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45.

Der Fund.

Vor dem Redaktionsgebäude des ›New-York Herald‹, einem Riesenbau, dessen prächtige Architektur New-York zur Zierde gereicht, stand breitbeinig ein Mann, die Hände in den Hosentaschen, eine Kalkpfeife im Munde, und schaute zu den Fenstern empor, hinter welchen zahllose Schreiber die Berichte für die morgende Zeitung zusammenstellten.

Der Mann war recht schäbig, nur mit Hose und einer roten Bluse gekleidet, hatte hohe Stiefel an den Beinen und auf dem struppigen, von der Sonne gebleichten Haar saß ein breitkrempiger Filzhut. Das Gesicht war gebräunt, desgleichen die halbnackte Brust, und die dicke Nase strahlte rot wie ein Karfunkel in der Morgensonne.

Man konnte diesen Mann leicht für einen Miner, das ist ein Goldsucher, halten, die Kleidung war ganz die eines solchen.

Jetzt zog der Mann seine grobe, braune Faust aus der Tasche, kraute sich in dem stoppligen Vollbart und murmelte vor sich hin.

»Hm, da wären wir ja. Ein verdammt feines Haus. Hätte nie geglaubt, daß es so große Gebäude gibt, hätte gedacht, es müßte beim ersten blutigen Sturm über den Haufen fallen. Hm, ganz hübsch, aber wohnen möchte ich nicht drin, hätte immer Angst. Na, alter Junge, gehe mal 'nein, so lange wird es schon halten.«

Er nahm die Pfeife aus dem Munde und steckte dafür ein großes Stück Priemtabak in den Mund, dann schritt er, einige Male energisch ausspuckend, dem Hauptportal des Hauses zu.

Ungehindert stieg er die Marmorstufen hinauf. Niemand der Hin- und Hereilenden beachtete die seltsame Erscheinung, denn hier hatte jeder mit sich selbst zu tun.

Auf dem ersten Korridor blieb der Fremde stehen und sah sich fragend um. Ueberall öffneten und schlossen sich fortwährend Türen, die Personen ein- und ausließen, aber niemand fragte den Fremden nach seinem Begehr.

»Hm, da muß ich wohl selbst fragen, sonst kann ich bis heute abend hier stehen und warten.«

Er spuckte aus und fragte einen Gentleman mit Zylinder, welcher eben ein Zimmer verließ:

»He, guter Freund, wem gehört dieses Haus?«

Der Angesprochene streifte ihn nur mit einem Blick, dann eilte er weiter.

»So ein verdammter Affe,« brummte der Kerl, »möchte ihm einen Tritt geben, aber Beine hat er wie eine Hornpipe.« Langbeinige Spinne.

Der nächste, der an ihm vorüberkam, war ein junger Schreiber, die Feder hinter dem Ohr, unter jedem Arm ein Aktenbündel.

Diesmal wollte sich der Miner nicht so leicht abfertigen lassen, mit einem Schritt stand er vor dem Schreiber und legte ihm beide Hände auf die Schultern.

»Wem gehört dieses Haus, mein Junge?«

Erschrocken starrte ihn der Schreiber an.

»Habe keine Zeit,« murmelte er und wollte sich vorbeidrängen, doch der Kerl ließ ihn nicht los.

»Antwort will ich von dir haben, Schlingel! Wem gehört dieses Haus?«

Dem Schreiber war diese Unterbrechung in seiner monotonen Arbeit schließlich gar nicht so unangenehm, er musterte die seltsame Gestalt von oben bis unten und dachte, mit dem Manne seinen Spaß zu treiben.

»Das ist die Redaktion des ›New-York Herald‹!«

»Das weiß ich. Wem sie gehört, frage ich.«

»Mir nicht.«

»Du Tintenkleckser sähst auch gerade danach aus. Höre, wenn du mir jetzt keine Antwort auf meine Frage gibst, so schlage ich dich zum Krüppel.«

»Ihr wollt den ›New-York Herald‹ wohl kaufen?« lachte der Bursche uneingeschüchtert.

Statt aller Antwort verabreichte der Miner dem Schreiber eine Ohrfeige, daß er sich zwischen seinen zerstreuten Akten am Boden wälzte. Natürlich schrie er laut, und jetzt eilten von allen Seiten Diener und Portiers herbei, den Frevler umringend.

»Was gibt's? Was ist los? Wie könnt Ihr Euch unterstehen, diesen Schreiber zu schlagen?«

Der Miner ließ sich durch diese durcheinanderklingenden, drohenden Rufe nicht beirren, breitbeinig blieb er stehen.

»Weil er mich verhöhnen wollte.«

»Wer seid Ihr denn?«

»Ortsvorsteher von San Francisco.«

Die Umstehenden brachen in ein schallendes Gelächter aus.

»Was, Ihr lacht, wenn ich die Wahrheit spreche?« rief der Miner erbost und holte mit der Hand zum Schlage aus.

»Nein, nein, wir glauben es Euch,« rief schnell ein betreßter Portier, dem der Schalk aus den Augen sah. »Also Herr Ortsvorsteher von San Francisco, was wünscht Ihr?«

»Wem gehört dies Haus?«

»Gar niemandem, hier gibt es nur einen Direktor.«

»Aha, und wo ist der Direktor?«

»Wollt Ihr ihn sprechen?«

»Ja.«

»Gut, er steht vor Euch.«

Der Miner riß die Augen auf.

»Was, du affig angezogener Kerl willst der Direktor sein? Ein Lump bist du!«

Patsch, fuhr dem Portier eine Hand ins Gesicht, daß er sich ebenfalls überkugelte.

Nun war es des Spaßes genug, alle stürzten sich auf den Miner, um ihn zu fassen, doch dieser war ein Boxer ersten Ranges. Blitzschnell fuhren seine Fäuste nach allen Seiten aus, dem in den Magen, diesem in die Seite, jenem ins Gesicht. Laute Schmerzensschreie erfüllten den Korridor, die Angreifer lehnten wimmernd an der Wand.

»Wartet, ich will euch lehren, euch Gesindel, zusammen einen einzelnen zu überfallen.«

»Ruhe da,« donnerte eine Stimme, und vor die Kämpfenden trat ein ernster, hoher Mann.

»Wer macht hier solchen Skandal?«

Der Miner wurde natürlich von allen beschuldigt. Die Geschlagenen waren wütend, zogen sich aber doch vor dem Herrn zurück.

»Wer seid Ihr?« wandte sich dieser an den Miner.

»Ortsvorsteher von San Francisco.«

»Hm, das klingt sehr unwahrscheinlich.«

»So? Und wer seid Ihr?«

»Ich bin hier stellvertretender Direktor.«

»Hm, das klingt sehr unwahrscheinlich,« sagte seinerseits der Miner.

»Ihr zweifelt daran?«

»Ebenso, wie Ihr an meinem Rang zweifelt.«

»Nun gut! Was wünscht Ihr?«

»Den Herrn Direktor zu sprechen.«

»Mister Bennet?«

»Ja, so heißt er wohl.«

»Der ist in Paris.«

»Verdammt. Ist das weit von hier?«

»Eine ziemliche Strecke,« lächelte der Herr.

»Wie lange habe ich da zu gehen?«

»Das schlagt Euch aus dem Sinn. Paris liegt einige tausend Meilen von hier.«

»Dann hilft's nichts, dann muß ich warten. Bleibt er lange fort?«

»Weiß ich nicht. Was wollt Ihr von ihm?«

Der Direktor hätte sich mit dem Miner nicht so lange unterhalten, hätte er nicht geglaubt, dieser Mann hätte die wichtige Entdeckung eines Goldfeldes mitzuteilen. Schon einmal war ein ähnlicher Fall passiert.

»Ich muß ihm etwas mitteilen,« entgegnete der Miner auf die letzte Frage des Herrn.

»Das könnt Ihr mir auch sagen, ich bin der Stellvertreter des Mister Bennet.«

»Das kann jeder sagen.«

»Ich bin's, verlaßt Euch darauf. Was wünscht Ihr?«

»Ich habe etwas gefunden.«

Der Direktor beugte sich etwas vor.

»Gold?« fragte er leise.

Ein Kopfschütteln war die Antwort, und der Direktor zog ein langes Gesicht.

»Ja, was denn sonst?«

»Ein Stück Papier.«

»Von Wert?«

»Von großem Wert.«

»Dann wendet Euch nach dem Fundbureau,« entgegnete der Direktor kurz und wollte gehen, wurde aber zurückgehalten.

»Halt, die Sache ist nicht so einfach. Ich will erst meine 10 000 Dollar haben.«

»Ihr seid wohl verrückt!«

»Na, dann ist das wohl alles erlogen?«

Bedächtig holte der Mann aus seinem Hemde eine alte Zeitung heraus, faltete sie auseinander und las dann vor:

»Verloren im Staate Arkansas, auf dem Wege zwischen Little Rocks und Wollaston, ein Pergamentpapier, bedeckt mit unbekannten Schriftzeichen, darin eingewickelt eine dünne, schwarze, elastische Scheibe. Der Finder erhält bei Ablieferung des Pergaments von dem ›New-York Herald‹ 10 000 Dollar bar ausgezahlt.«

Der Miner faltete das Papier zusammen und blickte sich triumphierend im Kreise um. Ueberall begegnete er erstaunten Gesichtern.

»Kommen Sie hier herein!« sagte der Direktor, plötzlich sehr höflich und führte den Miner in ein kleines Zimmer.

»Einen Augenblick, ich komme gleich wieder.«

Der Mann setzte sich behaglich in einem Lehnstuhl zurecht, spreizte die Beine und wartete, bis der Direktor zurückkam. Als dieser wieder erschien, fand er zu seinem Erstaunen, daß sich das Muster des Teppichs plötzlich geändert hatte. Der Miner hatte hier und da Tabakssaft angebracht, besonders der Kopf eines eingewirkten Tigers war von ihm mit unfehlbarer Sicherheit beschossen worden.

Der Direktor nahm keinen Anstoß daran, dieser Mann war jetzt eine zu wichtige Person.

»Sie haben das fragliche Pergament gefunden?«

» Well, Sir, ich habe es.«

»Sie sind Miner?«

»Ich? Nein, ich bin Ortsvorsteher von San Francisco.«

Der Direktor unterdrückte ein Lächeln.

»Von San Francisco in Kalifornien?«

»Unsinn, San Francisco in Arkansas.«

»Ah so. Das kenne ich gar nicht.«

»Nicht möglich!«

»Große Stadt?«

»O ja, so ziemlich.«

»Wieviel Einwohner?«

»Warten Sie mal. Da ist erstens Dick – das bin ich nämlich – dann Bill, der Sheriff, Bob, zwei Frauen, zwei Kinder, macht zusammen sieben, glaube aber, jetzt sind's acht, bei meiner Abreiße wollte Bobs Frau einen neuen Bürger in die Welt setzen.«

»Ihr seid also Ortsvorsteher dieser Kolonie?«

»Keine Kolonie, San Francisco ist eine Stadt.«

»Ich verstehe. Und Ihr fandet das Pergament?«

» Well, Sir.«

»Wo?«

»Im Wald.«

»Warum kamt Ihr nach New-York?«

»In jeder Zeitung steht doch am Ende, daß der ›New-York Herald‹ in New-York ist, sonst würde er doch auch nicht so heißen.«

»Das ist allerdings wahr. Aber wußtet Ihr nicht, daß wir in jeder größeren Stadt Hauptexpeditionen haben, wo Ihr den Fund abliefern und die Prämie empfangen könnt?«

»Was für Dinger?«

»Hauptexpeditionen. Das sind Niederlagen der Zeitung, von wo aus diese verschickt wird.«

»Das wußte ich allerdings nicht. Der ›New-York Herald‹ ist nämlich die einzige Zeitung, welche in San Francisco gehalten wird.«

»Das zu hören freut mich.«

»Wir bekommen ihn aus Little Rock ...«

»Little Rock in Arkansas?« fragte der Direktor.

»Ja.«

»Dort befindet sich ebenfalls eine Hauptexpedition, wo Ihr das Pergament hättet abliefern können.«

»Hm,« schmunzelte der Mann, »das Haus, wo sie sich befindet, sieht gar nicht danach aus, als ob es gleich 10 000 Dollar bar auf den Tisch hinzählen könnte.«

»O, das wäre einfach hintelegraphiert worden.«

»Geht das schnell?«

»Hätte keine fünf Minuten gedauert.«

»Dann war meine Reise hierher allerdings unnütz.«

»Ja, das Geld ist hinausgeworfen worden.«

»Na, macht nichts. Ihr müßt nämlich wissen, ich bin kein so armer Mann, wie ich vielleicht aussehen mag,« sagte der Miner mit pfiffigem Lächeln.

»Und ich bin kein Mann, der sich durch unscheinbare Kleider täuschen läßt. Gerade in den Taschen der roten Minerhemden sind oft Schätze verborgen.«

»Getroffen, Sir,« lachte Dick.

»Ihr seid also ein Miner?«

»Ja, neuerdings wieder. Früher besaß ich nicht weit von meinem Hause einen Claim, habe aber nicht besonders viel herausgeholt. Als er erschöpft war, fing ich an, Holz zu fällen, bis ich vor einigen Wochen eine kapitale Entdeckung machte. Eines Abends war ich ganz mordsmäßig besoffen – das klingt Euch doch nicht anstößig, Sir?«

»Durchaus nicht, fahrt nur fort!«

»Also ich war besoffen wie ein Generalmajor, aber trotzdem noch ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle,« fuhr Dick fort, nachdem er den angesammelten braunen Tabakssaft energisch ausgespuckt hatte, »und so war es nicht wunderbar, daß ich mich vom rechten Wege verirrte und – es war Nacht – mich nicht mehr zurechtfand. Ehe ich mich versah, stürzte ich mit einem Male in ein manntiefes Loch, und zwar, wie ich gleich bemerkte, in meinen eigenen Claim. Der Boden war wohl einen Fuß hoch mit Wasser bedeckt.«

»Hatte es geregnet?«

»Freilich, das hatte ich ganz vergessen zu sagen. Es hatte vorher einige Tage lang fürchterlich geregnet, eigens für mich wahrscheinlich. Also in meinem Claim stand Wasser, aber das genierte mich nicht, ich streckte mich lang am Boden aus und schlief die ganze Nacht herrlich.«

»In dem Wasser?«

»Bah, was macht sich ein Hinterwäldler daraus!«

»Aber Ihr müßt gefroren haben.«

»Mit acht Quart Whisky im Leibe friert man nicht. Ich erwachte am frühen Morgen, fand mich zu meinem Erstaunen in meinem eigenen Claim liegen, und, als ich mich umsah, was meint Ihr, was ich da erblickte?«

»Gold.«

»Ja, es blinkte und glänzte alles in der Morgensonne, die Wände waren von dem Regen abgespült worden, und nun lagen einige Goldadern am Tage. Ich großer Esel hätte früher nur noch einige Messerstiche zu machen brauchen, so wäre ich schon damals ein reicher Mann gewesen.«

»Nun, ich gratuliere Euch zu Eurem Glück,« sagte der Direktor, welcher ungeduldig zu werden begann. »Doch nun wieder zum Geschäft. Wollt Ihr mir das Pergament einmal zeigen?«

»Gewiß.«

Der Miner brachte aus seinem Hemd ein schmutziggelbes, zusammengefaltetes Pergamentpapier hervor.

»Die Gummischeibe ist auch darin,« sagte er dabei.

Der Direktor streckte die Hand aus, um es zu nehmen, doch schnell zog Dick das Papier zurück.

»Wollt Ihr es haben?«

»Ja, ich muß prüfen, ob es das richtige ist.«

Dick faltete das Pergament auseinander, nahm die Gummischeibe heraus und hielt es seinem Gegenüber hin, so daß dieser die sonderbaren, krausen Schriftzeichen sehen konnte, ließ es aber nicht aus den Händen.

»Gebt es her!«

»Erst die 10 000 Dollar.«

Der Direktor machte ein erstauntes Gesicht.

»Ah, so steht die Sache – ich merkte es schon. Also Ihr glaubt, wenn Ihr mir den Fund gebt, soll ich Euch sofort die 10 000 Dollar auszahlen?«

»Sicherlich.«

»Nein, Freund, da seid Ihr im Irrtum. Ich muß das Pergament erst prüfen, ob es auch das richtige ist.«

»Könnt Ihr denn das beurteilen?«

»Wenn auch ich nicht, so doch ein anderer.«

»Wer ist der andere?«

»Einer, den der Besitzer dieses Pergaments hierherschicken will, die Echtheit des Fundes zu prüfen.«

»Also er ist noch gar nicht hier?«

»Nein.«

»Dann werde ich so lange warten, bis er ankommt und dann noch einmal vorfragen,« entgegnete Dick ruhig und ließ das Pergament wieder im Hemdenschlitz verschwinden.

Verblüfft schaute der Direktor ihn an.

»Aber, Freund,« brachte er endlich hervor, »macht doch keine solchen Geschichten.«

»Die 10 000 Dollar her, und Ihr habt sofort den Wisch,« war die gelassene Antwort.

»Glaubt Ihr etwa, der ›New-York Herald‹ sei für keine 10 000 Dollar gut?«

»Mag wohl sein; aber ich habe einen harten Kopf und mir hineingesetzt, den Wisch nicht aus den Händen zu geben, bevor die versprochene Belohnung mir ausgezahlt worden ist. Deshalb bin ich auch gleich hierhergereist.«

»Nehmt doch Vernunft an!« bat der Direktor sanft. »Der Besitzer des Dokumentes hat mich ausdrücklich gebeten, das Pergament von seinem Bevollmächtigten prüfen zu lassen, da nicht ausgeschlossen ist, daß eine Fälschung vorliegt ...«

»Haltet Ihr mich für einen Fälscher?«

»Das will ich nicht gesagt haben.«

»Habe auch verdammt wenig Geschick, solche schnörklige Buchstaben nachzumachen. Bin herzlich froh, wenn ich meinen Namen richtig geschrieben habe.«

»Ich sprach nicht davon, daß Ihr das Pergament gefälscht habt, Ihr könnt ein Falsifikat gefunden haben.«

»Unsinn, ich fand es im Walde, zwischen Little Rock und Wollaston. Stimmt das nicht?«

»Allerdings, so lautet die Angabe. Aber dennoch, ich habe die strikte Vorschrift, dem Ablieferer des Fundes die 10 000 Dollar nicht eher auszuhändigen, als bis der Bevollmächtigte Hoffmanns die Richtigkeit des Dokumentes erklärt hat.«

»Wer ist das, Hoffmann?«

»Der Besitzer des Pergamentes.«

»Muß ein wichtiges Geheimnis enthalten.«

»Wahrscheinlich, ich weiß es nicht.«

»Also gebt mir den Finderlohn.«

»Ich kann noch nicht, geduldet Euch.«

»Dann bekommt Ihr auch das Pergament nicht.«

»Warum nicht?«

Dick lächelte schlau.

»Seid einmal offen: Ihr haltet mich für einen Schwindler, der Geld erpressen will, vielleicht für einen ganz geriebenen Gauner, etwa für den Helfershelfer eines Schriftfälschers.«

Nach einigem verlegenen Zögern entgegnete der Direktor:

»Ihr sprecht offen, so kann ich auch offen antworten: Ihr habt nicht so unrecht, man kann heutzutage niemandem mehr trauen.«

»Seht, das wollte ich nur von Euch hören. Haltet Ihr mich also für einen Gauner, so könnt Ihr mir nicht übelnehmen, wenn ich auch Euch für einen Spitzbuben halte, dem nicht zu trauen ist.«

»Wahrt Eure Zunge!« fuhr der Direktor auf. »Mir ist nicht eingefallen, Euch zu beschimpfen.«

»Mir etwa? Ihr habt bei mir wahrscheinlich das Wörtchen ›wenn‹ überhört. Ihr traut mir nicht, gut, so traue ich auch Euch nicht. Gebt mir die 10 000 Dollar, und Ihr habt das Pergament. Damit basta!«

»Das Pergament ist nicht Euer, Ihr habt es nur gefunden, müßt es also abliefern,« suchte der Direktor den Mann jetzt einzuschüchtern.

»Macht mir doch nichts weis. Ich weiß recht gut, was ich tun darf und unterlassen muß, dafür bin ich ja Ortsvorsteher. Ich will Euch aber etwas anderes sagen, ich wohne im Hotel Transatlantik, mein Name ist Dick Burrels, und wenn der Kerl kommt, welcher das Papier prüfen soll, so laßt mich rufen.«

Vergebens ersuchte der Direktor den Miner, das Papier herauszugeben, Dick gab nicht nach, und schließlich mußte jener auf den letzten Vorschlag eingehen.

Dick hatte als Wohnung das beste und teuerste Hotel von New-York angegeben, und als nun der nur mit Hemd und Hose bekleidete Mann auf dem Korridor stand, so daß die Diener, welche er vorhin so gezüchtigt hatte, ihn alle sehen konnten, da schien es ihm in den Sinn zu kommen, sich noch einmal zu brüsten.

»Also vergeßt meinen Namen und meine Wohnung nicht,« rief er in der Tür dem Direktor zu, so laut, daß ihn alle hören konnten. »Dick Burrels, Hotel Transatlantik, ersten Stock, vornheraus, und meinetwegen könnt Ihr vor meine Fenster auch einige Beobachter aufstellen; wegen der lumpigen 10 000 Dollar, die der Wisch wert ist, brenne ich nicht durch.«

Stolz schritt er dann an den Leuten vorüber, ihnen Tabakssaft auf die blankgewichsten Stiefel spuckend. Als er an dem geschlagenen Portier vorbeikam, befiel ihn eine Anwandlung von Großmut, seine Hand senkte sich in die Tasche, und sofort begann das Gesicht des Lakaien, dessen eine Backe dick geschwollen war, zu leuchten.

»Hier, mein Lieber, ein kleines Pflaster für Eure dicke Backe, vernascht es nicht.«

Der Mann glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er in der geöffneten Hand ein blankes Goldstück erblickte. Nun, dafür hätte er sich auch noch die andere Backe dick schlagen lassen.

» Never mind, Sir, hatte nichts zu sagen,« rief er vergnügt dem breitbeinig Fortgehenden nach.

Dick hatte durchaus nicht gelogen. Den ersten ihm begegnenden freien Mietswagen benutzte er, um sich nach dem angegebenen Hotel fahren zu lassen. Uebrigens wußte er recht gut, daß er von jetzt ab scharf beobachtet würde, schärfer, als es der Polizei möglich gewesen wäre, denn dem ›New-York Herald‹ steht ein ungleich größeres Detektivkorps zur Verfügung als der amerikanischen Kriminalpolizei.

Dick war sehr zufrieden mit sich, er schmunzelte fortwährend vor sich hin und rieb die Hände.

»Der Anfang wäre geglückt, habe meine Sache noch besser gemacht, als ich dachte oder als man mir zutraute. Der Direktor gab sich höllische Mühe, mir das Pergament abzunehmen, aber Dick ging nicht auf den Leim. Was ich bei ihm wollte, wissen nun alle, dafür habe ich gesorgt, denn die Diener plaudern doch, ebenso meinen Namen und meine Wohnung. Nun bin ich begierig, was die nächste Zeit bringt; ich kalkuliere, der Plan ist ganz richtig angelegt worden. Der Direktor wird sich nicht wenig wundern, wenn er hinter den richtigen Sachverhalt kommt, und anfangs wahrscheinlich nicht schlecht pusten, daß mit ihm ein solcher Spaß getrieben worden ist, oder aber, er erfährt überhaupt gar nichts von der Sache.«

Dick murmelte noch weiter vor sich hin, bis der Wagen vor dem Hotel hielt. Der Portier empfing den Aussteigenden mit tiefer Verbeugung. Es war hier nichts Neues, daß schwerreiche Leute in Lumpen ankamen. Amerika ist das Land, wo das Glücksrad in ständiger und rasender Umdrehung ist, heute Miner, morgen Millionär, übermorgen wieder Straßenkehrer – das ist in Amerika nichts Wunderbares.

Schon beim Durchschreiten der Flur entging es dem scharfen Auge des Hinterwäldlers nicht, daß er von einem Herrn beobachtet wurde, welcher sich eben an der Portiersloge ein Zimmer bestellt hatte.

»Werden sich noch mehr einfinden,« dachte Dick. »Nur immer zu, ich habe ein gutes Gewissen.«

Nicht minder höflich wurde der Mieter von seinem Zimmerkellner empfangen, so höflich, als wäre er mindestens ein ausländischer Fürst und hätte einen Troß Diener hinter sich. Dick bewohnte zwei der teuersten Zimmer im Hotel, bezahlte immer bar und gab reichlich Trinkgelder. Das war die Hauptsache, er konnte ruhig in Lumpen gehen.

Dick wartete allerdings vergebens ungeduldig in seinem eleganten Wohnzimmer, dessen weiße Gardinen er mit seiner Pfeife anräucherte. Er empfing weder einen Besuch, noch bekam er sonst eine Nachricht, welche seine Mission betraf – denn eine solche hatte unser Freund, den wir in der ›Goldhütte‹ kennen lernten, sicher auszuführen. Nach einem reichlichen Abendtrunk legte er sich daher zu Bett und schlief, als hätte er den ganzen Tag Holz gefällt.

Am nächsten Morgen, als er noch in den weichen Eiderdaunen vergraben lag, sah er den ersten Erfolg seiner Unterredung mit dem Direktor.

Wie er gewünscht, brachte ihm der Kellner um acht Uhr den ›New-York Herald‹ ins Zimmer, auch heute noch stand in den fettgedruckten Lettern, doppelt unterstrichen, die Ueberschrift ›10 000 Dollar Belohnung‹ darin, aber darunter nicht mehr die Anzeige des Verlustes, sondern die Mitteilung, daß die Sache nun erledigt sei.

»Ganz, wie es ausgemacht worden ist,« murmelte Dick zufrieden, »Nun bin ich bloß begierig, wie mein Unternehmen weiter verläuft.«

Auch in den nächsten Tagen fragte niemand nach Dick Burrels, er schien vergessen zu sein; er verließ seine Zimmer fast gar nicht, bis endlich seine Ausdauer von Erfolg gekrönt wurde.


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