Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Die Folgen des 14. Juli in Versailles

Wenn eine Revolution angefangen hat, birgt jedes Ereignis nicht nur den Weg, den sie zurückgelegt hat, in sich: es enthält auch schon die Hauptelemente dessen, was kommen wird; so daß man, wenn nur die Zeitgenossen sich von den Eindrücken des Augenblicks befreien könnten und in dem, was sie mitmachen, das Wesentliche vom Nebensächlichen trennen könnten, schon am Tag nach dem 14. Juli den Gang hätte voraussehen können, den die ganze Revolution in Zukunft gehen mußte.

Der Hof hatte selbst am Abend des 13. noch keine Ahnung von der Tragweite der Bewegung in Paris.

An diesem Abend gab es in Versailles ein Fest. Man tanzte in der Orangerie, man trank in vollen Zügen zur Feier des bevorstehenden Sieges über die rebellische Hauptstadt, und die Königin, ihre Freundin Polignac und die andern Schönen des Hofes, die Prinzen und Prinzessinnen taten überaus zärtlich mit den fremden Soldaten in ihren Kasernen, um sie zum Kampf zu stimmen. In ihrem tollen und furchtbaren Leichtsinn, in dieser Welt der Illusionen und der konventionellen Lügen, die jeden Tag zum Fest macht, hatte man keine Ahnung, daß es zu spät war, Paris anzugreifen: daß der Augenblick verpaßt worden war. Und Ludwig XVI. war nicht besser unterrichtet als die Königin oder die Prinzen. Als die Versammlung, die über die Volkserhebung erschrocken war, am 14. abends zu ihm eilte und ihn in serviler Sprache anflehte, die Minister wieder zu berufen und die Truppen zurückzuziehen, antwortete er ihnen in herrischem Tone, in voller Siegesgewißheit. Er vertraute auf den Plan, den man ihm angeraten hatte – ergebene Führer an die Spitze der Bürgerwehr zu setzen und mit ihrer Hilfe über das Volk Herr zu werden, worauf es sich damit begnügen könnte, zweideutige Befehle über den Rückzug der Truppen zu geben. So war diese künstliche Welt beschaffen, die mehr aus Phantasiebildern als aus Wirklichkeit bestand, in der der König und der Hof lebten, und in der sie auch fernerhin lebten, trotz kurzen Augenblicken des Erwachens, bis der Augenblick gekommen war, die Stufen des Schaffotts hinaufzugehen . . .

Und wie die Charaktere schon plastisch hervortreten! Der König: von seiner absoluten Gewalt hypnotisiert und immer geneigt, um deswillen gerade genau den Schritt zu tun, der zur Katastrophe führt. Wenn die dann eintritt, setzt er ihr seine Trägheit entgegen – nichts als Trägheit – und endlich gibt er formell – gerade in dem Augenblick nach, wo man glaubt, er sei gewillt, hartnäckigen Widerstand zu leisten. Oder die Königin: lasterhaft, schlecht bis in die verborgensten Falten des Herzens dieser absoluten Königin; sie treibt zur Katastrophe an, sie widersetzt sich einen Augenblick lang ungestüm den Ereignissen, um dann plötzlich resigniert nachzugeben und einen Augenblick nachher sich wieder den kindischen Frivolitäten des Hoflebens hinzugeben. Und die Prinzen? Sie reizen den König zu seinen schlimmsten Entschlüssen an und verlassen ihn beim ersten Mißerfolg, werden Emigranten, fliehen sofort nach der Eroberung der Bastille aus Frankreich und intrigieren in Deutschland oder Italien. Wie zeigen sie alle plötzlich, in ein paar Tagen, vom 8. bis zum 15. Juli, ihren Charakter!

Und auf der andern Seite sieht man das Volk mit seinem Schwung, seiner Begeisterung, seinem Edelmut, gewillt, auch um den Preis des Lebens der Freiheit zum Sieg zu verhelfen, aber zugleich zu folgen geneigt, bereit, sich von den neuen Herren, die sich im Rathaus eingerichtet haben, führen zu lassen. Es erkennt die Listen des Hofes sehr wohl, es durchschaut besser als die hellsten Köpfe das Komplott, das seit Ende Juni reifte, aber zur selben Zeit läßt es sich von einem neuen Komplott umgarnen – dem Komplott der besitzenden Klassen, die die Ausgehungerten, die Pikenmänner, die sie für wenige Stunden herausgerufen hatten, als es sich darum handelte, der Macht der Armee mit der Macht des Aufstandes zu begegnen, bald wieder in ihre Löcher zurückschicken.

Endlich sieht man schon in diesen ersten Tagen, wenn man das Verhalten des Bürgertums ins Auge faßt, die künftigen großen Vorgänge der Revolution in der ersten Anlage. Am 14. Juli ist es, je mehr das Königtum seinen drohenden Charakter verliert, das Volk, das den in Versailles versammelten Vertretern des dritten Standes Schrecken einjagt, und trotz den heftigen Worten, die Mirabeau aus Anlaß des Festes in der Orangerie spricht, braucht es weiter nichts, als daß der König sich in der Versammlung einfindet, die Autorität der Versammlung anerkennt und ihnen Unverletzlichkeit zusichert, damit sie in Beifallskundgebungen und Begeisterung ausbrechen, hinauslaufen, um seine Ehrenwache auf der Straße zu bilden, daß die Straßen Versailles' von ihren Rufen: Hoch der König! erdröhnen! Und dies im selben Augenblick, wo das Volk in Paris im Namen dieses selben Königs niedergemetzelt wird und wo in Versailles die Menge die Königin und Polignac bedroht und sich fragt, ob der König nicht wieder einen Betrug begeht, wie man's von ihm gewöhnt ist.

In Paris ließ sich das Volk nicht durch das Versprechen des Königs, die Truppen zurückzuziehen, fangen. Es glaubte kein Wort davon. Es organisierte sich lieber als umfassende Kommune im Aufstand, und diese Kommune ergriff wie eine Stadt des Mittelalters alle Maßregeln, die zur Verteidigung gegen den König nötig waren. In den Straßen waren Laufgräben oder Barrikaden gebaut, und die Patrouillen des Volks durchzogen die Stadt und waren in Bereitschaft, beim geringsten Alarm Sturm zu läuten.

Der Besuch des Königs in Paris wirkte auf das Volk nicht allzu beruhigend. Am 17. entschloß er sich, da er sich besiegt und im Stich gelassen sah, nach Paris ins Rathaus zu kommen, um sich mit seiner Hauptstadt zu versöhnen, und das Bürgertum suchte daraus ein eklatantes Schauspiel der Versöhnung zwischen ihr und dem König zu machen. Die bürgerlichen Revolutionäre, von denen ein sehr großer Teil Freimaurer waren, salutierten dem König bei seiner Ankunft im Rathaus mit ihren gekreuzten Degen, das Zeichen des ›stählernen Gewölbes‹, und Bailly, der zum Bürgermeister von Paris ernannt worden war, befestigte die neue Kokarde, die Trikolore, am Hut des Königs. Die Bürger sprachen sogar davon, sie wollten Ludwig XVI. auf dem Platz der abgerissenen Bastille ein Denkmal errichten; aber das hinderte das Volk nicht, eine abwartende und mißtrauische Haltung beizubehalten, die auch nach dem Besuch im Rathaus nicht verschwand. König der Bourgeoisie vielleicht, aber nicht ein Volkskönig.

Der Hof seinerseits sah völlig ein, daß es nach dem Aufstand vom 14. Juli keinen Frieden mehr zwischen dem Königtum und dem Volke geben könnte. Man veranlaßte die Polignac, trotz den Tränen Marie-Antoinettens, nach der Schweiz abzureisen, und schon am Tag nachher fingen die Prinzen an auszuwandern. Die die Seele des verunglückten Staatsstreichs gewesen waren – die Prinzen und die Minister – eilten sich, Frankreich zu verlassen. Der Graf von Artois entwich bei Nacht, und er hatte eine solche Angst um sein Leben, daß er, nachdem er in Verkleidung durch die Stadt gekommen war, sich unterwegs von einem Regiment Soldaten und zwei Geschützen begleiten ließ. Der König versprach, seinen lieben Emigranten bei der ersten Gelegenheit zu folgen, und seitdem bestand der Plan, der König solle ins Ausland fliehen und an der Spitze der deutschen Invasion nach Frankreich zurückkehren.

In Wahrheit war am 16. Juli alles zu seiner Abreise bereit. Der König sollte sich nach Metz begeben, sich an die Spitze der Truppen stellen und gegen Paris marschieren. Die Wagen waren schon angespannt, die Ludwig XVI. zu dem Heere bringen sollten, das zwischen der Grenze und Versailles konzentriert war. Aber Broglie lehnte es ab, den König nach Metz zu geleiten; und die Prinzen hatten es zu eilig mit ihrer Flucht, worauf Ludwig XVI. – er hat es später selbst erzählt –, da er sich von den Prinzen und dem Adel verlassen sah, auf den Plan des bewaffneten Widerstands, den ihm die Geschichte Karls I. eingegeben hatte, verzichtete. Er ging nach Paris und unterwarf sich.

Einige royalistische Historiker haben den Versuch gemacht, es in Zweifel zu setzen, daß der Hof einen Staatsstreich gegen die Versammlung und gegen Paris vorbereitet hätte. Aber die Zeugnisse, die die Wirklichkeit dieses Komplotts beweisen, sind überreichlich vorhanden. Mignet, dessen maßvolle Gesinnung bekannt ist und der den Vorteil hatte, bald nach den Ereignissen zu schreiben, hatte nicht den geringsten Zweifel daran, und die späteren Forschungen haben seine Auffassung bestätigt. Am 13. Juli sollte der König seine Erklärung vom 23. Juni erneuern, und die Nationalversammlung sollte aufgelöst werden. Vierzigtausend Exemplare dieser Erklärung waren schon gedruckt, um in ganz Frankreich verbreitet zu werden. Der Kommandant der Armee, die zwischen Versailles und Paris aufgestellt war, hatte unbeschränkte Vollmachten erhalten, um das Volk von Paris niederzumetzeln und gegen die Nationalversammlung im Fall des Widerstandes einzuschreiten.

Papiergeld im Betrage von hundert Millionen war für die Bedürfnisse des Hofes hergestellt worden, ohne daß die Nationalversammlung gefragt worden war. Alles war vorbereitet, und als man am 12. erfuhr, daß Paris sich erhob, betrachtete der Hof diese Erhebung als einen Krawall, der seinen Plänen günstig war. Etwas später, als man erfuhr, daß die Erhebung anschwoll, rüstete sich der König noch zur Abreise und wollte seinen Ministern die Sorge überlassen, die Versammlung von den fremden Truppen verjagen zu lassen. Die Minister aber, die sahen, daß die Welle höher stieg, wagten es dann nicht, diesen Plan zur Ausführung zu bringen. Darum ergriff den Hof nach dem 14. Juli solch eine Panik, als er die Eroberung der Bastille und die Hinrichtung de Launays erfahren hatte; daraufhin wanderten die Polignac, die Prinzen und so viele andere Adlige, die die Seele des Komplotts gewesen waren und denunziert zu werden fürchteten, schleunigst aus.

Aber das Volk wachte. Es hatte eine unbestimmte Idee, was die Emigranten jenseits der Grenze suchten, und die Bauern nahmen einige Flüchtlinge fest. Foulon und Bertier befanden sich darunter.

Wir haben schon von dem Elend gesprochen, das in Paris und seiner Umgebung herrschte, und von den Kornwucherern, deren Verbrechen auf den Grund zu gehen die Nationalversammlung abgelehnt hatte. Unter denen, die mit dem Elend der Armen spekulierten, nannte man hauptsächlich Foulon, der als Finanzmann und in seinem Amte als Intendant des Heers und der Marine ein kolossales Vermögen erworben hatte. Man kannte auch seinen Haß gegen das Volk und die Revolution. Broglie hatte ihn als Minister haben wollen, als er für den 16. Juli den Staatsstreich vorbereitete, und der geriebene Finanzmann lehnte zwar diesen Posten ab, dessen Gefahren er schon voraussah, aber er war mit gutem Rat nicht sparsam. Sein Vorschlag war, man solle sich mit einem Schlag aller derer entledigen, die im revolutionären Lager Einfluß erlangt hatten.

Als er nach der Eroberung der Bastille erfuhr, wie der Kopf de Launays in den Straßen umhergetragen worden war, sah er ein, daß ihm nichts weiter übrigblieb, als auszuwandern; aber da dies bei der Überwachung durch die Distrikte der Pariser Kommune nicht mehr so leicht ging, benutzte er den Tod eines seiner Bedienten, um sich für gestorben und beerdigt auszugeben, während er Paris verließ und zu einem Freund nach Fontainebleau flüchtete.

Dort wurde er entdeckt und von den Bauern ergriffen, die sich an ihm für ihre langen Leiden und ihr Elend rächten. Mit einem Heubündel auf den Schultern – zur Anspielung auf das Heu, das nach seinen Worten die Pariser essen sollten – wurde der Flüchtling von einer wütenden Menge nach Paris geführt. Im Rathaus machte Lafayette den Versuch, ihn zu retten. Aber das Volk, das außer sich war, hing Foulon an eine Laterne.

Sein Schwiegersohn Bertier, der ebenfalls Mitwisser des Staatsstreichs und Intendant von Broglies Armee war, wurde in Compiègne verhaftet und auch nach Paris geführt, wo er an die Laterne gehängt werden sollte; aber er versuchte um sein Leben zu kämpfen und wurde dabei getötet.

Andere Mitschuldige, die sich auch auf den Weg nach dem Ausland gemacht hatten, wurden im Norden und Nordosten Frankreichs verhaftet und nach Paris zurückgebracht.

Man kann sich den Schrecken vorstellen, den diese vom Volk ausgeführten Hinrichtungen und die Wachsamkeit der Bauern in den Familien am Hofe hervorriefen. Ihre Anmaßung, ihr Widerstand gegen die Revolution waren gebrochen. Sie dachten an nichts mehr, als sich in Vergessenheit zu bringen. Die Reaktionspartei lag kraftlos zu Boden.


 << zurück weiter >>