Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

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Ein Familienball.

Nicht der alte Adel allein besitzt seinen Familienstolz, auch die Bürgerschaft weiß sich etwas damit. Der einzige Unterschied ist der, daß ein Adliger sich seiner Familie am meisten erfreut, wenn er rückwärts in die Vergangenheit auf die lange Reihe ihrer Mitglieder blickt, ein Bürgerlicher hingegen sich in einer höheren Stimmung fühlt, wenn er seine ganze Familie in der Gegenwart um sich versammelt steht. Ja, es ist eine höhere Stimmung, ein stärkeres Selbstgefühl, das sich des bescheidenen Bürgers bemächtigt, wenn er Alles, was irgend durch die Bande der Blutsverwandtschaft, und wären es auch nur die letzten dünnsten Zwirnsfäden einer Stiefvetterschaft oder eines Schwagertantenthums, um sich bei einem frohen Feste vereinigt sieht. Dann fühlt er sich wie die Fliege, die mit Hunderten ihrer Verwandten auf dem Rande der Zuckerdose sitzt, als Mitglied einer Korporation, die durch die Zahl ersetzt, was ihr an Macht und Würde abgeht, dann dünkt er sich ein kleiner souverainer Fürst unter seinen Unterthanen und Steuerpflichtigen. Welches Hoffest kann sich aber an Aufwand von stolzen Empfindungen mit einer Feierlichkeit vergleichen, die aus der Allianz mehrerer Familien hervorgeht. Greifen wir jedoch nicht dem Gange der Ereignisse vor.

Schon lange hat sich in gewissen Kreisen der Gesellschaft in den weiblichen Gemüthern ein gefährlicher 42 Zündstoff angesammelt. Nur mit Murren haben sich die würdigen Mütter der Heerde in die traurige Nothwendigkeit gefügt, die Stammväter der verschiedenen Häuser allabendlich in die respectiven verschiedenen Bierhäuser abziehen zu sehen, nur nothgedrungen ertragen sie die Abwesenheit der Gatten in einer Stunde, wo dieselben in den jüngeren Jahren ebenso gern freiwillig zu Hause blieben, als sie sich jetzt entfernen; »die Gedanken wuchern in der Luft«, sagt Elise Schmidt im Macchiavelli und »die Blätter tragen es rauschend weiter«, bemerkte einmal L. Rellstab in den Venetianern; deshalb kommen zuletzt alle Hausfrauen auf einen und denselben Gedanken. »Schändlich sei es«, bemerken sie in indirekter Rede à la Livius hinter dem Rücken der Bierhäusler, »die armen Frauen Abends immer allein zu lassen und das Geld im Wirthshause todtzuschlagen. Wenn die Männer immer behaupten, sie könnten nicht ohne Politik leben, so wüßten auch sie Dinge zu nennen, ohne die sie nicht leben könnten. Die Gesetze des Staates und die Gebräuche der Gesellschaft seien nur von den Männern allein gemacht; die Frauen hätten nicht mit im Rathe gesessen, deshalb wären sie ein unterdrücktes vernachlässigtes Geschlecht. Die Töchter Dieser seien herangewachsen und die Söhne Jener größtentheils schon etablirt, aber es komme davon her, daß die Söhne die Töchter nie kennen lernen, wenn die Söhne eine andere Sorte von Töchtern aufsuchen, wenn dagegen die eigentlichen Töchter der Treuen als alte Jungfern sitzen blieben; weil die Väter nicht für die Familien sorgten, weil die Familien nie zusammenkämen.« Mit weniger vorsichtigen und leise angedeuteten Wendungen sagt eine jede Hausfrau ihrem Gespons dasselbe in direkter Rede. Sie sagt es so lange, bis es Keiner mehr aushalten kann, und Jeder der Hausfrau endlich das Feld räumt und gestattet, daß man darüber berathen möge, unter welcher Form die Familien denn endlich zusammenkommen sollen. Ueber diesen wichtigen Punkt, den jetzt die Mütter mit Lebhaftigkeit aufgreifen, kommen sie mit einer der Diplomatie anzuempfehlenden 43 Schnelligkeit ins Reine. Was Anderes können sie wollen, als einen Familienball? Wenn sich solche Familien ein Fest geben, können die Räumlichkeiten nicht groß genug sein, aber denjenigen gebührt immer der Vorzug, die ein wenig von der Stadt entfernt liegen. Sie feiern ihre Lustbarkeiten so zu sagen am liebsten in Aranjuez, und können nicht von Herzen vergnügt sein, wenn in die Winterfeste nicht etwas von der Eigenthümlichkeit einer Landpartie hereinragt.

Die nöthigen Vorkehrungen sind beendet, der Saal ist gemiethet, die Anzahl der Couverts ist bestimmt, nur noch über gewisse Punkte der Toilette walten Streitigkeiten und Zweifel ob. Man kann in Ballangelegenheiten der Familien, wie in den Kriegen der Völker behaupten, daß der Ball und der Krieg eigentlich das Wenigste dabei seien, wenn nur nicht die leidigen Störungen der Handelsverhältnisse wären. Das weibliche Geschlecht betrachtet ein neues Kleid als ein ebenso wichtiges Erforderniß zum Balle, wie der Feldherr die Munition und Equipage der Armee. Deshalb halten viele Familienväter einen Ball für gleichbedeutend mit einem Deficit in ihrem Wirthschaftsetat. Die bürgerliche Weiblichkeit besteht aber heut zu Tage ebenso streng auf dem Ballrechte des neuen Kleides, als die russische Dame der Kaiserin, die täglich ein neues Kleid für unentbehrlich hält. Die Auswahl der Toilette zu einem Familienballe wohlhabender Bürger bringt eine erhöhete Unruhe in die Bazare; sie bringt die Schuhmacher, deren weiße Atlasschuhe sämmtlich zu klein sind, an den Rand eines gelinden Wahnsinns; sie bringt den Handschuhmachern doppelten Verdienst, denn fast alle Handschuhe platzen beim ersten Anprobiren, und es dauert lange, ehe alle Frostbeulen und rothen walzenförmigen Finger ihre Enveloppen gefunden haben. Schon sind sämmtliche Frisirmamsellen zweiten Ranges mit Beschlag belegt, schon ist das Ochsenpfotenfett mit Lavendelöl, dem Schrecken aller aristokratischen Nasen, bereitet, und die reichste der Familienmütter, eines Schlächters braves Weib, hat einen falschen Zopf 44 erworben, der an Dicke keinem Pferdeschwanz etwas nachgiebt, ja vielleicht den Stolz eines Pascha von drei Roßschweifen befriedigen würde. Alle jene großen Wagen mit rothen verschossenen Böcken und schwerfälligen Kasten, in denen man sich immer eine Hebeamme mit einem rosa überzogenen Säugling und einigen kleinen Geschwistern mit Zuckerzwiebacken in Händen denkt, sind schon acht Tage vorher mit Beschlag belegt. Ein ordentlicher Familienball steht immer isolirt da; er ist so beschaffen, daß an demselben Tage kein zweiter seines Gleichen gefeiert werden kann! –

Der Tag des Ballfestes ist ein Trauertag für alle Familienmitglieder, welche zu Hause bleiben müssen, denn obwohl der Begriff der tanzfähigen Familie selbst bis auf diejenigen Kinder ausgedehnt wird, welche bei den Kunstreitern das Recht der halben Entréen genießen, giebt es doch noch anderthalb Dutzend von jüngerem Nachwuchs, auf dessen Wasserdichtigkeit man sich schlechterdings nicht verlassen kann. Diese hoffnungsvolle Jugend, die schon den ganzen Tag über kläglich geheult hat, wird endlich in den letzten Momenten durch das Versprechen von Milchreis zum Abendbrode beschwichtigt, und fügt sich in das Unvermeidliche, Vater, Mutter und ältere Geschwister abfahren zu sehen.

Wer nie die Ehre gehabt hat, zu einem Familienballe eingeladen und in einer Taufkutsche abgeholt zu sein, der kennt nicht die Qualen von Bürgerinnen, die ihre neuen steifen Kleider hoch aufgehoben haben und, in der Kutsche sitzend, jede Bewegung der männlichen Individuen mit der Todesangst der Eitelkeit betrachten. Wer aber nie mit ausgestiegen ist, der kennt nicht die berühmten Kutschenaufmacher, die Vormittags Stiefel putzen, und Abends hülfreich nach den zartbehandschuhten Händen und weißen Aermeln der Damen greifen, um ihnen beim Aussteigen behülflich zu sein! Diese Kutschenaufmacher sind die größten Toilettenfeinde eines Familienballes.

Wie tobt und winselt die Musik, wie wohlgesteift sitzen 45 die Töchter auf den Divans an der Wand, wie fett sind die Mütter, was für sonderbare Fracks tragen die Väter, um ihre höchst merkwürdigen Zebrawesten zu verstecken, wie gestriegelt sind die Söhne und was für große Füße haben Alle! Aber der Merkwürdigste von Allen ist der Maître de plaisir. Wenn dieser Mann den heutigen Abend übersteht und morgen noch seine Pflicht im Detailverkauf der holländischen Heringe, des Zimmts und der Raffinade thut, so sei die Vergänglichkeit der irdischen Dinge Lügen gestraft und Unsterblichkeit, dein Name sei Handlungsdiener! Wer anders aber dürfte sich wohl dazu eignen, einem Familienballe in Grazie voranzuleuchten? Wer kennt besser alle die Touren des Contretanzes, wie sie hier beliebt sind? Wer drückt den Töchtern zärtlicher die Hände? Wer hat klassische Witze für die Mamas? Wer überragt an Genie und Tournüre wohl, gleich ihm, alle jungen Schuster und Schneider der Gegend? Er trägt einen Frack à la Münchhausen, Beinkleider von ungarisch knappem Schnitt, eine feuerfarbene Sammtweste, à la Samiel, die sich in seinen lackirten Stiefeln, wie ein Ausbruch des Vesuv im Golf von Neapel, spiegelt; was schadet es bei diesen Vorzügen, wenn er einige falsche Zähne sein eigen nennt, daß sein charmantes blondes Haar in schief anstrebender Verzweiflung in die Höhe gekämmt ist, um wie die üppige Waldung der Vorberge den kahlen Gebirgsgipfel zu verstecken? Die Männer bewundern und hassen ihn; die Frauen lieben ihn darum desto inniger. Er gehört zu keiner Familie des Saales und eben darum beherrscht er alle, er gleicht dem Repräsentanten einer Dynastie von Eindringlingen. Nie sah man das würdigere Ebenbild eines Louis.

Schon ist der Thee servirt, schon haben die ersten drei Jünglinge, zu denen er gelangt, die Rumflasche ausgeleert, um sich Muth zu machen, schon ist die Musik in die Polonaise aus Faust verfallen, schon knöpfen sich einige Greise die Fracks zu, um über Kreuz ihre Weiber aufzufordern. Der Familienball hat begonnen. Er gewährt das 46 anmuthige Bild eines großen Ensembletanzes auf dem Theater, freilich nicht der Kunst, sondern des Umstandes wegen, daß jede Tänzerin ihren Tänzer gefunden hat. Auf diesem Balle bleibt Niemand sitzen; hier giebt es keine Jungfrauen, die nur deshalb nicht zum Reigentanze aufgezogen werden, weil ihre chronologische Tabelle etwas zu hoch hinaufreicht; hier tanzen selbst die Großmütter. Und sollte es ja an Männern fehlen, so ergreifen die Weiber einander und walzen so lange, bis irgend ein witziger Schäker diese Gelegenheit ergreift, sich niedlich zu machen, um sie durch einen kühnen Griff zu trennen. Der Tanz dieses Bundesballes oder Ballbundes nimmt besonders darum einen leidenschaftlicheren Charakter an, weil hier nicht, wie es auf andern Bällen üblich ist, abkühlende Erfrischungen, sondern nur Stimulantia, heiße starke Punsche und scharfgewürzte Glühweine herumgereicht werden. Da Feste dieser Art leider nur alljährlich einmal vorkommen, so ist man bestrebt, den engen Kreis der menschlichen Laienbelustigungen nach allen Seiten hin zu genießen.

Aber da des Lebens ungetrübte Freude keinem Sterblichen zu Theil wird, so erzeugen sich im Verlaufe des Abends einzelne Uebelstände, welche der Geschichtsschreiber, als wichtige nur bei einem Familienballe vorkommende Momente, nicht übersehen darf. Daß einige kaum eingesegnete Knaben, welche hier die Erstlinge eines kunstlosen Tanzes produciren, besiegt von der Gewalt des Düsseldorfer Punschextractes, zum größten Schaden der steifen Klappen ihrer Confirmationsfracks, mit ihm capituliren, und hinausgeführt, mit improvisirtem Kamillenthee besänftigt werden müssen, scheint nicht wichtig zu sein, da die schauerlich ächzenden romantischen Horntöne der Besiegten nicht bis in den Tanzsaal dringen und hinreichend Kutscher vorhanden sind, ihnen die Köpfe zu halten. Daß aber beim Essen einer Schlächterfürstin von ungeschickter Kellnerhand eine kalte Chocoladenspeise auf das Sammtkleid geschüttet wird, ist ein bedeutendes Ereigniß, welches dadurch an Erheblichkeit gewinnt, daß der Kellner die 47 Quittung über die geleistete Lieferung, von den fünf vanillesauce-triefenden Fingern der Empfängerin, auf die Backen erhält. Zur Sittengeschichte dieser Bälle ist es aber das Bedeutsamste, daß sich stets nach genossenem Souper ein unwiderstehlicher Trieb der Herren bemächtigt, die Damen zu kitzeln. Dieser Drang giebt sich so allgemein, so öffentlich kund, daß auch der strengste Sittenrichter kaum darin etwas Zweideutiges wahrnehmen wird. Es ist eben die Art, wie sich dies Geschlecht nach der Tafel freut!

Ueber diesen Bestrebungen die sociale Frage zu lösen, ist es drei Uhr Morgens geworden. Die verzweifelnden Kutscher knallen ihre Peitschen fast zu Schanden, die Musikanten blasen zum Erbarmen falsch und mehrere Knaben und Greise schlafen schon längst in Nebenzimmern auf Rohrstühlen – der Familienball tobt noch immer weiter und in einigen nahegelegenen Gehöften stimmen die treuen vierbeinigen Wächter in den Höllenlärm mit ein. Endlich machen die draußen in der unheimlichen Nacht wartenden Kutscher durch eine in den Tanzsaal dringende Sturmpetition dem Feste ein Ende. Die Blessirten des Bacchus werden aus allen Winkeln des Schlachtfeldes zusammengesucht, die in Stumpfsinn versunkenen Kinder munter gerüttelt, die gequetschten Hüte zurechtgebogen, die Kleider grade gestrichen, und bei Anbruch des Tages passirt die müde Heerde des Vergnügens, an den staunenden Accisebeamten vorbei, die Thore der Stadt. 48

 


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