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9. Capitel.
Die Reise wird gefährlich.

Der immer mehr abfallende Weg, schon seit längerer Zeit chaussirt und mit Abzugsgräben versehen, senkte sich in das Thal hinab, durch welches sich ein silberglänzender Fluss schlängelte. Ueberall wogende Felder, zur zweiten Ernte bereit, grüne Triften mit zahlreichen Heerden, von schmalen Canälen künstlich bewässert; auf den Höhen Wälder, an den Abhängen Weinberge, und im Grunde eine Ansiedlung, mehr ausgebreitet als aus vielen Häusern bestehend, denn jedes der netten Bauernhäuschen wurde vom andern durch einen grossen Garten getrennt.

»Das ist das Jordansthal. Ein gesegnetes Fleckchen Erde. Doch wäre es eine Wüste gewesen, der Fleiss der Herrnhuter hätte schliesslich doch ein Paradies daraus gemacht, ein wirkliches Paradies; denn hier giebt es keine Armuth und keinen Reichthum; Alles ist Gemeingut, das unter Alle gleich vertheilt wird, hier herrschen Liebe und Frieden.«

Die in der Nähe des Weges beschäftigten Feldarbeiter wünschten den beiden flinken Wanderern einen freundlichen guten Nachmittag, und was Ellen schon jetzt zu bemerken glaubte, wurde ihr zur Gewissheit, als sie die lange Häuserreihe entlang fuhren. Hier zeigten sich fast nur Frauen und Kinder, und an diesen allen nahm Ellen ganz bestimmt ein herzliches, aber auch bedeutsames Lächeln wahr, wie sie die Fremden grüssten. Noch hatte sie keine Ahnung, woher das kommen könnte.

»Wir sind am Ziele,« sagte Starke, den Lauf mässigend und abspringend.

Es war ein so freundliches Häuschen wie alle anderen, zu beiden Seiten mit Weinlaub übersponnen, und hinten grosse Gärten mit Blumenbeeten, Obstbäumen und Gemüsezucht. In dem rechten Seitengarten befand sich auch der Eingang, unter Bäumen standen Tische und Bänke.

»Ist dies das Gasthaus?«

»Eigentlich unterhalten die Herrnhuter Fremdenherbergen, aber nicht hier in Amerika; hier freut sich jedes Haus, einen Gastfreund bewirthen zu können.«

Sie hatten die Räder an die Bänke gelehnt, Ellen war, als niemand erschien, an eines der offenen Fenster getreten und blickte in das Zimmer.

»Ach, was ist denn das?!« rief sie erstaunt.

»Nichts weiter als eine deutsche Wohnungseinrichtung,« erklärte Starke.

Ein Sopha mit drei Lehnen, eine mit Blumen buntbemalte Truhe, ein Glasschrank mit Porzellansachen, ein Kachelofen – in ihrem ganzen Leben hatte Ellen so etwas nicht gesehen, und trotzdem die Holzdielen mit weissem Sand bestreut waren – eine Sonderbarkeit, die sie nie begriff – es machte doch Alles einen überaus sauberen, behaglichen Eindruck; als nun aber gar eine Kuckucksuhr die sechste Stunde verkündete, wobei sogar ein Vogel aus dem Gehäuse kam, da war die vornehme Londonerin vor Staunen selbst ganz aus dem Häuschen. Das musste ja ein unbezahlbares Kunstwerk sein!

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Ein junges Weib, welches aus der Hausthür trat, machte ihrem Staunen ein Ende. Ellen hatte eben nur gesehen, dass jene, Frau oder Mädchen, die blossen Arme bis an die Ellenbogen in Mehl getaucht haben musste, als die Erscheinung schon wieder mit einem Schreckensrufe verschwunden war.

»Mutter, Mutter, der Curt Starke ist schon wieder da!« schallte es durch das ganze Haus, das »schon wieder« möglichst betont.

»Sind Sie denn bekannt hier?« fragte Ellen verwundert.

»Es ist doch mein alter Weg, den wir nehmen, und zu meinen Sammlungen gehört auch die von Freundschaften.«

Nach wenigen Minuten tauchte aus derselben Thür eine ältliche Frau in Herrnhuter Tracht auf.

»Was, der Curt Starke? Du bist schon wieder da?!« rief auch sie, die Hände noch an der Schürze abwischend, um ihm eine davon zu geben, und dabei strahlte ihr runzliges Pfirsichgesicht vor Seligkeit. »Du fährst doch nicht schon wieder um die Erde?«

»Ganz genau denselben Weg wieder herum,« entgegnete Starke, mit demselben Gleichmuth wie immer, wenn er auch die Hand etwas schüttelte.

»Schon wieder so herum?« liess sich die junge, hübsche Frau vernehmen, welche jetzt mit reinen Armen, und auf diesen ein kleines Kind, hinter der Mutter stand. »So wieder links herum? Herrje, wirst Du denn da gar nicht drehend im Kopfe?«

»Das nächste Mal fahre ich anders herum, dann gleicht es sich wieder aus.«

Ellen hätte sich bei dieser ländlichen Scene köstlich amüsirt, wenn sie nicht eine für sie unangenehme Wendung genommen. Die Alte hatte erst jetzt die Radfahrerin bemerkt.

»Und der Junge ... nanu, das ist ja ein Frauenzimmer mit Hosen!«

»Das ist eine Dame,« sagte Starke, und die Alte, welche vielleicht auch von hinten einen Puff bekommen mochte, floh schamroth in's Haus zurück.

Starke aber trat auf das junge Weib zu und griff dem Kinde unter das Kinn.

»Also hatte ich doch Recht,« meinte er dabei, »ein hübscher Junge – ganz wie der Vater, ganz wie Johannes.«

»Was – wie – Woher weisst Du denn – wer hat es Dir schon gesagt?« stotterte die vor Glück und Verwunderung purpurroth werdende Mutter.

»Niemand. Ich habe Euch doch schon vor zwei Jahren bewiesen, dass ich Alles weiss, und ich habe gar scharfe Augen. Du konntest mir sagen, was Du wolltest, ich wusste es doch, dass Ihr Euch heirathen würdet. Wie heisst er denn?«

»Du bist ein schrecklicher Mensch!« schmollte sie. »Johannes Curt – aber Curt ist sein Hauptname – natürlich nach Dir,« beeilte sie sich hinzuzusetzen.

»Und ich habe ihm gleich sein Pathengeschenk mitgebracht. Nun zeige der Dame, wo sie sich waschen kann, und ich will auf der Post nachsehen, ob das Packet für den kleinen Curt angekommen ist. – Nur einige Minuten, Miss Howard, der Hund bleibt hier.«

Zurückgesetzt hätte sich die seitwärts stehende Ellen nicht fühlen können, die Unterhaltung hatte ja kaum eine Minute gedauert, und doch stiegen recht unangenehme Empfindungen in ihr auf, undefinirbar, als sie der jungen Frau in ein freundliches Schlafzimmer folgte, wo schon alles zum Waschen Nöthige bereit lag.

Als sie den Garten wieder betrat, kam auch Starke von der Strasse herein, ein grosses, flaches Packet unter dem Arm. Auf seinen Ruf versammelten sich die beiden Frauen mit dem Kinde an den Tisch mit dem geheimnissvollen Packet.

»Nun, wie heisst das?«

»Mister Johannes Curt Decker – das Curt unterstrichen – Colonie Jordansthal, Ohio, U. S. – abgeschickt von Curt Starke, Jerusalem«, lasen die beiden Frauen gewissenhaft vor, und Ellen sah auch noch die türkische Briefmarke mit dem Stempel von Jerusalem.

Nur die Spannung liess das Staunen nicht zu – und selbst Ellen ahnte hier ein Räthsel – weil Starke jetzt in seiner bedächtigen Weise die vielen Bindfäden zu lösen und das Packpapier abzuschälen begann.

Ein Oelgemälde kam zum Vorschein, eine Hügellandschaft darstellend, von Pilgern, Beduinen und Kameelen belebt, von einem polirten Rahmen eingefasst.

»Das ist der heilige Oelberg,« erklärte Starke, »von mir selbst gemalt in Jerusalem, und dieser Rahmen ist Cedernholz vom Libanon, von mir selbst geschnitzt und polirt, und meinem Pathen direct von Jerusalem zugeschickt. Da ist die Briefmarke mit dem Stempel.«

Die beiden Herrnhuter Frauen waren – man kann es gar nicht besser ausdrücken – einfach weg. Die Alte fing an zu beten, die Junge zu weinen, das Kind zu schreien, und Ellen blickte abwechselnd das Bild und das bewegungslose Gesicht von Starke an. Ein Räthsel lag hier unbedingt vor.

»Na, gefällt's Euch?«

»Ach lieber Gott, dass Du mich auf meine alten Tage noch einmal den heiligen Oelberg sehen lässt,« betete die Grossmutter, »und Curt hat ihn selber gemacht!«

»Nein, ach nein, das können wir ja gar nicht annehmen,« meinte die junge Mutter.

»Nehmt es in die gute Stube, wascht es nicht mit Seife, Sand und Soda ab und gebt uns etwas zu essen dafür. Was habt Ihr da?«

»Sau – Sau – Sau ...« schluchzte die junge Frau.

»Sauerfleisch? Da mache ich mir nicht viel draus.«

»Nein – Schweins – Schweins ...«

»Schweinsknochen?«

»Ja,« weinte und schluchzte die vor Glück Gerührte, »Schweinsknochen mit Sau – Sauerkraut und Klö – hössen.«

»Schweinsknochen mit Sauerkraut und Klö – hössen,« wiederholte Starke. »O heiliger Oelberg! Da könnte man wirklich vor Seligkeit an zu weinen fangen. Jetzt nehmt Euer Bild unter'n Arm und macht, dass Ihr fortkommt.«

Als dies geschehen war, da konnte sich Ellen nicht mehr halten, sie lachte, dass auch ihr die Thränen über die Wangen rannen.

»Das war ja gottvoll!« wandte sie sich an Starke, die Augen wischend. »An Ihnen ist ja ein Komiker verloren gegangen! Und zur Komik, wenn sie wirken soll, gehört auch der Ernst. Nun sagen Sie mir aber in aller Welt, wie haben Sie das mit dem Bilde eigentlich angefangen? Hier ist ein dunkler Punkt dabei, und ich weiss noch nicht einmal, was das für ein dunkler Punkt ist. Wie alt ist denn das Kind, dem Sie als Pathengeschenk das von Ihnen selbst gemalte Bild aus Jerusalem geschickt haben?«

»Noch keine vier Monate,« erwiderte Starke, sich setzend. »Ich will Ihnen die Erklärung geben, Sie werden den guten Leutchen ihre Freude nicht verderben. Dieses Bild habe ich vor fünf Jahren wirklich am Oelberg gemalt ...«

»Wahrhaftig?! Dann sind Sie ja ein gottbegnadeter Künstler!«

»Nicht doch. Ich habe einiges Talent, habe Fleiss darauf verwandt, aber einem Kennerblick hält es nicht Stand. Das Beste daran ist der Rahmen, wirklich von Cedern des Libanon. Ich schickte es also damals nach London, wo ich meine Raritäten-Niederlage habe, und wie ich nun von Sir Munro engagirt wurde, dachte ich gleich an die Herrnhuter Familie hier, bei welcher ich das letzte Mal zwei eingeregnete Tage verbrachte. Der Oelberg. Am Oelberg gemalt! Und Cedern vom Libanon! Und nun, dachte ich, sollte es eigentlich noch direct von Jerusalem kommen! Diesen Anschein zu geben war ja nicht schwer. Einige Marken aus Jerusalem hatte ich, ich machte das Packet fertig, die Marken darauf, präparirte sonst Alles – nur die Adresse liess ich offen, falls sich hier etwas geändert hätte. Dieses Packet papierte ich noch einmal ein und schickte es an meinen Namen postlagernd hierher, schrieb zugleich an den mich kennenden Postbeamten einen freundlichen Brief, theilte ihm Alles mit, er möchte reinen Mund halten. Vorher habe ich das Packet abgeholt, das inwendige herausgenommen, und da ich hörte, dass der kleine Junge meinen Namen mir zu Ehren erhalten habe, einfach dessen Namen daraufgesetzt. Das ist die ganze Erklärung, und was ich mit der harmlosen Täuschung für eine Freude angerichtet habe, das sahen Sie vorhin, und dass die Marken einen ganz alten Stempel tragen, merken die niemals, habe sie auch etwas unkenntlich gemacht.«

Ellen musste nur immer den Kopf schütteln.

»Da weiss man nicht, ob man mehr über diese Schalkhaftigkeit oder über dieses Raffinement staunen soll, und dies Alles bei solch einem tiefernsten Gesicht! Ich glaube, das ist bei Ihnen nur Verstellung.«

»Es ist bei mir nur äusserliche Natur. Sonst habe ich einen recht heiteren Charakter,« lautete seine Antwort.

Schon war ihr eine andere Frage eingefallen, welche eng zusammenhing mit jenen unangenehmen Empfindungen, die noch immer nicht von ihrer Brust weichen wollten.

»Sie scheinen hier recht familiär zu sein,« sagte sie lächelnd, aber es war erkünstelt. »Haben Sie sich denn in den zwei Regentagen gar so gut amüsirt?«

»Mich amüsirt? Ich habe sie amüsirt. Ich konnte mich doch nicht lesend oder schreibend in eine Ecke setzen, wenn sie mich gastlich aufnehmen, da habe ich ihnen Räthsel zu lösen gegeben, ein unschuldiges Gesellschaftsspielchen arrangirt, habe Kreiseziehen mit ihnen gemacht, ein deutsches Spiel, wobei man durch Fragen auf Ja oder Nein Alles erräth, habe die junge Frau, damals ein Mädchen, mit ihrem Schatze etwas geneckt – na, das war ja so etwas für diese Leute, so etwas hatten sie noch gar nicht erlebt, ich war in ihren Augen allwissend und ein furchtbarer Löwe, war ja sogar in Jerusalem gewesen. Zwei Tage hält man es schon unter ihnen aus, man muss die Menschen nur nehmen, wie sie sind, und nicht, wie man sie haben möchte. Etwas zu pietistisch, etwas beschränkt, aber ihre Beschränktheit entspringt einem kindlich reinen Herzen, und im Uebrigen sind es, wenn ich auch nicht dauernd unter ihnen leben möchte, in meinen Augen hochehrenwerthe Leute. – Entschuldigen Sie einen Augenblick.«

Er ging in das Haus, und plötzlich fiel von Ellen's Herz die Last, von deren Beschaffenheit sie sich noch immer keine Rechenschaft geben konnte – oder wollte.

»Jetzt erst ist der Dank erfolgt,« sagte Starke, als er nach einigen Minuten mit gewaschenem Gesicht wiederkam, »jetzt weint die Alte, lacht die Mutter und das Kind schreit immer noch. Ich habe sie zur Eile mit dem Essen angetrieben, denn ich wollte, Sie ... ja, essen Sie denn auch Schweinsknochen und Sauerkraut? Sie dürften dieses berühmte Gericht noch nicht einmal dem Namen nach kennen.«

»Ich liebe deutsches Sauerkraut, ich schwärme für deutsches Sauerkraut – besonders, weil ich es noch nie gegessen habe,« lachte Ellen.

»Ah, ich sehe, Sie haben den buckligen Taquinet von Paul de Kock gelesen. Da werde ich Ihnen dann bei den Klössen ein Geschichtchen erzählen, ich habe einst einen ähnlichen klassischen Ausspruch gethan.«

Die junge Frau deckte zwei der kleinen Tische, Ellen beobachtete es, und wie Teller, Besteck und alles Dazugehörige geordnet war, konnte sie nicht mehr im Zweifel sein, dass hier nur für zwei Personen und an zwei verschiedenen Tischen gedeckt worden war. Sie wartete, bis sich jene wieder entfernt hatte.

»Was ist das?« wandte sie sich an Starke. »Weiss die Frau nicht, dass wir zusammengehören?«

Bei derartigen Fragen gebrauchte Starke nie viel Worte, thuend, als ob er nicht gleich richtig verstände, was viele Leute so lieben.

»Ich gab ihr die Weisung, an zwei Tischen zu serviren, so wie es bisher gewesen ist.«

Mit Ellen ging eine Veränderung vor sich; ihre Lippen zuckten, als sie flüsterte:

»Oh, Mr. Starke, Sie können aber auch kränkend werden! Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet!«

»Von einer absichtlichen Kränkung kann bei mir nicht die Rede sein. Ich betrachte mich als Ihren Diener.«

»Nein, Sie sind mein Diener nicht!!« rief Ellen, jetzt schon wieder mit geröthetem Antlitz und mit zornblitzenden Augen, als sie das eine Service auf den anderen Tisch deckte. »Und wenn Sie mir verziehen haben, werden Sie Derartiges nie wieder thun oder sprechen.«

Dann, als das Essen kam, welches im Auslande vielfach als das tägliche Nationalgericht des Deutschen gilt – und wer z. B. einmal eine Leipziger Zeitung in die Hände bekommt, muss es auch glauben – hatte Ellen den kleinen Zwischenfall wieder vergessen, die rothen, salzigen Fleischknollen, das komische Kraut und besonders die Kanonenkugeln aus Mehl und Kartoffeln machten ihr grossen »Spass«; Starke gab Erklärungen, er versorgte seinen Hund besonders aus der Küche, und dann fragte Ellen, was er ihr bei den Klössen für eine Geschichte habe erzählen wollen.

»Der bucklige Taquinet schwärmt immer für Sauerkraut, besonders weil er noch keins gegessen hat, und in der beständigen Wiederholung dieser Phrase liegt grosser Witz, der an Mark Twain erinnert. Wenn wir Paul de Kock jetzt läppisch finden, so kommt das nur daher, dass wir nicht mehr Kinder seiner Zeit sind. Ueber die jetzt albernen Wortverdrehungen eines Fischart mag man sich im 16. Jahrhundert auch todt gelacht haben. – Meine Geschichte ist ohne Bedeutung. Ich war ein zehnjähriger Junge, als eines Tages der gestrenge Herr Pastor, übrigens ein sehr jovialer Mann, in eigener Person unserem Schulunterricht beiwohnte. Zum Schlusse fragte er jeden von uns Jungen – daraus ersehen Sie schon, dass es kein gewöhnlicher Kirchentyrann war – was er denn später einmal werden wolle. Der eine wollte Schuster, der zweite Schneider, der dritte Todtengräber werden, der vierte sah die Befriedigung seines Ehrgeizes im Anzünden der Strassenlaternen, u. s. w. Wie ich nun daran kam, was ich dereinst werden wolle, antwortete ich prompt und einfach: reich. Warum ich reich werden wolle? Damit ich immer Klösse essen könne. Nun, Seine Hochwürden holte mich weiter aus und erfuhr, dass ich zwar noch keine Klösse gegessen, wohl aber, durch das Fenster auf seinem, des Pastors Tische, eine grosse Schüssel mit dampfenden Kartoffelklössen gesehen hatte, und das hatte mir so imponirt, dass ich beschloss, Millionär zu werden, um dereinst meine Millionen in Kartoffelklösse umzusetzen. Wirklich, dieser Mann war kein gewöhnlicher Sterblicher – am anderen Tage machte Frau Pastor Kartoffelklösse, und ich, der ich nicht einmal ein Paar Stiefel mein eigen nannte, war zu Tisch eingeladen. Von dieser Zeit an wagte mich der Schulmeister nicht einmal mehr zu hauen. Wissen Sie, wieviel ich gegessen habe? Vierzehn Stück, von diesem Kaliber. Ich hätte noch mehr gegessen, aber es waren keine mehr da. Die Geschichte ist noch nicht alle. Jetzt, gleich nach dem Essen, soll ich mit den Pastorskindern etwas im Garten spielen. Im Garten steht ein Reck, die Kinder wussten ja, was ich konnte, sie fordern mich auf, rufen den Vater an's Fenster, und dieser sieht, wie ich sechs Dutzend Mal die sogenannte Bauchwelle mache, mit den vierzehn Klössen im Magen. Wie ich damit fertig bin, steht der Pastor vor mir, sieht mich lange an, dann legt er mir die Hand aufs Haupt und sagt kopfschüttelnd und feierlich: Curt, Curt, aus dir wird noch einmal ein grosser Mann! – Und er hat Recht gehabt: lang genug bin ich ja geworden.«

Ellen schüttete sich vor Lachen aus, während der ernste Mann das Glas mit dem rothen Landwein gegen die noch immer hochstehende Sonne hob und es langsam austrank.

»Dieser alte Dorfpastor ist der einzige helle Lichtstrahl in der Erinnerung an meine Jugend«, sagte er dann nach einer Pause, »und er ist auch der Einzige gewesen, welcher mich richtig verstanden hat.«

»Sie waren ein sehr kluges Kind?«

»Ganz im Gegentheil, ich war immer der Allerdümmste in der Schule. Das heisst, aufgeweckt mag ich wohl gewesen sein, aber ich war furchtbar faul. Was bedeutet auch ein sogenanntes Wunderkind? In meiner Klasse war solch ein Junge, was er las, konnte er auswendig, schon damals wirklich ein Wunder von Gelehrsamkeit. Er fand seinen Protector, kam auf bessere Schule, Gymnasium, Universität, jetzt ist er schon Professor – – wie es hunderte giebt. Lassen Sie mich schweigen, es würde zu weit führen. Wenn es auf das Gedächtniss ankäme, müsste jeder spanischer Creole ein Genie sein. Nein, nein, es kommt im Leben auf etwas ganz Anderes an, am allerwenigsten auf die Schulcensur, und wenn Jemand wirklich etwas Bedeutendes in sich hat, so findet ihn sein Genius auch auf der Schusterbank.«

»Was meinten Sie denn damit, als Sie sagten, allein jener Pastor hätte Sie verstanden?«

»Weil ich für alle Anderen ein kleines Scheusal war. Es lässt sich schwer ausdrücken. Denn ich war es ja auch: unbändig, störrisch, faul und – stolz. Ja, das war es vielleicht. Von den aristokratischen Jagden im Grunewalde haben Sie wohl schon gehört. Das Dorf Nowawes stellt die sogenannten Parforceläufer, das sind Jungen, welche, mit allen Wegen und Schlichen des Waldes vertraut, der wilden Jagd zur Seite bleiben und im Augenblicke zur Stelle sein müssen, um den abspringenden Rothfräcken beim Halali die Pferde zu halten. Die barfüssigen Jungen tragen auch rothe Uniformen, und ich, der schnellste Läufer und den ganzen Grunewald wie meine zerrissene Hosentasche kennend, war nicht in diese rothe Uniform zu bekommen, liess mir die schönen Trinkgelder entgehen. Das musste ja für jene Leutchen unbegreiflich sein. Auch nicht etwa, dass ich zu stolz gewesen wäre, den aristokratischen Herren die Pferde zu halten, nein, ich diene noch jetzt – nein, ich hielt mir die Ohren zu, um die Jagdhörner und das Hundegeläute nicht zu hören, und ich hörte es doch – jetzt hat die Meute den Schwarzkittel gestellt, jetzt wird er abgefangen – und ich knirschte mit den Zähnen und weinte vor Zorn und Schmerz – und dann später wurde ich zum unsichtbaren, bösen Dämon der Jagd, oft genug habe ich die Hunde verbellt und manch' edles Wild gerettet. Das war meine Lust.«

»O ja, ich verstehe Sie.«

»Sie sind aber auch nicht aus Nowawes. Einmal passirte so etwas in der Schule. Fünfzig Jungen und Mädchen in einer Klasse, noch dazu in Nowawes – wir bildeten natürlich eine schöne Bande. Eines Tages flog dem Lehrer der nasse Schwamm an den Kopf. Wer hat's gethan? Dumme Frage. Der Pastor kam, redete uns mildreich in's Gewissen, der Betreffende sollte nicht einmal Strafe haben, zuletzt griff er uns donnernd an der Ehre an – ebenso dumm; der Betreffende, den wir alle kannten, meldete sich nicht, und verrathen gab's bei uns natürlich auch nicht. »Pfui, Jungens wollt ihr sein? Feige Wichte seid ihr!« Da hielt ich's nicht mehr aus, zugleich kam mir ein grandioser Gedanke, ich stand auf; ich bin's gewesen. Ob nun des Pastors Versprechen nicht mehr galt oder der Lehrer auf eigene Faust prügelte, jedenfalls prügelte er mich mörderlich, und das acht Tage lang jeden Morgen und Mittag öffentlich vor der ganzen Klasse ...«

»Und alle fünfzig haben ruhig zugesehen?« unterbrach ihn Ellen staunend.

»Diese Frage beweist mir, dass Sie nicht aus der Gegend von Nowawes sind. Jemand anders hätte vielleicht gefragt: und Sie haben das ruhig ertragen, nichts gethan, dass sich der Betreffende noch anzeigt? – Nein, er sah wie die Anderen ruhig zu, und wenn ich mich nun in eine Ecke verkroch und heulte, so weinte ich nur über die Jämmerlichkeit dieses Menschen. Und ich habe ihn bezwungen! Endlich kam er doch! Na, Sie können sich wohl ungefähr vorstellen, für was ich gehalten wurde – oder Sie können es vielmehr nicht, weil Sie nicht aus Nowawes sind. Für meine Kameraden war ich schon während der acht Prügeltage ein unfassbares Etwas gewesen; der Herr Magister zog die Brauen hoch, wodurch er ein schrecklich dummes Aussehen bekam, nannte mich einen Esel und einen Mucker; auch der Pastor liess mich vor sich kommen, fragte aber nicht, sagte nichts, sah mich nur lange an, und dann gab er mir so heimlich zu verstehen, ich hätte einen Ablassbrief, falls etwas passiren sollte. Das führte ich denn auch gründlich aus. Das heisst, nicht etwa Rache trieb mich dazu. »Seht,« sagte ich ungefähr, nur damals mit etwas anderen Worten, »das war brav von Euch, dass Ihr den Gustav nicht verrathen habt; aber was dem Einen recht ist, ist dem Anderen billig, ich will keinen Vorzug vor Euch haben, nun sollt Ihr die Süssigkeit des Märtyrerthums auch kosten.« Sprach's und gab Einem nach dem Anderen das in den acht Tagen angehäufte Kapital mit Zinsen zurück und die Mädels band ich wie weiland der Pfaffe Ilse alle mit den Zöpfen zusammen. Nur den Schuldigen liess ich in Ruhe. Von da an war ich der erklärte Liebling des Pastors, und dass damals nicht der ununterdrückbare Keim zum Menschenhass in mein Herz gelegt wurde, habe ich nur ihm zu verdanken. Leider starb er, mich erwischte ein Förster beim edlen Waidwerk, und da zog ich vor, vom schönen Nowawes auszuwandern.«

Starke erzählte noch mehr aus seiner Jugend, von seiner Wanderschaft als zwölfjähriger Junge nach Hamburg, wie er sich im Schiff versteckte und dann zum Vorschein kam, Alles in solch' einer humoristisch-trockenen Weise, dass sich Ellen den vor Lachen schmerzenden Kopf hielt.

Die junge Frau Decker kam, um abzuräumen. Wie sie das Letzte forttragen wollte, beugte sie sich zu Starke hinab und flüsterte ihm ungenirt längere Zeit in's Ohr, dabei auch noch nach der erröthenden Ellen blickend.

»Nein – – nein,« hatte Starke mehrmals gesagt, und dann, als das Flüstern fertig war, setzte er ebenso laut hinzu: »Nein, Mariechen, Miss Howard ist nicht meine Frau, und verlobt sind wir auch nicht.«

»Du bist ein schrecklicher Mensch!« zürnte Frau Mariechen, als sie in's Haus floh.

»Nehmen Sie es nicht für ungut, und eine kleine Lection habe ich ihr ja gegeben,« entschuldigte sie Starke. »Wenn diese Leute nicht fühlen, dass es unschicklich ist, in Gegenwart eines Anderen Jemandem in's Ohr zu flüstern, so sagen sie doch auch Niemandem etwas Schlechtes nach.«

Schnell hatte Ellen ihre Verwirrung überwunden. Jetzt war eine schon längst erwartete Gelegenheit vorhanden. Nun war sie es, welche zunächst das Weinglas gegen das Licht hob.

»Das hat eine Frage angeregt,« begann sie dann, das Glas, ohne getrunken zu haben, wieder hinsetzend, »verzeihen auch Sie mir, als einem neugierigen Weibe, und Ihre Offenheit wirkt ansteckend. Haben Sie schon einmal geliebt?«

Fest sah sie dabei Starke an, und dessen Antwort kam sofort.

»Gewiss.«

»Ach!««

Diese beiden Worte sind nur dramatisch wiederzugeben. Beim Lesen eines Theaterstückes liest Jemand vielleicht über das Wörtchen »Ach« so ganz gleichgültig hinweg. Und wenn dieses selbe »Ach« eine Sarah Bernhard auf der Bühne wiederholt, so liegt eine ganze Welt von Schmerz darin – und dann wälzt sie sich in Zuckungen am Boden.

Ellen wälzte sich nicht in Zuckungen am Boden, legte auch keine ganze Welt des Schmerzes hinein – es klang nur etwas enttäuscht.

»Ich war verheirathet.«

»Ach!«

Wieder ein anderer Tonfall, wieder eine Pause.

»Mit einer Italienerin. Aber hier in Nordamerika.«

»Ach! Nicht möglich!!«

Starke blickte nur ruhig auf.

»Aber warum soll das nicht möglich sein?«

»Weil – weil – oh pardon,« stotterte Ellen, purpurroth werdend.

»Sie haben ganz Recht. Wer mich jetzt kennt, kann sich mich schlecht als Ehemann vorstellen.«

Nun war Ellen einmal im Fahrwasser, sie wollte mehr erfahren.

»Eine unglückliche Ehe?«

»Eine sehr, sehr glückliche. Doch nur wenige Wochen währte das Glück.«

»Dann ist Ihre Frau gestorben?« fragte Ellen theilnahmsvoll.

»Ich – habe sie aus Versehen erschossen.«

Er stand auf und ging, in das Haus.

Und wie vom Donner gerührt, sass Ellen da. Wie ein Donnerschlag hatte es sie getroffen. Nach der erst so humoristischen Unterhaltung dieses Geständnis, so plötzlich hervorgebracht, mit solch' eiserner Ruhe wie sonst, aber wie er plötzlich aufstand und davonging – es war von einer furchtbaren Wirkung.

Und plötzlich wusste sie auch, woher dieser eherne Ernst stammte. Er hatte sie sehr, sehr geliebt – und hatte sie aus Versehen erschossen – und damals hatte er sich ausgeweint, nun hatte er keine Thränen, aber auch kein Lächeln mehr.

Doch da kam er schon wieder zurück. Er hatte – ach wie nüchtern – nur noch eine Flasche Wein geholt.

»Das Gewehr ging mir los,« sagte er, als er die Flasche entkorkte, »es war nicht einmal meine Schuld, dass es geladen war; ich wurde auch freigesprochen. Bitte, sprechen Sie nicht mehr davon. Ich habe damals – der Kork sitzt bald selbst für mich zu fest darin – viel durchgemacht. Es sind schon dreizehn Jahre her.«

Er sagte es so gleichmüthig wie immer, dazu die profane Beschäftigung, er riss am Korkzieher, drehte daran – und dennoch, Ellen wurde nicht irre gemacht, hier hatte sie den Schlüssel zu dem räthselhaften Charakter dieses Mannes bekommen.

Die Flasche war auf, er schenkte ein und setzte sich.

»Ich habe überhaupt Unglück mit der Liebe,« fuhr er fort. »Einmal jenes. Dann hatte ich einen guten Freund, er heirathete, und da kannte er mich nicht mehr, verleugnete mich. Ich fand einen anderen Freund, in dessenTreue ich mich nicht irrte, und am nächsten Tage, da wir uns gefunden, starb er in meinen Armen. Einmal liebte ich ein Mädchen, wie meine Schwester oder wie meine Tochter, es ist noch gar nicht so lange her; ich sorgte für ihre Erziehung, und sie täuschte mein Vertrauen, entfloh mit einem Abenteurer und sank zurück in den Sumpf, aus dem ich sie gehoben. Nein, ich habe kein Glück mit der Liebe. – Oh, Miss Howard, warum weinen Sie denn!«

Ob es diese Worte waren, oder ob erst jetzt die nachträgliche Reaction von jener Offenbarung kam – Ellen brach plötzlich in Thränen aus.

»Ach, Sie Aermster!« schluchzte sie. »So stehen Sie ganz allein in der Welt? Ohne Liebe, sogar ohne Freunde!«

»Bitte, hören Sie doch auf zu weinen, ich kann es bei einer Frau nicht sehen. Erstens ginge es mir dann nur wie Tausenden – nein, ich will gleich sagen: wie Millionen von anderen Menschen. Sie mögen glauben, Freunde zu haben, aber in Wirklichkeit sind es doch keine, oder man soll sie nur fragen, ob sie mit der Hand auf dem Herzen versichern können, einen treuen Freund zu haben, der sie mehr liebt als sich selbst. Das ist die Freundschaft, das ist die wahre Liebe, welche auch in der Ehe bestehen müsste. Man findet sie heutzutage sehr selten. Das Wort Liebe ist heutzutage zu einem ganz anderen Begriffe verzerrt worden. Zweitens bin ich nicht zu bedauern, denn ich bin glücklich. Ich liebe die ganze Welt, mein ist die Erde, mein ist die Sonne, und wenn Schnee die Erde bedeckt, der Frühling kommt wieder, und auch die Sonne bricht hinter dem Gewölk hervor und küsst mich wieder warm, und wenn ich ... ah, und Dich habe ich ja ganz vergessen!«

Der Hund hatte den Kopf auf seines Herrn Knie gelegt, und zum ersten Male sah Ellen, dass die muskulöse und doch so schlanke Hand ihn streichelte.

»Nicht wahr, Hassan, wir Beide sind Freunde, Du verlässt mich nicht, nur der Tod kann uns trennen, und der Tod ist unvermeidlich. Miss Howard, wollen Sie hier nicht Ihre Wäsche zum Reinigen geben?«

Blitzähnlich schoss es Ellen durch den Kopf, was dieser Mann doch für eine seltsame Macht auf das Herz ausüben konnte, trotz seines trockenen Tones. Oder lag der geheimnissvolle Zauber gerade hierin? Auch Ellen war eine sehr kühle, kritisirende Natur, sie war nicht leicht zu Thränen zu rühren, noch weniger lachte sie etwa bei den heutigen dummen Theaterpossen. Und dieser Mann hatte sie innerhalb fünf Minuten zum Lachen und Weinen gebracht, dazwischen noch einmal zum Schaudern des Entsetzens, und nun wusste er es einzurichten, dass sie gleich wieder mit klaren Augen aufblicken konnte. Hätte er zu seinem Hunde mit gerührter Stimme gesprochen und dann die Frage wegen der Wäsche gestellt, es wäre eine schauderhafte Disharmonie gewesen; so aber war dies gar nicht zu empfinden.

Doch, wie gesagt, nur blitzähnlich fühlte Ellen dies heraus, dagegen waren ihre Gedanken fest auf ein anderes entferntes Ziel gerichtet.

»Ja, ich werde die Güte dieser Herrnhuter-Familie dann in Anspruch nehmen, es ist wohl noch Zeit dazu. Es fällt mir eben etwas Anderes ein, was deshalb gleich zur Sprache kommen soll, denn wenn wir erst in der Unterhaltung sind, habe ich keine Zeit an so etwas zu denken. Also in etwa acht Tagen werden wir in Indianopolis sein und Munro zur Rechenschaft ziehen. Wissen Sie noch, was Sie mir damals am ersten Abend gesagt haben?«

»Natürlich, so vergesslich bin ich nicht. Wenn Sir Munro wirklich jene Wette eingegangen ist oder nur sonst Etwas gethan hat, was gegen den Charakter, den ich bei einem Edelmann erwarte, verstösst, so betrachte ich mich nicht mehr als in seinen Diensten stehend, und ich werde Sie verlassen, wie Sie es von mir verlangten, und wie ich Ihnen versprach.«

Ellen drehte den Kopf, um nicht sehen zu lassen, wie sie sich unwillkürlich auf die Lippe biss. Das Letztere hatte sie nicht von ihm hören wollen. Doch recht so, dass es so kam. Sie wandte ihm wieder das Gesicht zu.

»Ich denke doch, damals war ein ganz anderes Verhältniss zwischen uns. Würden Sie mich dann trotzdem noch begleiten?«

»Dadurch hätten Sie ja Ihre Wette verloren.«

»Macht nichts.«

»Was haben Sie dann vor? Diese Frage müssen Sie mir gestatten.«

»Nun, ich würde die Reise um die Erde dennoch fortsetzen, nur mit mehr Genuss, mit mehr Musse – mit jenen Zwecken, welche Sie mir suggerirt haben.«

Starke antwortete nicht. Seine stahlblitzenden und stahlkalten Augen bohrten sich fest in die des Mädchens.

»Würden Sie mich dann also doch noch begleiten?« wiederholte Ellen. »Ich sage Ihnen gleich, dass ich mit Sir Munro nicht im Guten auseinander kommen werde; denn er hat sich mir gegenüber überhaupt äusserst beleidigend benommen. Nun?«

»Vielleicht, und ich beanspruche pro Tag drei Pfund Sterling,« klang es kalt zurück.

Ellen lächelte, und sie wusste, wie erkünstelt dies aussah; es ging ihr siedend heiss durch den Körper, und doch griff es wie eine kalte Faust an ihr Herz.

»Dieses Honorar ist zugestanden. Abgemacht?«

»Ich muss es mir erst überlegen.«

Sie lächelte noch immer, aber es wurde ein ganz anderes Lächeln daraus, mehr schwermüthig, sie liess den Kopf etwas zur Seite sinken.

»Ach! Warum nicht gleich die Entscheidung! Wenn ich Sie nun recht herzlich bitte ...«

»So etwas will überlegt sein. In Indianopolis werde ich Ihnen meine defini–ti–ve Ant ...«

Der Hund war an der Störung schuld. Hassan dachte, er hätte den Kopf nun lange genug auf seines Herrn Knie liegen gehabt, ging zu Ellen hinüber und legte ihn dieser in den Schooss, sie mit seinen treuen, klugen Augen von unten auf anblickend.

War es nur der Wiederschein des in den letzten Strahlen der Abendsonne erglühenden Horizontes? Oder stieg nicht wirklich ein leises Roth in dem broncefarbenen Gesicht auf? Und die tiefe, wie volles Erz klingende Stimme hatte gestockt!

Langsam erhob er sich. »In Indianopolis werde ich Ihnen meine definitive Antwort geben,« sagte er ruhig und ging nach dem Stacket des Gemüsegartens.

Tief beugte Ellen das Antlitz, roth wie eine Purpurnelke, über den Kopf des Hundes, der sich noch mehr an sie schmiegte und für das Krauen der feinen Finger mit einem leichten Schwanzwedeln dankte.

»Hassan!« erklang es vom Stacket her. Aber Hassan wendete nur den Kopf, um ihn gleich wieder in Ellen's Schooss zu legen.

»Hassan, ein Karnickel!« rief es noch einmal.

»Geh', verlasse Deinen Freund nicht,«, flüsterte Ellen, ihn sanft von sich schiebend; gleichzeitig fiel ein Schuss ans Curt's Revolver, und da allerdings war Hassan el Seba schon mit einem ungeheuren Satze über das hohe Stacket und apportirte aus dem Kohlbeet das geschossene Kaninchen.

*

Auch die Freude des Wiedersehens der vom Felde heimkehrenden Männer und Kinder war vorüber, die Nacht war angebrochen; Ellen sass in ihrem freundlichen Schlafzimmerchen und schrieb im Scheine der Petroleumlampe zwei Briefe, nur nüchterne Anfragen an Zeitungen, ob Berichte angenehm wären.

Dann legte sie ein gebundenes Heftchen, welches sie sich aus dem Schulhause hatte besorgen lassen, zum vorläufigen Tagebuche an.

Sie holte das Versäumte mit skizzenhaften Angaben nach. Die Wette mit Lady Barrilon, Vorbereitungen, Abreise und sie lächelte glücklich dabei. Die letzte Unterredung mit Sir Munro hatte sie ganz vergessen.

Der erste Tag: dieser unverschämte, aufdringliche Kerl, roh und ungebildet, ein Ekel, ein Schuft – und Ellen lächelte glücklich, als sie dies schrieb.

So ging es weiter. Es schwächte sich etwas ab, aber manchmal stieg der alte Widerwille doch noch auf. Auch der Hund wurde bedacht. »Hassan ist kalt, finster und störrisch, wie sein Herr. Er soll Sympathie besitzen. Gegen wen Starke gleichgültig ist, um den kümmert sich auch Hassan nicht; wen jener hasst, den hasst auch dieser; wen Starke liebt, den liebt auch der Hund, und er muss es ausdrücken, auch wenn sein Herr seine Gefühle verheimlicht. Gott sei Dank, mich liebt der Grobian nicht, meine Wenigkeit ist dem edlen Beduinenhunde völlig Wurscht.«

Sie hatte wirklich »Wurscht« geschrieben, sie hatte diesen deutschen Ausdruck einmal gehört.

Nein, eine gewöhnliche Tagebuchmacherin war Ellen nicht. Es lag etwas von einer Künstlernatur in ihr, sie verstand nachzuempfinden, oder doch so zu schildern. – Aber sie lächelte dabei glücklich.

Nun kam der Bärenpass mit dem infamen Hinterrad, die Feder wurde humoristisch – und Ellen lächelte trotzdem nicht mehr. Nun die entsetzliche Scene mit den Cowboys, der Hurrican, der Wolkenbruch. Dann die Nacht unter der Gummidecke ... »und Starke sass einstweilen unbeschützt in Sturm und Regen«.

Bis hierher hatte sie ohne Unterbrechung mit flüchtiger Feder geschrieben; jetzt blickte sie auf, ein feierlicher Ernst lagerte auf ihrem Antlitz, und dann, nach einer langen Pause, griff sie wieder zur Feder und schrieb:

»13. September. Jordansthal, im Hause einer Herrnhuter-Familie. Er ist erröthet, er hat gestockt – er ist ein Mensch mit einem Herzen – und Sein Hund hat mich geliebkost ...«

Mehr konnte Ellen nicht schreiben. Wirr jagten ihr plötzlich die Gedanken durch den Kopf; vor den Augen entstanden flimmernde Bilder, es sauste und brauste ihr in den Ohren, in den blauen Aederchen an den Schläfen jagte wild der Puls.

»Hier fehlt etwas – hier fehlt etwas,« schallte laut eine Stimme.

Die Wanduhr tickte, aber sie hörte eine Stimme.

Ja, hier fehlte etwas, sie wusste es selbst, aber nicht, was es war.

Konnte es ihr nicht ganz gleichgültig sein, ob sich der Hund an sie schmiegt oder nicht? Sie war keine Hundefreundin. Immer deutlicher summte es in ihren Ohren, es wurde eine Melodie daraus, sie musste dieselbe einmal irgendwo gehört haben – es kamen deutsche Worte hinzu – ja, es war ein deutsches Lied – und plötzlich wusste sie, was fehlte, ein Uebergang, eine Rechtfertigung – und plötzlich schob sie das Buch herum, und schrieb quer an den Rand bei dem gestrigen Tag, wo sie den Hurican und den Wolkenbruch geschildert hatte, nur zwei Zeilen hin:

»Er ist gekommen in Sturm und in Regen
Und hat genommen mein Herz verwegen.«

Da fiel die Feder auf den Boden, und sie schlug die Hände vor das schamglühende Antlitz und weinte vor Schmerz und vor Seligkeit. –

Zur selben Zeit sass Starke in seinem Stübchen und kämmte dem Beduinenhunde das lange Haar aus. Unverwandt schauten dabei die klugen Augen des Thieres in das Gesicht seines Herrn.

»Warum blickst Du mich so fragend an?« hatte Starke einmal gefragt.

Hassan gab kein Zeichen von sich, er sah ihm in die Augen. Plötzlich schrak der eiserne Mann furchtbar zusammen – und es war doch nichts weiter gewesen, als dass ihm ein heisser Tropfen auf die Hand gefallen war.

Langsam fuhr sich Starke über die Augen, dann nahm er den Oberkörper des Hundes auf seinen Schooss und schlang einen Arm um den Nacken.

»Nun weiss ich, was Du mich fragen möchtest,« sagte er mit leiser, klagender Stimme, wie sie wohl selten ein Mensch von ihm zu hören bekam, und Thräne nach Thräne tropfte auf das gelbe Fell. »Ach, Hassan, was hast Du mir angethan! Du hast Deinen Freund verrathen. Ach, warum musste das Schicksal diesen Baronet zu mir führen! Nun habe ich auch Dich verloren, nun habe ich gar Niemanden mehr! Doch nein, Du treues Thier kannst nichts dafür, denn Du bist wahr, die Schuld trage nur ich allein. – Ich will sie überzeugen, dass sie sich irrt, ich will sie heilen, so lange werde ich sie begleiten, ich werde stark sein, und dann, mein guter Hassan – dann wirst Du mich verlassen, um ihr zu folgen, weil sie mein Herz mitnimmt, und was kann man Jemand, den man liebt, Herrlicheres schenken als seinen treuesten Freund, und in diesem Gedanken werde ich glücklich sein.«

Nach diesen zum Theil sehr dunklen Worten nahm er seine Beschäftigung wieder auf.


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