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26. Capitel.
Der verhängnissvolle Schuss.

Mit der Radreise war es vorbei. Die Indianer wussten jedenfalls, wie zwei der Bleichgesichter schon einmal entflohen waren, sie hatten die Räder zertrümmert. Die Gefangenen durften sich frei in dem grossen Wigwamlager bewegen, wurden aber ständig beobachtet. Die Cowboys mussten den Weibern beim Gerben der Felle helfen. Wer einmal nur mit einem Messer in der Hand gesehen wurde, war augenblicklich des Todes; das war ihnen eingeschärft worden. Munro hatte gleich am ersten Tage seine Fechtlectionen beginnen müssen, zuerst mit Knüppeln; der schluckende Geier versprach noch mehr Säbel verschaffen zu wollen; der Häuptling hatte jedenfalls grosse Pläne mit einer neuen Armirung vor. Mr. Schade photographirte einen Indianer nach dem anderen, bis seine Films erschöpft waren. Dann bummelte er den ganzen Tag unthätig im Lager herum. Dick galt als des Fechtlehrers Leibsclave, Ellen als dessen Squaw, den Beiden war ein Wigwam allein angewiesen worden. Mit keinem Blicke hatte der Häuptling bisher ein Begehr nach der weissen Squaw verrathen, Ellen aber hielt es dennoch für besser, die Rolle von Munro's Frau zu spielen. Sie schrieb, zeichnete und lernte von den stickenden Mädchen deren Sprache und Handfertigkeiten.

Auf diese Weise waren nun schon drei Wochen vergangen, unterbrochen von einer Büffeljagd, an welcher auch Munro und Ellen hatten theilnehmen dürfen, und dem Abbrechen und Aufschlagen des Lagers, dazwischen anstrengende, tagelange Märsche. Denn die Indianer wechselten ihr Lager beständig, sie hatten den Landfrieden gegen die Bleichgesichter gebrochen, und wenn auch Deadly Dash das Fort nicht erreicht hatte, solch' ein Ueberfall blieb nicht unbekannt, die Rache würde schon noch in Gestalt der berittenen Grenztruppe der Union kommen.

Deshalb zog dieser Stamm, welcher fast 150 Krieger stellen konnte, beständig hin und her, nur auf den geschütztesten und schwer zugänglichen Plätzen die Wigwams aufschlagend; in der Nacht durfte kein Feuer brennen, selbst am Tage kein nasses Holz benutzt werden, doppelte Wachtposten standen, Kundschafter schwärmten in Entfernungen von Tagereisen umher, keine Vorsichtsmaassregel wurde unterlassen.

»Robin, wie soll das noch enden? Sollen wir denn unser ganzes Leben lang die Gefangenen der Sioux bleiben?«

Das Lager stand jetzt auf einer Waldblösse im nördlichen Dacotah rings von einem Sumpfe umgeben. Doch schadete dieser der Gesundheit nicht, er war mit einer Eiskruste bedeckt, der Urwald nahm ab und zu schon den Charakter einer schneeigen Winterlandschaft an.

Gerade heute war es wieder einmal sehr kalt gewesen. Die Indianer schlugen um den nackten Oberkörper eine wollene Decke, sie untersuchten die Schneeschuhe, auf denen Büffel und Elenthiere gejagt werden, die Weiber nähten an den Pelzcostümen aus den Fellen des Fuchses und des Schneehasen.

Den ganzen Tag hatte Munro eine Rothhaut nach der anderen mit dem Fechtknüppel verbläut; vor Anbruch der Dunkelheit fand die Hauptmahlzeit am offenen Feuer statt, an welcher auch die mit Bärenklauen ausgezeichnete Ellen als die einzige Squaw theilnehmen durfte; dann mussten die Feuer verlöscht werden, auch Munro und Ellen zogen sich für zehn bis zwölf Stunden in das ihnen gemeinschaftlich zur Verfügung gestellte Wigwam zurück. So, wie sie angezogen waren, kroch Jeder unter sein weichgegerbtes Bisonfell.

»Drei Wochen ist noch nicht das ganze Leben,« gab Robin auf Ellen's seufzende Frage scherzend zur Antwort.

»Starke kann das Fort nicht erreicht haben, er muss verunglückt sein.«

»Sie scheinen den Glauben an Starke's Unfehlbarkeit verloren zu haben.«

»Es ist ja gar keine Hoffnung mehr vorhanden! Sonst müsste er doch schon längst mit den Miliztruppen hier sein!«

»Wir wollen hoffen und die Augen aufhalten, die vier Cowboys wollen auch nicht für immer als Sclaven arbeiten, deren Willigkeit kommt mir gar zu unnatürlich vor, die sinnen Tag und Nacht auf eine Flucht, die müssen wir hauptsächlich beobachten, dass uns kein geheimes Zeichen von ihnen entgeht.«

So sprachen sie in dem finsteren Wigwam noch viele Stunden lang unter den Büffelfellen hervor, sie sprachen von Fluchtplänen, wegen eines heimlichen Lauschers bedienten sie sich des Deutschen, welches auch Munro recht gut beherrschte, sie sprachen über die Zukunft, zuletzt aber nicht mehr von Fluchtplänen.

»Ach, Robin, ich möchte so gern wieder einmal baden,« seufzte Ellen schmerzlich.

»Und ich möchte mich so gern wieder einmal rasiren,« wehklagte Robin. »Haben Sie gesehen, wo mein Rasirmesser geblieben ist? Eine alte Hexe schabt damit die Büffelfelle.«

»Ach, Robin, ich habe solche furchtbare Sehnsucht nach – nach – nach ... wissen Sie, wonach? Können Sie es errathen?«

»Nach mir.«

»Sie ... nach einem Stück echten Plumpudding.«

»Ach, Ellen, und ich habe auch eine so furchtbare Sehnsucht, nach – nach – nach ... wissen Sie, wonach? Rathen Sie einmal.«

»Nicht wahr, nach einer recht grossen Omelette aux Confitures?«

»Nein, aber nach so etwas Aehnlichem, es klingt so ähnlich – nach Ihnen. Na, Ellen, da gieb mir doch mal einen Kuss aux Confitures.«

»Oh. Sie, Sie – Unhold. Schämen Sie sich denn gar nicht?«

»Nein, warum denn?«

So war das neue Thema eingeleitet worden, so wurde es fortgesetzt.

Nach einer viertel Stunde hatte es wieder eine neue Seitenrichtung eingeschlagen.

»Ja, Sie haben Recht – es war eine Geschmacksverirrung von mir.«

»Das mit dem Plumpudding?«

»Seien Sie doch nur ernst, mir ist so feierlich zu Muthe ...«

»Und mir wird's ganz warm unter der Decke.«

»Starke ist ja ein ganz ausgezeichneter Mensch, so treu, so gut, so bieder, aber ...«

»Aber mit dem Ledigbleiben ist es nichts.«

»Ich bleibe dennoch ledig.«

»Ich nicht.«

Ein leises Zischen erscholl in dem Wigwam, das Flüstern verstummte, sogar der Herzschlag der Beiden setzte aus.

Der Retter war da – natürlich Starke!

Nun war Ellen trotz ihrer dauerhaften Lodenhosen immer noch ein Weib. Als solches empfand sie in diesem Augenblick die im Wigwam befindliche Person nicht als den Befreier, sondern als den Mann, dem sie ihre Liebe schon gestanden und der nun Alles belauscht hatte, und deshalb erbleichte und erröthete sie abwechselnd nicht vor gespannter Hoffnung, sondern vor Scham über sich selbst – mit der Scham des keuschen Weibes.

Ja, aber was nun? Es war bei dem Schlangenzischen geblieben, und die Minuten wurden zur Ewigkeit.

»Pst,« flüsterte Munro endlich.

»Schschschscht,« zischte es abermals, und es kam von dem verhangenen Zelteingange her.

Himmel - Herrgott - Bombenelement, dachte nach einer abermaligen Viertelstunde Sir Munro auf Deutsch, solch' eine Befreiung mag indianisch sein, aber sie ist grässlich langweilig.

»Starke!« flüsterte Ellen etwas lauter.

Die Schlange zischte eindringlicher.

Wenn Sir Munro noch im Besitze einer Uhr gewesen wäre, und er hätte seinen Finger in ein Streichholz verwandeln können, er würde seinen Finger angebrannt haben, um einmal nach der Uhr zu sehen. So begnügte er sich, die Secunden zu zählen, und er zählte bis 3600, das ist eine Stunde, und dazu gehört bei solch' einer Situation ein gut Theil Energie, und dann biss er vor Verzweiflung in das haarige Büffelfell. Ellen schwamm schon längst in Thränen. Dass ein Sträfling in der letzten Nacht, die er in seiner Zelle zubrachte, den Verstand verloren oder sich gar aufgehangen hat, weil er das fürchterliche Warten auf den Anbruch des Morgens, der ihm seine Freiheit erbringt, nicht mehr ertrug, das soll schon öfters vorgekommen sein. Das sagt auch ein deutsches Sprichwort über dieses Hoffen und Harren.

Da – draussen krächzte dreimal die Nachteule, gleich darauf blökte in weiterer Entfernung ein Hirsch. Das tröstete wieder etwas.

Solche Thierstimmen wurden freilich jede Nacht laut, aber für die Verzweifelten war es ganz selbstverständlich, dass es die Signale der Freunde sein müssten, und wenn es wirklich nicht der Fall wäre, dann – sollte Gott den Teufel todtschlagen und sämmtliche Eulen und Hirsche dazu.

Nein, das hielt kein irdischer Mensch aus. Ellen schluchzte herzzerbrechend.

»Sssssssst,« zischte es sofort warnend, und jetzt biss auch Ellen in das alte Büffelfell.

»Huhuuuh – huhuuuh,« liess sich wieder die Eule vernehmen, und dann bellte ein Fuchs, und dann blökte wieder der Hirsch.

Geduld, nur Geduld, Deadly Dash weiss schon, was er thut.

Geduld! Sechs Stunden mussten seit dem ersten Zischen nun mindestens schon vergangen sein. Eine Eisenbahnfahrt von Bombay nach Calcutta bei 40 Grad Celsius, wenn man das eine Bein zum Fenster hinaushängt, das andere auf die Kofferstellage legt und den Himmel um einen Eisenbahn-Zusammenstoss anfleht, der dieser Qual ein Ende macht – es war nichts dagegen. Ellen war bereits an gebrochenem Herzen gestorben, Munro frass schon die Haare von seinem Büffelfell ab.

Na, und endlich etwas Anderes – Ellen wurde wieder lebendig – ein Schuss! In weiter Ferne war er gefallen. Und noch ein anderer hallte dumpf herüber, noch ein anderer, mehrere, sie wurden wieder spärlicher, aber bei der Schiesserei blieb es, und dazwischen die Thierstimmen.

Aha! Die Freunde hatten sich absichtlich von den Indianern bemerken lassen, hatten sich mit ihnen in eine Plänkelei eingelassen, beschäftigten sie, und inzwischen schlich Starke in das Lager und holte die Gefangenen heraus. Natürlich, so war es. Denn dass sich Starke schon hier im Wigwam befand, daran war ja gar kein Zweifel, und er würde sich schon sichtbar oder fühlbar machen, wenn die Zeit dazu gekommen. Aber sprechen hätte er doch einmal können, nur ein kleines tröstendes Wörtchen. Und er sprach nicht.

Der Bogen war überspannt, jetzt brach er.

»Zum Donnerwetter, Starke, sind Sie das?!« platzte Ellen heraus.

Ein drohender, tiefer Kehllaut, die Decke wurde von dem Eingang gerissen, draussen herrschte schon ein trübes Dämmerlicht, es drang in das Wigwam und beleuchtete den Mann, der sich die ganze Nacht bereits darin aufgehalten hatte – oh weh, das war kein Starke, das war der ihnen wohlbekannte uralte Indianer, welcher immer, wenn er seine Pfeife ausgeraucht hatte, die Tabakssauce aus dem Rohre in seine Nasenlöcher laufen liess, und drohend wie zum Wurfe hatte er den Tomahawk gegen die Beiden erhoben.

»Schschschscht.«

Das war eine Ueberraschung! Gleichzeitig wurde es den Beiden jetzt klar, was das Schiessen bedeutete, um was es sich handelte. Allerdings waren die Retter in der Nähe, aber es war bereits zum Kampf nach indianischer Plänkeleiweise gekommen, wenn sie Deckung finden können, und das dazu noch in weiter Entfernung. Draussen schossen die Krieger aus dem Hinterhalt, im Lager befanden sich nur noch die Weiber, Kinder und die ungelenken Greise zum letzten Schutze, und dieser Alte z. B. war angestellt, wenn die Bleichgesichter doch das Lager erstürmten, diesen beiden Gefangenen hier noch die Köpfe zu spalten, ehe sie befreit wurden.

Sie blickten sich an, und Ellen las aus Munro's Augen dessen Entschluss.

»Ja, tödte ihn, wenn es Zeit dazu ist, ich helfe Dir,« lautete ihre stumme, nur mit den Augen gegebene Antwort. Die Decken durften sie von sich abwerfen, aber wie sie aufstehen wollten, hob der Alte sofort wieder den Tomahawk, und sie blieben sitzen.

Beide konnten von ihren Plätzen aus durch den offen bleibenden Zeltausgang etwas von der Waldblösse übersehen. Doch zu unterscheiden war nichts, es schneite sehr stark, Alles war wie von einem weissen, durchlöcherten Tuche bedeckt.

Das langsame Schiessen in der Ferne währte fort und fort, sonst kein einziger Laut; es war ein merkwürdiger Kampf, und so verging mindestens noch eine Stunde, und Munro rechnete unausgesetzt, wohin er beim Aufspringen die Füsse zu setzen habe, ob er erst den linken Fuss dorthin stemmen solle, oder ob er erst nach dem steinernen Napfe greife und dann erst das rechte Bein zum Sprunge vorwerfe. Oder sollte er lieber mit dem rechten Fuss abspringen? -Nein, mit dem linken, dann war seine rechte Hand der Steinschüssel näher.

Diese grosse Schüssel, wie sie die Indianer aus dem weichen, wenn frisch gebrochenen Pfeifensteine, der mit der Zeit an der Luft erhärtet, mit dem Messer zu schneiden verstehen, war in dem Wigwam der einzige Gegenstand, welcher als Waffe dienen konnte, und eben war Munro mit seiner Calculation bis in die kleinsten Details fertig, als er zur Praxis übergehen konnte. Es kam urplötzlich wie der Hurican nach der Windstille.

»Hip –hip – hip – orrreeehh!« gellte der englische Schlachtruf, den auch die Nordamerikaner haben. Er klingt nicht schön, es ist kein brausendes Hurrah; er wird mit der höchsten Fistelstimme ausgestossen, er kann aber auch wie liebliche Engelsmusik klingen, und er kam nicht aus weiter Ferne, hier, ganz dicht, schon am Wigwam, aber das nachfolgende indianische Kriegsgeheul musste noch ausserhalb des Lagers sein, und da war der donnernde und krachende Hurrican schon da ...

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Der alte Indianer hatte wie gelähmt den Tomahawk sinken lassen – der Feind im Lager! – Zum ersten Male wendete er den Kopf, er mochte' an eine Geistererscheinung glauben – da zerbrach die schwere Steinschüssel auf seinem brechenden Schädel, im Stürzen entriss ihm Munro den Tomahawk, noch ein Hieb ...

»Du bleibst im Zelt,« schrie er und stürzte in das Schneewetter hinaus.

Aus dem Walde brach eine Schaar von Reitern mit geschwungenem Pallasch hervor, in der dunklen Uniform der irregulären Roughriders; mehr sah Munro gar nicht; es war, als wenn vor der Bühne der den Nebel vorstellende Schleiervorhang herabgelassen wird, und hinter diesem Vorhang donnerte und heulte und krachte es, schoss, hieb, stach und katzbalgte es sich; Munro stürzte tiefer in das Schneemeer hinein, er sah zwei Männer sich am Boden wälzen – »Blutige Canaille,« keuchte der eine – Munro erkannte einen nackten rothen Schädel mit Scalplocke, er hob den Tomahawk – da wurde er von einem kleinen rothen Jungen wie von einer Katze angesprungen, die Schneide des zum Hiebe bereiten Tomahawks grub sich in die Schulter des männlichen Kindes ...

Ellen hatte die Warnung nicht befolgt, sie war ihm gleich nachgesprungen, blieb aber entsetzt ob des Schauspiels, welches sie hinter dem Schleier mehr ahnte als sah, gleich vor dem Zelteingange stehen.

In demselben Augeblicke huschte wie ein Schatten ein Indianer geduckt an ihr vorüber, und in demselben Augenblicke sah Ellen aus dem Nebel einen hünenhaften, gelben Mann hervorspringen, den Revolver so von oben nach unten schleudernd, wie es dieser selbe Mann sie gelehrt hatte, und der Feuerstrahl, der seinem Revolver entfuhr, drang bis in ihr Gehirn und schoss wieder aus ihren Augen, sie empfand einen furchtbaren Schmerz im Kopfe – sie brach bewusstlos zusammen.


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