreten hatten, im Begriff, auf Paris zu marschieren, um die Verfassung abzuschaffen, den König wieder in seine absolute Macht einzusetzen, alle Dekrete der beiden Nationalversammlungen für nichtig zu erklären und die Jakobiner, das heißt alle Revolutionäre, zum Tod zu bringen.
Man begreift, was für eine Stimmung unter diesen Umständen in Paris herrschen mußte; äußerlich herrschte Ruhe, aber eine dumpfe Erregung bemächtigte sich der Faubourgs, die sich nach ihrem so teuer erkauften Siege über die Tuilerien von der Versammlung und sogar von den revolutionären Führern, die ebenfalls zögerten, sich gegen den König und das Königtum zu erklären, verraten glaubten.
Jeden Tag wurden auf der Tribüne der Versammlung, in den Sitzungen der Kommune, in der Presse neue Beweise für das Komplott mitgeteilt, das vor dem 10. August in den Tuilerien gesponnen worden war und in Paris und den Provinzen fortdauerte. Aber es war nichts geschehen, um die Schuldigen zu treffen oder sie zu hindern, den Faden ihrer Verschwörungen wieder aufzunehmen.
Mit jedem Tag wurden die Nachrichten von der Grenze beunruhigender. Die Festungen waren von Truppen entblößt, es war nichts geschehen, um den Feind aufzuhalten. Es war klar, daß die schwachen französischen Kontingente, die von zweifelhaften Generälen befehligt wurden, nie imstande waren, die deutschen Armeen aufzuhalten, die an Zahl doppelt so stark und kriegsgewohnt waren und deren Generäle das Vertrauen ihrer Soldaten hatten. Die Royalisten hatten schon den Tag und die Stunde ausgerechnet, zu der die Invasion vor den Toren von Paris stehen würde.
Die Masse der Bevölkerung verstand die Gefahr. Alles, was in Paris jung, stark, begeistert, republikanisch war, ließ sich anwerben, um nach der Grenze zu eilen. Die Begeisterung stieg bis zum Heroismus. Den Rekrutierungsbureaus strömten das Geld und die patriotischen Gaben zu.
Aber was sollten all diese Opfer nützen, wenn jeder Tag die Nachricht von einer neuen Verräterei brachte, wenn all diese Verrätereien in Verbindung stehen mit dem König und der Königin, die aus dem Temple heraus immer noch die Komplotte dirigieren? Wußte nicht, trotz der strengen Überwachung von seiten der Kommune, Marie-Antoinette alles, was draußen vorging? Sie war über jeden Schritt der deutschen Armeen unterrichtet; und als Arbeiter die Fenster des Temple vergitterten, sagte sie zu ihnen: ›Wozu? In acht Tagen werden wir nicht mehr hier sein.‹ In der Tat erwarteten die Royalisten für den 5. oder 6. September den Einzug von achtzigtausend Preußen in Paris.
Wozu sich bewaffnen, wozu an die Grenzen eilen, wenn die Gesetzgebende Versammlung und die Partei, die am Ruder ist, erklärte Feinde der Republik sind? Sie tun alles, um das Königtum zu retten. Hat nicht in der Tat, vierzehn Tage vor dem 10. August, am 24. Juli, Brissot gegen die Cordeliers gesprochen, die die Republik wollten? Hat er nicht verlangt, sie sollten mit der Schärfe des Gesetzes getroffen werden? Und schweigt nicht auch jetzt noch, nach dem 10. August, der Jakobinerklub, der der Sammelpunkt des wohlhabenden Bürgertums ist, schweigt er nicht – bis zum 27. August – über die große Frage, die das Volk bewegt: soll das Königtum, das sich auf die deutschen Bajonette stützt, beibehalten werden, ja oder nein?
Die Ohnmacht der Regierenden, die Feigherzigkeit der Führer in dieser Stunde der Gefahr mußten mit Notwendigkeit das Volk zur Verzweiflung bringen. Und man muß sich, wenn man die Zeitungen, die Memoiren und die Privatbriefe der Zeit liest, die mannigfachen Gefühle, die seit der Kriegserklärung in Paris walteten, lebendig vorstellen, um die Tiefe dieser Verzweiflung zu verstehen. Darum wollen wir kurz die wichtigsten Tatsachen noch einmal zusammenstellen.
In dem Augenblick, wo der Krieg erklärt wurde, hob man, hauptsächlich in den bürgerlichen Kreisen, Lafayette noch in den Himmel. Man war glücklich, ihn an der Spitze einer Armee zu sehen. Allerdings hatte man über ihn nach dem Gemetzel auf dem Marsfeld schon zu zweifeln begonnen, und Chabot hatte diese Bedenken in der Versammlung Anfang Juni 1792 zum Ausdruck gebracht. Aber die Nationalversammlung behandelte Chabot als Störenfried, als Verräter und brachte ihn zum Schweigen.
Nun aber bekam die Versammlung am 18. Juni von Lafayette den berühmten Brief, in dem er die Jakobiner denunzierte und die Unterdrückung aller Klubs verlangte. Dieser Brief traf ein, nachdem der König ein paar Tage vorher das girondistische Ministerium (das jakobinische Ministerium, wie man damals sagte) entlassen hatte, und dieses Zusammentreffen gab zu denken. Aber die Nationalversammlung ging darüber hinweg, indem sie die Echtheit des Briefes bezweifelte; worauf das Volk sich offenbar fragen mußte, ob die Versammlung nicht mit Lafayette im Einverständnis wäre?
Trotz alledem stieg die Aufregung fortwährend, und das Volk erhob sich endlich am 20. Juni. Die Sektionen haben es vortrefflich organisiert, und so dringt es in die Tuilerien ein. Alles ging, wie wir gesehen haben, recht bescheiden zu; aber das Bürgertum wurde von Angst ergriffen, und die Nationalversammlung warf sich in die Arme der Reaktion und erließ ein Dekret gegen die Zusammenrottungen. Zu der Zeit, am 23. Juni, kommt Lafayette an: er begibt sich in die Nationalversammlung, wo er seinen Brief vom 18. Juni als echt anerkennt und zurückverlangt. Er tadelt den 20. Juni in heftigen Ausdrücken. Er denunziert die ›Jakobiner‹ mit gesteigerter Schärfe. Luckner, der Befehlshaber einer anderen Armee, schließt sich Lafayette an, tadelt den 20. Juni und bezeigt dem König seine Treue. Nachher fährt Lafayette durch Paris, ›mit sechs- oder achttausend Offizieren der Pariser Armee, die seinen Wagen umringen‹. Man weiß heutzutage, warum er nach Paris gekommen war. Es war geschehen, um den König zu überreden, er solle sich mit fortnehmen lassen, um ihn unter den Schutz der Armee zu stellen. Heutzutage haben wir darüber Gewißheit. Aber damals fing man schon an, gegen den General mißtrauisch zu werden. Es wurde der Versammlung am 6. August ein Bericht vorgelegt, der verlangte, daß er in Anklagezustand versetzt werde; aber die Mehrheit stimmte dafür, daß er für schuldlos erklärt wurde. Was sollte das Volk davon denken?
›Mein Gott, lieber Freund, wie schlecht steht es um alles!‹ schrieb Frau Jullien am 30. Juni 1792 an ihren Mann. ›Denn beachten Sie, die Haltung der Nationalversammlung reizt die Masse derart, daß man, wenn es Ludwig XVI. beliebte, die Peitsche Ludwigs XIV. zu nehmen, um dieses elende Parlament davonzujagen, auf allen Seiten Bravo riefe; allerdings aus sehr verschiedenartigen Beweggründen, aber was liegt daran den Tyrannen, wenn der Beifall nur ihren Plänen günstig ist! Die bürgerliche Aristokratie ist im Delirium, das Volk in hoffnungsloser Niedergeschlagenheit; es liegen Gewitter in der Luft‹ (S. 174).
Wenn man diese Worte mit denen von Chaumette zusammenhält, die oben angeführt wurden, versteht man, daß die Nationalversammlung für das revolutionäre Element der Pariser Bevölkerung eine Kugel an den Füßen der Revolution bedeuten mußte.
Inzwischen ist der 10. August gekommen. Das Volk von Paris bemächtigt sich in seinen Sektionen der Bewegung. Es ernennt auf revolutionärem Wege seinen Gemeinderat, um der Bewegung einen festen Kern zu geben.
Es verjagt den König aus den Tuilerien und macht sich in offenem Kampf zum Herrn des Schlosses, und die Kommune hält den König im Turm des Temple gefangen. Aber die Gesetzgebende Versammlung bleibt, und sie wird bald der Boden, auf dem sich die royalistischen Elemente sammeln.
Die bürgerlichen Besitzer merken sofort, welche neue volkstümliche, gleichheitliche Wendung die Bewegung genommen hat, und um so mehr klammern sie sich ans Königtum. Tausend Projekte werden jetzt in Umlauf gesetzt, um die Krone entweder auf den Dauphin zu übertragen (das wäre geschehen, wenn man nicht solchen Abscheu vor der Regentschaft Marie-Antoinettes gehabt hätte) oder auf irgendeinen andern französischen oder ausländischen Prätendenten. Wie nach der Flucht von Varennes brechen die Stimmungen, die dem Königtum günstig gesinnt sind, wieder hervor, und während das Volk laut fordert, man solle sich offen gegen das Königtum erklären, hütet sich die Nationalversammlung, wie jede Versammlung parlamentarischer Politiker, in der Ungewißheit, welche Regierungsart die Oberhand gewänne, sich zu kompromittieren. Sie neigt eher dem Königtum zu und sucht die vergangenen Verbrechen Ludwigs XVI. zu verbergen. Sie will nichts davon wissen, daß sie durch ernsthaftes Verfahren gegen seine Mitschuldigen aufgedeckt werden.
Die Kommune muß damit drohen, die Sturmglocke zu läuten, die Sektionen müssen auftreten und von einer Massentötung der Royalisten sprechen, damit die Versammlung sich entschließt, nachzugeben. Sie ordnet endlich am 17. August an, es solle ein Gerichtshof aus acht Richtern und acht Geschworenen gebildet werden, die von Vertretern der Sektionen gewählt werden sollten. Und noch immer sucht sie die Befugnisse dieses Gerichtshofs einzuschränken. Er soll nicht die Verschwörung zu ergründen suchen, die in den Tuilerien vor dem 10. August gesponnen wurde: er soll sich darauf beschränken, zu untersuchen, wer für die Ereignisse am 10. August verantwortlich zu machen ist.
Inzwischen häufen sich die Beweise für das Komplott; sie werden mit jedem Tag bestimmter. In den Papieren, die man nach dem Tuileriensturm in dem Sekretär von Montmorin, dem Intendanten der Zivilliste, fand, waren viele kompromittierende Schriftstücke. Es fand sich unter anderm ein Brief von den Prinzen, aus dem hervorging, daß sie in Übereinstimmung mit Ludwig XVI. handelten, als sie die österreichischen und preußischen Armeen gegen Frankreich aufboten und ein Kavalleriekorps von Emigranten organisierten, das mit diesen Armeen auf Paris marschierte. Es fand sich eine lange Liste von Broschüren und Schmähschriften gegen die Nationalversammlung und die Jakobiner, Schriften, die von der Zivilliste bezahlt worden waren, darunter auch solche, die anläßlich der Ankunft der Marseiller einen Streit provozieren wollten und die Nationalgarde aufforderten, sie niederzumachen.In einem Brief aus der Schweiz war die Rede davon, die Jakobiner zu strafen: ›Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen; wir werden ein schreckliches Exempel statuieren . . . Krieg den Assignaten! sie bringen uns den Bankrott. Man wird die Geistlichkeit und die Parlamentshöfe wieder in ihre Rechte einsetzen . . . Schlimm für die, die die Güter der Geistlichkeit gekauft haben.‹ In einem andern Brief hieß es: ›Es ist kein Augenblick zu verlieren. Man muß dem Bürgertum beibringen, daß nur der König es retten kann.‹ Und man fand schließlich den Beweis, daß die ›konstitutionelle‹ Minorität der Versammlung versprochen hatte, dem König für den Fall, daß er Paris verließ, ohne jedoch die von der Verfassung vorgeschriebene Entfernung zu überschreiten, zu folgen. Man fand noch vieles andere, aber man verbarg es aus Furcht, die Wut des Volkes könnte sich gegen den Temple richten . . . Vielleicht auch gegen die Nationalversammlung? fragen wir uns.
Endlich bricht der Verrat, den man schon lange vorhersehen konnte, in der Armee aus. Am 22. August erfährt man den Verrat Lafayettes. Er hat versucht, mit seiner Armee gegen Paris zu marschieren. Im Grunde war sein Plan schon zwei Monate früher fertig, als er nach dem 20. Juni in Paris das Terrain sondierte. Jetzt hat er die Maske abgeworfen. Er hat die drei Kommissäre, die die Nationalversammlung ihm geschickt hatte, um ihm die Revolution vom 10. August mitzuteilen, verhaften lassen, und Luckner, der alte Fuchs, hat seine Haltung gebilligt. Zum Glück ist die Armee Lafayettes ihrem Führer nicht gefolgt, und am 19. August muß er in Begleitung seines Generalstabs die Grenze überschreiten. Er hoffte, Holland zu erreichen. Er fiel in die Hände der Österreicher, wurde von ihnen ins Gefängnis geworfen und sehr hart behandelt – woraus man ersehen konnte, wie die Österreicher die Revolutionäre behandeln wollten, die das Unglück hatten, ihnen in die Hände zu fallen. Die patriotischen Mitglieder der Gemeindeverwaltungen, die sie ergreifen konnten, erschossen sie auf der Stelle als Rebellen, und einigen schnitten die Ulanen die Ohren ab und nagelten sie ihnen an die Stirne.
Am Tag darauf erfährt man, daß Longwy, das am 20. August belagert wurde, sich sofort ergeben hat, und in den Papieren des Kommandanten Lavergne findet man einen Brief, der Anerbietungen für den Fall des Verrats von Seiten Ludwigs XVI. und des Herzogs von Braunschweig enthält. Wenn kein Wunder geschieht, ist nicht mehr auf die Armee zu rechnen.
In Paris selbst wimmelt es von ›Schwarzen‹ (so nannte man damals die, die sich später die ›Weißen‹ nannten). Eine Menge Emigranten sind zurückgekehrt, und oft erkennt man unter der Soutane eines Priesters den Offizier. Alle Arten Verschwörungen, denen das Volk, das das Gefängnis des Königs peinlich überwacht, bald auf die Spur kommt, werden um den Temple angezettelt. Man will dem König und der Königin die Freiheit verschaffen, entweder durch die Flucht oder durch einen Gewaltstreich. Die Royalisten bereiten eine allgemeine Erhebung für den Tag vor – den 5. oder 6. September –, an dem die Preußen in der Bannmeile von Paris sein werden. Sie machen kaum ein Geheimnis daraus. Die siebenhundert Schweizer, die in Paris geblieben sind, sollen den militärischen Kern der Erhebung bilden. Sie sollen nach dem Temple marschieren, den König in Freiheit setzen und ihn an die Spitze der Erhebung stellen. Alle Gefängnisse sollen geöffnet, die Gefangenen sollen veranlaßt werden, die Stadt zu plündern und so die Verwirrung vermehren, während Paris in Brand gesteckt wird.
So lauteten wenigstens die Gerüchte, die in der Öffentlichkeit umliefen und die von den Royalisten selbst bestärkt wurden. Und als Kersaint in der Nationalversammlung am 28. August den Bericht über den 10. August zur Verlesung brachte, bestärkte dieser Bericht das Gerücht. Nach der Mitteilung eines Zeitgenossen war er ›schaudererregend‹, so ›eng war das Garn um die Revolutionäre gesteckt‹. Und noch war nicht die ganze Wahrheit am Tage.
In all diesen Schwierigkeiten besaßen nur die Kommune und ihre Sektionen die Tatkraft, die dem Ernst des Augenblicks gewachsen war. Sie allein handelten, unterstützt von dem Klub der Cordeliers, um das Volk noch einmal zur Erhebung zu bringen, um es noch zu einer letzten Anstrengung zu vermögen: zur Rettung der Revolution und des Vaterlandes, die in diesem Augenblick nur eines waren.
Der Generalrat der Kommune, der auf revolutionärem Wege am 9. August von den Sektionen ernannt worden war und der im Einverständnis mit den Sektionen vorging, arbeitete mit leidenschaftlicher Begeisterung daran, erst 30 000 und dann 60 000 Freiwillige, die zur Grenze aufbrechen sollten, zu bewaffnen und auszurüsten. Danton half ihnen, und sie fanden in ihren kraftvollen Aufrufen die Worte, die Frankreich elektrisierten. Denn die Kommune von Paris ging jetzt über ihre Munizipalgeschäfte hinaus und sprach zu ganz Frankreich, und durch ihre Freiwilligen auch zu den Armeen. Die Sektionen organisierten die ungeheure Arbeit, die Freiwilligen auszurüsten, und die Kommune befahl, die Bleisärge einzuschmelzen und Kugeln daraus zu gießen, und ebenso die Kultusgeräte, die man aus den Kirchen genommen hatte, um aus ihnen Bronze zu gewinnen und Kanonen zu machen. Die Sektionen wurden der Schmelzofen, in dem die Waffen bereitet wurden, mit denen die Revolution ihre Feinde besiegen und einen neuen Schritt vorwärts machen sollte – der Gleichheit zu.
Denn in der Tat, eine neue Revolution – eine Revolution, deren Ziel die Gleichheit war und die das Volk in die eigene Hand nehmen mußte, stand schon bevor. Und es war der Ruhm des Volkes von Paris, daß es verstand: wenn es sich rüstete, um die Invasion zurückzutreiben, handelte es nicht nur aus dem Gefühl des Nationalstolzes heraus. Es war auch nicht mehr bloß die schlichte Frage, die Wiedererrichtung des königlichen Absolutismus zu verhindern. Es handelte sich darum, zunächst die Revolution zu befestigen, sie für die Masse des Volkes zu einem praktischen Abschluß zu bringen, indem man eine neue Revolution ins Leben rief, die einen ebenso sozialen wie politischen Charakter haben sollte; und das bedeutete: durch eine äußerste Anstrengung der Massen des Volkes ein neues Blatt der Geschichte der Zivilisation eröffnen.
Aber auch das Bürgertum hatte diesen neuen Charakter der Revolution, der sich ankündigte und zu dessen ausführendem Organ sich die Kommune von Paris machte, sehr wohl bemerkt. Daher arbeitete die Nationalversammlung, die hauptsächlich das Bürgertum vertrat, eifrig daran, dem Einfluß der Kommune entgegenzuwirken.
Schon am 11. August, als noch das Feuer in den Tuilerien schwelte und die Leichen noch in den Schloßhöfen lagen, hatte die Nationalversammlung die Wahl eines neuen Departementdirektoriums angeordnet, das sie der Kommune entgegenstellen wollte. Die Kommune hatte das abgelehnt, und die Nationalversammlung mußte nachgeben, aber der Kampf dauerte fort – ein dumpfer Kampf, in dem die Girondisten der Versammlung versuchten, bald die Sektionen der Kommune abspenstig zu machen, bald die Auflösung des Generalrats durchzusetzen, der am 9. August auf revolutionärem Wege ernannt worden war. Und all diese kläglichen Intrigen unter den Augen des Feindes, der Frankreich aufs schändlichste plünderte und mit jedem Tag Paris näher kam.
Am 24. August erhielt man in Paris die Nachricht, daß Longwy sich ohne Kampf übergeben hatte, und dementsprechend wuchs die Frechheit der Royalisten. Sie sangen Triumphlieder. Die anderen Plätze würden es wie Longwy machen, und sie verkündeten schon, daß ihre deutschen Verbündeten in acht Tagen einträfen; sie sahen sich schon nach Quartieren für sie um. Royalistische Zusammenrottungen bildeten sich um den Temple, und die königliche Familie schloß sich ihnen an, um die Erfolge der Deutschen zu begrüßen. Aber das Schrecklichste war, daß die, die das Amt übernommen hatten, Frankreich zu regieren, nicht den Mut hatten, irgend etwas zu unternehmen, um Paris davor zu bewahren, ebenso kapitulieren zu müssen wie Longwy. Die Zwölferkommission, die den Kern der Nationalversammlung bildete, wenn es galt, die Initiative zum Handeln zu ergreifen, wußte nicht, was sie machen sollte. Und das girondistische Ministerium – Roland, Clavière, Servan und die anderen – war der Meinung, man müßte fliehen und sich nach Blois oder noch besser in den Süden zurückziehen und das revolutionäre Volk von Paris dem Wüten der Österreicher, des Herzogs von Braunschweig und der Emigranten überlassen. ›Schon flohen die Abgeordneten einer nach dem andern‹, sagt Aulard. Die Kommune beklagte sich darüber in der Nationalversammlung. Das hieß, zum Verrat die Feigheit fügen, und Danton war von allen Ministern der einzige, der diesem Vorschlag strikt entgegentrat.
Nur die revolutionären Sektionen und die Kommune sahen ein, daß es galt, um jeden Preis den Sieg zu erringen, und daß er nur zu erringen war, wenn man zugleich den Feind an der Grenze und die Gegenrevolutionäre in Paris schlug.
Und eben das wollten die Herrschenden nicht zulassen. Nachdem der Gerichtshof, der den Auftrag hatte, die Anstifter des Gemetzels vom 10. August zu richten, mit großer Feierlichkeit eingesetzt worden war, merkte man bald, daß sich dieses Gericht ebensowenig darum kümmerte, die Schuldigen zu bestrafen, wie der Staatsgerichtshof von Orléans, der nach dem Ausdruck Brissots ›die Schutzwache der Verschwörer‹ geworden war. Es opferte im Anfang drei oder vier unbedeutende Helfer Ludwigs XVI., aber bald sprach es einen der ernsthaftesten Verschwörer, den Exminister Montmorin, und ebenso Dossonville frei, der in die Verschwörung von d'Angremont verwickelt war, und zögerte, Bachmann, den Befehlshaber der Schweizer, zu verurteilen. Demnach war von dieser Seite nichts mehr zu erwarten.
Man hat versucht, die Bevölkerung von Paris so hinzustellen, als ob sie sich aus blutdürstigen Kannibalen zusammengesetzt hätte, die wütend wurden, wenn ihnen ein Opfer entging. Das ist völlig falsch. Vielmehr merkte das Volk von Paris an diesen Freisprechungen, daß die Herrschenden über die Verschwörungen, die in den Tuilerien gesponnen worden waren, kein Licht verbreiten wollten, weil sie wußten, wie viele von ihnen kompromittiert worden wären, und weil sie wußten, daß diese Verschwörungen noch im Gange waren. Marat, der gut unterrichtet war, hatte recht, als er sagte, die Nationalversammlung hätte Angst vor dem Volke und sie wäre nicht unglücklich darüber gewesen, wenn Lafayette mit seiner Armee gekommen wäre und das Königtum wiederhergestellt hätte.
Die Entdeckungen, die man drei Monate später machte, als der Schlosser Gamain die Existenz des Geheimschranks anzeigte, der die geheimen Papiere Ludwigs XVI. enthielt, haben es in der Tat bewiesen. Die Stärke des Königtums lag in der Nationalversammlung.
Nunmehr beschloß das Volk, als es sah, daß es ihm völlig unmöglich war, die Verantwortlichkeit jedes einzelnen der monarchistischen Verschwörer festzustellen und abzuwägen, inwieweit jeder angesichts der deutschen Invasion eine Gefahr war, ohne Unterschied alle zu verfolgen, die am Hofe Vertrauensposten bekleidet hatten und die die Sektionen für gefährlich hielten oder bei denen man Waffen versteckt fände. Zu diesem Zweck verlangten die Sektionen von der Kommune und diese wieder von Danton, der seit der Revolution am 10. August den Posten des Justizministers innehatte, es sollten in ganz Paris Massenhaussuchungen veranstaltet werden, um Waffen, die bei den Royalisten und den Geistlichen verborgen waren, zu beschlagnahmen und solche, die des verräterischen Einvernehmens am dringendsten verdächtig waren, zu verhaften. Die Nationalversammlung mußte sich unterwerfen und ordnete diese Haussuchungen an.
Die Haussuchungen fanden in der Nacht vom 29. zum 30. August statt, und die Kommune entfaltete dabei eine Energie, die den Verschwörern furchtbaren Schrecken einjagte. Am 29. August nachmittags schien Paris wie tot, einer düsteren Angst preisgegeben. Es war den Privatleuten verboten worden, nach 6 Uhr abends auszugehen, und in den Straßen zeigten sich beim Beginn der Dunkelheit Patrouillen, deren jede sechzig Mann stark und mit Säbeln und improvisierten Piken bewaffnet war. Gegen 1 Uhr nachts begannen die Haussuchungen in ganz Paris. Die Patrouillen begaben sich in jede Wohnung, suchten nach Waffen und nahmen die fort, die sie bei den Royalisten fanden.
Nahezu dreitausend Menschen wurden verhaftet, nahezu zweitausend Flinten wurden beschlagnahmt. Manche Haussuchungen dauerten stundenlang, aber niemand hatte sich über den Verlust der geringsten Kleinigkeit zu beklagen, während man bei den Eudisten, Priestern, die den Eid auf die Verfassung verweigert hatten, das ganze Silbergut fand, das aus der Sainte-Chapelle verschwunden war. Es war in ihren Brunnen versteckt gewesen.
Am nächsten Tage wurde die Mehrzahl der verhafteten Personen auf Anordnung der Kommune oder auf Ersuchen der Sektionen wieder freigelassen. Hinsichtlich derer aber, die im Gefängnis gelassen wurden, ist es sehr wahrscheinlich, daß eine Art Auslese gemacht worden wäre und daß Gerichtshöfe zu summarischer Aburteilung geschaffen worden wären, wenn sich nicht die Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz und in Paris überstürzt hätten.
Während ganz Paris dem starken Aufruf der Kommune folgte und sich bewaffnete; während sich auf allen öffentlichen Plätzen Vaterlandsaltäre erhoben, an denen die jungen Männer sich zum Dienst meldeten und auf denen die Bürger ihre kleinen oder großen Gaben für das Vaterland niederlegten; während die Kommune und die Sektionen eine wahrhaft furchtbare Energie entfalteten, um 60 000 Freiwillige, die zur Grenze ziehen sollten, auszurüsten und zu bewaffnen, obwohl es dazu an allem, aber an allem fehlte, und es ihnen trotzdem gelang, 2000 an jedem Tag hinzuschicken – dieser Augenblick schien der Nationalversammlung der rechte, um gegen die Kommune vorzugehen. Auf einen Bericht des Girondisten Guadet erließ sie am 30. August ein Dekret, das die sofortige Auflösung des Generalrats der Kommune und die Vornahme neuer Wahlen anordnete.
Hätte die Kommune gehorcht, so wäre damit zugunsten der Royalisten und der Österreicher die einzige Möglichkeit der Rettung, die es noch gab, die Invasion zurückzutreiben und das Königtum zu überwinden, in Verwirrung gebracht worden. Man versteht, daß die einzige Antwort, die darauf von der Revolution gegeben werden konnte, war, den Gehorsam zu verweigern und die Urheber dieser Maßregel für Verräter zu erklären. Das tat die Kommune einige Tage später und befahl Haussuchungen bei Roland und Brissot. Marat verlangte kurz und bündig, man sollte diese verräterischen Gesetzgeber austilgen.
Am selben Tage sprach das Sondergericht Montmorin frei – und zwar, nachdem man vor einigen Tagen durch den Prozeß von d'Angremont erfahren hatte, daß die gut besoldeten royalistischen Verschwörer angeworben, in Brigaden geteilt, einem Zentralkomitee unterstellt wären und nur das Zeichen erwarteten, um auf die Straße zu steigen und die Patrioten in Paris und in allen Provinzstädten anzugreifen.
Der übernächste Tag, der 1. September, brachte eine neue Enthüllung. Der ›Moniteur‹ veröffentlichte einen ›Kriegsplan der gegen Frankreich koalierten Mächte‹, den er, wie er sagte, von sicherer Hand aus Deutschland erhalten hatte; und in diesem Plan hieß es, der König von Preußen sollte, während der Herzog von Braunschweig die Armeen der Patrioten in Schach hielte, direkt auf Paris marschieren; nachdem er sich zum Herrn von Paris gemacht hätte, sollte unter den Einwohnern eine Auslese getroffen werden; alle Revolutionäre sollten hingerichtet werden; im Fall die Kräfte ungleich wären, sollten die Städte in Brand gesteckt werden. ›Wüsten sind besser als rebellische Völker‹, hatten die verbündeten Könige gesagt. Und wie um diesen Plan zu bestätigen, unterhielt Guadet die Nationalversammlung mit der großen Verschwörung, die man in der Stadt Grenoble und ihrer Umgebung entdeckt hatte. Man hatte bei Monnier, einem Emigrantenagenten, eine Liste von über hundert lokalen Führern der Verschwörung gefunden, die auf die Mitwirkung von fünfundzwanzigtausend bis dreißigtausend Menschen rechneten. Überdies hatten sich die Dörfer im Departement Deux-Sèvres und Morbihan gleich nach der Nachricht von der Übergabe von Longwy erhoben: das gehörte zum Plan der Royalisten.
Am selben Tage nachmittags erfuhr man, daß Verdun belagert sei, und alle Welt dachte sich, daß dieser Platz sich ebenso wie Longwy übergeben würde; daß sich nichts mehr dem raschen Marsch der Preußen auf Paris entgegenstellte und daß die Nationalversammlung entweder bald Paris verlassen und es dem Feind preisgeben oder parlamentieren würde, um den König wieder auf den Thron zu setzen und es ihm freizustellen, seine Rache zu befriedigen und die Patrioten zu vernichten.
An diesem nämlichen Tage schließlich, dem 1. September, erließ Roland eine Adresse an die Verwaltungskörperschaften, die er an die Mauern von Paris anschlagen ließ und in der er von einer ausgedehnten royalistischen Verschwörung sprach, die den freien Umlauf der Lebensmittel unterbinden wollte. Nevers und Lyon litten bereits darunter.
Jetzt schloß die Kommune die Schranken an den Toren von Paris und hieß Sturm läuten und die Alarmkanone ertönen. In einer machtvollen Proklamation forderte sie alle Freiwilligen, die zum Abmarsch bereit waren, auf, auf dem Marsfeld zu lagern, um am nächsten Tag frühmorgens aufzubrechen.
Und zur selben Zeit ertönte überall in Paris der Wutschrei: »Zu den Gefängnissen!« Dort sitzen die Verschwörer, die nur die Ankunft der Deutschen abwarten, um Feuer und Blut über Paris zu bringen. Einige Sektionen (Poissonnière, Postes, Luxembourg) stimmen dafür, diese Verschwörer sollten sterben. »Man muß ihnen heute ein Ende machen!« – und dann die Revolution auf neue Bahnen führen.