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20.

Der Heiland am Marterholz.

Es war Mittag. Heiß brannte die südliche Sonne auf die Häupter der drei Gefangenen herab, welche an den Pfählen standen und mit festen Augen den Vorbereitungen zu ihrem Martertode zusahen. In einiger Entfernung brannten Feuer, und junge Indianer waren damit beschäftigt, Holzsplitter zu schneiden.

Diese wurden im Feuer zum Glimmen gebracht und sollten dann den Gefangenen unter die Nägel der Hände und Füße geschoben werden. Jene eisernen Ladestöcke dort wurden glühend den Opfern ins Fleisch gestoßen, bis man endlich Holz rings um sie aufschichtete und ihre Leiber langsam röstete.

Schade, daß unter den Indianern keine Weiber waren. Das weibliche Geschlecht ist in seinen Leidenschaften dem männlichen bedeutend überlegen, gleichviel, ob in Liebe, Haß oder in Eifersucht und Rache. Wären die Mütter, Töchter oder gar die Frauen der Erschlagenen anwesend gewesen, sie hätten noch ganz andere Mittel gefunden, deren Mörder erst zu demütigen und dann zu quälen. Aber einen anderen Erfolg als diese indianischen Männer hätten sie auch nicht gehabt.

Die Indianer heulten die Lobgesänge zu Ehren der Getöteten, welche mit Schmähungen auf die Mörder endeten, vor tauben Ohren. Die Wimpern der Gefangenen zuckten nicht, wenn die jungen Männer ihnen triumphierend die rotglühenden Ladestöcke zeigten.

Keine Spur von Furcht war in den trotzigen Mienen Sonnenstrahls und Stahlherz' zu lesen, und Waldblüte blickte träumerisch und lächelnd drein wie damals, als sie Blumenkränze für den Bruder wand.

Aber wie sah es in ihrem Innern aus!

Der Vater stand neben den wiedergefundenen Kindern – noch heute sollte er sie in den Flammen sterben sehen. Darum also hatte er sie gefunden, um ihrem Tode beizuwohnen! Auch ein Indianer kennt die Vaterliebe, wenn er ihr auch selten Ausdruck gibt. Schmerzender, als später die feurigen Eisen sein konnten, waren die Gedanken, welche sein Herz marterten.

Sonnenstrahl stand vor denen, welchen er ein Fürst, ein die Freiheit bringender Heiland sein sollte. Sie kannten ihn nicht, sie banden ihn an den Pfahl und schürten das Feuer, um seinen Leib verkohlen zu lassen. Sonnenstrahl wußte nicht, daß er das Schicksal vieler Menschen teilen sollte. Im Leben verachtet, nach dem Tode verehrt – seltsam, daß sich die Menschen nie ändern, jedes Jahrhundert zeichnet in das Buch der Weltgeschichte neue Beispiele dieser Kurzsichtigkeit und Undankbarkeit.

Waldblüte hatte gleiche Gedanken wie der Bruder. Ihr Herz krampfte sich beim Anblick dieser armen Verblendeten zusammen.

Aus dem Walde trat ein Mann und schritt auf den Kreis von Indianern zu. Es war Hoffmann, oder wie wir ihn jetzt noch nennen wollen, Deadly Dash. Er war noch in feinem Waldläuferkostüm, aber vollständig ohne Waffen, Er trug weder Büchse noch Messer oder Revolver, wohl aber hingen von seinem Gürtel jene schon früher erwähnten Ledertaschen herab.

Noch ehe er den Kreis erreicht hatte, trat ihm ein Indianer entgegen, derselbe, mit dem sprechend, Deadly Dash von den beiden Offizieren gesehen worden war.

Er wußte, daß die Martern noch nicht begonnen hatten, aber auch, daß sie bald ihren Anfang nehmen würden, denn die Indianer hatten anderes zu tun, als mit dem Quälen von Gefangenen viel Zeit zu vergeuden, ein wie großes Vergnügen ihnen ein solches Schauspiel auch bereitete.

Indianer haben die größte Ehrfurcht vor körperlicher Kraft, dieser hohe, breitschulterige Mann mußte ungeheuer stark sein, und so wies ihn der Indianer nicht sofort barsch zurück, sondern ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein. Einige Indianer umstanden beide.

»Was will das Bleichgesicht?«

»Der Marterung beiwohnen,« antwortete Deadly Dash.

»Das Bleichgesicht hörte schon einmal, daß kein Fremder zuschauen darf. Geh,« sagte der weiße Falke.

»Ist der weiße Falke der erste Häuptling am Beratungsfeuer?«

»Nein,« gestand der Indianer offen.

»Ich weiß, der Adlerfeder haben die Häuptlinge zu lauschen. Vorhin war die Adlerfeder nicht da, doch nun habe ich sie gesehen.«

»Der weiße Falke lügt nicht. Ja, Adlerfeder ist jetzt hier.«

»So hat er zu befehlen, nicht du.«

Der Indianer runzelte grimmig die Stirn. Doch er beherrschte sich, er mußte es tun.

»Adlerfeder will nicht, daß ein Bleichgesicht den sterben sieht, der seinen Bruder erschlagen.«

»Rufe Adlerfeder!«

»Adlerfeder wird dem Bleichgesicht eine scharfe Antwort geben.«

»Rufe Adlerfeder,« beharrte der Waldläufer.

»Wie nennt sich das Bleichgesicht?« fragte der Indianer unmutig, weil er sich doch verpflichtet fühlte, den Auftrag auszurichten.

»Ich bin ein weißer Häuptling, welcher am Beratungsfeuer sitzt, wenn die anderen stehen. Nur Adlerfeder nenne ich meinen Namen,« sagte Deadly Dash stolz.

Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Indianer ging in den Kreis zurück, während seine Gefährten den Waldläufer umringten.

Bald kam der weiße Falke wieder. In seiner Begleitung befand sich ein schon älterer Indianer, der an seinen Abzeichen als Häuptling erkenntlich war. Die mageren, äußerst sehnigen Arme mußten einst von Muskeln gestrotzt haben. Der Blick war der eines Adlers. Zahlreiche Ketten von Bärenklauen ließen auf Tapferkeit schließen, und der reiche Federschmuck verriet den hohen Rang dieses Häuptlings. Eine Krone aus den Federn des seltenen Seeadlers saß auf dem Haupt, und lang wallte der Schmuck aus denselben Federn über den Rücken des Indianers hinab, bis er den Boden berührte und dort noch nachschleifte. Auch durch die Ohren des Mannes waren Adlerfedern gesteckt.

Diesem Häuptling fiel, als er vor dem Waldläufer stand, sofort auf, daß letzterer kein Gewehr bei sich hatte.

»Wo hat der weiße Mann, welcher vom Wild des Waldes lebt und sich vor Feinden schützen muß, seine Waffen?«

»Er braucht keine.«

»Womit tötet er seine Feinde?«

Deadly Dash streckte eine geballte Hand aus.

»Mit der Faust.«

»Ein starker Mann hat eine starke Faust, doch die Kugel ist schneller als die Hand.«

»Doch nicht als meine.«

Adlerfeder betrachtete den Waldläufer lange, dann fragte er:

»Wie wird das Bleichgesicht genannt?«

»Deadly Dash.

Es bringt dem Indianer Schande, zu erschrecken, und noch mehr, den Schrecken zu zeigen. Bei Nennung dieses Namens jedoch fuhren die den Waldläufer umstehenden Indianer zurück und drängten auf den zweiten Kreis.

Der einzige, welcher sich beherrscht hatte, war Adlerfeder gewesen, aber auch sein Auge ruhte mit unverhohlenem Erstaunen auf dem Mann, der sich Deadly Dash, tötender Schlag, nannte.

»Deadly Dash – Deadly Dash!« pflanzte sich der Ruf von Mund zu Mund fort, und in weniger als einer Minute war der Waldläufer von Hunderten von Indianern umringt. Die Gefangenen wurden nur noch von den Verwandten der Getöteten bewacht.

Alle übrigen wollten den Waldläufer sehen, dessen sagenhafter Name in den Wigwams der einzelnen Stämme nur flüsternd genannt wurde.

Adlerfeder hatte sich gefaßt; nachdenklich schüttelte er den Kopf, daß die Federn schwankten.

»Viel hat Adlerfeder von Deadly Dash sprechen hören, sein Bruder hat ihn selbst gesehen, aber Adlerfeder glaubt nicht, daß Deadly Dash vor ihm steht.«

»Warum nicht?«

»Deadly Dash trägt den Tod in der Hand. Wen er anfaßt, der fällt tot zu Boden.«

Wieder streckte der Waldläufer die Faust aus.

»Wen diese Faust trifft, der steht nicht wieder auf.«

Der Häuptling lächelte.

»Als vor vielen Sommern Adlerfeders Arm noch voll war, warf er jeden Büffel mit einem Schlage nieder. Noch gibt es junge Männer, welche dasselbe können. Das Bleichgesicht lügt, es ist nicht Deadly Dash.«

»So beweist es, ehe du mich einen Lügner nennst.«

»Deadly Dash hat Hände, von denen Strahlen ausgehen, er ist der Blitz ohne Donner.«

»Von meinen Händen gehen Strahlen aus.«

»Adlerfeder sieht sie nicht.«

»Du siehst sie nicht, weil ich nichts anfasse. Fasse ich aber jemanden an, so blitzt es, ohne zu donnern, und der Blitz tötet alles.«

»Beweise es! Dann erst glaubt Adlerfeder, daß du Deadly Dash und kein Lügner bist.«

Eine ungeheuere Erregung bemächtigte sich der Indianer, aber wie Spreu stoben sie auseinander, als der Waldläufer mit ausgestreckten Händen auf sie zutrat.

»Wen soll ich anfassen?«

Auch Adlerfeder fuhr erschrocken zurück, als die todbringenden Hände ihm zu nahe kamen.

»Mußt du den Blitz gerade in einen roten Mann hineinsenden? Da sind Bäume. Deadly Dash konnte sie sofort zerschmettern.«

»Bäume sind tot, ich kann sie nicht brauchen. Wer von den roten Kriegern ist so tapfer, sich von mir anfassen zu lassen, damit sie glauben, daß ich Deadly Dash, der Blitz ohne Donner bin?«

Keiner der Indianer rührte sich; alle standen zur Flucht bereit, falls die todbringenden Hände ihnen zu nahe kommen sollten. Mit so etwas war nicht zu spaßen.

Es schien fast, als ob Deadly Dash keine Probe seiner Kraft ablegen könnte, doch Adlerfeder war schlau, er wußte Rat. Es brauchte ja nicht gerade ein Mensch zu sein, der dem Blitz zum Opfer fallen mußte.

Die Finger seiner schlaff herabhängenden Hand bewegten sich kaum merklich, aber die hinter ihm stehenden Indianer lasen dennoch die Worte ab, welche Adlerfeder in der Zeichensprache schrieb.

Eine Minute später wurde durch den Kreis der Indianer ein schöner Mustang geführt, welcher aber stark hinkte. Auf dem Hinterschenkel hatte er eine tellergroße Wunde, deren Heilung aussichtslos war.

Niemand gewahrte, als sich aller Augen nach dem Pferde richteten, wie Deadly Dash seine Hand etwas in die weiten Aermel seines Jagdhemdes zurückzog, dort etwas zu ergreifen schien und dann die Hände geballt wieder ausstreckte.

»Dies Pferd ist stark,« sagte Adlerfeder. »Bist du Deadly Dash, so berühre es, und es muß sofort tot sein.«

»Wohl, ich werde beweisen, daß ich den Blitz ohne Donner in meiner Hand führe!«

Scheu wichen die Indianer, auch Adlerfeder, vor dem Manne zurück, der jetzt auf das Pferd zuschritt. Schon sein sicheres Auftreten bewies, daß er die Wahrheit gesprochen hatte.

Deadly Dash stand vor dem Kopfe des Pferdes und legte die rechte Faust an dessen eines Ohr. Mit angehaltenem Atem sahen ihm die Indianer zu. Was würde der nächste Augenblick bringen?

Der Waldläufer erhob die linke Faust, näherte sie dem anderen Ohre des Pferdes, und noch hatte sie dasselbe nicht berührt, als unter deutlichem, knisterndem Geräusch ein blauweißer Funke ihr entfuhr. Augenblicklich stürzte das Pferd zusammen, ohne noch einmal gezuckt zu haben – es war tot.

Die Indianer waren außer sich.

»Deadly Dash, der Blitz ohne Donner!« heulten sie und umdrängten den Waldläufer, sich aber hütend, auch nur seine Kleidung zu streifen; ein Blitz hätte ihr entfahren können.

»Du hast die Wahrheit gesprochen. Du bist Deadly Dash,« sagte Adlerfeder ehrfurchtsvoll. »Bist du als Feind oder als Freund zu den Indianern gekommen?«

»Als Freund.« entgegnete Deadly Dash und streckte dem Häuptling die offene Hand entgegen.

Doch dieser zögerte, sie zu ergreifen.

»Dem Freund kann der Blitz nichts schaden,« lächelte Deadly Dash, »nur den Feind und falschen Freund tötet er, oder wenn Deadly Dash es besonders will.«

Adlerfeder durfte keine Furcht zeigen, er ergriff die Hand des Weißen und schüttelte sie.

»Mein weißer Bruder ist willkommen. Was will er von Adlerfeder? Sein Herz gehört ihm, sein Wigwam steht ihm offen.«

»Ich wiederhole meine Bitte: laß mich der Marterung der drei Gefangenen beiwohnen.«

Plötzlich trat lautlose Stille ein. Man ahnte was Deadly Dash beabsichtigte – die Befreiung der Gefangenen.

»Sie haben unsere Krieger, auch Häuptlinge getötet,« sagte Adlerfeder langsam, die Augen durchbohrend auf den Waldläufer, gerichtet. »Hält mein weißer Bruder es für nötig, daß wir sie deshalb am Marterpfahl sterben lassen?«

»Ihr müßt sie martern,« entgegnete Deadly Dash ohne Zögern.

Das war eine seltsame Antwort aus dem Munde des deutschen Ingenieurs, doch er hatte recht.

Sage dem Mohammedaner, Jesus Christus sei Gottes Sohn – die Mohammedaner verehren auch Christus, aber nur als einen untergeordneten Propheten Allahs – sage den christlichen Montenegrinern, die Blutrache sei eine Sünde, sage den Karaiben, Menschenfresserei sei nicht erlaubt, und du wirst jedesmal ein Lügner oder ein Narr genannt werden, das gleiche gilt, sagst du dem Indianer, er dürfe seine Gefangenen nicht martern.

Deadly Dash durfte aber nicht als Narr, noch viel weniger als Lügner erscheinen, wollte er seine Absicht erreichen.

Adlerfeder nickte befriedigt auf die Aeußerung seines neuen Freundes hin. Er war also im Herzen ein Indianer.

»Die Gefangenen sind deine Freunde?«

»Sie sind es.«

»Du willst ihrer Marterung beiwohnen?«

»Ich will sehen, ob Deadly Dashs Freunde dem Tod ohne Furcht ins Auge sehen können.«

»Du willst sie nicht befreien?«

»Nein.«

»Du sendest nicht den Blitz aus deiner Hand, um ihre Fesseln zu sprengen und ihnen einen Weg durch die Reihen meiner Krieger zu bahnen?«

»Deadly Dash sagt nein,« wiederholte der Waldläufer mit Betonung.

»Adlerfeder weiß, wenn Deadly Dashs Mund nein sagt, so sagt sein Herz nicht ja. Mein weißer Bruder ist willkommen, er soll die Gefangenen sterben sehen.«

Der Waldläufer ward zu den Marterpfählen geführt, und bald war der Kreis wieder um dieselben gebildet.

Man konnte den Gefangenen nicht anmerken, ob sie aus der Anwesenheit ihres Freundes Hoffnung schöpften, nicht einmal, ob sie ihn überhaupt sahen. Gleichgültig wie vorher blickten sie geradeaus, kein Aufleuchten der Augen verriet ihre Gedanken.

Die Beredsamkeit der Indianer war erschöpft; sie wußten keine Schimpfnamen mehr; die Probe der Standhaftigkeit sollte die Marter einleiten.

Junge Krieger traten vor, schwangen den Tomahawk um den Kopf und schleuderten ihn dann nach den Gefangenen. Sausend fuhren die Waffen durch die Luft und gruben sich dicht neben dem Arm oder dem Kopf der Gebundenen in das Holz ein, oft ein Stück des Jagdhemdes oder eine Haarlocke abschneidend.

Die Gefangenen zuckten nicht, wenn der Tomahawk oder das Messer auf sie zuzischten. Sie wußten, daß nur die geschicktesten Krieger ihre Kunst im Werfen zeigten, die kleinste Verletzung des Gefangenen hätte den Schleuderer entehrt.

Selbst Waldblüte blickte lächelnd dem auf sie zufliegenden Tomahawk entgegen, obwohl fast jedesmal der scharfe Stahl eine ihrer schwarzen Locken mit fortnahm.

»Deine Freunde sind standhaft,« sagte Adlerfeder zu Deadly Dash. »Wir wollen prüfen, ob sie auch lachen können, wenn glühende Holzpflöcke ihnen unter die Nägel gebohrt werden.«

»Noch nicht,« entgegnete der Waldläufer. »Adlerfeder hat vergessen, dem alten Indianer das Jagdhemd abzunehmen. Betrachte die Figuren, welche daraufgezeichnet sind! Sie enthalten die Medizin, welche ihm ein stählernes Herz geben. Nimmst du sie ihm, so wird er zittern.«

»Wah, Deadly Dash hat einen weisen Mund,« rief Adlerfeder und gab einigen jungen Indianern den Befehl, Stahlherz das Jagdhemd abzureißen.

Es war schon früher erwähnt, daß das Jagdhemd des Stahlherz mit allerlei bunten Figuren bemalt war.

Zwei Indianer sprangen auf ihn zu. Ihre Messer schlitzten das Hemd auf, und im Nu war es abgerissen.

Erschrocken fuhren die beiden zurück und deuteten auf den Gefangenen, welcher sich stolz emporrichtete. Auch die übrigen Indianer brachen in Rufe des Staunens aus.

Auf der Brust des Stahlherz war mit weißer Farbe ein vollständiges Gerippe des Brustkorbes tätowiert, jede Rippe war sichtbar, längs der Arme liefen die weißen Knochen, und jedenfalls zeigte auch der untere Teil des Körpers auf der Haut das Bild des Knochengerüstes.

Grell traten die weißen Malereien zum Vorschein; die dunkle Haut verschwand dagegen, und so glaubte man ein wirkliches Skelett vor sich zusehen, nur daß der Totenschädel fehlte.

»Das Totem Jeder indianische Stamm führt sein Totem, das heißt, ein Abzeichen. der Apalachen – ein Apalache,« erscholl es von allen Seiten.

»Das Totem der Apalachen!« erscholl es von allen Selten, als die sonderbare Malerei auf dem Körper Stahlherz' sichtbar ward.

Nur Deadly Dash und Adlerfeder behielten ihre Ruhe bei, alle anderen waren außer sich vor Staunen, als sie das tätowierte Gerippe erblickten. Es war sorgsam gezeichnet, vielleicht hätte kein Mediziner an der Malerei etwas auszusetzen gehabt.

Adlerfeder trat auf Stahlherz zu und schaute ihn mit durchbohrenden Augen an.

»Wer bist du, daß du es wagst, das Totem der Apalachen zu tragen?« fragte er drohend.

»Ein Apalache,« entgegnete Stahlherz stolz.

»Du lügst, es gibt keine Apalachen mehr.«

»Ich bin der letzte Apalache, welcher das Totem trägt. Diese meine Kinder wurden mir geraubt, als ich ihnen das Gerippe eintätowieren wollte.«

»Du lügst!«

»Stahlherz lügt nicht, er spricht die Wahrheit.«

»Wohl. Wie hieß dein Vater?«

»Wannakonda.«

»Wo fiel er?«

»In der Hirschschlucht. Die Kugeln der Bleichgesichter warfen ihn nieder.«

»Wer war sein Sohn?«

»Ein Knabe, der zwölf Sommer gezählt hatte. Mallakonda blieb für tot liegen, eine Kugel saß in seiner Seite.«

»Wer war bei ihm?«

»Ein junger Krieger. Er beugte sich über den toten Knaben. ›Tot,‹ flüsterte er, ›der letzte Apalache ist tot, jetzt bin ich der Häuptling der Apachen, Irokesen und Tschirokesen.‹«

Immer starrer wurden des Häuptlings Augen.

»Wer war der Krieger?«

»Du.«

»Wer bist du, daß du dies weißt?«

»Ich bin Mallakonda. Ich lebte wieder auf, deine Schwester pflegte mich, sie wurde mein Weib. Ich ging nicht wieder zu deinem Stamme zurück, du haßtest deine Schwester, mein Weib, weil sie nicht den Mann nahm, den du ihr bestimmtest. Als Stahlherz lebte ich in der Wildnis, niemand kannte mich.«

»Ich denke nicht mehr an Haß,« sagte Adlerfeder mit tiefer Stimme.

»So töte jetzt den letzten Apalachen, dann ist keiner mehr da, der dir den Häuptlingsrang streitig macht.«

Adlerfeder wandte sich um.

»Krieger der Apachen, Irokesen, Pawnees und Sioux,« rief er dröhnend, »ich bin nicht mehr der Häuptling, dem eure Häuptlinge gehorchen müssen, der Apalache ist wieder auferstanden. Mallakonda, Wannakondas Sohn steht vor euch, und seine Kinder mit ihm. Gehorcht ihm, und er führt euch zum Sieg gegen die Bleichgesichter!«

Ein Schnitt löste Stahlherz' Bande, auch Sonnenstrahl und Waldblüte waren frei.

Ein lauter Jubel brach unter den Indianern aus, sie umringten die Befreiten.

Stumm nahm Stahlherz die Geschwister an der Hand und machte Miene, den Ort zu verlassen.

»Wohin will mein Bruder?« fragte Adlerfeder bestürzt.

Stahlherz blieb stehen und schaute sich stolz um.

»Ich kenne die roten Kinder der Prärie nicht mehr, ihr Herz ist heute so und morgen so. Wannakonda hatte es gut mit ihnen vor, sie schickten ihn dorthin, wo ihn die Kugeln der Feinde trafen. Sie raubten Stahlherz die Kinder, sie martern ihre roten Brüder. Gut, Stahlherz geht zu denen, die ihn lieben und die ihm treu sind.«

Wieder wandte sich Stahlherz zum Gehen.

»Du darfst nicht gehen,« rief Adlerfeder, »Du gehörst zu uns. Es gibt keine Rache mehr, der Apalache hat das Recht, die zu töten, welche die Waffen gegen ihn erheben.«

Stahlherz ließ ein verächtliches Zischen hören.

»Die Stimme der Indianer ist wie der Wind, bald kommt sie von dieser, bald von jener Seite. Ich gehe zu meinen Freunden, welche keinen Wechsel kennen. Wollt ihr es nicht, so haltet mich. Wagt es, die Hand an den letzten Apalachen zu legen! Eurem Schicksal entgeht ihr doch nicht.«

Stahlherz schritt, die Kinder an der Hand dem Kreise zu, und ehrerbietig machten die Indianer ihm Platz. Sie hielten ihn nicht.

»Auch Deadly Dash will gehen?« fragte Adlerfeder traurig, als der Waldläufer den dreien nacheilte.

»Deadly Dash hat Wort gehalten, er hat seine Freunde nicht befreit, du selbst hast ihre Banden zerschnitten. Jetzt geht er zu Stahlherz, er ist sein Freund.«

Deadly Dash erreichte die drei, als sie eben den Wald betraten. Lange Zeit schritt er stumm neben Stahlherz her.

»Was will mein Bruder nun beginnen?« fragte er endlich.

»Stahlherz will sterben.«

»Sterben?« wiederholte Deadly Dash erstaunt. »Nun, da er seine Kinder wieder hat?«

Der Indianer nickte.

»Gestern nacht erschien ihm sein Vater und sagte, zweimal würde er noch die Sonne untergehen sehen, am dritten Tage nicht mehr. Stahlherz sehnt sich, zu seinen Vätern versammelt zu werden.«

»Und deine Kinder?«

»Stahlherz hat den Lehren seines weißen Bruders gern gelauscht, sie waren gut, aber er ist zu alt, als daß er sie behalten konnte. Sonnenstrahl und Waldblüte sind jung. Mein weißer Bruder mache sie zu dem, was er aus Stahlherz machen wollte.«

»Stahlherz,« begann der Waldläufer nach langem Nachdenken, »du bist nur der Hautfarbe, vielleicht auch dem Herzen nach ein Indianer, aber dein Kopf ist der eines Weißen. Du hast eingesehen, daß die Indianer so, wie sie jetzt leben, untergehen müssen.«

»Sie werden es,« entgegnete Stahlherz traurig. »Fallen sie nicht unter den langen Messern, so reiben sie sich selbst auf. Ein roter Mann muß sie retten, doch kein Krieger.«

»Du denkst an Sonnenstrahl und Waldblüte?«

»Möchten sie versuchen, was ich nicht wagte. Erzähle du ihnen, was du mir sagtest, und sei du ihnen der Vater, bin ich tot.«

Stumm drückte ihm Deadly Dash die Hand. Dann schritten sie, ohne ein Wort weiter zu wechseln, dem Teile der Ruine zu, wo sich die Engländer und Trapper aufhielten, und warteten, bis Estrella ihnen den Boten schicken würde, der das Lösegeld für die gefangenen Damen fordern sollte.


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