Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

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Der Damen-Kaffee.

Zur Erlegung des zarten Zobels und zur Schonung seiner kostbaren Hülle sind die gewöhnlichen Schußwaffen viel zu grob und plump; man bedient sich, um seiner habhaft zu werden, leichter Bolzen und kleiner Bogen. Die Moral dieser Bemerkung möchte sein, daß die ordinaire Stahlfeder und Schreibart für die duftige Poesie des »Damenkaffees« nicht anwendbar, sondern der Beistand irgend eines Backfisches von Muse anzurufen ist, um elegantes Schreibmaterial und einen gefälligeren Styl zu erzielen. Vielleicht ist eine männliche Hand überhaupt nicht geeignet, diesen gefährlichen Stoff zu skizziren. So aufmerksam wir uns aber in der humoristischen Literatur umgeschaut, wir haben kein Erzeugniß des weiblichen Schreibtisches entdeckt, das von diesem wichtigen Gegenstande handelte, und wir müssen annehmen, das schöne Geschlecht fürchte, seine feierlichen Kaffeeversammlungen durch die Feder zu profaniren. Wir fühlen uns daher zu verdoppelter Vorsicht veranlaßt, indem wir eine Skizze des Damenkaffees zu schreiben wagen.

Diese bedeutsame Festlichkeit pflegt meistens anberaumt zu werden, wenn der Gemahl des Hauses zu einem Diner geladen, auf einer Geschäftsreise befindlich, oder durch amtliche Geschäfte bis spät in den Abend hinein gefesselt ist. Wenn ein Damenkaffee stattfindet, ohne daß der Gemahl in Wirklichkeit durch eine dieser Ursachen von Hause 148 entfernt wird, so kann man annehmen, daß er die Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen wird, sondern einen plausiblen Vorwand erfinden, und seine Zeit wohl auszubeuten verstehen wird. Daher entspricht es ganz dem Geiste der neueren Geschichte, wenn im Gegensatze zu dem Alterthume, das aus dem Zusammensein der Diana mit ihren Nymphen einen Aktäon hervorgehen ließ, der Damenkaffee oft Veranlassung giebt, daß grade die liebenswürdige Wirthin von dem bedauerlichen Schicksal jenes kühnen Jägers ereilt wird. Wenn neue oder gewaschene Gardinen den Salon zieren, wenn ein Fortepiano oder ein großer Teppich angeschafft worden, dann pflegt auch der Damenkaffee genügend herangereift zu sein. Er beginnt mit einem allgemeinem Fensterputzen, Poliren der Thürgriffe und Abstäuben der Möbel und Bilder. Wenn dieses Geschäft beendet ist, fängt es von Neuem an und wird mit Erbitterung bis an den Mittag des wichtigen Tages fortgesetzt. Der Messingbestand an Ofenthüren, Zangen und Drückern mag für gewöhnlich noch so blank polirt sein, jetzt wird er bis zu einem trügerischen Goldglanz emporgeängstigt. Dann kommt die Reihe an die Epheuplantage. Welche Dame umgäbe sich nicht am liebsten mit diesem geduldigen und nachgiebigen Gewächse, das am besten um und auf Ruinen gedeiht! Die ganze Epheuvegetation wird gewaschen und von den welken Blättern gereinigt. Erst dann läßt man ein Gleiches der Blumenetagère und den sonderbaren Krüppeln widerfahren, welche man Palmen zu nennen beliebt. Aber der Epheu bleibt immer der Liebling. Ist er doch das eigentliche Symbol des Mannes, wie er sein sollte, aber nicht ist, eines anschmiegenden bescheidenen Wesens, das gern im Schatten steht, billig zu unterhalten ist, sich an allen Enden beschneiden läßt, und, mit Kaffeegrund ernährt, am üppigsten gedeiht! – Die Auswahl der Kaffeeserviette ist keine Kleinigkeit. Was dem Bataillon seine Fahne, das ist für eine Kaffeegesellschaft die Serviette, nur muß sie nicht möglichst zerschossen und zerschlissen, sondern neu, bunt gewebt und glänzend sein. 149 Wenn die junge Garde nicht zusammentreffen kann, ohne von Hunden und Pferden zu reden, versammelt sich nicht die alte Garde von Damen, ohne mit einer Kritik von der Serviette zu beginnen und auf die Dynastie des Tischzeuges überzugehen. Das beste Service wird aufgebaut, alles vorhandene Silber auf das gewaltsamste geputzt und dem Auge wohlgefällig arrangirt, die verschiedenen Kuchen geschichtet und die erforderliche geschlagene Sahne, so wichtig wie die Auster bei einem Herrendiner, an der kühlsten Stelle im Hause aufbewahrt.

Allmählig rückt die Stunde heran, in der die Wirthin Gäste erwarten kann. Man ist bei einem Damenkaffee nie pünktlich, das Erscheinen richtet sich nach dem beabsichtigten Effekte, je nachdem man auf das Tageslicht oder den Lampenschein Toilette gemacht hat. Damen, die vermöge ihres Standes auf die schärfste Sophaecke Ansprüche erheben können, erscheinen stets, wie commandirende Generäle bei der Parade, zuletzt, und bringen eine von allgemeinem Präsentiren der Handarbeiten begleitete Störung hervor. Ehe alle Eingeladenen versammelt sind, nimmt das Gespräch keine bestimmte Richtung an. Es bilden sich kleinere Gruppen, die sich in noch leisem Tone unterhalten. Man äußert sich in geistreicher Weise über Potichinomanie, englische Stickereien und moderne Aermel- und Kragenfaçons; man bewundert eine anwesende Haube, und beneidet ein eintretendes Kleid, ein schweres Armband, eine Uhr, nicht größer als ein Viergroschenstück, und begeistert sich in Kaffee für die spätere Ventilirung der heiligsten Interessen des schönen Geschlechts.

Unterdessen haben die Arbeiten nicht eine Sekunde lang aufgehört. Alle anwesenden Damen sticheln, als hinge der Bissen trockenen Brodes für den nächsten Tag von der Vollendung der vorliegenden Borte oder sonstigen Tapisserie ab. Wenn Talleyrand meinte, die Sprache sei da, um die Gedanken zu verbergen, so meinen wir, daß, wo Gedanken fehlen, es kein besseres Mittel giebt, ihren Mangel zu verstecken, als weibliche Handarbeiten. Nebenbei 150 lassen sich aber für begabte hoffnungsvolle Naturen hinter Cannevas- und Battistläppchen die gefährlichsten Ausfälle und Bonmots vorbereiten. Sie sind die Redouten, hinter denen der weibliche Witz plötzlich hervorbricht und den arglosen Gegner vernichtet. Der unglückliche Mann hat in der Gesellschaft nichts, hinter dem er das Auge verbergen kann, wenn er auf Verrätherei sinnt. Erst seitdem ich mehrere Damenkaffees belauscht habe, ist mir in voller Klarheit aufgegangen, was es mit dem Gewande der Dejanira für eine Bewandniß hatte. O über diese kurzsichtigen Philologen, die den tiefsinnigsten Mythus Griechenlands in plumper Wörtlichkeit auffassen! Nicht in das Blut des Nessus hatte Dejanira das Gewand getaucht, es war nur eine Handarbeit, hinter der hervor sie dem Herakles das Leben so sauer gemacht, ihm so viele tödtlich verwundende Spitzen gegeben hatte, daß er sich von Hyllus auf den Oeta tragen und lieber verbrennen ließ, ehe er noch länger Stand hielt.

Von den Stoffen geht die Conversation bald zu den Hallen derer über, welche, wie die Natur den Stoffwechsel aller Dinge, so doch wenigstens den des schönen Geschlechts mit wahrer Allmacht befördern; man verliert sich in die Modetempel, man kritisirt die letzten Posten von Kleidern, Mantillen, Bändern, Tüchern, die jüngste Acquisition im Fache der Verkaufsmamsellen, und kommt durch eine elegante Wendung auf das kaufende Damenpublikum.

Der Damenkaffee hat nun seinen Culminationspunkt erreicht; er schwebt auf der Höhe der philosophischen Meditation, der psychologischen Analyse, der humanistischen Intentionen. Niemals ist eine größere Verläumdung gegen die freundlichere Hälfte des menschlichen Geschlechts ausgesprochen worden, als von jenem Bösewichte, der die Gefährtinnen des Mannes zu malitiöser Kritik und unberufener Sorge um das Befinden und Gedeihen des Nächsten, vornehmlich aber der Nächstin, geneigt schilderte. Eine wohlwollendere Beurtheilung fremder Schwächen, als z. B. in einem Damenkaffee stattfindet, der denn doch als der 151 reinste Ausdruck schöner weiblicher Geselligkeit betrachtet werden darf, wird man nicht leicht in einer andern Sphäre antreffen. Alle Worte sind in tiefen, bittern Schmerz über die Hinfälligkeit des weiblichen Wesens getaucht, das z. B. eine schwere Atlasrobe gekauft, während seine Mittel ihm angeblich höchstens zerknitterbaren Changeant gestatten. Wie sehr wird der arme Mann dieses Wesens bedauert, jener Märtyrer, dessen glatzköpfiger Hut nun schon das dritte Stiftungsfest erlebt; wie elegisch spricht man von den Kindern, welche die Dame in der Sophaecke, wohlbemerkt, die gelbseidene Dame grand mousseux première qualité, neulich mit großen Butterbröden – Bröden, nicht Semmeln – vor der Thür spielend gesehen hat, obgleich ihre hübschen Skrophelchen wohl auf Semmeln Anspruch machen könnten; wie mißbilligt man die Knechtschaft der Dienstmädchen jenes Wesens, die nicht satt zu essen bekommen, da sich das Hausmädchen neulich einen großen Pfefferkuchen gekauft hat, – man weiß es gewiß und findet es sehr – sehr Unrecht von der geizigen Hausfrau, daß sie das arme Mädchen so hungern läßt.

Der Rath der Alten oder die Pairskammer beschäftigt sich so mit der socialen Frage; die zweite Kammer, deren Mitglieder unter vierzig Jahren zählen müssen, ist inzwischen auf das Schauspiel, oder besser, auf das Schauspielpersonal gekommen. Die ersten Liebhaber genießen das unverbrüchliche Recht, unerschöpflichen Unterhaltungsstoff für Damenkaffees zu liefern, wie Louis Napoleon für die Bierbänke. Der ersten Liebhaberin wird, zur Ehre des schönen Geschlechts sei es gesagt, kein geringerer Antheil geschenkt. Der Corpsgeist bringt es mit sich, daß man sie als die öffentliche Vertreterin der amorosen Interessen mit nicht minderer Hochachtung betrachtet, als die Männer ein bedeutendes liberales Parlamentsmitglied. Versteht die Dame zugleich »Toilette zu machen«, so wird sie doppelt geschätzt. Man könnte fast auf die Idee kommen, daß die Damen glauben, ein moderner Paris würde, abermals aufgefordert, zwischen drei göttlichen Schönheiten den 152 Schiedsrichter zu spielen, nicht wie sein Vorfahr, ganz abgesehen von den Ausgeburten des Modenjournals, sondern einfach der glänzendsten Toilette den streitigen Apfel überreichen. –

Bald darauf nimmt der Damenkaffee eine neue Physiognomie an; das obligate hitzige Getränk nebst den dazu gehörigen Torten wird umhergereicht. Da die Kunst, eine weise gemischte Bowle zu verfassen, selbst unter Männern so weit verloren gegangen ist, daß nur noch wenige Eingeweihte ihre mystischen Regeln kennen und ausüben, darf man von den Damenkardinälen keine zu großen Erwartungen hegen. Es wird aber wohl keinen Mann geben, sein Gaumen sei denn vollständig verwahrlost, der nicht bei seiner Heimkehr das hinter seinem Rücken fabricirte Gebräu für denselben Stoff erklärte, der in Houwald's bekanntem Trauerspiel: die Heimkehr, eine so große Rolle spielte, nämlich für langsam wirkendes Gift. Einer der angewandten Stoffe, natürlich den Wein selber stets ausgenommen, muß in der Mischung immer die Oberhand behalten. Gewöhnlich herrscht der Zucker vor, sehr oft die Ananas oder die Bitterkeit der Pomeranze, daß man allenfalls an ein Ananascompot oder an magenstärkende eingemachte Pomeranzenschalen glauben kann. Hinter diese drei Stoffe verstecken sich gern die angewandten Weine, wie das nur mit Kattun und Calicot bekleidete letzte Glied des Corps de Ballet hinter die in Seide gleißenden vorderen Reihen. Sie sind stets die jüngsten, kleinsten und noch nicht abgelagerten.

Nach dem Genuß der verderblichen Feuchtigkeit bricht die Anarchie herein. Die Tassenrunde der Königin Ginevra vor dem Sopha wird gestört, der Rath der Alten wirft sich an den Bostontisch und das Fortepiano wird aufgeklappt und beklimpert, um die Wilhelmine Claus oder die Jenny Lind des Damenkaffees zur Kundgebung aufzustacheln. So kratzt der kunstsinnige Schneider im Mai mit seiner Scheere auf dem Bügeleisen, wenn er die tückisch schweigende Nachtigall vor dem Fenster zum Gesange 153 anreizen will. Der Erfolg läßt nicht lange auf sich warten. Zwar ist kein Herr zugegen, auf dessen Herz zu zielen wäre; allein Mütter, die seit zehn Jahren theure Gesangs- und Klavierstunden bezahlen, lassen mit demselben Fanatismus, selbst in engern Damenkreisen, ihre Töchter singen und spielen, als die Sportmänner nur unter sich mit ihren Rennern wetteifern. Nachdem einige Nocturnes, Phantasieen und Salonwalzer weidlich ausgeklopft, und »Gnade Robert – Gna . . . a . . . a . . . de für mi . . . i . . . ch!« ausgehaucht worden sind, fällt man über die armen Lehrer her. Piquirte Pro's und Contra's erheben sich auf beiden Seiten. Die Sternianerinnen widersprechen den Jähnsenistinnen, die Teschnerianerinnen blicken herab auf eine arme Julius Schneiderin, und eine angebliche »Manuel Garcia« (sie hat sich nur ein halbes Jahr lang in Cöln bei einer Tante aufgehalten) hüllt sich mit spöttischen Blicken in ein vornehmes diplomatisches Stillschweigen. Vom Gesange gelangt man auf die Sängerinnen, was natürlich so viel heißt, als auf Johanna Wagner. Jede Virago ist der Stolz sämmtlicher Damen. Sie bewundern die männlichen Eigenschaften der Kraft und Größe merkwürdiger Weise auch an dem eigenen Geschlechte und vermögen sogar sich leidenschaftlich darin zu verlieben. Johanna Wagner erregt den meisten Enthusiasmus unter den Damen, während wohl nie ein Mann für Mantius selbst in seinen guten Jahren geschwärmt hat.

Rasch ist die Zeit herangerückt, daß die Damen sich entfernen. Schon sind einzelne Hausknechte und Mägde angelangt, um mit Ueberbleibseln in den Gläsern in der Küche besänftigt zu werden. Auch ein Hausherr, der eigentliche Hausknecht seines chez soi findet sich ein, um das Weib seines Herzens heimzuführen. Man bedient sich seiner, um bei den Rüstungen in der Garderobe den Damen die Mäntel überzuhängen, wobei er eine auffallende Dienstfertigkeit gegen die Jüngeren verräth, welche sich sogar bis auf die Ueberziehschuhe erstreckt. Endlich sind alle Schleier, Muffen, Handschuhe und Kragen 154 gefunden, und der Moment der Trennung – des letzten Abschiedes naht.

Ich habe Verwandten, die über den Ocean schifften, für immer Lebewohl gesagt, ich habe von Menschen, die wahrlich Ursache hatten, noch eine Weile im Leben zurückzubleiben, auf ihrem Sterbebette Abschied genommen, ich habe dabei gestanden, als Verurtheilte hart am Schaffot ihren bewegten Richtern zum letzten Male die Hand so heftig drückten, als wollten sie sich daran festhalten – was ist das Alles gegen die Schmerzen, gegen das Anklammern, das Adieurufen, das Nachlaufen, Winken und Wedeln bei dem Fahrwohl nach einem Damenkaffee. Nicht der Ocean und der unfreiwillige oder unwillkommene Tod können diese Phänomene des Kummers hervorrufen; man glaubt, daß es sich um eine Zerstampfung aller Atome handelt, und daß auf diese heißen Küsse nichts weiter folgen könne, als – erbarmungslose Vernichtung und Ausmerzung aus dem Universum. 155

 


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