Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

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Der Pianist als Friseur.

Auf einer kleinen Vergnügungsreise in ein böhmisches Bad trat ich in Dresden, wo ich einen Tag verweilte, in eine bekannte Musikalienhandlung, und musterte, während ich mit dem mir befreundeten Besitzer über die Dresdener Musikzustände plauderte, die auf seinem Ladentische ausliegenden neuesten Musikalien. Nicht immer sind es die werthvollsten Kunstwerke und Waaren, die man an Schaufenster stellt und auf Ladentische auslegt; aber es sind immer die Neuesten und Modernsten. Unter bekannten Namen von allerlei Passagenschreibern fiel mir plötzlich eine neue Firma auf, die es schon bis zu Opus 12 gebracht hatte, ohne daß mir, der ich mich speciell für den Verfall der Klaviermusik interessire, bisher das Geringste von diesem neuen Talente zu Ohren gekommen war. Ich las die Verlagsanzeige; das Werk gehörte einer Dresdener Firma; ich schlug das Heft auf, es war eine elegante Salonpiece, nicht besser und nicht schlechter als zehntausend andere dieser Stubenfliegen.

»Eine Lokalvirtuosität?« fragte ich den Verleger, »oder ein stundengebender Jüngling, der zwanzig Exemplare in den Häusern absetzt und zehn aus seiner Tasche bezahlt, um das Vergnügen zu genießen, sich gedruckt zu sehen und einen Vorwand zu haben, sein lithographisches Konterfei an die Ladenthür hängen zu lassen, als Unsterblichkeit in effigie

49 »Weder eine Lokalvirtuosität, noch ein Klavierlehrer, sondern ein wahrhaft seltener Mann, ein Phänomen in unserer klavierwüthigen Zeit ist der Komponist dieses Stückes. Wenn sie sich einen Augenblick setzen wollen, will ich Ihnen das Nähere erzählen.«

Ich setzte mich mit Behaglichkeit und der frohen Ahnung, etwas durchaus Neues zu hören, in den etwas harten Korbstuhl und hing an den Lippen meines Dresdener Rhapsoden, der vom erhabenen Pfühl seines mit Leder bezogenen Komptoirstuhles aus also begann:

Vor nicht allzulanger Zeit kommt ein junger angenehmer Mann in meinen Laden, und erinnert mich daran, daß es Zeit sei, meine Haare zu kürzen. Ich antworte ihm, daß es allerdings Zeit sei. Darauf bittet er mich, Platz zu nehmen, zieht Kamm, Scheere und Bürste aus der Tasche und bereitet sich zum ernsten Werke. Etwas erstaunt, sage ich ihm, daß das Amt meines Leibfriseurs besetzt sei, und daß seit vielen Jahren ein alter Landsmann und Stadtgenosse die Sorge für meinen Kopf übernommen habe. »Ganz recht, mein Herr,« antwortet der junge Mann mit unerschütterlicher Ruhe, »aber dieser alte Herr hat sich zur Ruhe gesetzt und mir sein Geschäft verkauft. Sie sind deshalb als Kunde in meinen Besitz übergegangen und ich beeile mich, wie Sie sehen, zur festgesetzten Zeit mein verbrieftes Recht wahrzunehmen.«

Der junge Friseur sagte dies mit einer so angenehmen Art, alle seine Manieren waren so einnehmend, daß ich ihm erwiederte, wie auch ich bereit sei, alle meine alten Pflichten gegen seinen Vorfahren auf ihn zu übertragen. Ich müsse ihn nur bitten, einen Augenblick zu warten, damit ich einen angefangenen Brief, der in einer Viertelstunde zur Post müsse, vollenden könne.

»Wenn Sie erlauben, so spiele ich unterdessen ein wenig Klavier, Ihr Flügel scheint ein sehr schönes neues Instrument zu sein«, sagte der Friseur und warf einen verliebten Blick auf meinen allerdings vortrefflichen Wiener Streicher.

50 »Sind Sie denn musikalisch?« fragte ich erstaunt.

»Ein wenig – zu meinem Vergnügen – wenn ich gerade bei meinen Kunden ein Instrument vorfinde.«

Gnade Gott meinen Ohren! dachte ich im Stillen, indem ich ihm winkte, Platz zu nehmen, und die Feder ergriff. Aber ich sollte vor Erstaunen nicht zum Schreiben kommen. Mein Friseur setzte sich mit aller nonchalanten Eleganz eines Concertspielers von Fach an den Flügel, warf ein Paar vehemente und schwierige Passagen heraus, schleuderte mit Oktaven-Eruptionen um sich, mischte dann einige Chopin'sche Etüdenarpeggien hinein und ging hierauf zu einem modernen italienischen Thema über, das er in freier Phantasie in einer Weise variirte, die mich lebhaft an die Manier Thalberg's erinnerte. Der Mensch wurde mir unheimlich; ich legte die Feder hin und trat an das Instrument. Mein Friseur war ein vollendeter Pianist, seine Manier verrieth die trefflichste Schule, er konnte sofort in jedem Concerte eine ehrenvolle Stelle einnehmen. Schon kam ich auf die Vermuthung, irgend einen neuen Stern der Virtuosität vor mir zu haben, der sich unter dieser ungewöhnlichen Form als Original bekannt machen wollte, als der Pianist aufsprang, Kamm, Bürste und Scheere ergriff, und nach der Hinterstube eilte, um sein Amt anzutreten.

»Um des Himmels willen, wer sind Sie?« rief ich erstaunt, »sind Sie ein Friseur, der Pianist, oder ein Pianist, der Friseur geworden ist?«

»Das Letztere. Ich habe mich von Jugend an dem Klavierspiel gewidmet, Kompositionslehre studirt, Reisen im Auslande gemacht, Concerte gegeben, allein Sie wissen als bedeutender Verleger am besten, wie es damit geht. Man kann vor Freibilletten spielen, aber von Freibilletten nicht leben; mit dem verwelkten Lorbeer der Zeitungen kann man keinen Hund aus dem Ofen locken. So lange ich Concertgeber war, habe ich nicht das trockne Brot gehabt. Da wurde ich der Sache überdrüssig –«

51 »Sie konnten ja aber Unterricht geben?« fiel ich ihm in's Wort.

»Ich habe es in früheren Jahren versucht – es war mir nicht möglich. Um den Preis der äußersten Erniedrigung meiner Kunst wollte ich die ungehinderte Beschäftigung mit ihr nicht verkaufen. In Paris habe ich umgesattelt. Der Markt war dort so mit Virtuosen überschwemmt, daß man mit jedem Handwerk mehr als mit dem Klavierschaarwerk verdienen konnte; ich beschloß, ein Handwerk zu erlernen.«

»Also sind auch wir mitten in Europa schon so weit gekommen, daß unsere Künstler wie in Amerika zum Werkzeug greifen müssen!«

»Meine Wahl fiel auf die Kunst des Friseurs – ich besaß ja einmal die Fingerfertigkeit! Bei einem geschickten Pariser Coiffeur begab ich mich in die Lehre und in Zeit von wenigen Monaten hatte ich Alles gelernt, was in diesem Fach zu erlernen ist. Von da kehrte ich rasch nach Deutschland zurück und versuchte, mich hie und da zu etabliren, bis es mir gelungen ist, hier in Dresden ein altes Geschäft anzukaufen. Die nöthigen Schritte zu meiner Niederlassung bei der Behörde sind gethan und ich erfreue mich schon einer hübschen Kundschaft.«

Ganz erstaunt über diese Erzählung hatte ich mich in der Hinterstube vor den Spiegel gesetzt und den Frisirmantel umgenommen. Die Scheere des Pianisten tanzte so lustig um meinen Kopf, wie einst in einer Etue de salon über die Tasten. Er schnitt die Haare so sanft, daß ich wohl wünschte, alle unsere Friseure erlernten das Piano, oder alle unsere großen Pianisten legten sich auf das Haarschneiden. Als er meinen Kopf mit Macassaröl so zierlich eingerieben hatte, als ob er die verhauchenden Accorde einer Beethoven'schen Sonate behandelte, fragte ich ihn, ob er auch komponire?

»Gewiß,« sagte er bescheiden, »ich habe auch schon Einiges herausgegeben.«

Hier unterbrach ich meinerseits den Verleger mit den 52 Worten: »Und Sie haben seitdem Mehreres von ihm auf dem Lager und die Sachen gehen?« Der Mann lächelte und nickte mit dem Kopfe. Ich bat, mir das Heft einzuwickeln und als Andenken mitzugeben.

Es ist ein großes rosenfarbenes Heft mit der riesigen Aufschrift: L'Arpeggio, grande Etude par E. Ballmüller. Op. 12. In der Mitte des inneren Titelblattes befindet sich ein Medaillon, in dem mit sauber gescheiteltem Haar und wohlgestutztem Barte das Portrait des Friseurs prangt. Das Musikstück besteht in einer Melodie, zu der sechzehn Seiten lang Daumen und Zeigefinger ein Tremolo ausführen, und da die gehaltenen Noten nach oben, die tremulirenden nach unten gestrichen sind, so gleicht jedes System ominös genug einem ausgebrochenen Kamme.

Mit traurigen Empfindungen über das Loos unserer Talente setzte ich mich an das Piano und flog das Tonstück durch. Als ich es beendet hatte, fühlte ich mich wesentlich erleichtert. Ich beklagte den jungen Mann nicht mehr – er hatte Recht gethan, Friseur zu werden – die Natur hatte ihn dazu bestimmt! 53

 


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