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Ein düsteres Verhängniß ruht auf den Concerten, Niemand will sie bezahlen, die Freibillets haben ihre Anziehungskraft verloren und die Zeit steht vor der Thür, wo bewaffnete Banden von Concert-Guerillas im Schatten des Kastanienwäldchens oder unter der großen Freitreppe des Schauspielhauses lauern, den harmlosen Wanderer überfallen und meuchlings in ein Klavier- oder Violin-Concert schleppen werden. Immer mehr neigt sich das Virtuosenthum zum Proletariat, bald werden wir berühmte Namen unter den Hausarmen sehen, schon sind die meisten Soiréen nur ein verschämter Bettel; nur eine Musik wird noch bezahlt, nur eine Art der Kunst giebt es, die nicht nach Brod, sondern auch zuweilen nach Wurst und Schinken geht. Sie heißt fahrendes Musikantenthum und hat ihren Sammelplatz und ihre Börse zwischen der Neuen Wache und Universität.
Mittags um die zwölfte Stunde, wenn der Tambour sein Grab verläßt, der Hautboist sich auf der Parade neben dem Zeughause bei Wind und Wetter die Schwindsucht an den Hals bläst, die Wache, mit frischem Brode instrumentirt und mit blankem Lederzeug besaitet, ihren Posten bezieht, Mittags, wenn der Taugenichts mit den Händen in den Taschen seines und – eines fremden Rockes, der unentgeltlichen Harmonie der militärischen Sphären lauscht, bildet sich neben dem sogenannten 114 Erfrischungszelt die Musikantenbörse. Hier werden die musikalischen Geschäfte des Tages abgeschlossen. Etwa funfzig Männer stecken die Köpfe zusammen und umgeben einen Großhändler der Tages- und Nachtmusik, welcher mit ihnen für das laufende Datum abrechnet.
Bei Geheimraths ist Ball, fünf Mann in schwarzen Fracks mit weißen Halsbinden werden gewünscht; es entspinnt sich also eine Debatte darüber, wer zu Geheimraths gehen solle. Andere, die von dem Großmeister designirt sind, können nicht gehen, weil sie weder einen schwarzen Frack, noch weiße Halsbinden haben, Andere, die beides besitzen, sind leider schon für einen Wurstpicknick engagirt. Was thun? man tauscht nicht mit den musikalischen Geschäften, aber man tauscht mit den Kleidern. Die fünf Mann borgen sich für Geheimraths die Fracks und Halsbinden der Wurstpicknickisten!
Gastwirth Piefkenfeld ist aus der Vorstadt hereingekommen, meldet sich an der Börse und wünscht vier Mann »zum Tanzvergnügen«, zwei Violinen, Klarinette und Baß. Weder auf weiß getragene Fracks, noch auf schwarze Wäsche wird gesehen – nur Ausdauer – eiserne Consequenz! Zum Abendbrod giebt es warmes Essen, Bier und Branntwein nach Belieben – Ende vier Uhr – aber Niemand will gehen.
»Mir ist neulich bei Ihnen mein Hut über den Kopf geschlagen worden, Herr Piefkenfeld,« sagt ein kleiner Mann, bei dem es für gewisse Leute ein Hochgenuß sein muß, ihm den Hut einzutreiben.
»Mir haben sie den Hals von der Violine gebrochen,« fügt ein langer Mensch hinzu, ein so unbegreiflich langer, daß, wenn er spielt, seine Geige sich unter denen befindet, deren der Himmel voll hängt.
»Sehen Sie hier, Herr Piefkenfeld,« murmelt ein dicker Hornist mit anklagendem Tone und zeigt sein Instrument, an dem man noch die Spuren schrecklicher Quetschungen wahrnimmt. »Es war ganz zusammengekeilt,« seufzt der Hornist, »sie haben es erst verarbeitet, mich dann darüber 115 geworfen und dann, dann haben sie sich auf uns Beide gesetzt!«
Bei dieser lamentabeln Beschreibung der Schicksale eines Hornisten und Hornes auf einer vorstädtischen Belustigung veranstaltet die ganze Börse ein mißbilligendes Kopfschütteln.
»Kinder, Kinder, was ist das?« ruft Piefkenfeld und präsentirt ringsum seine Dose mit Nessing, »Kinder, Ihr werdet mich doch nicht sitzen lassen. Sie schlagen mir alle Knochen im Leibe entzwei, wenn keine ordentliche Musik da ist. Kinder, es giebt heute keine Prügel, wer sich untersteht anzufangen, wird vorher hinausgeschmissen. Verlaßt Euch darauf, es setzt heute nichts – ich nehme Alles auf mich.«
»Sie haben die Prügel gut auf sich nehmen, die wir bekommen haben, Herr Piefkenfeld,« bemerkte der Kleine vom zerquetschten Hute mit gelungener Ironie.
»Ich deponire zehn Thaler für den Schaden und die Reparaturkosten an den Instrumenten,« sagt endlich der verzweifelte Piefkenfeld. Nun entschließt sich das geforderte Quartett zu gehen.
»Acht Mann zu einer Nachtmusik um elf Uhr!« ruft der Musikmeister, »Was ist des Preußen Vaterland? – Annenpolka – Marsch aus dem Propheten – eine Ouverture, mehr wird nicht verlangt, hernach wird auf den Flur hineingegangen, dann giebt es Wein und Sandtorte, Hurrah! Vivat hoch! und Tusch geblasen!«
Die Nachtmusik wird rasch arrangirt und zwar von mehreren Künstlern, die aus Bequemlichkeits- und anderen Gründen am liebsten im Paletot erscheinen.
»Eine Violine zum Klavier, für die ganze Nacht, aber fin,« heißt es jetzt, »wer will?« Das Wort »fin« scheint sich wie eine gewaltige natürliche Grenze zwischen die Gelüste einiger Violinisten und Clavieristen zu stellen. »Es werden doch zwei »fin« kommen können?« ruft ermunternd der Großmeister. Nachdem zwei junge Herren 116 mit einigen Andern vertrauliche Mittheilungen gepflogen haben, wie es scheint, weniger über das Repertoir der Musikstücke, als der Kleidungsstücke, melden sie sich und erfahren das Nähere über Ort und Zeit.
Nun endlich alle Tagesgeschäfte geordnet sind, verläuft sich das Häuflein eben so ruhig, als es sich versammelt hatte. Die Musik sänftigt ja die Sitten und veredelt das Herz. So sieht es im Winter an der Musikantenbörse aus; anders ist das Geschäft im Sommer.
Der Musikant führt in der schönen Jahreszeit ein Leben im Freien. Sein Instrument erschallt unter schattigen Bäumen vor Kaffee- und Biertrinkern, in Scheunen bei ländlichen Festen, er macht Kirchenmusik auf Dörfern und bläst Choräle an Gräbern. Im Sommer kann sich der Mensch mit mehrerer Gemüthlichkeit selbst begraben lassen.
Während der vornehme Concertgeber in seiner Dachstube am Hungertuche nagt, oder die besuchtesten Badeörter beklappert und bestreicht, zieht der fahrende Musikant von seiner Börse, glücklich und mit leichtem Herzen, in's Freie. Am frühen Morgen hat er eine einträgliche Morgenmusik gebracht, um neun Uhr am Sarge eines reichen Holzhändlers: »Nun ruhen alle Wälder«, geblasen, um elf Uhr macht er sich auf und geht mit seinen Genossen über Land zum Kirchweihfeste oder zum Erntekranze. Auf dem Lande giebt es keine Prügel. Dort wird die Kunst noch im Künstler geehrt. Wenn in den Städten der Erisapfel erst in den Saal geworfen und das erste Stuhlbein abgebrochen wird, geht man auf dem Lande schon zu Bette. Die fahrenden Musikanten kommen nach Hause, nicht beladen mit Prügeln, sondern mit Würsten, Schinken, Kuchen, Bauerbrod, Butter, Käse und einem Beutelchen voll baaren Geldes.
Für die Transportmittel ist gesorgt. Es giebt einen Contrabaß, den Touristen unter den Contrabässen. Dieser Riese macht im Sommer alle Reisen über Land auf den Schultern zweier Träger. Vermöge einer starken 117 eisenbeschlagenen Spitze ist er in den Stand gesetzt, auf jedem Boden festen Fuß zu fassen, hinten befindet sich eine Klappe, die vielleicht seinen Ton beeinträchtigt, aber ihm eine nationalökonomische Tendenz verleiht. Wenn er ausgebrummt hat, dann öffnet man ihn und der Contrabaß verwandelt sich in einen transportabeln Speiseschrank. Alle Gottesgabe, die den Nachmittag und Abend über zurückgelegt worden ist, spaziert in den Contrabaß, man hockt ihn auf, und statt der rumpelnden Grundbässe zu Galoppaden und Polkas schallen jetzt klappernde Würste und Schinkenknochen aus seinem Innern.
So kommt man an das Thor; der Contrabaß ist ein alter Bekannter der Accise, er wird visitirt wie ein Schlächterwagen oder eine Mehlfuhre. Um Mitternacht ist die ganze Musikantenschaft in den Federn. Glückliche Künstler! ihr fürchtet keine kritische Feder, ihr braucht keine Visiten zu machen, keine Anzeigen zu bezahlen, keine Zettel drucken zu lassen, keine mißgünstige Collegen um Mitwirkung anzusprechen, keinem Concertarrangeur einen Prozentsatz zu geben, ihr zittert vor keiner öffentlichen Meinung, sondern nur vor heimlichen Thätlichkeiten, gegen die ihr als entschlossene Männer euch eurer Haut wehren könnt.
Wohl euch, an eurer Börse werden keine gewagten Geschäfte gemacht, der ultimo eurer Abrechnung am Morgen bringt euch stets Gewinn, Alles tanzt nach eurer Pfeife, und durch eure Börsenspeculation wird kein Leichtgläubiger um Hab und Gut gebracht.