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17. Capitel.
In der Prairie.

Sie fuhren in einer Entfernung von zehn Metern im schnellsten Tempo nebeneinander; Ellen, weit vornübergeneigt, hatte Mühe, mitzukommen. Starke trug ein Kistchen unter dem Arm.

»Jetzt ist es genug, ich kann nicht mehr,« keuchte Ellen.

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Starke liess das an dem sehr langen Lasso befestigte Kistchen fallen, es polterte in grossen Sprüngen hinter seinem Rade her, und Ellen, sich aufrichtend, aber noch fest in die Pedale tretend, zog den Revolver.

»Von oben nach unten, das Handgelenk drehen, wie sonst!«

Ohne zu zielen, mit einer Bewegung, als wolle sie jedes Mal die Kugel herausschleudern und ihr zugleich eine Drehung geben, feuerte Ellen die sechs Schüsse nach der hüpfenden Kiste ab. Starke zog das Lasso ein, um die Scheibe zu untersuchen, und Ellen, obgleich noch in voller Fahrt, brachte es fertig, den Revolver zu entladen, die leeren Hülsen in den Patronengürtel zu stecken und die Kammer wieder frisch zu füllen.

»Fünf Treffer, bravo, bravissimo! Das hätte ich nicht zu prophezeien gewagt, bei solch einer Hetzjagd. Sie nehmen es bald mit jedem Cowboy auf.«

Es war nicht die erste Schiessübung gewesen, Ellen hatte schon gelernt, nicht mehr mit dem Revolver zu visiren und zu zielen, sondern mit dem Revolver zu schiessen, ihn von oben nach unten zu schleudern und dabei von rechts nach links zu drehen – und zu treffen. Warum? Weil es Alle so machen, welche mit dem Revolver schiessen können, die Steigung wird aufgehoben, das Treffen wird förmlich zum Instinct, oder das ist gerade so, als wenn ein tabakkauender Matrose tiefsinnig einen Nagel auf der anderen Bordseite betrachtet, und spuckt er über das ganze Schiff hinweg, so trifft er genau diesen Nagel auf den Kopf, und er hat auch nicht gezielt.

Seit finsterer Nacht ging es durch die ebene Prairie, 80 Meilen schon von der Grenze der Civilisation entfernt, ein Frühstücks- und ein Mittagsfeuer, an letzterem eine Wildgans gebraten, hatten sie bereits hinter sich.

Es sah hier ganz genau so aus wie in der Mitte des cultivirtesten Staates, wenn sie einmal durch unbebautes Land mit wildem Graswuchs kamen – alles im Boden wurzelndes Heu. Von einer Heerstrasse bemerkte Ellen nichts, ausser wenn sie einmal davon abgewichen waren. Auch von dem Platteriver, dem die Strasse folgen sollte, war nichts zu sehen. Dieses Folgen ist ja auch nicht wörtlich zu nehmen, oft ist man Tagemärsche weit von dem Strome entfernt. Noch keinen einzigen Menschen hatten sie gesehen. Es wurde langweilig; das Bewusstsein, sich in einer nur von Indianern bevölkerten Prairie zu befinden, genügte nicht mehr.

»Können Sie hier Fährten von Pferdehufen oder Menschenfüssen erkennen?«

»Nein. Auch die scharfsichtigste Rothhaut könnte es nicht. Das ist ganz anders, wie man immer in Indianergeschichten liest.«

Starke fand eine leere Biscuitkiste, sie wurde als Zielobject benutzt, das brachte Abwechselung, und Ellen war ob seines Lobes sehr stolz.

In der Ferne tauchte ein Punkt auf, es wurde ein Gegenstand daraus – ein Wagen, sich ebenfalls nach Westen bewegend, nebenher schritt ein Mann.

Starke fuhr etwas langsamer.

»Miss Howard, Sie wissen, ich lüge nicht, ich habe es nicht nöthig. Aber meinem Feinde stelle ich Fallen, auch mit falschen Worten. Das dort vorn ist ein Pedlar, ein Hausirer zwischen Indianern. Wenn es sich bestätigt, was ich vermuthe, so will ich den Mann hineinsenken, denn er hat es verdient. Also: unsere Namen behalten wir bei; Sie bleiben auch Londonerin; ich bin ein Landagent; Sie wollen einem Indianerstamme einige Quadratmeilen Land abkaufen, um – sagen wir – um ein Gestüt anzulegen, eine Pferdezucht, verstanden? Vorwärts.«

»Verstanden? Nicht das Geringste.«

»Halloh!«

Sie hatten den Planwagen erreicht. Gehorsam stieg Ellen neben Starke vom Rade; der klapperdürre Gaul hielt, der Mann wendete sich den Beiden zu. Es war ein alter, schrecklich wüst aussehender Kerl, sogar der dauerhafte Lederanzug nur noch Lumpen, Alles starrend von Schmutz, trotz der Hitze hatte er eine Pelzkappe bis über die Ohren gezogen; unter dem Arme eine Peitsche, zwischen den gelben Zähnen den Stummel einer Holzpfeife.

»Wo lagert der weisse Fuchs von den Wahkpakotanen?« fragte ihn Starke.

Es war das Einzige, was Ellen richtig verstehen konnte. Der Alte gab die Antwort in einem Kauderwelsch von Englisch und einer anderen Sprache, Starke fing auch an zu kauderwelschen. Offenbar wurde über Ellen gesprochen; der Alte beschielte sie von der Seite, Starke kauderwelschte weiter; Jener kroch unter die Plane, brachte Decken, Waffen, Perlenschnüre und anderes Zeug hervor; in Starke's Kauderwelsch kamen jetzt die Worte Rum, Gin und Whisky vor; der Alte schien nicht zu wissen, was das sei; Ellen wurde noch misstrauischer beschielt, er wehrte energisch ab, Starke griff unter die Jacke und brachte eine Hand voll Gold zum Vorschein; des Alten Augen funkelten habgierig auf; noch ein kurzer Kampf, er kroch nochmals unter die Plane und brachte im Laufe von zehn Minuten vier Fässchen und eine Decimalwaage hervor, alles in das Gras legend.

»Sonst nichts, Ben Radding?«

» No, Sir, no,« sagte der Mann, das erste Fässchen auf die Waage hebend.

»Also, Miss Howard,« wandte sich Starke an diese, »Sie sind Zeuge: dieser Mann, Benjamin Radding, concessionirter Indiantratter, liefert an den weissen Fuchs, Häuptling der Wahkpakotanen, 24 Gallonen Rum, 12 Gallonen Gin und 12 Gallonen Whisky und erhält den ausgemachten Preis von 120 Dollars von mir im Lager der Wahkpakotanen bei Ablieferung des Branntweins dortselbst. Stimmt das?«

» Yes, allright, M'am,« grinste der Alte vergnügt, »hier, das Fass ist gestempelt, ohne sein Gewicht. 24 Gallonen, und nun kostet den Rum.«

»Lasst nur gut sein, Ben Radding, und nun seht, was ich thue.«

Vorn im Wagen lag ein grosser Hammer, Starke hielt ihn in der Hand, vier wuchtige Schläge, und die vier Fässer waren zertrümmert, Rum, Gin und Whisky tränkten den durstigen Prairieboden.

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»Mann, was macht Ihr!!« schrie der Händler entsetzt. Diese Plötzlichkeit und zauberhafte Schnelligkeit war es, welche besonders erschreckend wirkte.

»Dieser Branntwein gehört nicht mehr Euch,« war die gelassene Antwort. »Wollt Ihr Geld dafür haben? Keinen rothen Cent bekommt Ihr. Ihr dürft an Indianer keinen Branntwein liefern. – Hoch die Hände!!« donnerte es aber jetzt. »Eins – zwei ...«

Der Alte war kein Dütenkrämer, sondern ein Indianerhändler; selbstverständlich war seine Hand sofort, als er begriff, nach dem Revolver gefahren; da aber stand der hünenhafte Mann schon vor ihm, den Hammer erhoben, und der Alte kannte auch die Gesetze der Prairie, wenn bei »drei« seine Hände nicht hoch waren, dann war sein Schädel eingeschlagen, und eilends streckte er sie empor, reckte sich auch noch auf den Zehenspitzen hoch.

Starke stellte ihm ein Bein, legte ihn auf den Rücken, und auf ihm stand zähnefletschend Hassan.

»Ein Griff nach der Waffe, nur eine Bewegung, und der Hund hat Euch die Kehle durchgebissen, und ich kann nichts dafür. Sonst zeigt mich an, meinen Namen habe ich Euch gesagt. Kommen Sie, Miss Howard.« Das musste für den Mann wohl genügen. Starke stieg auf sein Rad und fuhr davon, von Ellen gefolgt, ohne sich noch einmal umzusehen.

Es war kaum nöthig, eine Erklärung zu geben. Aber seiner Verachtung für diese Sorte von Menschen gab Starke Ausdruck, über die verwerfliche Art, wie sie noch dazu von der Regierung unterstützt werden. Zunächst also sind diese Indianerhändler sämmtlich zugleich von der Regierung besoldete Spione, welche immer beobachten und berichten müssen, was unter den Rothhäuten vorgeht. Der Beruf des Spions, der sich erst unter ehrlicher Maske das Vertrauen der Auszuhorchenden gewinnen muss, ist überhaupt kein ehrenwerther. Das Schändlichste ist aber der Branntweinhandel. Es ist ihnen verboten, an die Indianer Feuerwasser zu verkaufen, die Regierung sorgt aber nicht für die geringste Controlle, und so ist es ein offenes Geheimniss, dass sie diesen heimlichen Schmuggel direct begünstigt, eben um die rothen Landeigentümer durch das flüssige Gift schneller auszurotten. Das ist eine nichtswürdige Handlungsweise.

Hier hatte Starke einmal solch einen Spion und concessionirten Schmuggler empfindlich bestraft, und er mochte es schon öfters gethan haben. Der weisse Fuchs, mit seinem Stamme am nächsten den Grenzen der Cultur lebend, war von dieser schon mehr beleckt worden als die anderen Sioux, hatte schon grossen Gefallen am berauschenden Feuerwasser gefunden, und es war Starke auf die bereits zur Genüge angedeutete Weise gelungen, den Händler zu einem Contracte zu überreden, jenem Häuptlinge seinen ganzen Branntweinvorrath zu liefern. Es war eine doppelte Gemeinheit, die fremde Dame wollte also die Indianer betrunken machen, um dann für eine Kleinigkeit ihnen Land abzukaufen, der Pedlar war darauf eingegangen, und nun hatte Starke ihn so bestrafen können. Er mochte ihn nur anzeigen, hier fand er natürlich keinen Richter, da gab die Regierung freilich keinen Schadenersatz, so weit ging das Spiel denn doch nicht. Der Schaden des Pedlars betrug etwa 60 Dollars.

»Wenn der Mann Ihnen aber nun wieder begegnet?« fragte Ellen besorgt.

»Dann wird er sich vor mir hüten. Er wird wohl bereits eingesehen haben, dass er sich in mir getäuscht hat, als er mich für einen Landagenten hielt.«

»Ja, was wird denn aber nun aus ihm – und aus Hassan?!«

Starke blickte sich um und bat Ellen, zu halten und abzusteigen. Sie hatten sich schon sehr weit entfernt. Dort stand der Wagen, daneben Hassan, von dem Manne war wegen des Grases nichts zu sehen.

»Jetzt hält ihn noch Hassan's furchtbares Gebiss in Schach. Aber ich rechne damit, dass der mit der Prairie und auch mit Indianerkämpfen vertraute Mann auf Rache sinnt; sobald er merkt, dass der Hund ihn freigiebt, wird er aufspringen. Und das ist kein gewöhnlicher Händler, er weiss mit dem Revolver umzugehen wie ich; zuerst wird er den Hund niederschiessen wollen, und würde ich dann zurückkehren, würde es zu einem regelrechten Kampfe kommen; er wäre hinter seinem Wagen im Vortheil und wüsste mein Anschleichen wohl zu vereiteln. Hinwiederum durfte ich ihn nicht entwaffnen, ihn nicht binden, ich musste Alles vermeiden, woraufhin, wenn der Fall doch vor Gericht käme, er mich verklagen könnte. – Nun passen Sie auf.«

Ein gellender Pfiff von Starke's Lippen, und – zum ersten Male sah Ellen den arabischen Windhund in voller Flucht rennen, eigentlich sah sie nur einen gelben Streifen über die Prairie jagen. Wohl war der Mann blitzschnell aufgesprungen, aber da war Hassan sogar schon ausser Schussweite eines weittragenden Gewehres.

Die Fahrt wurde fortgesetzt, und schon wollte sie für Ellen wieder recht langweilig werden, als ein neues Abenteuer Abwechselung schuf.

Hinter einem entfernten Hügel tauchte ein Reiter auf; er hielt, schien nach den beiden Radfahrern zu spähen, ritt hin und her, schien zu zögern, setzte sich in Galopp und hielt auf die Landstrasse zu. Es war ein Indianer, man sah die lange Lanze; auch die Scalplocke war schon zu erkennen.

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Neben der Heeresstrasse zügelte er sein schönes Thier, sprang ab, überliess es sich allein, stiess die Lanze in den Boden, trat auf den Weg, hob erst die Hand und legte sie dann auf das Herz.

Dicht vor ihm stiegen die Radfahrer ab. Ein Indianer, wie er nur im Buche stehen kann: ein junger Krieger, schön und herkulisch gebaut, nur mit ledernen Leggins und Mocassins bekleidet, diese mit Franzen und bunten Stickereien verziert, der broncefarbene Oberkörper nackt, aber stark tätowirt, desgleichen das wirklich edle Gesicht; im Gürtel ausser der Tabakspfeife auch langes Messer und Tomahawk, die Scalplocke aber ohne Kriegsfeder. Besonders die muskulösen Oberarme zeigten tiefe, zum Theile schreckliche Narben, welche jedoch nicht von im Kampfe empfangenen Wunden herzurühren brauchten. Noch heute werden die Jünglinge der nordamerikanischen, von der Jagd lebenden Indianerstämme, wenn sie den Ritterschlag erhalten, d. h. als waffentragende Krieger am Berathungsfeuer aufgenommen werden, furchtbaren Torturen ausgesetzt. Bei den Sioux schiebt man dem Knaben Lederstricke durch die Oberarmmuskeln, sie werden also durchstochen; so wird der Junge aufgehangen und so lange schnell im Kreise herumgedreht, bis er bewusstlos ist, dann aber bringt man ihn wieder zu Bewusstsein, an den durch das zerrissene Fleisch gehenden Riemen wird er im Galopp fortgeschleift – das genüge, die Torturen sind noch viel raffinirter – und nur der ist der Waffen würdig, wer die Prüfung ohne das leiseste Zeichen des Schmerzes ertragen hat. Ja, die jungen Krieger melden sich noch, häufig bei den alljährlichen Männeraufnahmen, sie machen die Torturen noch mehrmals freiwillig durch, und da darf man wohl glauben, dass der am Marterpfahl stehende Indianer seine Feinde bittet, ihn nicht zu schonen. Und so ist es noch heute!

»Auch ein Wahkpakotane,« sagte Starke, und dann unterhielt er sich mit diesem längere Zeit in dessen Sprache. Unbeweglich dastehend, waren dabei die grossen, ruhigen, scharfen Augen des jungen Kriegers auf das Mädchen geheftet, ohne dass jedoch sein Blick Neugier oder etwa gar Dreistigkeit gezeigt hätte. Trotzdem wurde Ellen verlegen, es lag in Haltung und Sprachweise dieses Indianers wirklich etwas von königlichem Anstand.

»Büffelhuf, ein Enkel des weissen Fuchses; er zertritt seine Feinde unter seinen Füssen wie der Büffel den Panther,« stellte Starke ihn vor, und plötzlich ging Büffelhuf, trotz seines Namens mit leichtem, elastischem Schritt, mit ausgestreckter Hand auf Ellen zu und sagte im reinsten Englisch:

» How do you do, Miss? Es freut mich Sie zu sehen.«

Und nachdem er der erröthenden Ellen die Hand geschüttelt, folgte für diese eine noch grössere Ueberraschung. Büffelhuf hatte mit Starke wieder einige Worte gewechselt, Starke verneigte sich zustimmend, der Indianer nahm seine Maschine, hob den Fuss und – sass im Sattel und radelte davon.

»Wir sind noch zu nahe der Grenze der Civilisation, als dass sich nach diesem Stamme der Sioux noch nicht ein Fahrradhändler verirrt hätte,« erklärte Starke der Staunenden. »Hat mir eben erzählt, dass er in seinem Wigwam ein Rad stehen hat, kostete ihm zwei Pferde und einige Bisonhäute, und er mag nicht der einzige Radler seines Stammes sein. Eine radelnde Squaw habe er allerdings noch nicht gesehen. Natürlich lud er uns ein, ihm in sein Lager zu folgen; die Erklärung, dass wir eine Wette abführen, genügte zur Entschuldigung. Wir kommen noch genug mit Indianern zusammen.«

Ein eleganter Bogen, und Büffelhuf kam zurück, sprang ab.

»Wieviel hat mein starker Bruder dafür bezahlt?«

»Achtzig Dollars.«

»Etwas schwer für Büffelhuf, mein weisser Bruder ist sehr stark.«

Freundschaftsversicherungen, gute Reise, noch ein Händeschütteln – und sie verliessen den radelnden Scalpträger, der aber zum Durchschweifen der Prairie doch noch seinen Mustang vorzog.

Das Tagewerk war bald abgetreten, als sich die einförmige Landschaft änderte. Zuerst kamen einzelne Fichten und andere Nadelholzbäume, sie mehrten sich, bis zuletzt die immer noch gut fahrbare Strasse durch einen richtigen Urwald führte, von wilden Brombeersträuchern undurchdringlich gemacht.

Breit war er allerdings nicht. Bald, erklärte Starke, würden sie an einen in tiefer Schlucht fliessenden Bach gelangen, und wie immer schloss der erfahrene Mentor weitere Belehrungen daran, wie allein die von diesem Gewässer ausgehende feuchtere Atmosphäre genüge, um hier eine üppigere Vegetation zu erzeugen.

Man hörte das Wasser rauschen, eine hölzerne Brücke tauchte auf, als Hassan, welcher hier im Walde immer eine bedeutende Strecke voraus trabte und schon auf der Brücke gewesen war, ein kurzes Bellen ausstiess und schnellen Laufes zurückkam. Sofort sprang Starke ab und sprach zu dem Hunde, wie immer auf arabisch. Hassan winselte und zeigte durch Bewegungen Unruhe. Sein Herr beobachtete ihn aufmerksam.

»Was hat der Hund?« fragte Ellen besorgt. »Wittert er eine Gefahr?«

»Auch ich verstehe ihn nicht, er benimmt sich ganz seltsam, und daraus schliesse ich, dass er die Gefahr selbst nicht kennt, oder vielmehr: er sieht sie wohl, aber sie ist ihm so neu, dass er sie nicht auszudrücken vermag. Sonst verstehe ich ja jeden Blick von ihm. Aber eine directe Gefahr von Menschen oder Thieren droht uns nicht, dann würde er sich ganz anders benehmen. Gehen wir.«

Sie schoben die Räder bis an die Brücke. Diese überspannte die etwa zwanzig Meter breite Schlucht mit zwei grob zugehauenen Fichtenstämmen, auf welche der Quere nach Knüppel genagelt waren, also eine Knüppelbrücke allerprimitivster Art und dennoch fahrbar für die Wagen des Indiantratters, der oft genug noch ganz andere Wege machen muss. Unten in der Tiefe toste ein wilder Sturzbach. Die Erbauer dieser ausgezeichneten Strasse mochten eine andere, jedenfalls steinerne Brücke hinübergeschlagen haben, aber im Kriege zerstört der sich zurückziehende Feind stets die Brücken, und jetzt war auch keine Ruine mehr zu erkennen.

Hassan weigerte sich, die Brücke zu betreten, obgleich er vorhin schon darauf gewesen war.

»Von der Brücke droht uns eine Gefahr. Ich kann nichts entdecken; es herrscht hier auch zu sehr Dämmerung, um sie bis an den anderen Rand mit den Augen zu mustern. Hassans Warnung genügt mir auch.«

In seiner ruhigen, besonnenen Weise, welche gegen sein schnelles Handeln manchmal so seltsam contrastirte, schnallte Starke die Rahmentasche auf, entnahm ihr eine kleine Axt, ging etwas seitwärts in den Wald, blickte prüfend an den Baumriesen empor, und ehe noch Ellen eine Frage stellen konnte, was es mit der Brücke für eine Bewandtniss haben möchte, flogen ihm schon unter wuchtigen Schlägen die Spähne um den Kopf, und wieder kaum eine Minute später krachte die Fichte nieder, sich über die Schlucht legend.

Und zu derselben zauberhaft wirkenden Schnelligkeit gehörte es, wie Starke, nachdem er mit einigen Handgriffen die Axt wieder verpackt hatte, ohne ein Wort zu verlieren, die beiden Räder über die Schultern hing und ohne Weiteres den Baumstamm betrat, ohne auch nur erst einen vorsichtigen Versuchsschritt gemacht zu haben.

»Curt!!« schrie das Mädchen entsetzt auf.

Der Stamm hatte noch gar nicht fest gelegen. Als Starke bis in die Mitte gelangt war, drehte er sich. Starke aber, schnell beide Räder nach den Seiten ausstreckend, stand, noch einen Augenblick, und sicher setzte er seinen Weg fort, den andern Rand der Schlucht erreichend.

»Wenn er die doppelte Last getragen hat, liegen die Aeste gut. Können Sie herüber balanciren?«

Nein, wenn Ellen auch schwindelfrei war, das wagte sie nicht. Angstvoll blickte sie in den Abgrund, in dem es brauste und kochte.

Starke legte die beiden Räder nieder, balancirte zurück, und ehe noch Ellen wusste, wie ihr geschah, sass sie auf seinem einen Arme, fühlte seinen anderen Arm um sich geschlungen, und dann sah sie direct in die Tiefe.

Wenn sich jetzt der schwankende Baumstamm drehte, wenn jetzt sein Fuss ausglitt ...

Was war das? Tauchte da in dem weissen Wassergischt nicht ein von Wuth und Hohn verzerrtes Gesicht auf? Sie kannte es wohl, es war das von Judith. Wie sie lachte; es gellte ihr in den Ohren ...

Ellen erzitterte, schaudernd schloss sie die Augen. Da fühlte sie, wie sein Arm sie fester an sich presste, und ein wonniges Empfinden der Sicherheit überkam sie plötzlich.

Nein, nein! Sie ruhte ja in seinen Armen. Und was konnte dem passiren, den die Arme dieses Mannes schützend umschlungen hielten! Und wie konnte denn der Fuss dieses Mannes ausgleiten! Mochte das Wasser dort unten toben, mochte Judith dort unten drohen – sie wurde ja von seinen Armen gehalten!

Und wie ruhig sein Herz schlug, so beständig wie ... Ja, plötzlich wusste sie es, dieses Mannes Name war Beständigkeit. Beständigkeit, welch herrliches Wort! Ohne Wankelmuth, erhaben über Raum und Zeit! O selig, von solchen starken Armen durch's Leben getragen zu werden und an solch einem Herzen ruhen zu können ...

So träumte Ellen mit geschlossenen Augen, den Herzschlägen lauschend, der Gegenwart entrückt, und es war ein süsser Traum. Ein lautes, grollendes Bellen, und dennoch sehr entfernt klingend, liess sie emporschrecken, sie glitt aus Starke's Armen an den Boden, sie sahen sich an, die Abendsonne beleuchtete die kleine Waldblösse, und da – überzog sich sein dunkles Antlitz nicht abermals mit einem Roth der Verlegenheit?

»Verzeihung, ich war in Gedanken versunken. Schnell zurück, Hassan zeigt eine andere Gefahr an, das ist ein Raubthier!«

Sie eilten zurück.

Zurück? Er hatte sie doch nur auf dem schwankenden Steg über die Schlucht getragen.

Ellen dachte jetzt nicht an die sie erwartende Gefahr, sie erglühte.

Himmel, wie weit hatte er sie denn getragen! Wenigstens zehn Minuten mussten sie schnellen Schrittes durch den Wald gehen, ehe sie die Räder wieder erreichten, welche Starke am Rande der Schlucht niedergelegt hatte.

Daneben stand Hassan, er hatte Wache gehalten; noch ein wüthendes Kläffen, und er zog sich, rückwärts gehend, auf den Baumstamm zurück.

»Ein Grizlybär!« rief Starke, und plötzlich drückte er dem Mädchen ein Gewehr in die Hand, welches Ellen noch nie bei ihm gesehen hatte. »Hinter mich! Sie sollen die Ehre haben. Den Lauf auf meine Schulter! Nichts fürchten! Ruhe! Kernschuss in's Auge! Nur wenn er sich aufrichtet, in den Rachen!«

Da tauchte zwischen den Bäumen schon der riesige graue Bursche auf, von dem der Yankee in seiner sarkastischen Weise sagt, er habe nur eine Tugend: er kann nicht klettern. Ohne Zweifel ist der Grizlybär das gefährlichste Raubthier der Erde. Löwe, Tiger und jede andere Katze schleicht sich an die erspähte Beute und springt ohne Warnung; ist ihr aber der Sprung missglückt, so zieht sie sich wie beschämt zurück. Der Grizlybär dagegen verfolgt sein Opfer Tag und Nacht, brummend mit unermüdlicher Ausdauer; auf diese Weise soll ihm in der weiten Prairie endlich nicht das schnellste Pferd entgehen, und klettert der Reiter zuletzt auf einen Baum, so legt sich der Bär darunter, er kann es mit seinem Fettwanst aushalten, bis jener vor Hunger herabfällt. Dabei scheint er gegen Kugeln ganz unempfindlich zu sein, unempfindlicher als ein Elephant; man hat Grizlybären gefunden, denen die Kugel mitten durch's Herz gegangen war, und sie haben an dem Jäger vor ihrem Tode doch noch fürchterliche Rache genommen. Nur ein Schuss in's Gehirn wirft ihn sofort zu Boden.

Brummend, den Kopf mit weit geöffnetem Rachen hin und her werfend, trabte der mächtige Bär trotz seines plumpen Ganges mit ausserordentlicher Schnelligkeit direct auf die Beiden zu.

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Starke war niedergekniet, selbst den grosscalibrigenRevolver zum Schuss erhoben, und Ellen, hinter ihm stehend, legte ihm den kurzen Lauf der Büchse auf seine Schulter. Sie folgte seiner Anweisung ganz mechanisch. Sie hatte schon genug vom Grizlybären gehört, sie sah das furchtbare Raubthier kommen, und dennoch wurde sie nur von einem einzigen Gedanken beherrscht, der ihr ein süsses Schauern durch die Glieder rieseln liess: sie hatte eine viertel Stunde lang an seiner Brust gelegen, er hatte sie eine viertel Stunde lang getragen, er war erröthet – er liebte sie trotz alledem und alledem!

»Nehmen Sie gestrichenes Korn und zielen Sie ruhig – Sie haben sechs Schuss.«

Er liebt mich, er liebt mich, er ist der Meine, ich bin die Seine! So sang es jubelnd in Ellen, als sie feuerte. Ob sie eigentlich gezielt habe, wusste sie später selbst nicht mehr.

Ein donnerndes Brüllen, der Bär warf sich zurück, stand auf den Hinterfüssen, fuchtelte mit den Tatzen in der Luft, überschlug sich, rollte zweimal von einer Seite auf die andere, dabei ein schon ganz ansehnliches Fichtenstämmchen wie einen Strohhalm umknickend, und blieb still liegen.

»Bravo! Kernschuss in's linke Auge. Halt! Lassen, wir ihn liegen. Es ist October, wir haben vielleicht noch die Bärin zu erwarten.«

Ein erneutes donnerndes Brüllen: jenseits der Schlucht galoppirte ein zweiter Bär, das Weibchen. Wusste sie bereits, dass ihr Herzallerliebster den Tod gefunden? Die Bären wussten sich die Fortschritte der Cultur schon recht hübsch zu Nutze zu machen – dieser hier schlug den Weg zur Brücke ein, um über die Schlucht zu gelangen.

»Also noch einmal,« sagte Starke phlegmatisch, »aber ich calculire, er kommt gar nicht über die Brücke.«

In grossen Sprüngen setzte der Bär über die Knüppelbrücke. Er war bis in die Mitte gekommen, als die Katastrophe eintrat, welche Starke schon geahnt hatte. Kein Krachen, kein Bersten – der doch ganz ansehnliche Holzbau klappte auf der einen Seite herab, so etwa, wie auf der Theaterbühne eine Brücke einbricht. Dann freilich folgte ein gewaltiges Prasseln, die gesammte Brücke war in die Schlucht gestürzt, und mit ihr der Bär.

»Was war das?« stammelte das erstarrte Mädchen.

Starke hatte sich am Rande der Schlucht hingelegt und betrachtete und befühlte die kurzen, noch über den Grund ragenden Stumpfe der beiden abgebrochenen Balken, welche die Brücke getragen hatten.

»Das war etwas sehr Einfaches: die Brücke ist angesägt worden, auf dass wir beide hinabsegeln sollten.«

»Angesägt? Um Gottes Willen, Starke!« stiess Ellen hervor, entsetzt in den Abgrund blickend. Gelassen stand Starke auf und zog aus der Tasche Pfeife und Feuerzeug.

»So ist es,« sagte er, schon paffend. »Sir Munro und Somaja haben sie heute früh passirt, ich erkenne es an einem ausgemachten Zeichen, also ist sie erst hinter unseren Vorreitern angesägt worden, wahrscheinlich vor noch gar nicht so langer Zeit, extra für uns, gerade tief genug, um einen Radfahrer durchbrechen zu lassen. Ich will mich nicht erst mit weiteren Untersuchungen abgeben, sie könnten höchstens irreführen, und wir wissen doch schon, dass wir unsere guten Freunde haben.«

»Lady Barrilon, jener Jenkins ... oh mein Gott!«

»Ach, lassen Sie doch. Ich werde diesen Freund schon noch fassen. Was sagen Sie aber nun zu Hassan el Seba? Er hat wahrscheinlich die Einschnitte der Säge bemerkt und sofort die Gefahr erkannt. Das ist wieder solch ein Fall, der auch über meine Hundekenntniss geht. Schade nur um den Grizlybären, der ist fortgewaschen worden; mir wäre lieber, der Indiantratter wäre es gewesen, der zuerst die Brücke betreten hätte. Nun aber, Miss Howard«, Starke nahm die Pfeife aus dem Munde, »ich gratulire. Wissen Sie, was Sie jetzt sind? Was Sie jetzt für eine Rolle in ganz Nordamerika spielen? Während Sie die delicaten Bärentatzen braten, werde ich Ihnen ein Halsband von den Klauen machen, und jede Rothhaut wird vor Ihnen den Hut ziehen.«

Noch einmal blickte Ellen schaudernd in den kochenden Abgrund, noch einmal glaubte sie Judith's wuthverzerrtes Gesicht zu sehen, dann aber überkam sie plötzlich ein ganz anderes Gefühl, so frei, so sicher, mit strahlenden Augen blickte sie ihren Begleiter an – er war ja bei ihr, er gehörte ja ihr, was konnte ihr denn da noch für eine Gefahr drohen – und dann lachte sie herzlich über seine Worte, die er mit so trockenem Humor wie immer hervorgebracht hatte. Sie wollte sein wie er, nur sein Ernst war schwer nachzumachen.

»Jawohl, essen wir Bärentatzen! Wenn eine Kugel einen Zoll am Kopfe vorbeigeht, ist es so gut, als hätte der Feind nach der anderen Richtung geschossen. Jawohl, wir werden sie schon noch kriegen! – Halt, erst noch eine Frage: wo haben Sie Hexenmeister plötzlich das Gewehr herbekommen?«

»Das habe ich mir so gemacht«, entgegnete Starke, schraubte den Lauf von dem Revolver ab und liess ihn wieder in seiner Kleidung verschwinden.

Dann wurde ein Feuer angezündet, Starke zeigte ihr, wie man einen Grizlybären zerwirkt, wenn man nur die Tatzen und ein Stück Keule haben will, und während Ellen das Fleisch röstete, als Nachtmahl und als Proviant für einige Tage, fertigte er aus den losgelösten Klauen mit Hülfe einer Lederschnur sehr kunstvoll eine Kette.

»Diese ist mehr werth als Ihr Diamantenhalsband,« sagte er, als er ihr die Trophäe umhing. »Wirklich?«

»Haben Sie schon einmal eine Garnitur Grizlyklauen zum Verkauf ausgestellt oder in den Händen eines Mannes gesehen, der den Bären nicht selbst erlegt hat? Fragen Sie den zerlumptesten Trapper, er wird Ihnen seine Ehre nicht für alles Geld der Welt abtreten. Es ist unbezahlbar, und Sie werden schon noch Gelegenheit haben, die Macht Ihres Talismans zu erproben.«

Die Mahlzeit war vorüber, hier wurde auch für die Nacht gelagert.

Zum ersten Male schlief Ellen im Freien am Lagerfeuer, und es war ein inhaltsvoller Tag gewesen, der erste in der wirklichen Wildniss; in zwei Gestalten hatte der sichere Tod gedroht, und sie fühlte sich doch behaglich in der warmen Gummidecke. Vergnügt blickte sie in die Holzgluth, und jedes Mal, wenn sie ihren Begleiter ansah, der jetzt schweigsam am Feuer sass und ernst seine Pfeife rauchte, ganz an einen Indianer erinnernd, wenn das aufflackernde Feuer sein charakteristisches, männliches Antlitz beleuchtete, da stieg es stets so heiss und so freudig in ihr auf, dass sie hätte laut aufjauchzen mögen, den Hund an ihrer Seite hätte sie vor Seligkeit küssen mögen, sie wusste selbst nicht warum, bis ihr endlich die Augen zufielen, und da träumte ihr, dass er sie auf seinen starken Armen über brechende Brücken und zwischen grimmige Bären hindurch trage, und wie es auch brach und wie sie auch drohten, er setzte seinen Weg fort, für ihn gab es kein Hinderniss, und sie kannte keine Furcht, sie hatte das Ohr an seine Brust gelegt und lauschte glücklich dem Klopfen seines Herzens, welches ja nur für sie schlug.


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