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»Mister Moore, endlich,« begrüßte der Bucklige den Eintretenden. Eine Zentnerlast schien ihm vom Herzen zu fallen.
»Haben Sie sich die Zeit gut vertrieben, Mister Elias?« fragte der mit Moore Angeredete, sich im Zimmer umschauend.
»Ausgezeichnet, nie habe ich mich so gut unterhalten. Auch Sie werden noch Ihre Freude hier erleben.«
»Bringen Sie gute Nachrichten?«
»Ausgezeichnete.«
»So lassen Sie uns hier am Fenster Platz nehmen und ungeniert sprechen,« sagte Mister Moore.
»Dort ist es etwas teuer, das Glas Zuckerwasser kostet einen Dollar.«
»Macht nichts.«
»Und ein Ei ebensoviel.«
»Ein Straußenei?«
»Nein, ein kanadisches Hühnerei.«
»Gut, so werde ich welche essen.«
»Aber ich bemerke gleich, daß ich nichts verzehren werde.«
»Sie sind und bleiben ein Knicker. Habe ich Sie hierherbestellt, so sind Sie natürlich mein Gast.«
Die beiden setzten sich wieder am Fenster um ein Faß, und Mister Moore wußte so selbstbewußt aufzutreten, einen solchen Kreis von Unnahbarkeit um sich zu ziehen, daß der Wirt viel höflicher wurde als zuvor, und der neue Ankömmling von jeder Neugier seitens des Wirtes und der übrigen Gäste verschont blieb.
Das Gespräch wurde flüsternd geführt, nachdem Mister Moore Getränke bestellt hatte.
»Vor allen Dingen sagen Sie mir,« begann Elias, »warum haben Sie mich in dieses verdammte Loch bestellt und nicht nach Little Rock?«
»Verhältnisse, lieber Elias. Sehen Sie, auf jenem Schiff, dem ich entstieg, befanden sich noch vier Herren von unserer Genossenschaft. Wir wollen in Little Rock zusammentreffen, welches in unserem Zentrum liegt, um eine Beratung abzuhalten. Sie kommen später ebenfalls hinzu, wie zufällig. Es gibt ein kleines Fest, es wird sehr lustig hergehen.«
»Konnten wir nicht dort verhandeln?«
»Nein, wir dürfen nicht tun, als hätten wir schon vorher zusammen gesprochen. Sie wissen, niemand soll wissen, was ich mit Ihnen verhandelt habe. Sie kommen ganz zufällig. Nun aber genug davon, was bringen Sie mir?«
»Gute Nachrichten.«
Ein angenehmes Erstaunen spiegelte sich im Gesicht des jungen Mannes ab.
»Haben Sie das Schreiben dechiffrieren können?«
»Es war mir eine Leichtigkeit.«
»Kannten Sie alle Substanzen?«
»Alle.«
»Können Sie den Stoff selbst herstellen?«
»Natürlich, ich habe ihn schon.«
»Vortrefflich!« rief Mister Moore erfreut. »Und wirkt er gut?«
»Es ist der richtige?«
»Vollständig.«
»Wirt, was habt Ihr außer diesem verdammten Whisky, der einem die Kehle zerkratzt, im Hause? Wein?«
»Nein, den führe ich nicht. Aber Bier ist noch da.«
»Gut, bringen Sie einige Flaschen, aber schnell, ich verdurste.«
»Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen,« brummte Elias. »Bier ist an und für sich schon nicht billig, und nun gar hier.«
»Macht nichts! Der Tag, an dem Sie mir glückliche Nachrichten bringen, muß gefeiert werden.«
»Hätten Sie mir nicht ein anständiges Reisegeld geschickt, ich würde nicht Tag und Nacht gefahren sein, um diese Wildnis zu erreichen.«
»Ich weiß, für Geld tun Sie alles.«
»Muß man auch, um heutzutage vorwärtszukommen.«
»Nun wieder von dem Mittel. Es ist also wirklich dasselbe?«
»Es ist gut, ich habe es selbst probiert.«
»Das versteht sich. Sie dürfen jedoch keinen anderen ins Geheimnis ziehen,« sagte Moore.
»Füllt mir gar nicht ein.«
»Haben Sie das Rezept übersetzt?«
»Hier ist es.«
Elias zog aus seiner Brusttasche eine Briefmappe und entnahm derselben ein Papier.
Moore entfaltete es und schüttelte den Kopf.
»Das kann ich nicht verstehen, es ist lateinisch.«
»Haben Sie schon einmal ein Rezept anders geschrieben gesehen?«
»Nein, allerdings nicht.«
»Aber dies können Sie in jeder Apotheke abgeben oder irgend einem Chemiker, es wird Ihnen sofort bereitet.«
»Es ist also gar kein Geheimnis?«
»Doch, das habe ich hier.«
Elias nahm ein anderes Papier, zog es aber, als Moore danach greifen wollte, schnell wieder zurück.
»Halt, so schnell geht das nicht. Bevor Sie dies erhalten, zahlen Sie mir meinen Lohn.«
Es dauerte lange, ehe Moore einen Entschluß fassen konnte.
»Wer bürgt mir dafür, daß Sie mich nicht hintergehen?« fragte er dann langsam.
»Auf welche Weise soll dies möglich sein?« klang es unschuldig zurück.
»Sie haben mir irgend ein Rezept ausgeschrieben, das richtige aber nicht entziffern können, oder wenn dies gelungen, das Geheimnis für sich behalten.«
»Torheit,« lachte Elias ungezwungen, »ich gebe Ihnen auch das Original, Sie lassen es von einem vereideten Entzifferer übersetzen und vergleichen es mit meiner Uebersetzung.«
»Kann das Geheimnis denn nicht verraten werden?«
»Einmal ist der Entzifferer zur Verschwiegenheit verpflichtet, wenn es sich nicht um ein Verbrechen handelt, und zweitens kann die Substanz nur ein sehr geschickter Chemiker herstellen. Es handelt sich dabei um verschiedene Ingredienzen, die außer mir nur sehr wenige kennen werden; es kommen Ausdrücke vor, die Zubereitung betreffend, die ebenfalls den meisten unbekannt sind.«
»Ich werde mich an keinen Entzifferer wenden, sondern Ihnen trauen,« meinte Moore zögernd.
»Daran tun Sie recht.«
»Nun geben Sie mir das Rezept.«
»Erst bitte ich um eine Anweisung auf die ausgemachte Summe.«
»Sie verlangen Unbilliges. Sie erhalten dieselbe erst, wenn ich festgestellt habe, daß ich die Substanz herstellen kann.«
»Das können Sie niemals, nur ich vermag es.«
»Gut, so werde ich dem Experiment beiwohnen.«
»Sie werden es nicht, so lange ich nicht die Anweisung habe. Hier ist Ihr Original zurück.«
Er reichte dem jungen Manne ein Pergament, das mit seltsamen, mystischen Zeichen bedeckt war. Es wurde mit sichtbar zitternder Hand ergriffen. Ein scheuer Blick aus den Augen des jungen Mannes streifte durch das Zimmer, ehe er es in der Brusttasche verschwinden ließ.
Das Gespräch war nicht mehr so leise geführt worden wie zuerst, besonders der Bucklige hatte laut gesprochen, und die Gäste hatten dieser Geschäftsunterhandlung mit Interesse gelauscht.
»Jetzt geben Sie mir das Geheimnis der Bereitung, und ich zahle Ihnen eine Summe,« nahm Moore wieder das Wort.
»Eine Summe? Welche?«
»Die Hälfte der versprochenen.«
»Und den Rest?«
»Wenn Sie in meiner Gegenwart die Substanz herstellen, und wenn ich sie für gut befunden habe.«
Der Bucklige sann längere Zeit nach.
» All right, ich bin's zufrieden.«
Moore zog einen Papierblock aus der Tasche, ein Tintenfaß und eine Feder und schrieb.
»Ist dies gut so?«
Des Buckligen Augen leuchteten auf.
»Unterschreiben Sie!«
Die Feder kratzte übers Papier, und dasselbe wurde abgelöst.
»Wehe Ihnen, wenn Sie mich betrogen haben!« sagte Moore, als er dem Buckligen die Anweisung auf ein New-Yorker Bankhaus überreichte.
»Hier ist das Rezept der Bereitung,« entgegnete der Chemiker, »es ist englisch geschrieben.«
Der junge Mann überflog das Papier, das seine zitternden Hände hielten, und ein immer größeres Erstaunen malte sich in seinen Zügen.
»Wie, das soll es sein?«
»Es ist das Rezept.«
»Wie ist mir denn, klingt das nicht fast, als ob es sich um die Bereitung einer Medizin handle? Destilliertes Wasser, Latwerge, Chlorkalium ...«
»Es ist ja auch eine Medizin. Ich glaube, Sie werden mit dem Abführmittel gute Geschäfte machen, vielleicht in kurzer Zeit zum reichen Manne werden.«
Moore ließ das Papier sinken, ein furchtbarer Blick traf den Buckligen. Dieser stand schnell auf und ging nach dem Tische, wo sein Glas noch stand.
»Wirt, eine Flasche vom besten Whisky für diese Gentlemen,« rief seine kreischende Stimme. »Meine Herren, das Geschäft ist abgeschlossen, und ich bin ein Mann von Wort.«
»Alles hat seine Richtigkeit,« bestätigte Bill kopfnickend.
»Kinnaird,« keuchte es vom Fenster her.
»Sie wünschen?«
Der Bucklige setzte sich gelassen wieder auf seinen alten Platz, ohne sein Gegenüber aber aus den Augen zu lassen.
»Kinnaird, was soll das bedeuten?«
»Wie kommen Sie zu dieser Frage?«
»Sie haben mich betrogen,« stöhnte Moore.
»Herr, das verbitte ich mir!« versuchte der Bucklige aufzubrausen. »Diese Herren dort sind Zeugen, daß alles ehrlich vor sich gegangen ist.«
»Ja, das ist es,« bestätigte Dick, sein Glas aus der neuen Flasche füllend.
»Und glauben Sie meinen Worten nicht,« fuhr der Bucklige oder Elias Kinnaird, der Chemiker aus New-York, fort, »so lassen Sie die Schrift entziffern. Enthält sie nicht das Rezept eines Abführmittels, dann können Sie mich einen Betrüger nennen, wenn ich Ihnen die Summe nicht bis auf den letzten Cent zurückzahle.«
Moore war völlig außer Fassung; mit starren Augen glotzte er den Buckligen an.
»Ich bin betrogen worden,« konnte er nur stöhnen.
»Von mir nicht.«
»Dann von Flexan.«
»Ah, Flexan ist also auch im Spiele. Ja, der betrügt gern oder vielmehr, betrog gern, denn er ist ja spurlos verschwunden. Hat er Ihnen dieses Rezept verkauft? Es ist ja ein ganz gutes Mittelchen, aber ich glaube, Sie überschätzen es doch.«
»Sprechen Sie nicht so! Sie wissen recht gut, um was es sich handelt,« entgegnete Moore immer noch trostlos.
»Ich? Nicht im geringsten.«
»Flexan selbst hat mit Ihnen unterhandelt.«
»Oft genug, aber nie wegen eines Abführmittels.«
»Um dieses Rezept?«
»Nie!«
»Sie lügen!«
»Ich spreche die Wahrheit. Flexan hat nie wegen eines Abführmittels mit mir gesprochen.«
»Sie wollen mich höhnen,« entgegnete Moore, wieder eisigkalt werdend. »Flexan übergab Ihnen ein Stück jener Substanz, welche man da auf dem Meeresgrunde gefunden, wo die schwimmende Werft des ›Blitz‹ gelegen hatte. Sie konnten die Substanz nicht analysieren, forderten das Rezept, und Flexan versprach, Ihnen dasselbe zu verschaffen.«
Der Bucklige riß die kleinen Augen so weit wie möglich auf.
»Ja, aber was hat dieses Rezept mit alledem zu schaffen?«
»Es ist das, welches Flexan Ihnen bringen wollte.«
Elias Kinnaird bog sich hintenüber und brach in ein schallendes Gelächter aus.
»Köstlich,« rief er, »Mister Kirk – wollte sagen Mister Moore, da sind Sie allerdings furchtbar aufs Eis geführt worden, entweder von Flexan oder von dem, welchem das Rezept ursprünglich gehört hat. O, nun verstehe ich alles. Sie wähnen sich im Besitze jenes Geheimnisses, welches die Sehnsucht Flexans war. Ja, Mister Moore, das tut mir leid, dann haben Sie sich entweder getäuscht oder Sie haben sich betrügen lassen.«
Der junge Mann ward aschfahl im Gesicht und knirschte mit den Zähnen.
Kinnaird, der mit einem Male sehr freigebig geworden, bestellte für die Männer am Tisch eine zweite Flasche und flüsterte dann, sich vorbeugend, seinem Nachbar zu:
»Von wem erhielten Sie das Pergament?«
»Von Flexan.«
»Warum nicht?«
»Weil Flexan es sicher nicht aus den Händen gelassen hätte. Er gedachte Millionen daraus zu schlagen.«
»Ich habe ihm aber auch eine ungeheuere Summe dafür bezahlt. Er war damals gerade in Geldverlegenheit.«
»Hm, klingt sehr unwahrscheinlich.«
»Es ist aber so.«
»Wußten Sie, wo das Geheimnis, das sich nun als Abführmittel entpuppt hat, sich befand?«
»Nein, Flexan wußte es; er hat es in seinen Besitz gebracht und mir verkauft.«
»Es befand sich auf der Brust des Besitzers.«
»So?«
»Ja, auf der Brust Hoffmanns.«
»Pst, nicht so laut.«
»Bah, was gilt ein Name in Amerika?« grinste Kinnaird, welcher sich an der furchtbaren Verlegenheit seines Gegenübers weidete. »Wissen Sie, wo Hoffmann jetzt ist?«
»Habe keine Ahnung.«
»Ich auch nicht, er ist verschwunden.«
»Geht mich nichts an.«
»Der Verdacht liegt vor, daß er ermordet worden ist.«
»Was? Sollte Flexan sich so weit vergessen haben, um das Geheimnis des ›Blitz‹ zu erlangen?«
»Allem Anschein nach. Flexan hat nie lange gezögert, galt es einen Fang zu machen.«
»Sprecht nicht so laut!« warnte Moore nochmals. Sein Gesicht war bleich wie das eines Toten, aber die Hand, welche das Glas zum Munde führte, zitterte nicht. Gleichgültig und sicher blickte er den Chemiker an, doch dieser ließ sich nicht täuschen.
»Ich wette, Flexan hat das Geheimnis für sich behalten, um es in seinem Interesse zu verwerten, Ihnen aber ein Falsifikat verkauft, welches ein nutzloses Rezept enthält.«
»Er soll mir dafür büßen, wenn ich ihn wieder treffe.«
»Ich kalkuliere, das wird niemals der Fall sein.«
»Warum nicht?«
»Weil Flexan verschwunden ist.«
»Das war schon mehrmals der Fall.«
»Hm, diesmal aber wird er wohl nicht wieder auftauchen.«
»Wieso glauben Sie das?«
»Nun, es ist nur eine Vermutung. Ich denke nämlich,« Kinnaird beugte sich weit auf und dämpfte seine Stimme noch mehr, »die Vestalinnen werden wieder aufleben und uns den Hals brechen, was sie wahrscheinlich schon mit Flexan getan haben.«
Moore lachte laut auf.
»Bah, die sind versorgt. Im schlimmsten Falle bringe ich mich schleunigst in Sicherheit. Die Welt ist groß, größer als Amerika, in welchem allein man sich schon unsichtbar machen kann.«
»Sie reisen jetzt nach Little Rock?«
»Ja, wir Verbündeten haben eine Unterredung, wahrscheinlich die letzte. Apropos, Kinnaird, wie steht es mit der Summe?«
»Mit welcher Summe?«
»Die ich Ihnen vorhin gab.«
»Nun, die gehört natürlich mir.«
»Das geht nicht, ich bin zu sehr im Verlust. Anstatt mir das gewünschte Geheimnis zu enträtseln, geben Sie mir das Rezept eines wertlosen Abführmittels.«
»Tut mir leid, ich kann nichts dafür. Meines Auftrags habe ich mich entledigt und dabei viel Zeit gebraucht.«
»Sie sind unbillig.«
»Kein Wort mehr darüber! Wirt, wann kann ich an Bord eines Dampfers?«
»Braucht mir's nur zu sagen, und ich hisse die Flagge. Wollt Ihr stromauf oder stromab?«
»Nach Little Rock.«
» All right, wird besorgt.«
»Ich fahre mit,« rief Moore dem hinausgehenden Wirt nach.
»Und ich auch,« sagte der fremde Jäger.
Aller Augen wandten sich diesem zu. Kinnaird und sein Gefährte schienen mißtrauisch zu werden.
»Ihr fahrt mit?« fragte der Bucklige.
»Ja, gefällt Euch das nicht?«
»Mir soll's gleichgültig sein.«
»Es kommt auch noch ein vierter Mann mit,« wendete sich der fremde Jäger zu dem unterdes wieder hereingekommenen Wirt.
»So, wer ist denn das?«
»Er wird jede Minute hier eintreffen.«
Der fremde Jäger gab noch einen Rundtrank aus und bezahlte den Wirt an der Bar. Sie sprachen wenige Worte zusammen, und der letztere zog ein sehr erstauntes Gesicht, wurde aber auf eine Vermahnung hin wieder gleichgültig. Gleich darauf ging er hinaus und nahm die Flagge von seinem Hause wieder herab.
Die beiden hatten ihren Platz am Fenster noch nicht verlassen, sie flüsterten nach wie vor zusammen.
»Flexan ist doch ein wahrer Teufel,« meinte Kinnaird. »Ein Menschenleben zählt bei ihm so viel, wie das einer Fliege.«
»Er ist damit zu unvorsichtig. Sein letztes Unternehmen mit Hoffmann wird ihn ins Unglück gestürzt haben.«
»Aber man hat doch nichts von einem Mord oder einer Verhaftung gehört.«
»Wird schon noch kommen.«
»Wissen Sie,« sagte Kinnaird vertraulich, »daß ich erst glaubte, als Sie mir das Pergament überschickten, Sie hatten Hoffmann ins Jenseits fahren lassen?«
Moore konnte sich nicht genügend beherrschen; erschrocken fuhr er zusammen.
»Wie kommen Sie auf die seltsame Vermutung?«
»Nun, Sie brauchen nicht gleich zu erschrecken,« kicherte Kinnaird, »ich dachte ja nur so. Mit Flexan verkehrte ich sehr intim, er vertraute mir die meisten seiner persönlichen Unternehmungen an, und so erfuhr ich denn von ihm, daß er es auf das Geheimnis des ›Blitz‹ abgesehen hatte. Dann war Flexan plötzlich verschwunden, gleich darauf verlautete, Hoffmann würde vermißt, und einige Tage später schickten Sie mir das Pergament ein. Ich dachte, genau ein solches vermutete Flexan auf der Brust Hoffmanns, seltsam, ich sollte es ihm enträtseln, und nun sendet mir Mister Kirk – wollte sagen Mister Moore eins zu. Nun, ich hatte mich geirrt, das Ihrige war ja nur ein einfaches Abführmittel.«
Kichernd leerte der Bucklige sein Glas. Seinem Genossen schien es furchtbar unbehaglich zu werden; er wich den Blicken des Gegenübers jetzt fortwährend aus.
Ein Rauschen ward hörbar, vom Flusse herkommend, Moore, der dem Fenster den Rücken zukehrte, wendete sich um.
»Ist das ein Dampfer, Wirt?«
»Ein Schnelldampfer, er hält nicht.«
»Wann kommt ein anderer?«
»Wird nicht lange mehr dauern.«
»Ich leiste Ihnen Gesellschaft bis nach Little Rock,« sagte der Kleine. »Dort aber verlasse ich Sie.«
»Wollen Sie unsere Freunde nicht sehen? Es wird ein gemütliches, kleines Fest.«
»Ich danke für diese Gemütlichkeit. Ich reise sofort nach New-York, erhebe die Summe und mache, daß ich fortkomme. Ich hoffe, Sie werden mir keine Schwierigkeiten in den Weg legen?«
Ein teuflischer Blick voller Hohn und Schadenfreude traf dabei den jungen Mann.
»Ich bin froh, wenn sich unsere Wege nicht wieder kreuzen. Suchen Sie ruhig das Weite mit Ihrer mir abgenommenen Beute, ich halte Sie nicht.«
»Und nehmen Sie sich in acht, daß man nicht Recherchen nach Hoffmann anstellt und lebhafte Nachfrage nach Ihnen hält!« zischelte der Bucklige.
»Schweigen Sie! Geben Sie sich nicht mit solch wahnsinnigen Vermutungen ab!« herrschte ihn der andere an.
»Dort kommt schon wieder ein Dampfer,« rief er dann dem Wirt zu. »Warum pfeift er denn nicht? Habt Ihr die Flagge auf Eurem Hause wehen?«
Er wollte sich aus dem Fenster beugen, fuhr aber mit einem Schreckensschrei, bleich wie ein Toter, zurück. Am Fenster erschien ein vollbärtiges Gesicht, die großen, blauen Augen schauten den Erschrockenen fest an.
»Kapitän Hoffmann!« gellte es durch den kleinen Raum. Der junge Mann wankte, er wollte sich an das Faß klammern, die zitternden Hände fanden keinen Halt, er taumelte noch weiter zurück und stürzte in die Arme des fremden Jägers.
»Mister Kirkholm,« donnerte es in seine Ohren, »Sie sind mein Gefangener! Versuchen Sie keinen Widerstand.«
Da huschte es an ihnen wie ein Wiesel vorbei. Der Bucklige war es, er hatte die Situation erkannt. Ihre Anschläge waren verraten. Die aufspringenden Männer wollten ihn fassen, aber wie ein Aal glitt er ihnen unter den Händen hinweg, und es gelang ihm, das Freie zu erreichen.
Draußen jedoch ertönte ein Schrei, und gleich darauf trat eine hohe Gestalt ein, die den buckligen Chemiker am Kragen hereinschleppte.
Der Wirt war im Einverständnis mit dem fremden Jäger, er hatte auch Bill und Dick instruiert. Sie halfen, den halbohnmächtigen Mister Moore, in Wirklichkeit Mister Kirkholm, zu binden, und gleich darauf waren auch die Hände des Buckligen auf dessen Rücken festgeschnürt.
»Kapitän Hoffmann!« konnte Kirkholm nur stöhnen.
»Ja, ich bin's,« lachte der neue Ankömmling, vor den Gefangenen hintretend. »Ihre Verbrecherlaufbahn hat ein Ende. Nur so viel will ich Ihnen zum Trost mitteilen, daß es Ihnen damals im Staate Kolorado, auf dem schmalen Felsgrate, nicht gelungen ist, mich zu töten. Der Handlung nach sind Sie kein Mörder, aber dem Gewissen nach. Wegen Mordes können Sie von den Menschen nicht verurteilt werden, aber Ihre Absicht war es, mich zu töten, um sich in den Besitz des Geheimnisses auf meiner Brust zu bringen, und um Sie in Sicherheit zu wiegen und mein Leben gegen Sie zu schützen, ließ ich Sie den Mord im Traume ausführen, denn Ihre Absicht war dies doch.«
Man sah es dem Gefangenen an, daß ihm der Sinn dieser Worte unverständlich war. Entsetzt starrte er den Sprecher an, den er doch mit den eigenen Händen erst erschossen und dann in den bodenlosen Abgrund geschmettert hatte. Er glaubte einen Geist vor sich zu haben, er war völlig gebrochen.
Bei dem Buckligen, dem Chemiker Kinnaird aus New-York, war das vollkommene Gegenteil der Fall. Er hatte seine Fassung behalten.
»Was soll das heißen, Herr?« rief er entrüstet. »Mit welchem Rechte bindet Ihr mich, als wäre ich ein Verbrecher?«
»Das sind Sie auch,« entgegnete Hoffmann ruhig, »Sie sind der Helfershelfer von Wechselfälschern und Falschmünzern, welche sich nicht scheuten, bei Ausführung ihrer Pläne auch Gift anzuwenden. Sie lieferten ihnen sympathetische Tinte, entfernten Schrift und ahmten Kautschukstempel nach.«
»Oho, das soll mir erst bewiesen werden, daß ich unrechte Handlungen begangen habe! Ich habe einfach für Geld gearbeitet, ohne zu fragen, wozu meine Arbeiten dienten. Nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten kann ich wohl zur Rechenschaft gezogen, aber nicht bestraft werden, wenn mit meiner Hilfe Unfug getrieben worden ist.«
»Wie kann dieser kleine Vogel entrüstet pfeifen.« lachte Sharp, der als Jäger verkleidete Mann. »Wir werden Euch eines Besseren belehren, für was wir Euch halten.«
»Kopf hoch, Mister Kirkholm!« schrie der Kleine. »Sie können uns nichts anhaben, mir ebensowenig, wie Ihnen. Ihr seid Sheriff,« wandte er sich an Bill, »wollt Ihr dulden, daß einem Bürger der Vereinigten Staaten Gewalt angetan werde?«
Bill war aber anderer Meinung.
»Warum lieft Ihr denn vorhin davon, wenn Ihr ein gutes Gewissen habt?«
»Weil ich an einen räuberischen Ueberfall glaubte.«
Jetzt kam auch Kirkholm wieder zur Besinnung.
»Ich wünsche, dem Gericht ausgeliefert zu werden,« murmelte er dumpf.
»Das könnte Euch wohl passen,« höhnte Nick Sharp, »einige Monate in Untersuchung zu kommen, damit Ihr Zeit zur Flucht habt. Nichts da, Ihr seid unser Gefangener.«
»Diese Männer dürfen es nicht dulden,« schrie Kinnaird.
»Oho, wir sind ganz zufrieden damit,« erklärte Bill, »dieser Gentleman ist der Detektiv Nick Sharp, und was der tut, hat seine Richtigkeit.«
Bei Nennung dieses Namens wurde auch Kinnaird kleinlaut und ergab sich in sein Schicksal. Diese beiden Männer sollten nicht dem Gerichte zur Bestrafung ausgeliefert, sondern ohne weiteres für ihre Verbrechen gezüchtigt werden, ein in Amerika bevorzugtes Verfahren, weil die Beamten häufig bestechlich sind.
»Seid ihr bereit, die beiden Gefangenen unter Führung von Nick Sharp zu begleiten?« wandte sich Hoffmann an Bill und Dick. »Es handelt sich nur um einen kleinen Marsch durch den Wald, eure Zeitversäumnis soll reichlich bezahlt werden.«
Die beiden schmunzelten.
»Natürlich gehen wir mit, und entspringen sollen sie nicht, dafür stehen wir mit unserem Kopf.«
»Wann könnt ihr aufbrechen?«
»Wir sind jederzeit bereit.«
Hoffmann sprach mit Sharp, worauf er und Bill und Dick die beiden Gefangenen zwischen sich nahmen, das Haus verließen und im Walde verschwanden.
Der Deutsche aber wartete auf den nächsten Dampfer, der nach Little Rock fuhr, und benutzte ihn. Den Koffer des Chemikers nahm er mit sich.