Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war zwei Uhr geworden, als sie wieder in die Nähe des Stromes kamen. Hier, wo jeder Schuss ein Wildpret erbeutete, wollten die Radfahrer lagern, die Reiter durften nur schnell ihre Pferde füttern, dann mussten sie ohne Mittagspause weiter, zur Strafe, dass sie den Aufenthalt veranlasst hatten; sie konnten etwas von ihrem Proviant im Sattel essen.
Wie gewöhnlich sammelte Ellen Reisig, diesmal von Mr. Schade unterstützt. Starke entfernte sich, um das Mittagbrod herbeizuschaffen, und zwar bediente er sich bei der Jagd nur seines todsicheren Revolvers, mit dem er noch auf hundert Meter Entfernung dem schnellsten fliegenden Vogel den Kopf vom Rumpfe trennte. Dass er den Revolver auch in ein Gewehr verwandeln konnte, hatte Ellen erst gestern erfahren. Ellen war keine besonders leidenschaftliche Jägerin, wenigstens nicht auf Wildenten, Hasen und dergleichen; so überliess sie in letzter Zeit die Jagd immer ihrem Gefährten, sie spielte die sorgsame Hausfrau – vielleicht auch noch aus besonderem Grunde.
»Bleiben Sie nicht gar zu lange,« sagte sie, als sich Starke entfernte.
»Haben Sie solchen Hunger?«
»Ja – nein – ja, auch das,« war ihre zögernde Antwort.
Er verschwand in dem Schilf des Ufersaumes. Hassan nahm er nie mit, der blieb als Wächter zurück. Bald krachte ein Schuss, dann noch einer; Starke erschien wieder, in der Hand einen Prairiehasen, auf dem Nacken über der Schulter eine junge Gabelantilope tragend.
»Der Hase für jetzt, ein Viertel der Antilope bereiten wir für die nächsten Tage zu.«
»Oh, können wir nicht am Dacotah heute Abend für Proviant sorgen?«
»Warum erst heute Abend? Wir haben hier Zeit genug, das Fleisch zu braten.«
»Kaum zwei Stunden.«
»Ich denke doch, wir halten unsere Ruhepause von fünf Stunden ein, oder ruhen wenigstens vier Stunden; Sie schlafen, ich werde den Braten besorgen, um sechs brechen wir auf, sind um neun Uhr am Strome und setzen noch heute im Boote über.«
Es war ganz unbegründet, dass in Ellen gleich wieder ein misstrauisches, zugleich schmerzliches Gefühl aufstieg.
»Es ist Ihnen wohl sehr daran gelegen, dass Sir Munro noch Zeit genug gewinnt, das Boot aufzuschlagen?« fragte sie offen heraus.
Ruhig blickte Starke sie an, der erbitterte Ton musste ihm auffallen.
»Allerdings.«
»Nun, ich beabsichtige, den Stundenplan ganz pünktlich einzuhalten, ohne einen einmal gemachten Fehler durch Nachtfahren zu corrigiren: ich möchte, wie gewöhnlich um vier Uhr aufbrechen, dann sollen wir ja schon um sieben am Strome sein.«
»Miss Howard, überschätzen Sie nicht Ihre ...«
»Ich bitte darum.«
»Wie Sie wünschen. Dann muss ich mich mit dem Bereiten des Fleisches beeilen, ganz umsonst darf die Antilope das Löschen ihres Durstes nicht mit dem Tode gebüsst haben, ich kann es nicht leiden, ein Thier zu schiessen und es dann unbenutzt liegenzulassen.«
Ellen bereitete den Hasen zu, der schwatzende Reporter schürte das Feuer, Starke weidete die Antilope aus, zog die Haut nur etwas ab und schnitt aus Rücken und Schenkel lange, dünne Fleischstreifen, diese über der Gluth vorsichtig trocknend, nicht gleich röstend, dann erst, als das Fleisch möglichst trocken, es stark anbratend, wodurch es auch im heissesten Klima, ohne luftdicht verpackt werden zu müssen, eine tagelange Haltbarkeit bekommt.
»Wie lange haben Sie das vorige Mal gebraucht, um den Dacotah an jener Stelle zu durchschwimmen, Mr. Starke?« fragte Ellen einmal.
»Ich schätze den Fluss einen Kilometer breit – etwa zwanzig Minuten, ich bin ein guter Schwimmer, musste ja auch das Rad vor mir her schieben.«
»Auf einem Floss, welches Sie sich erst machten?«
»Der sterile Boden dort ist ganz baumlos. Für solche Flussübergänge habe ich einen Apparat construirt, um die Maschine trocken hinüber zu schaffen.«
»Einen Apparat?«
»Ein grosses Luftkissen aus Kautschuk, welches ich aufblase.«
»Sie haben es bei sich?«
»Ja.«
»Ach bitte, zeigen Sie es mir doch einmal.«
Gehorsam schnallte Starke seine Rahmentasche auf, entnahm ihr eine Art von langer Wurst und rollte sie auseinander; es waren zwei zusammengelegte Kautschukplatten, die eine barg er schnell wieder in der Tasche, die andere behielt er, legte sie noch einmal auseinander, blies in ein Mundstück, sie schwoll auf, und so entstand ein über ein Quadratmeter grosses Luftkissen, oben mit mehreren Riemen versehen, um das Rad, welches es wohl leicht auf dem Wasser tragen konnte, darauf fest zu schnallen.
»Sehr gut. Hatten Sie aber nicht noch ein anderes?«
»Ich habe für alle Fälle zwei mitgenommen, das andere ist für Sie bestimmt, falls wir einmal weder Boot noch Floss haben.«
»Ach, bitte, dann lassen Sie mich es auch unter meinem Gepäck aufnehmen.«
»Wie Sie wünschen.«
Ahnte Starke noch nicht, was Sie beabsichtigte? Sicherlich, er wusste es schon ganz bestimmt, aber er sprach nach seiner Weise nicht eher davon, als bis es Zeit dazu war. Dann, nach dem Essen, legte sich Ellen in den Schatten einer Weide, um die letzte Stunde zu schlafen. Starke fuhr fort, das trockene Fleisch zu bereiten, Mr. Schade half ihm dabei.
»Wollen Sie nicht ein Kolapulver zu sich nehmen?«
Das schmerzliche Misstrauen stieg von Neuem in Ellen auf, und sie gab ihm offenen Ausdruck.
»Damit ich um vier Uhr nicht erwache, sondern die Zeit verschlafe?«
Wieder blickte sie Starke ruhig und fest mit seinen wie kalter Stahl blitzenden Augen an.
»Nein. Damit Sie ruhig schlafen können, denn der Vorgang mit dem Kriegszeichen dürfte Sie auch noch im Traume beschäftigen.«
»Ich danke Ihnen. Ich hoffe nicht. Ich möchte mich nicht unnöthig an das Beruhigungsmittel gewöhnen.«
Starke behielt Recht, ausnahmsweise träumte sie; scalpirende Indianer, gefälschte Briefe vorzeigend, spielten die Hauptrolle, bis der bizarre Traumgott Starke's Stimme sagen liess: wachen Sie auf, es ist vier Uhr – und sie erwachte, ohne von Starke, welcher eben den letzten Streifen Fleisch in seinem Tornister verpackte, dazu aufgefordert zu sein.
Auch Ellen's Rad war von ihm gesäubert und geölt worden, sie stieg auf, nicht anders wie sonst, und – ein Krach, die obere Stange des Rahmens war mitten durchgebrochen.
Es gehört doch etwas dazu, um beim Aufsteigen mit dem Rahmen durchzubrechen, und es war ein starkes Rad, und während Starke, kaltblütig und schweigsam wie immer, den Bruch untersuchte, während der Reporter sich in Worten der Verwunderung und in seinen Meinungen erging, stand Ellen fassungslos da, und blitzähnlich ging ihr nochmals Alles durch den Kopf, was diesen schon seit einiger Zeit beschäftigt hatte: er liebt dich, aber er will dich nicht lieben; er will dich mit Sir Munro wieder zusammenführen; er will Sir Munro Gelegenheit geben, die versäumte Zeit wieder einzuholen; dazu will er mich hier aufhalten; er hat den Bruch herbeigeführt.
»Sehr seltsam,« meinte Starke, als er seine Untersuchung beendet, bei welcher er sein Vergrösserungsglas benutzt hatte. »Hier liegt derselbe Fall vor, der oft bei Stahlgeschützen eintritt, dass sie schon nach einigen Schüssen springen, und es hat lange gedauert, ehe die Gelehrten eine Erklärung hierfür fanden: der amorphe Gussstahl ist durch die fortwährenden Erschütterungen, welchen das Rad ausgesetzt gewesen, krystallinisch geworden. Man soll bei Fahrrädern nur eiserne Röhren anwenden, am besten schmiedeeiserne.«
»Nun hören Sie auf!« stiess Ellen plötzlich heftig hervor. »Suchen Sie mich nicht zu täuschen! Sie haben dafür gesorgt, dass ich durchbrechen musste, damit Sir Munro noch Vorsprung gewinnt, mit dem Boot bereit zu stehen!«
»Wessen halten Sie mich fähig? Täuschen wollte ich Sie?«
Ganz ruhig hatte sich Starke ihr zugewandt, ganz ruhig hatte er es gesagt; aber schon ein Blick aus seinen Augen genügte; mehr tödtlich erschrocken als beschämt senkte Ellen die ihren zu Boden.
»Verzeihen Sie mir, oh, verzeihen Sie mir – – ach!!« murmelte sie, mit einem Seufzer endend, und es war ein qualvoller Seufzer aus tiefinnerster Brust gewesen.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, begab sich Starke nach dem Stromufer, kam mit einem abgeschnittenen Weidenast zurück und verband mit Lederstreifen die Bruchstelle, brachte noch andere Unterstützungen an, dass die ganze Stange gefestigt wurde, offenbar kannte er die Gesetze der Mechanik und wusste sie anzuwenden, und vor allen Dingen konnte man hier einmal seine erstaunliche Handfertigkeit bewundern. In einer Viertelstunde war Alles geschehen.
»So. Auch wenn der Rahmen noch einmal bricht, würde er fest zusammengehalten werden, und eben deshalb wird er nicht mehr brechen. Nun wollen wir ein flottes Tempo anschlagen, um die Viertelstunde wieder einzuholen.«
»Mister, Starke, verzeihen Sie mir,« sagte Ellen nochmals, ehe sie das Rad bestieg, in einem wahrhaft kläglichen Tone, und hielt ihm die Hand hin.
Er entgegnete nicht: weshalb denn – oder etwas Aehnliches, sondern als er ihre Hand nahm, sagte er: »ich verzeihe Ihnen gern, Miss Howard« – und so kalt es auch geklungen hatte, es lag doch Etwas in dieser einfachen Offenheit, dass Ellen's Herz plötzlich wieder laut aufjubelte.
Ein starker Wind kam von hinten, das musste man benutzen, Mr. Schade wollte renommiren, er flog auf seiner leichten Rennmaschine, Ellen wollte es ihm gleich thun, jetzt war es Starke, welcher mit seinem schweren Rade zurückblieb; Hassan merkte etwas, der stolze Beduinenhund fiel aus seiner Würde, fing an zu bellen und machte lustige Sprünge, fing unversehens einen Hasen, schüttelte ihn ab und sprang wieder an Ellen empor. So war es noch nicht einmal sechs Uhr – um sieben wäre es schon dunkel gewesen – als sie die Wasserfläche des Dacotahs erblickten, welcher eine Meile südlicher seine trüben Fluthen in den Platteriver wälzt. Die Erbauer dieser Strasse haben ganz sicher hier auch eine Brücke gehabt, jetzt ist keine Spur mehr zu entdecken, und dass nicht wieder eine angelegt worden ist, das zeigt, wie werthlos diese noch so gut erhaltene Strasse jetzt ist.
Die Vorreiter waren zur Stelle; das Lederboot über hölzerne Rippen gespannt, vielleicht sechs Personen sicher tragend, lag bereit; wie sie aber hatten reiten müssen, um so schnell hier und fertig zu sein, das verriethen die noch immer dampfenden Pferde.
»Ellen, können Sie mir nun vergeben, sind Sie nun wieder zufrieden mit mir?« wandte sich Sir Munro mit leiser, bittender Stimme an das Mädchen.
Sie antwortete nicht, sondern machte sich an ihrer Rahmentasche zu schaffen.
»Ist alles Gepäck im Boot?« liess sich da schon Starke's Commandostimme vernehmen. »Sir Munro, kann Ihr Diener rudern? Ein Mann noch mit in's Boot. Die Reiter bleiben rechts vom Boot, die ledigen Pferde zwischen uns! Somaja, Du schwimmst zehn Meter voraus! Vorwärts!«
Auf die erhitzten Thiere wurde also keine Rücksicht genommen, es waren auch keine Luxuspferde, sie mussten noch anderes aushalten können.
»Miss Howard, was thun denn Sie?« setzte Starke hinzu.
Ellen hatte der Tasche das Luftkissen entnommen, sie blies es auf, dabei blickte sie auf den breiten, aber nur schwach fliessenden Strom; es wurde Abend, es wurde kühl, und ein Schauer ging durch ihren Körper. Jetzt raffte sie sich auf.
»Ich werde hinüber schwimmen. Wollen Sie nicht lieber das Rad an dem Kissen befestigen? Ich brauche wohl auch noch einige Instructionen. Wozu sind diese kleinen Riemchen da? Vielleicht, um Revolver und Munition daran zu schnallen?«
Sir Munro stand daneben, als wenn er glaubte, nicht recht gehört zu haben, während es auf Starke absolut keinen Eindruck machte, obwohl er sie warnte.
»Jawohl, hier werden Waffen und Patronen festgeschnallt. Der Strom ist sehr angeschwollen, ich würde mindestens eine halbe Stunde zu schwimmen haben. Können Sie gut schwimmen?«
»Ich habe zwei Stunden mit vollem Anzuge geschwommen.«
»Ist es Ihr fester Entschluss, das Boot nicht zu benutzen? Ich warne Sie sehr. Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit. Ueberlegen Sie es sich. Sie sind ermüdet, Sie müssen noch einmal eine bedeutende Kraftanstrengung im kalten Wasser leisten, Sie können sich leicht ein langwieriges Fieber holen.«
Da kam Leben in den erstarrten Baronet.
»Ellen, um Gottes Willen, Ellen, was wollen Sie thun!!« schrie er entsetzt.
»Dasselbe, was ich gethan hätte, würde man mich nicht begleitet haben.«
»Lassen Sie wenigstens das Rad im Boot überfahren,« sagte Starke, ohne den Baronet zu beachten.
»Was hätte es dann für einen Zweck! Ich will kein Schwimmkunststück zum Besten geben, sondern mein Rad will ich selbst hinüberschaffen.«
»Wenn Sie jetzt das Luftkissen nicht hätten, wäre es Ihnen überhaupt unmöglich.«
»Wenn ...! Ich nehme jede Gelegenheit mit.«
»So nehmen Sie auch das Boot mit.«
»Nein, ich will schwimmen.«
»Ellen, Ellen, so nehmen Sie doch Vernunft an!« jammerte wieder Munro.
»Herr, ich verbitte mir, dass Sie mir immer die Vernunft abstreiten.«
»Starke, hindern Sie sie doch daran!«
»Das kann ich nicht, jeder Mensch hat seinen freien Willen. Aber, Miss Howard, nicht wahr, sofort, wenn Sie ermüdet sind, werden Sie in's Boot gehen? Sie werden sich nicht überanstrengen?«
Nicht nur in der Wortstellung, auch in seiner Stimme hatte etwas, von einer flehenden Bitte gelegen, was sie noch nie von diesem Manne gehört hatte.
»Ja, das verspreche ich Ihnen!«
Noch waren nicht zehn Minuten vergangen, seit sie den Strom erreicht, als sich Ellen schon im Wasser befand, schwimmend das Luftkissen vor sich herstossend, belastet mit Rad und sämmtlichem Gepäck, mit Waffen und Patronen. Starke, welcher noch zuletzt eine andere Reihenfolge angeordnet hatte, hielt das Boot immer seitwärts hinter ihr, so dass die stolze Engländerin glauben konnte, sie schwimme ohne jeden Schutz über den breiten Strom.
Ellen war eine ausgezeichnete Schwimmerin, das erkannte Jeder sofort, die Strömung war nicht hinderlich, das Wasser zwar kühl, doch nicht das Blut erstarrend machend, und dann war da ein mächtiger Sporn vorhanden: sie wusste zehn männliche Augenpaare auf sich gerichtet, darunter die von Starke, die von Sir Munro, ja selbst die des Reporters, sogar die der Prairiejäger übten eine heimliche, auffrischende Macht aus.
Rüstig schwamm sie und stiess das Rad vor sich her. Aber es war doch ein hartes Stück Arbeit. Nach zwanzig Minuten – und das war mit voller Kleidung schon eine ganz ansehnliche Schwimmleistung – fühlte sie sich schon ermüdet. Aber ihr Wort hielt sie, sie rief nicht nach dem Boote.
Nach weiteren zehn Minuten war ihre Erschöpfung ersichtlich, die Stösse wurden immer kürzer, die Arme streckten sich nicht mehr aus. Und sie hielt ihr Versprechen nicht. Denn dort war ja der Ufersaum.
Sir Munro stand auf, in seinen Zügen malte sich ein Entschluss aus.
»Sie kann nicht mehr, jetzt komme ich ihr zu Hülfe, ich übernehme wenigstens das Rad, ich springe ins ...«
Starke drückte ihn mit der flachen Hand ohne Weiteres in's Boot zurück.
»Nein, Sie springen nicht. Wollen Sie es denn mit ihr ganz und gar verderben?«
Und Munro sprang nicht, er sah ein, wie Recht Starke hatte. Ellen würde ihm solch' eine Hülfeleistung nur sehr übel vermerken. Aber eine recht fatale, demütigende Empfindung beschlich ihn: dieser Abenteurer protegirte seine Liebe – ich mag sie nicht; nimm du sie ...
»Aber die Kraft verlässt sie, wir müssen sie in's Boot nehmen.«
»Sie dazu auffordern? Wir können sie nur auffischen, wenn sie vor Erschöpfung untersinkt. Ich habe Miss Howard genau kennen gelernt.«
Wieder die fatale Empfindung – er hatte sie genau kennen gelernt.
Die Nähe des Ufers war eine Täuschung. Es wurde dunkel, die Bewegungen der Schwimmerin immer langsamer. Aber aus hielt sie, mit dem Trotze einer stolzen, energischen Engländerin. Noch eine Viertelstunde, der Mond war aufgetaucht, zuletzt noch einige starke Stösse, und sie gewann mit einigen watenden Schritten das hier etwas bewaldete Ufer.
Gleich darauf betraten es auch die ersten Pferde, welche auf Starke's Wink immer zurückgehalten worden waren.
»Für die Lady ein Hip – hip – hip – « brüllte ein brauner Bursche, und »Hurrah!!!'« heulte es im Ohre.
»Was war denn weiter dabei?« meinte Ellen phlegmatisch. Aber wie es ihr innerlich zu Muthe war, das sagte sie nicht.
Schnell wurde ein grosses Feuer angezündet, das kleine von Munro mit geführte Zelt aufgeschlagen.
»Bitte, schlagen Sie die Benutzung des Zeltes nicht ab, ziehen Sie trockenes Unterzeug an und hüllen Sie sich mit warmen Decken ein,« sagte Starke zu der am Feuer stehenden Ellen, ihr prüfend in's Auge blickend.
Erst weigerte sie sich, sie wolle sich hier am Feuer trocknen, so wäre es doch auch geschehen, wenn sie keine Begleitung gehabt, aber wie sie sich auch anstrengte, sie konnte das ruckweise Zähneklappern doch nicht unterdrücken, und dann begab sie sich in das Zelt, von Starke gefolgt, welcher ihr das Gepäck, eine brennende Fahrradlampe, Decken und Kissen nachbrachte und schnell ein Lager bereitete.
»Sie sind hier ganz ungestört. Ziehen Sie sich um und packen Sie sich warm ein. Nicht wahr, das thun Sie? Und sobald Sie liegen, rufen Sie, das Feuer ist jetzt noch zu frisch, dann bringe ich Ihnen Kohlengluth in's Zelt.«
»Wie geht es ihr?« fragte ihn Sir Munro draussen.
»Fieber,« war seine lakonische Antwort. Dann rief er den Mestizen einige Worte zu, sie zerstreuten sich in der Prairie, während Starke das Feuer schürte,und dann in seinem Tornister kramte.
Die Mestizen kamen bald zurück, in Decken schwarzbraune Knollen, wie Torf aussehend, mitbringend, und Starke hatte unterdessen ein Kolapulver in Wasser angerührt.
»Mr. Starke, wollen Sie jetzt kommen?« erscholl es im Zelt.
»Bringen Sie ihr das, es ist Kola, sie kennt es schon, ich komme dann mit dem Feuer nach,« wandte sich der Gerufene an Sir Munro.
Ein Zögern, ein finsterer Blick, und Munro drehte sich um.
»Bringen Sie es ihr selber,« sagte er kurz und mit rauher Stimme.
Starke besorgte durch verschiedene Gänge erst das Feuer in's Zelt, glühende Holzkohlen, auf welche er dann jene lockeren Knollen schichtete. Ellen lag bis an die Nase in Decken vergraben, ihr Zähneklappern war hörbar, die Decken zitterten.
»Wie fühlen Sie sich, Miss Howard?« fragte er, an ihr Lager tretend.
»Ich friere schauderhaft,« klapperten die Zähne, und die auf ihn gehefteten Augen strahlten in unnatürlichem Glanze.
»Haben Sie Appetit?«
»Nein– ich friere – ich habe mich doch etwas erkältet.«
»Trinken Sie diese Kolamischung und geben Sie mir Ihre Hand.«
Er war niedergekniet, sie trank aus dem dargereichten Glase und überliess ihm ihre Hand, deren Puls er prüfte. Sie fror, und ihre Hand glühte.
»Pfui – das schmeckt ganz anders – bitter – das ist Chinin. Habe ich wirklich Fieber? Es ist nur eine kleine Erkältung.«
»Haben Sie schon einmal Wechselfieber gehabt?«
»Nein.«
»Dann, hoffe ich, wird es nicht schlimm werden.«
Er machte sich wieder mit dem Feuer zu schaffen, Ellen beobachtete ihn. Die Knollen begannen rauchlos zu glühen, einen starken Geruch verbreitend.
»So ein Feuer sieht doch gemüthlich aus. Was sind denn das für Kohlen? Wo haben Sie die her? Das riecht so aromatisch.«
»Das ist getrockneter Pferdemist, in den Pampas das einzige Brennmaterial, brennt sehr gut, giebt intensive Hitze und hält lange an.«
Ellen begann mit aufeinander schlagenden Zähnen zu lachen, lachte immer mehr, hörte gar nicht wieder auf zu lachen, und wenn man so, von Frost geschüttelt, mit klappernden Zähnen lacht, man muss lachen, man weiss selbst nicht warum, dann hat man das echte Wechselfieber. – –
Die Feuer waren erloschen, der Mond beleuchtete die in ihre Decken gehüllten, schlafenden Männer, auch der vierfüssige Wächter schlief, aber mit offenem Ohr. Doch die tiefste Stille lagerte über der Prairie, nur das Wasser rauschte leise.
»Curt, Curt!« erklang es da wimmernd.
Hassan el Seba hob den Kopf, gleichzeitig stand ein Mann auf, liess die Gummidecke fallen und trat in das Zelt, drehte die Lampe herum, dass ihr Reflexschein auf das Mädchen fiel, welches, die Decken schon herabgetreten, sich unruhig auf dem Lager hin und her bewegte. Er deckte sie zu.
»Sei mir nicht böse, ich will nie wieder so eigensinnig sein – das Wasser ist so heiss – wie meinen Sie, Sir Munro? – Ach, warum sind Sie nicht eine Stunde früher gekommen! – Anderthalb Millionen Tische? Ich liebe Dich, da aber kam er. – Curt, Du liebst mich, Du hast es mir gesagt ...«
Starke wendete den Kopf. Neben ihm stand Sir Munro. Und sie phantasirte weiter in bizarren Variationen über das Hauptthema: ich liebe ihn und ich liebe ihn und er liebt mich und ich liebe ihn und ich kann nicht ohne ihn leben.
Starke setzte ihr den grossen Becher mit chininhaltigem Wasser an die Lippen; mit gierigen Zügen trank sie, ohne zu erwachen, sank zurück und wurde etwas ruhiger, und nachdem Starke die Lampe wieder umgedreht hatte, winkte er dem Anderen, ihm zu folgen.
Draussen unter dem sternenbesäeten Himmelszelt streckte er die Hand empor wie zum Schwure, aber seine Worte enthielten keinen Schwur, und dennoch klang es feierlich wie ein Schwur.
»Sir Robin Munro! Sie irrt sich. Diese Sterne dort oben liebe ich.«
Es waren seltsame Worte gewesen. Eine lange, lange Pause entstand, und noch immer hielt er die Hand erhoben und blickte zu den Sternen empor.
»Warum verlassen Sie sie denn nicht?« kam es endlich leise aus Munro's Munde.
»Um sie von ihrem Irrthum zu heilen. Kommen Sie.«
Starke entfernte die Asche von dem Feuerplatz, darunter war nochGluth; er blies sie an, sie setzten sich, und während sie lauschten, ob die Fiebernde wieder zu phantasiren begänne, unterhielten sich die zwei Männer noch lange – sprachen wie zwei Männer zusammen. –
Am anderen Morgen glaubte Ellen, einen kräftigenden Schlaf gethan zu haben; sie fühlte sich wirklich so kräftig, so wohl, sie sah sich allein im Zelt, stand auf und – brach vor Schwäche gleich zusammen, konnte kaum wieder auf ihr Lager und unter die Decken kriechen.
Mit einem Gutenmorgengruss betrat Sir Munro das Zelt.
»Sie sind aufgestanden? Das dürfen Sie nicht, Sie haben Wechselfieber, Miss Howard. Wie befinden Sie sich?«
Sie hatte allerdings einen tiefen Schlaf gehabt, aber nur zuletzt einige wenige Stunden, die Folge vollständiger Krafterschöpfung.
»Wo ist Starke? Ich möchte ihn sprechen.«
»Er ist heute Morgens mit dem Reporter fortgeritten, will das Lager der Yanktoanons aufsuchen und glaubt, in drei Tagen zurück zu sein.«
»In drei Tagen?!« rief Ellen erschrocken.
»Ja, und vor fünf Tagen können Sie die Fahrt nicht fortsetzen, Mr. Starke scheint das Wechselfieber recht genau taxiren zu können.«
»Fünf Tage hier liegenbleiben?! Unmöglich! Es ist gar nicht so schlimm, ich muss fort. Und in drei Tagen kommt er erst wieder!!«
Das war ihr also die Hauptsache, sie wendete sich der Zeltwand zu, und es musste für den Baronet recht unangenehm sein, als er sie weinen hörte.
»Verlassen Sie mich.«
»Miss Howard, Sie brauchen doch eine Pflege ...«
»Verlassen Sie mich, verlassen Sie mich, ich durchschaue Alles – ach, bin ich unglücklich!!«
Da begannen schon wieder ihre Zähne zu klappern, Munro brachte Feuer herein, als er sich einmal verbrannte und mit den Fingern schlenkerte, fing das krampfartige Lachen an, bis nach einer Viertelstunde die Hitze kam, jedoch ohne Phantasien, denn sie schlief nicht ein. Sie war sehr gereizt, schickte den Baronet hinaus und wollte seinen Diener haben, Dick benahm sich ungeschickt, Somaja fluchte einmal, der andere Cowboy kaute Tabak, sie weinte, Sir Munro musste wiederkommen, sie wollte trinken ...
Die viertelstündige Kälte mit zweistündiger Hitze wechselten den ganzen Tag ab, in der Nacht phantasirte sie stark.
Als sie am anderen Morgen erwachte, ergriff Munro sofort ihren Puls.
»Mir ist, als wären Sie die ganze Nacht bei mir gewesen.«
»Ja ich war bei Ihnen.«
»Sie gaben mir einmal zu trinken, ich entsinne mich.«
»Einmal? Na, gegen zehn Liter Wasser haben Sie getrunken,« lächelte er.
»Habe ich phantasirt?«
»Ja, sehr.«
»Was sagte ich?«
»Oh, nichts Besonderes – Sie wollen immer Ihre Fahrt fortsetzen.«
»Ja, das will ich auch! Wo ist Curt – Starke?«
Sie konnte sich noch recht wohl entsinnen, dass Starke fortgeritten war, sie nannte auch mit Absicht seinen Vornamen, aber das Weinen, in das sie dann wieder ausbrach, das herzzerreissende Schluchzen war ungekünstelt.
Nach einem erneuten Fieberanfall verlangte sie zu essen, sie fühlte sich sehr hungrig.
»Das thut mir leid. Fieberkranke dürfen in den ersten Tagen absolut nichts essen.«
»Ja, ich weiss wohl, Sie wollen mich absichtlich durch Hunger schwächen, dass ich meine Wette verliere!« rief sie mit krankhafter Gereiztheit.
»Ganz im Gegentheil. Mr. Starke, welcher in derartigen Fällen grosse Erfahrung zu besitzen scheint, versichert, dass Ihre Fieberperiode für Sie nur einige Ruhetage bedeutet, nach denen sie kräftiger denn zuvor sein werden, vorausgesetzt, dass Sie die Fieberdiät genau befolgen.«
Ellen fühlte selbst, dass sie ernstlich erkrankt war, und sie war unglücklich über ihren Eigensinn, den Strom durchschwommen zu haben, wodurch sie den Gewinn der Wette in Frage gestellt, sie haderte mit sich und aller Welt. Und Starke hatte sie verlassen, war weit fort in die Prairie geritten, für drei Tage! Warum hatte er ihr dies angethan? Sie wusste es, sie weinte und weinte, bis sich wieder der Fieberanfall einstellte und sie vor Erschöpfung einschlief.
So verging auch der zweite Tag mit Selbstvorwürfen, leisem Jammern, Fieberanfällen und kurzen Schlafpausen. Dabei quälte sie ein nagender Hunger. Sir Munro war der aufmerksamste Krankenpfleger, aber sie hatte kein freundliches Wort für ihn, wollte nichts von ihm wissen, sie verlangte immer nach Dick, der jenen manchmal ablöste – und sonderbar, dann weinte sie wieder ob des namenlosen Unglücks, dass sie den armen, guten Baronet, der ein so freundliches Gesicht hatte, so schlecht behandelte.
Am dritten Tage, gegen Mittag, rief sie nach Dick. Selbstverständlich würde Sir Munro kommen, aber es erschien doch der Diener.
»Wo ist Sir Munro?«
»Der schneidet eben einem Cowboy den linken Mittelfinger ab,« sagte Dick vergnügt.
»Was thut er?«
»Der schneidet gerade einem Cowboy den linken Mittelfinger ab, er hat ihn sich, wie er seinen Revolver putzte, mit einer Kugel selbst zerschmettert, und denken Sie, der Kerl raucht dabei ruhig seine Pfeife weiter, wie mein Herr ihm jetzt den caputen Finger absägt.«
Munro trat in das Zelt, ohne Jacke, die aufgekrempelten Hemdärmel mit Blutflecken bedeckt.
»Sie haben gerufen, Miss Howard?«
Er musste erzählen, was passirt war. Die Operation war gelungen, der Cowboy hatte einen Finger weniger – nichts weiter.
»Sie sind wirklich Arzt, Sir Munro?«
»Ich habe wenigstens in Oxford zwei Jahre Medicin studirt.«
»Und Sie waren wirklich im Londoner Hospitale praktisch thätig?«
»Ein halbes Jahr.«
Ellen wusste ja Alles, ihr »wirklich« war ganz unbegründet. Ueber Sir Munro circulirte in London, nicht zum mindesten unter der Damenwelt, eine hübsche Anekdote, die manchmal, so am unbelauschten Theetische, mit heimlichem Kichern erzählt wurde. Der reiche Herr hatte seiner Zeit aus Nächstenliebe Arzt werden wollen, hatte seine Semester absolvirt, kam in ein Hospital zum praktischen Cursus; wie er aber zum ersten Mal seine chirurgische Kunst an einer weiblichen Leiche, einer jungen Selbstmörderin, beweisen sollte, da hatte er, damals noch ein ideal veranlagter Jüngling, als keuscher Joseph die Flucht ergriffen. Ob es wahr war, wusste man nicht. Die Geschichte wurde auch noch ganz anders erzählt.
Länge blickte ihn Ellen an.
»Ach, mein lieber Munro, ich habe solchen schrecklichen Hunger, geben Sie mir doch etwas zu essen, bitte, bitte,« begann sie plötzlich in kläglichstem Tone.
»Ich kann nicht, ich darf nicht,« entgegnete der Baronet fast in demselben Tone, nur noch verzweifelter, »Mr. Starke hat es mir auf das strengste verboten. Nach seiner Rückkehr wird er entscheiden, ob Sie etwas geniessen dürfen oder nicht.«
»Mr. Starke? Sie sind doch selbst Arzt.«
»Ich füge mich seiner Anordnung, er kennt dieses Fieber besser als ich.«
Sir Munro schien nicht zu wissen, dass er seinem Nebenbuhler nur selbst das Wort redete.
»Gehen Sie, gehen Sie!« rief die Kranke mit wieder hervorbrechender Heftigkeit. »Halt! Wann kommt Starke zurück?«
»Morgen, so hat er versprochen.«
»Wenn er aber nun nicht morgen kommt, nie wieder – so soll ich auch nie wieder essen?«
»Oh,« lachte der Baronet, froh, dass sie wenigstens wieder scherzen konnte, »so ist das nicht gemeint, sobald Sie fieberfrei sind, werde ich Sie schon füttern, bis Sie wieder kräftig sind.«
Mit Anstrengung richtete sie sich empor.
»Ich will aber nicht!« schrie sie in wahrhafter Wuth. »Wenn er nicht wieder kommt, will ich auch nie wieder etwas essen!«
Er floh hinaus, es war das Beste, was er thun konnte, und sie sank erschöpft zurück – und weinte – vor Hunger und vor Liebe.
Mit kurzen Worten ist ihr Zustand definirt: sie war sterblich in Curt Starke verliebt, und darüber war sie selbst unglücklich, weniger deshalb, dass sie scheinbar keine Gegenliebe fand, als dass sie überhaupt solch einen eiskalten, heimaths- und herzlosen Menschen so lieben konnte, und ausserdem war sie jetzt krank.
Eine Nacht verging, in welcher sie nicht von ihm, sondern nur von Beefsteaks und anderen Schüsseln träumte, und am nächsten Tage drang in das Krankenzelt ein freundlicher Sonnenstrahl in Gestalt von Curt Starke.
»Ach, Starke, ich habe solchen fürchterlichen Hunger!« jauchzte sie schmerzlich dem rücksichtslosen Barbar entgegen. Wenn sie vielleicht, auf dem Hungerlager sehnsüchtig an die heimathlichen Fleischtöpfe denkend, beschlossen hatte, jetzt die Reise um die Erde aufzugeben – bei Krankheit ist Alles zu verzeihen – so war dieser Entschluss bei Starke's Anblick sofort vergessen.
Er fühlte den Puls und liess sich die Zunge zeigen, blickte ihr besonders unter die Augenlider, und Ellen gestand, so schwach zu sein, dass sie sich nicht von hier bis dorthin schleppen konnte, und dabei drohte sie noch ohnmächtig zu werden.
»Das Blut ist bald wieder normal, übermorgen oder doch in drei Tagen werden wir die Fahrt fortsetzen können. In einer Stunde sollen Sie ein kräftiges Mittagsessen bekommen, jetzt können Sie es wieder vertragen.«
»Erst in einer Stunde!« wehklagte sie. »Ach, Starke, was habe ich für eine Dummheit gemacht! Ich glaube noch gar nicht, dass ich übermorgen schon wieder auf's Rad steigen kann, bei dieser Schwäche, und die fünf Tage sind nie wieder einzuholen.«
»Klagen Sie sich doch nicht selber an, Sie haben gar keinen Grund dazu. Besser freilich wäre es gewesen, Sie hätten das Boot benutzt, d. h. es war doch ganz unnöthig, dass Sie noch bei Nacht durch den Strom schwammen. Aber ein Fieber wäre bei Ihnen so wie so einmal ausgebrochen und hätte längeren Aufenthalt geboten, das fordert das veränderte Klima, verbunden mit veränderter Lebensweise unter ungewohnter Anstrengung. Die kalte, strapaziöse Schwimmtour hat die Veranlassung zum Ausbruch des Fiebers gegeben; nun haben Sie es hinter sich, was doch einmal gekommen wäre, zum zweiten Male werden Sie nicht so leicht wieder davon befallen; und es ist besser, Sie haben eine übermässige Anstrengung hier am Dacotah im Schutze von bewaffneten Männern abgebüsst, als wenn Sie etwa während der Flucht vor einer drohenden Gefahr vom entkräftigenden Fieber überfallen worden wären; und nun passen Sie auf, wie schnell Sie sich erholen, wenn Sie meine Kurvorschriften befolgen, wie Ihre Kraft und Ihr Lebensmuth in verdoppeltem Grade wiederkehren, wie bald Sie dann die paar Tage Verlust wieder eingeholt haben.«
Freudig erstaunt blickte Ellen den so Tröstenden an.
»Sie sprechen ja plötzlich wie ein Buch! Wie ein Engel! Da hätte ich ja also einen ganz famosen Streich gemacht!«
»Er ist wenigstens noch gut abgelaufen. Wissen Sie, wo ich gewesen bin?«
»Die drei Tage? Sie haben den Yanktoanons einen Besuch abgestattet. Starke, Sie konnten mich so ohne Weiteres auf drei Tage verlassen?!«
Vergebens, dieser gefühllose Mensch hörte weder aus Worten noch aus dem vorwurfsvollen Tone etwas heraus.
»Ja,« sagte er auch noch. »Ich hatte das Fell mitgenommen. Mr. Schade ist dort geblieben, will Berichte sammeln und Photographien machen, habe versprochen, ihn wieder abzuholen. Dann war ich in Omaha City.«
»Was? Wo? In den drei Tagen? In Omaha?!« staunte Ellen.
»Warum nicht? Ich benutzte natürlich hin und her die Pacific. Da habe ich dann durch Erkundigungen erfahren, was ich wissen wollte, einfacher und schneller, als wenn ich, wie Sie vielleicht wünschten, die Spürnase an den Boden gedrückt und aus Stiefelabsätzen scharfsinnige Schlüsse gezogen hätte. Unser Feind ist wirklich der Pseudo-Verfasser von » happy England«. Jenkins ist in Omaha mit einem berüchtigten Halbblut-Indianer gesehen worden, mehr Prairieräuber denn Jäger, ein Namensvetter von mir, er wird nämlich Stronghand genannt, Starkhand, ich kenne ihn sehr gut. Nun, er wird mit seiner starken Hand nicht mehr viel Brücken ansägen können, dafür werde ich sorgen.«
Schnell entfernte sich Starke, und Ellen war wieder glücklich, sie hatte ihn in seiner trockenen, kalten und doch von Humor durchwehten Weise wieder sprechen hören.
Er war inzwischen in Omaha gewesen! Immerhin, wenn er auch die Pacific benutzt hatte, Ellen mochte es kaum glauben, zumal ihr die drei Tage, immer in halber Betäubung liegend, ausserordentlich schnell vergangen waren. Auf diese Weise also operirt ein moderner Lederstrumpf! Sauste mit der Pacific nach der nächsten Grossstadt, wo es Auskunftsbureaus gab, und vergewisserte sich so über seinen unsichtbaren Gegner.
Starke selbst brachte das »kräftige Mittagsessen«, bestehend aus einem Becher Bouillon und einem einzigen Ei.
»Ist das Alles?« fragte Ellen betrübt, nachdem sie diese Mahlzeit verzehrt hatte, noch ehe sie von Starke richtig auf ihrem Lager servirt worden war.
»Vorläufig, ja. Heute Abend dasselbe, auch morgen Mittag, morgen Abend werden Sie eine richtige Mahlzeit einnehmen können, und dann sind Sie übermorgen wieder bei vollen Kräften, Sie werden sich über sich selbst wundern.«
»Wo haben Sie denn das weichgekochte Ei her?«
»Das habe ich dem Neste eines Wasserhuhns entnommen.«
»Gleich weichgekocht?«
Und Ellen lachte herzlich über ihren eigenen Witz. Aber ihre fröhliche Stimmung währte, nicht länger, als bis ihr Starke erklärte, jetzt müsse er wieder fort, müsse seinem Versprechen gemäss Mr. Schade aus dem Indianerlager abholen, habe überhaupt noch eine Streifparthie vor, morgen Abend käme er zurück. Da war sie wieder sehr unglücklich.
Die zwei Tage vergingen, und am Abend des letzten spazierte Ellen zum ersten Male im Freien, so taumelnd, dass sie unmöglich glaubte, morgen schon wieder im Sattel sitzen zu können. Sehnsüchtig und traurig blickte sie nach Norden, wohin Starke entschwunden war, doch fand ihre Sehnsucht bald eine andere Richtung.
Zwei Cowboys hatten einige Fische gefangen und brauten extra für sich in einem Kessel ein wunderliches Ragout zusammen von diesen Fischen, getrocknetem Hirschfleisch, in Stücke zerhacktem Geflügel, Mehl und Zwiebeln, einer in der Prairie wildwachsenden Tulpenart angehörend.
Die beiden Köche wurden von ihrem Führer abgerufen, Ellen hatte sie beobachtet; der Inhalt des Kessels kochte über, es that ihr leid, wenn das Essen anbrannte, sie trat heran, rührte mit dem Holzlöffel um, kostete einmal ...
Erst nach einer Viertelstunde konnten die Abgerufenen nach ihrem Feuer, welches sie hinter dem Zelt gemacht hatten, zurückkehren, der Kessel hing darüber – aber vollständig leer. Das Staunen und der Zorn waren nicht gering. Der zur Rechenschaft gezogene Hassan verschmähte verächtlich jede Antwort, und als man ihn nachdrücklicher befragen wollte, wurde er unangenehm. Die Dame, welche, die Hände auf dem Rücken, am Stromufer auf und ab ging, konnte auch keine Auskunft geben, und die Cowboys waren alle um den Führer versammelt gewesen, ebenso Sir Munro und sein Diener.
Das Räthsel, wohin das Tulpenragout gekommen, wurde nie gelöst. Ellen berichtete über diesen Vorfall auch gar nicht in ihrem Tagebuche – sie mochte sich ein bischen schämen.
»Wollen Sie jetzt speisen?« wurde sie kurze Zeit darauf von Sir Munro gefragt. »Ich habe für ein reichhaltiges Abendbrod gesorgt.«
»Ach ja, ich habe ausserordentlichen Hunger,« entgegnete sie freudig.
Während sie ass, wurde sie einmal heimlich von zwei Cowboys beobachtet.
»Sie kann es doch nicht gewesen sein, sie isst ja wie zwei verhungerte Männer,« lautete das Urtheil der Sachverständigen.
Nach dem Essen empfand Ellen plötzliche Lust, doch einmal ihr Rad zu besteigen. Das Ross hatte schon zu lange im Stalle gestanden.
»Wo ist denn die Rennmaschine des Reporters?«
»Er hat sie auf Starke's Zureden mit in's Lager der Yanktoanons genommen, wozu, weiss ich auch nicht, hat sie vor sich auf dem Pferde gehabt.«
Als Ellen sich anschickte, auf das reparirte Rad zu steigen, hatte sie, obgleich sie heimlich vor sich hin lächelte, Angst, sie würde trotz der sicheren Unterstützung gleich wieder durchbrechen, sie fühlte sich so ungemein schwer. Aber der Rahmen hielt, und es ging besser, als sie für möglich gehalten hätte, immer länger dehnte sie die Probefahrt aus, am allerliebsten hätte sie die Reise gleich noch in der Nacht fortgesetzt. Schon jetzt fühlte sie sich wie neugeboren.
Doch Starke war ja noch nicht zurück. Seufzend suchte sie spät in der Nacht ihr Lager unter dem Zeltdache auf, diesmal aber so wie sonst immer vollständig gekleidet und gestiefelt.
Welche Ueberraschung aber wartete ihrer beim Erwachen!
»Es ist schon sechs Uhr, der Thee ist fertig,« sagte eine wohlbekannte Stimme, und sie wurde leicht an der Schulter gerüttelt.
Schlaftrunken richtete sich Ellen auf, rieb sich die Augen, schaute um sich, rieb sich nochmals die Augen, wieder der verwirrte Blick ... War denn das Wirklichkeit? Nein, ganz gewiss, sie träumte noch.
Denn sie hatte sich doch unter einem Zelt niedergelegt gehabt, auf einem von vielen Decken ganz hübsch weich gemachten Bett. Und nun? Nun lag sie im Grase, in ihre Gummidecke eingehüllt, als Kopfkissen ihren Tornister, verschwunden Cowboys und Pferde – und dass neben ihr Starke über einem Feuerchen in einem kleinen Kessel Thee bereitete, wie damals am Morgen nach dem Bärenabenteuer, das gehörte nur zu ihrem Traume.
»Heute Nacht um zwei Uhr traf ich ein,« fuhr die Traumgestalt im gelben Lederanzuge fort, während sie die Theeblätter auf das kochende Wasser schüttete, alles mit wunderbarer Deutlichkeit, »habe die Reiter gleich fortgeschickt, dass sie wieder genügend Vorsprung gewinnen. Auch unser Mr. Schade schloss sich ihnen an, musste es, per Pferd, hatte keine Maschine mehr. Den hatte ich nämlich überredet, in das Indianerlager, welches er als Berichterstatter inspiciren wollte, seine Maschine mitzunehmen, und dort ist er sie denn auch glücklich losgeworden. Biberzahn, der Häuptling der Yanktoanons, fand Wohlgefallen an dem Zauberdinge, bot ihm als Gegengeschenk eines seiner besten Pferde an, und der Wunsch eines Prairiefürsten ist erst recht Befehl. Dass der Reporter nicht daran denken konnte, uns auf dem Pferde zu begleiten, wusste ich ihm auch begreiflich zu machen. So sind wir ihn los – und der Thee wartet auf Sie.«
Nein, so deutlich kann man denn doch nicht träumen!
»Ja – aber – Starke – wie komme ich denn – wo ist denn mein Bett?!«
»Sie schliefen sehr fest. Das Zelt wurde über Ihnen abgebrochen, ich zog unter Ihnen die Decken hervor, wickelte Sie in Ihren Gummimantel, bettete Sie wie sonst. Ich habe Sie heute zwei Stunden länger schlafen lassen.«
Ellen war aufgesprungen. Ihr Lachen wollte nicht enden.
Starke war nicht einmal eines Lächelns fähig.
»Ich calculire, Sie sind nicht mehr fieberkrank,« sagte er dagegen mit einer unnachahmlichen Trockenheit, begleitet von einem Blicke, dass Ellen's erneutes Gelächter die weite Prairie erfüllte.