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»Ich möchte mit Ihnen morgen früh Geschäftliches besprechen,« hatte Ellen am Abend nach dem Feste zu Flexan gesagt, als die Gesellschaft sich trennte.
»Ich bin jederzeit für dich zu sprechen, liebe Ellen,« war die von einem süßlichen Lächeln begleitete Antwort gewesen. »Welchen Ort beliebst du zu bestimmen?«
»Ihr Kontor.«
»Und welche Zeit?«
»Zur Erledigung von Geschäften ziehe ich die frühe Morgenstunde vor.«
»Um vier, um fünf bei Sonnenaufgang? Bestimme nur, ich werde dich erwarten, liebe Ellen.«
»Sagen wir um neun Uhr! Gute Nacht!«
Wir wollen uns nicht mit den Gefühlen beschäftigen, welche während einer schlaflosen Nacht Kopf und Herz des alten Hazienderos durchwühlten. Er war nicht so dumm, daß er das kalte Benehmen seiner Stieftochter nicht bemerkte. Sie war noch dieselbe, sie haßte ihn, aber sie trug auch noch eine sichtliche Verachtung zur Schau. Sie sprach mit ihm, als hätte sie einen Diener vor sich, den sie demnächst wegen unordentlichen Benehmens entlassen würde.
Ellen konnte sich nicht verstellen. Wie sie dachte, so sprach sie auch, das glaubte er sicher zu wissen, in etwas hatte er sich aber doch getäuscht.
Schon lange vor der bestimmten Zeit befand sich Mister Flexan in seinem Arbeitszimmer, tat, als ob er in einem Buche rechne, horchte in Wirklichkeit aber mit nervöser Anstrengung auf die Schritte, welche draußen auf dem Korridor ertönten.
Würde wohl jemand vor der Tür stehen bleiben?
Da hob die Uhr zum Schlage aus, um die neunte Stunde zu verkünden, und in demselben Augenblick pochte es gegen die Tür. Da sie diesmal nicht verschlossen war, öffnete sie sich, und Ellen trat herein.
Draußen lag über Feld und Flur heiterer Sonnenschein, doch er spiegelte sich nicht wider im Antlitz Ellens, eine frostige Kälte war darin zu lesen; Flexan dagegen suchte sein Gesicht mit der größten Anstrengung in heitere Falten zu legen.
Doch sie sollten bald verschwinden.
Er sprang auf und eilte ihr entgegen, die Hand zum Morgengruß ausstreckend.
»Guten Morgen, liebe Ellen! Wie frisch und munter du aussiehst! Noch nie habe ich die Morgensonne mit solcher Pracht aufgehen sehen, wie heute.«
Auch diesmal nahm Ellen die dargebotene Hand nicht an, Flexan hatte die erste Abweisung vergessen. Sie nahm auf einem Stuhl Platz und blickte ihren Stiefvater kalt an, der sich an den Schreibtisch lehnte.
»Es ist das erstemal, daß wir uns allein sprechen,« begann sie frostig.
»Ja, leider! Ich wünschte schon lange, dich einmal allein zu sehen; die Anwesenheit der Gäste wirkt bei einem Wiedersehen störend.«
»Für mich nicht. Doch erst etwas anderes, ehe wir von Geschäften sprechen!«
»Bitte, liebe Ellen?«
»Nur die Anwesenheit der Gäste hat mich gehindert, Ihnen schon gestern zu sagen, daß Sie mich nicht ›liebe Ellen‹, überhaupt nicht mit meinem Vornamen zu nennen haben. Ich bin für Sie einfach Miß Petersen.«
Lautlose Stille trat ein. Flexan schwieg, er war aber über diesen Anfang keineswegs bestürzt.
»Ich glaubte, das Recht zu besitzen, Sie so vertraulich anzureden, Miß Petersen,« begann er nach einer Weile höflich. »Ehe Sie nach New-York gingen, nannte ich Sie so, warum sollte ich es jetzt nicht mehr tun? Wollen Sie mir den Grund sagen, warum Sie mir gegenüber diese Kälte zeigen?«
»Ich ziehe vor, den Grund für mich zu behalten. Ich hoffe, Sie werden sich auch so meinem Wunsche fügen.«
»Gewiß,« beeilte sich Flexan zu sagen, »wenn Sie es wünschen. Es schmerzt mich allerdings sehr, daß unser Verhältnis ein so gespanntes geworden ist.«
»Es war nie ein freundliches.«
»O doch, ich war stets höflich und liebenswürdig Ihnen gegenüber. Sie konnten sich nie beklagen über mein Verhalten.«
»Das gute Verhältnis zwischen uns war einseitig. Sie müssen bemerkt haben, daß ich mich stets von Ihnen fernzuhalten gesucht habe.«
»Manchmal schien es mir allerdings so, und vergebens habe ich nach einem Grunde gesucht.«
»Lassen wir das!« entgegnete Ellen mit abwehrender Handbewegung. »Etwas anderes ist es, was ich vor allen Dingen Sie fragen wollte. Wie kommt es, daß sich gestern Abend die Cow-boys plötzlich vom Fest zurückgezogen haben?«
Flexans Herz begann schneller zu schlagen, aber er heuchelte Gleichgültigkeit.
»Es muß doch etwas vorgefallen sein.«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Haben Sie die Leute beleidigt?«
Flexan zog ein spöttisches Gesicht.
»Cow-boys kann man nicht so schnell beleidigen. Und überdies, was kümmert's mich, ob die Cow-boys das Fest verlassen oder nicht? Ich nehme keinen Anteil daran.«
»Aber ich,« war die scharfe Antwort. »Es ist mir nicht gleichgültig, ob die Leute, welche ich beschäftige, zufrieden oder unzufrieden sind. Ich mag nicht, daß sie Grund zur Klage haben.«
»Ich werde mich nachher erkundigen, ob die Cow-boys sich durch irgend etwas beleidigt fühlen, Miß Petersen, und Ihnen dann die Meldung zukommen lassen.«
Es lag ein leiser Spott in diesen Worten; Ellen beachtete ihn nicht.
»Bemühen Sie sich nicht, ich werde mich dann selbst darum kümmern,« erwiderte sie. »Ueberhaupt werde ich von jetzt ab die Verwaltung der Plantage in die Hand nehmen.«
»Sie sind großjährig, haben also das Recht dazu. Ich werde Ihnen die Bücher in tadellosem Zustande übergeben. Welchen Tag bestimmen Sie dazu? Natürlich muß ich mir einige Zeit dazu erbitten.«
»Solange meine Gäste hier sind, ist daran überhaupt nicht zu denken. Vielleicht reise ich auch mit ihnen, und erst nach meiner Wiederkunft werde ich die Bücher prüfen, respektive prüfen lassen, da ich die Plantage jedenfalls verkaufen werde.«
»Ah!«
»Ja, denn mit einem Pächter ist es so eine Sache. Ein Gut kann leicht heruntergebracht werden.«
»Dies ist bei mir nicht der Fall gewesen,« sagte Mister Flexan gekränkt.
»Ich meinte nicht Sie, ich betrachte Sie nur als den Verwalter meines Besitztums, seit Sie aufgehört haben, mein Vormund zu sein, was in Amerika übrigens nicht viel zu bedeuten hat.«
Flexan biß sich auf die Lippen. Er bemerkte immer mehr, daß es Ellen darauf abgesehen hatte, ihn zu beleidigen, oder aber ihn aus seinen Illusionen, hier Herr zu sein, zu treiben. Doch das schadete nichts, er hatte sich schon darauf gefaßt gemacht, schlimmeres hören zu müssen, nämlich betreffs Eduards.
»Sie haben gestern die Baumwollenernte verkauft?« fuhr Ellen fort.
Jetzt kam das Erwartete, jetzt galt es, seine Selbstbeherrschung zu wahren.
»Ja, an den Agenten Hayman in New-Orleans, der in den letzten Jahren stets unsere Baumwolle abnahm.«
»In den letzten Jahren? Mir ist nichts davon bewußt.«
»Ich habe Ihnen nicht mitgeteilt, daß ich mit diesem Herrn in Geschäftsverbindung getreten bin, da Sie sich nie für die Einzelheiten interessiert haben.«
»Das ist allerdings wahr, darum will ich nicht weiter darüber sprechen, daß Sie mir dies nicht mitgeteilt haben. Warum aber verkaufen Sie gerade an Hayman?«
»Er bot einen guten Preis.«
So ruhig sich Flexan auch stellte, innerlich erschrak er doch. Hayman war ein Jude, der sich in unsaubere Geschäfte einließ, und Flexan hatte ihm die Baumwolle überlassen, weil durch diesen Handel viel in seine eigene Kasse floß. Die Baumwollenernte war weit größer gewesen, als Flexan angegeben, in den Ueberschuß teilten sich Flexan und Hayman. Daß Ellen aber diesen Mann kannte, davon hatte er keine Ahnung gehabt. Ein gutes Licht warf das nicht auf ihn.
»Hayman wird allgemein für einen Betrüger gehalten. War Ihnen dies nicht bekannt?«
»Mir gegenüber war er stets ehrlich.«
»Hm, nun gut. Es wird das letztemal gewesen sein, daß er seinen Fuß auf meine Plantage gesetzt hat. Zurückgenommen kann der Verkauf nicht mehr werden?«
»Nein, er ist bereits unterzeichnet.«
»Ist das Geld bezahlt?«
»Es liegt bereits hier.«
»80 000 Dollar, nicht wahr?«
»Ja.«
»So bitte ich Sie, mir 50 000 geben zu wollen.«
»Wie Sie wünschen. Wann soll ich Ihnen diese Summe übergeben?«
»Jetzt sofort.«
»Sofort?«
»Wundert Sie das?« fragte Ellen scharf. »Ich will sie jemandem leihen, welcher mich bald verlassen will. Bitte, geben Sie sie mir.«
Hier galt es kein Zögern mehr, Flexan mußte sofort der Aufforderung nachkommen, sonst erregte er Ellens Verdacht.
Gelassen und mit sorglosem Gesicht ging er an den Kassenschrank, zog den Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete die Haupttür.
Sollte Ellen schon Verdacht haben? dachte er dabei mit klopfendem Herzen. Nein, das ist unmöglich.
Jetzt wollte er die Schublade öffnen, arbeitete einige Sekunden mit dem Schlüssel am Schloß herum und zog sie auf. Schon vorher hatte er seinem Gesicht einen überraschten Ausdruck zu geben gewußt, jetzt malte sich Schrecken darin.
»Sie ist leer,« stammelte er.
»Leer?« rief Ellen, welche wirklich ahnungslos war. »Leer? Sie haben die Summe in ein anderes Schubfach gelegt. Sehen Sie doch nach, ehe Sie mich so erschrecken!«
Sie war zu ihm hingesprungen.
»Nein, nein, ich lege größere Summen nur hierherein, mir fiel schon auf, daß die Schublade nicht verschlossen war, und ich vergesse nie, sie zuzuschließen.«
»Sehen Sie doch erst nach!« drängte Ellen ungeduldig.
Mit zitternden Händen – er brauchte sich jetzt nicht mehr zu verstellen – schloß Flexan eine Schublade nach der anderen auf, sie enthielten Bücher, Dokumente, Gold- und Silbergeld, auch Banknoten in beträchtlichem Wert, aber eine Etikette zeigte, wozu sie bestimmt, oder wofür sie erhalten waren, doch die gesuchten Scheine waren nicht dabei.
Flexan wandte das kreidebleiche Gesicht Ellen zu und blickte in ein Paar große Augen, die ihn fest ansahen.
»Die Summe ist weg,« stotterte er.
»Ist weg? Was soll das heißen?« fragte Ellen ruhig.
»Sie ist gestohlen worden. In diesem Schubfach hier hat sie gelegen. Ich war sofort bestürzt, als ich merkte, daß der Schlüssel nicht schloß, es ist ein Einbruchsdiebstahl vorgefallen. Schnell, Miß Petersen, weit kann der Dieb nicht sein, wir können ihn noch fassen.«
Er wollte an Ellen vorbei, doch mit einem Schritt stand diese vor ihm und sperrte seinen Weg.
»Wohin?«
»Alles alarmieren – Leute ausschicken – Untersuchungen halten.«
»Nur ruhig Blut, Mister Flexan! Ich bin nicht gewohnt, gleich den Kopf zu verlieren. Dort setzen Sie sich hin und geben mir als derjenigen, welche am meisten von dem Verluste betroffen wird, ruhige und klare Antworten. Dann erst wollen wir sehen, was sich tun läßt!«
Als wäre er von der Entdeckung ganz gebrochen, so sank Flexan mit dem Talent eines Schauspielers in den nächsten Sessel. Vor ihm stand Ellen, ihn scharf fixierend.
»Wann haben Sie das Geld in die Schublade getan?«
»Gestern morgen gegen 11 Uhr,« stöhnte Flexan, der sich verzweifelt gebärdete.
»Und wann haben Sie es zuletzt darin gesehen?«
»Gestern nachmittag gegen 6 Uhr.«
»Als wir schon hier waren?«
»Ja.«
»Warum sahen Sie nach?«
»Ich nahm aus dem Kassenschrank Geld, und eine nervöse Unruhe trieb mich dazu, nach der großen Summe zu sehen.«
»Sie war unberührt darin?«
»Ja, es kann ...«
»Warten Sie! War während der Zeit, da Sie die Summe zuletzt gesehen und heute morgen außer Ihnen jemand in Ihrem Bureau?«
»Nein.«
»Entsinnen Sie sich.«
»Ich kann mich nicht entsinnen.«
»Auch nicht jener Mann, den Sie als einen Idioten bezeichneten?«
Flexan zuckte nicht mit der Wimper vor dem festen Blick Ellens, als er entgegnete:
»Nein, diesen Mann sprach ich im Vorzimmer.«
Ellen überlegte.
»Kannten Sie diesen Mann?«
»Er war mir gänzlich unbekannt.«
Es war fast, als ob Ellen heftig auffahren wollte, doch sie bezwang sich.
»Warum öffneten Sie denn gestern nachmittag gegen 6 Uhr den Kassenschrank?«
Flexan besann sich lange. Plötzlich nahmen seine Züge einen ganz anderen Ausdruck an, er sprang auf und schlug sich vor die Stirn.
»Richtig,« rief er, »das hatte ich ganz vergessen. Natürlich, ich zahlte ja den Cow-boy aus. Halt, wie ist mir denn, das könnte Licht in die Sache bringen.« Ellen ließ sich durch sein aufgeregtes Gebaren nicht irremachen.
»Welchen Cow-boy?«
»Den Ralph.«
»Sie haben Ralph abbezahlt?«
»Ja.«
»Warum denn?«
»Er wollte gehen.«
»Ralph? Der seit 20 Jahren auf unserer Farm tätig war? Unser bester Cow-boy? Der sich so freute, mich wiederzusehen? Mister Flexan, Ralph sollte gerade jetzt plötzlich seine Abbezahlung verlangt haben?«
»Es ist so.«
»Das klingt sehr unwahrscheinlich. Sie müßten ihn denn stark gereizt haben. Nun kann ich mir auch die Unzufriedenheit seiner Kameraden erklären. Was könnte nach Ihren Worten Licht in die Sache bringen?«
»Hören Sie, Miß Petersen! Ralph wollte abbezahlt werden, weil ich ihn wegen eines seiner zugerittenen Pferde tadelte. Er trat sehr schroff auf.«
Ellen schien sich in diesem Augenblick viel mehr für Ralph, als für die Geldsumme zu interessieren. Letztere hatte für sie eigentlich auch nicht viel zu bedeuten, sie konnte ersetzt werden, ihr Freund Ralph aber nicht.
»Sie tadelten ihn, weil er ein Pferd schlecht zugeritten haben soll?«
»Allerdings.«
»Ralph war unser bester Bereiter.«
»So machte er diesmal eine Ausnahme.«
»Welches Pferd ist es?«
»Die schwarze Stute mit weißer Brust und weißen Fesseln. Sie beißt und scheut.«
»Gut, Sie werden mir sie dann zeigen, und ich werde sie selbst versuchen.«
»Aber, Miß Petersen, dies alles bringt uns die fehlende Summe nicht zurück,« erlaubte sich Flexan zu bemerken, der neuen Schwierigkeiten entgegensah. Doch er tröstete sich damit, daß Pferde ihre Mucken haben, sie sind unberechenbar.
»O, die Summe kommt vorläufig nicht in Betracht; ob ich sie eine Viertelstunde eher oder später habe, macht nichts aus. Jetzt interessiere ich mich vor allen Dingen für Ralph. Vergessen Sie nicht, mir dann das Pferd vorführen zu lassen.«
»Ich habe es selbst geritten und gefunden, daß es nichts taugt.«
»Ich habe Sie nie als einen guten Reiter kennen gelernt. Ich weiß, daß Ralph kein Pferd abliefert, welches er nicht für gut findet. Doch das wird sich noch zeigen. Also Sie haben Ralph abgelohnt?«
»Jawohl,« nahm Flexan eifrig das frühere Thema wieder auf, »der Cow-boy kam auf meinen Ruf ins Zimmer.«
»In dieses Zimmer?«
»In mein Kontor, und kaum hatte er meine leise Andeutung gehört, daß ich mit der schwarzen Stute nicht zufrieden sei, so verlangte er sofort seine Abbezahlung. Ich wollte ihn zurückhalten, doch er bestand trotzig darauf und benahm sich überhaupt sehr roh.«
»Nach Art dieser wilden Reiter derb, aber nicht roh,« schaltete Ellen ein.
»Ich zahlte ihn aus, und er bemerkte, daß ich das Geld aus dem Kassenschrank nahm.«
Ellen hob plötzlich den Kopf, und ihre Züge drückten die größte Spannung aus.
»Ich konnte ihm nicht alles in Gold und Silber zahlen, Papier nahm er nicht an, und so mußte ich das Zimmer verlassen, um zu wechseln. Dabei beging ich die Unvorsichtigkeit, die Haupttür des Schrankes offen zu lassen.«
Ellen war aufgesprungen.
»Ah, nun weiß ich, was Sie wollen, Sie bezeichnen Ralph als den Dieb?«
»Es kann nicht anders sein.«
»Fahren Sie fort!« drängte Ellen hastig, und ihre Stirn zog sich drohend zusammen.
»Ich blieb nur fünf Minuten fort. Als ich mit dem gewechselten Gelde wieder eintrat, fand ich Ralph gerade vor dem Geldschrank stehen. Er trat sofort zurück und zeigte ein verlegenes Gesicht.«
»Fiel Ihnen das nicht auf?«
»Nicht im geringsten. Ich wußte bestimmt, daß ich die Schubladen zugeschlossen hatte. In dergleichen Sachen bin ich sehr vorsichtig. Aber jetzt erst fällt mir ein, daß Ralph von Beruf Schlosser ist, er hat hier mehrere Male als solcher gearbeitet und zwar sehr geschickt.«
»In der Tat, Ralph hat in seiner Jugend als Geldschrankschlosser gearbeitet.«
Flexan atmete auf. Ellen mißtraute ihm also nicht, sie faßte selbst Argwohn gegen Ralph.
»Nun kann ich mir alles erklären,« fuhr er fort, »Ralph hat meine Abwesenheit benutzt, den Diebstahl auszuführen. Er hat die erste beste Schublade aufgeschlossen und sich ihren Inhalt angeeignet, eben die 80 000 Dollar. Der Beweis liegt klar auf der Hand, die betreffende Schublade war geöffnet.«
Immer unwilliger schaute Ellen ihn an, Flexan hielt dies für Entrüstung über den frechen Diebstahl Ralphs, doch er hatte sich getäuscht.
»Und das nennen Sie einen Beweis?« kam es schneidend von ihren Lippen.
»Ist es keiner?«
»Für Sie vielleicht, nicht für mich.«
»Es können noch andere gebracht werden.«
»Welche?«
»Nun, Ralph muß einfach festgenommen werden. Ich bin sicher, daß man bei ihm das Geld finden wird mit Ausnahme dessen, was er schon durchgebracht hat. Die größte Eile ist deswegen nötig, denn einem Cow-boy ist es ein leichtes, in einem Tage 80 000 Dollar kleinzumachen.«
Hochaufgerichtet stand Ellen vor ihm und schaute ihn mit flammenden Augen an. Flexan konnte diesen durchdringenden Blick nicht ertragen. Zum ersten Male mußte er das Auge scheu zu Boden senken.
»Was Sie mir da von Ralph erzählt haben,« sagte sie, jedes Wort betonend, »glaube ich nicht eher, als bis Ralph der Schuld überführt worden ist. Man kann leicht erfahren, wo er sich gewöhnlich aufhält, dort wird er auch jetzt zu finden sein. So lange nicht definitiv bewiesen ist, daß er das Geld gestohlen hat, wird ihn auf dieser, meiner Plantage, niemand, hören Sie, niemand als Dieb bezeichnen, selbst dann nicht, wenn er nicht gefunden werden sollte. Uebrigens, Mister Flexan, kommt auch jener Mann mit in Betracht, den Sie gestern gesprochen haben, den Idioten mit dem klugen Blick. Verstehen Sie?«
»Ich empfing ihn im Vorzimmer,« entgegnete Flexan, sich zusammenraffend.
»Gleichgültig! Auch nach ihm muß gefahndet werden, hat er doch einen Raubmord versucht.«
»Ich werde sofort Leute ausschicken, um ihn suchen zu lassen.«
»Ist nicht mehr nötig. Der in meiner Begleitung gewesene Detektiv Nick Sharp, ist bereits auf der Fährte.«
Ellen verließ schnell das Zimmer, und so konnte sie nicht mehr den Eindruck ihrer Worte sehen. Wie vom Blitz getroffen taumelte Flexan zurück.
»Verdammt!« war alles, was er knirschend herausbrachte.
Auf dem Hofe wurde ein Gemurmel laut, es kam immer näher und klang immer deutlicher, bis es dicht unter den Fenstern des Bureaus erscholl.
Flexan blickte durch die Jalousien und sah gegen fünfzig Cow-boys, anscheinend angetrunken, welche zusammen sprachen, die langen Peitschen schwangen und Flüche und Verwünschungen ausstießen.
»Verdammt!« murmelte er nochmals.
Er wußte, was sie wollten: samt und sonders ihre sofortige Entlassung, gerade jetzt am Beginn der Saison, da keine Cow-boys aufzutreiben waren, und da – Flexan preßte die Lippen zusammen, da kam gerade auch noch Ellen aus dem Hauptportal.
Sie stutzte, als sie die versammelten Cow-boys erblickte, aber auch sie ahnte sofort, um was es sich handelte. Die unwilligen Gesichter der Männer sagten es ihr deutlich genug.
Eben wollten die ersten, darunter auch Dan und Ned, das Portal betreten, doch Ellen versperrte ihnen den Weg.
»Was wollt ihr?«
»Unsere Entlassung,« entgegnete Dan kurz und ohne Ehrerbietung.
»Warum?«
»Dan, ich bitte dich, sage mir den Grund, warum ihr mich verlassen wollt, gerade jetzt, da ich euch gebrauche?«
Dan zupfte an seinem Lederhemd und drehte die Reitpeitsche in den Händen.
»Weil Ralph entlassen worden ist, gehen wir auch.«
»Ralph hat seine Abbezahlung gefordert«
»Ja, weil Mister Flexan gesagt hat, er wäre zu alt, um noch Pferde zureiten zu können.«
»Hat er das wirklich gesagt?«
»Ralph erzählte es uns, und er lügt nicht.«
»So, dann will ich euch sagen: nicht Mister Flexan hat hier zu befehlen, sondern ich.«
Es trat eine lautlose Stille unter den Cow-boys ein, alle blickten auf das energische Mädchen.
»Hm, Ihr selbst habt Euch ja über ihn beschwert.« fuhr Dan fort.
»Ich? Das ist nicht wahr.«
Es lag eine solche Bestürzung in diesen Worten, daß Dan aufmerksam wurde.
»Doch, Ralph bekam durch den Herrn zu hören, Ihr hättet gesagt, er tauge nichts und habe sich Euch gegenüber unverschämt betragen.«
»Wer sagte ihm das?«
»Mister Flexan.«
»Das ist eine Lüge,« rief Ellen mit starker Stimme, tiefrot im Gesicht.
»Ralph ist aber entlassen worden, und so gehen wir von selber unserer Wege.«
»Hört, Leute, ich sage euch nochmals, so lange ich hier bin, habe ich zu befehlen, sowie Leute anzustellen und zu entlassen, und kein anderer. Damit ihr seht, daß es mir Ernst ist, hole ich Ralph selbst zurück. Seine Entlassung ist ungültig. Solchen tüchtigen Burschen finde ich niemals wieder. Ich habe gegen Ralph nie etwas gehabt oder gesagt, ich schwör's euch zu. Wohin mag er gegangen sein?«
»Jedenfalls nach Yorkspire, dort hält er sich nach jeder Abbezahlung auf.«
Die Gesichter der Cow-boys klärten sich immer mehr auf, ihr Murren hatte aufgehört.
»Wohlan, ich will euch beweisen, wieviel mir daran gelegen ist, Ralph wieder bei mir zu haben. In einer Stunde soll er zurück sein, und wem es nicht paßt, der mag gehen, ich halte ihn nicht, und wenn es der erste Verwalter ist. Ich reite selbst. Dan, hole mir ein Pferd; dein eigenes und noch eins dazu, ich reite augenblicklich, und ihr, Leute, fort! An eure Arbeit!«
Die Cow-boys waren versöhnt; sie jubelten ihrer jungen Herrin zu. Andere liefen davon, um Pferde zu holen, und zwar ihre eigenen, denn die Cow-boys suchen sich zum Reiten nur die besten Tiere aus.
Ellen sprang die Treppe hinauf, um sich zum Reitausflug zurechtzumachen.
Flexan hatte dem Schluß und Erfolg dieser Unterredung nicht beigewohnt. Kaum ahnte er, wohinaus das Gespräch laufen würde, als er sofort an den Schreibtisch trat, im Stehen einige Zeilen auf ein Papier warf und dasselbe siegelte.
»So,« murmelte er. »Ehe Ellen Ralph findet, soll er schon verhaftet sein. Haha, sie wird wohl zu spät kommen, ihren Schützling zu retten.«
Er verließ das Zimmer eiligst; eine Minute später, als Ellen noch mit den Cow-boys sprach, jagte schon ein Reiter die Landstraße hinab, welche nach Yorkspire führte. Er trug die Mitteilung an den Sheriff in der Tasche, daß Ralph im Verdacht stehe, eine bedeutende Summe Geldes gestohlen zu haben.
Schwerlich befand sich der Cow-boy noch in Yorkspire; denn dieses war nur ein Städtchen, welches keine Vergnügungen bot, aber es besaß eine Telegraphenstation, und so konnten sofort alle größeren Städte benachrichtigt werden, um den vermeintlichen Dieb verhaften zu lassen.
In Amerika wird mit Dieben wenig Federlesens gemacht; daß der Cow-boy die 80 000 Dollar nicht besaß, war gar kein Beweis für seine Unschuld. Man wußte, wie leichtsinnig diese Burschen mit dem Gelde umgehen, aber das Auffinden der fünf Banknoten im Schafte seines Stiefels war ein Argument, das ihm sofort den Hals brach. –
Ellen betrat das Bureau. Sie konnte den komplizierten Mechanismus bewegen, denn sie war ja Herrin im Hause, aber den Gesuchten fand sie nicht mehr vor. Flexan war schon ausgeflogen. Einige Zeit suchte sie ihn noch mit zornsprühenden Augen, um ihn für seine Lügen und Verleumdungen sofort zur Rechenschaft zu ziehen, Flexan hatte sich aber unsichtbar gemacht, und die Diener konnten keine Auskunft über seinen Verbleib geben.
»So laß ihn laufen,« murmelte Ellen, die Treppe nach ihren Gemächern hinaufeilend, »er entgeht seinem Schicksale sowieso nicht.«
Sie hatte es so eilig, daß sie fast einen die Treppe herabkommenden Mann umgerannt hätte, der sie jedoch in den Armen auffing und ungeniert küßte.
»Brennt es?« lachte Lord Harrlington.
»Ja, James, und du sollst mir löschen helfen. Gut, daß du im Reitanzug bist, reite mit mir! Willst du? Natürlich! Schnell, dein Pferd wartet schon auf dich, in fünf Minuten bin ich ebenfalls unten. Sharp noch nicht zurück? Nein? Schade. Laß mich, die Erklärung gebe ich dir unterwegs.«
Und fort war sie wieder, den bestürzten Lord stehen lassend. Er hielt es für das beste, vorläufig den hastigen Befehlen oder Wünschen Ellens zu folgen und die Erklärung abzuwarten, schnallte sich Sporen an, nahm die Reitpeitsche, und als er in den Hof trat, sah er schon Ellen auf einem der beiden tanzenden Pferde sitzen. Während er sich die Sporen angeschnallt, hatte sie sich in ein Reitkleid geworfen. Ellen gehörte nicht zu den Personen des schönen Geschlechts, welche den größten Teil des Tages am liebsten vor dem Toilettenspiegel verbringen.
Im sausenden Fluge ging es fort, denn sie ahnte schon eine Intrige ihres Vaters und wollte dieser zuvorkommen.