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Die Vergnügungen der heutigen Welt sind so scharf instrumentirt, so dick versilbert und vergoldet, so breit angelegt, so prahlerisch in die Augen fallend, daß sie die Belustigungen aus der guten alten Zeit ganz in den Hintergrund gedrängt haben. In dem wüsten Lärm der modernen Opern und Ballets, im Rausch üppiger Diners, die wie ein blutiger Hohn gegen die gekochten Kartoffelschaalen unserer armen Arbeiterfamilien aussehen, in dem Tumult der lüderlichen Maskenbälle, haben sich aber die Ueberbleibsel der Vergangenheit nicht ganz verloren. Wir wollen versuchen, zum erheiternden Contrast mit dem, was man augenblicklich Vergnügen nennt, diese kleinen Idyllen in zwangloser Form auszumalen. Wenden wir uns zuerst zum Kartenspiel, so müssen wir förmliche Entdeckungsreisen anstellen, wahre privatpolizeiliche Recherchen und Haussuchungen unternehmen, um das Kartenkränzchen von sonst aufzufinden. Aber das Kartenkränzchen ist nicht durch das Kaffeehaus und Ressourcenspiel, nicht durch das Casinowhist à einen Thaler der Fisch, nicht durch den verbotenen »Tempeldienst« und »meine Tante, deine Tante« verdrängt worden; es besteht noch in unentweihtem Glanze, beschützt von den ehrwürdigen Veteranen des weiblichen Geschlechts, und huldigt den unveräußerlichen Gesetzen des Boston. Das Kartenkränzchen blüht wie das Veilchen im Verborgenen, aber es ist zugleich ein starker Stamm 68 und kräftig wie die Eiche. Die Jahre können ihm nichts anhaben; es ist, wie die Collegien der Richter, immer vollzählig, und wenn der Tod eine Lücke reißt, wird sie schnell durch ein jüngeres dauerhafteres Mitglied wieder ausgefüllt. Betrachten wir die Genossen des Kartenkränzchens. Wenn die Jungfrau in die Jahre tritt, in welchen auch das letzte hoffnungsgrüne Blatt vom Baume der Liebe abgefallen ist, wenn die Mutter ihre Tochter verheirathet und glücklich versorgt, die Großmutter die Enkel gut gerathen sieht, beginnt für sie alle das Kartenspiel einen ungemeinen Reiz zu erhalten. Ihre Zungen sind im Verlauf der Zeiten stumpfer geworden, sie haben einsehen gelernt, daß die Welt, ungeachtet ihrer herben Kaffeekritik, ungestört ihren Lauf weiter fortsetzt, und statt der Intriguen der Liebe und Ehe, erfreuen sie sich an den mannigfaltigen und unschuldigen Combinationen des kleinen Buches der zwei und fünfzig Blätter. Zunächst pflegt das Kartenkränzchen nur als ein kleines Quartett von vier Großtanten zu bestehen; allein es währt nicht lange, so erfüllt der Ruhm und Preis seines stillen Glückes alle stammverwandten Kreise, und der kleine Kartenclub muß größere Dimensionen annehmen. Noch ist kein Jahr verflossen, so zählt er schon so viele Mitglieder, daß mehrere Zimmer von den Kartenspielerinnen angefüllt werden, und das Comité, das aus den ältesten und ehrwürdigsten Damen besteht, den Club für unwiderruflich begrenzt erklären muß. Man glaube nicht, daß die Kartenkränzchen an der in Damengesellschaften so beliebten Anarchie in der Conversation und Uebertreibung in der Bewirthung leiden; sie sind vielmehr so wohl organisirt wie die Staatsinstitute. Jedes Mitglied ist verpflichtet, einer bestimmten Reihefolge nach, die nur durch Krankheit oder – große Wäsche gestört werden kann, die Gesellschaft bei sich aufzunehmen; und es bestehen strenge Verpflegungsgesetze, die bei einer Strafe an die Bundeskasse nicht übertreten werden dürfen. Da die Damen sich erst mit dem Glockenschlage fünf Uhr versammeln, wird stillschweigend vorausgesetzt, daß sie 69 sämmtlich Kaffee getrunken haben. Während also, um einen genügenden Grund für die Bête zu gewinnen, viermal herum Misère gespielt wird, präsentiren die dienenden Geister Obsttorte oder dergleichen wenig belästigende Confituren, worauf die Partien ungestört verlaufen. Um acht Uhr erscheint der Thee mit einer vorschriftsmäßigen, je nach den zahlreichen, aber nichts desto weniger strenge befolgten Statuten, verschiedenen Begleitung von belegten Butterbröden und abermaligem Kuchen. Die stillvergnügten Spielerinnen sind so ganz in Beschlag genommen, daß sie sich keine Zeit lassen, von ihren Sitzen aufzustehen, sondern wie Patrouillen gleichsam im Sattel soupiren. Eine Stunde später ist der Club laut Paragraph geschlossen, und die Gesellschaft auf dem Wege nach Hause, um in den Federn zu liegen, wenn das moderne Kartenspiel sein verderbliches Walten erst beginnt. Nicht allein diese Aeußerlichkeiten der Sinnengenüsse sind regulirt, sondern auch die pecuniären Dimensionen des Spieles. Es ist so eingerichtet, daß Niemand sein Glück darin machen, und Keiner durch Unglück darin um sein irdisches und himmlisches Heil kommen kann. Das gutmüthige Kartenkränzchen hat hundert Points für gleichbedeutend mit fünf Silbergroschen erklärt, und damit dem Banquerutt, dem Kassendiebstahl, dem Mißbrauch des Vertrauens und dem Selbstmord einen stählernen Damm errichtet. Wer seinen schwärzesten Tag gehabt hat, kann höchstens so weit herunter gekommen sein, daß er sich die Droschke zur Heimkehr zu versagen nothwendig fühlt; landesflüchtig braucht Niemand zu werden.
Das Kartenkränzchen weiß nichts von schlaflosen Nächten, nichts von zerbissenen Nägeln, von zerkratzten Busen, von ausgerissenen Haaren; ein Defizit von zwanzig Silbergroschen ist schon eine in den Annalen des Vereins das größte Aufsehen erregende Thatsache. Mag es in Familien zuweilen vorkommen, daß ein galanter Hausherr zum Vergnügen der Damen ein Bänkchen legt und in den schwärmerischen Seelen unbesonnen den Spielteufel herauf 70 beschwört; in unserm Kartenkränzchen kommt so etwas nicht vor. Wie gewisse Mysterien des Alterthums, ist es rein weiblicher Natur, und obwohl kein eindringender Mann in Stücke gerissen werden würde, hüten sich doch alle männliche Anverwandte aus natürlichem Instincte, dem stillvergnügten Kartenbunde zu nahe zu kommen. Wer vermag die Fülle der Seligkeit zu schildern, die in diesen vier und zwanzig bis dreißig edlen Herzen blüht, wenn sie wöchentlich zwei Mal zusammenkommen und die anmuthigen Wechselfälle des Boston erproben? Die bittersüßen Schmerzen der Liebe quälen sie nicht mehr, die Störungen der Kindererziehung liegen weit hinter ihnen, das eheliche Verhältniß selber gilt ihnen nur noch für einen ruhig milden Klang der Freundschaft; eine Partie Boston ist für sie die letzte Rose des Sommers, der letzte Bissen am Tisch des Lebens, und sie hegen ihr Kartenspiel mit der Zärtlichkeit, welche alte Leute stets für Steckenpferde zu nähren pflegen. Nun es in ihrem Dasein so ruhig, wie auf einem Friedhofe geworden ist, ersetzt ihnen das Boston auch die Aufregungen des Schicksals, und der Gewinn oder Verlust von zehn Stichen in der besten Farbe verursacht im ganzen Kränzchen eine Unterbrechung der Partien nebst den lebhaftesten Debatten. Das verdorbene männliche Geschlecht weiß die verschwiegenen Freuden eines solchen edlen Frauenbundes keinesweges zu schätzen; es wird nicht mehr durch das Spiel, sondern nur noch durch den Gewinn gereizt.
Die Stillvergnügten der jüngeren weiblichen Welt sind die Mitglieder der Lesekränzchen mit vertheilten Rollen. Man denke hierbei nicht an dergleichen Vorlesungen mit schnurrbärtigen Referendarien und philosophischen Doctoren als Posa und Don Carlos, dem lederfarbenen Junggesellen-Professor als Philipp, und dem goldbrilligen Hausarzt als Domingo; wir reden von den zarten jungfränlichen Lesekränzchen, die sich aus eben entlassenen Pensionsschwärmerinnen und Schülerinnen der ersten Klasse rekrutiren. Nur in den unschuldigen Jahren 71 der weiblichen Begeisterung für eine berühmte Schauspielerin ist die Bildung unsers Lesekränzchens möglich; sobald die Begeisterung auf einen berühmten Schauspieler übertragen wird, ist es die höchste Zeit, daß die Rollen Posa's und Don Carlos' mit männlichen Individuen besetzt werden. Die Vorlesungen mit vertheilten Rollen finden unter solcher Geheimnißkrämerei und Verschwiegenheit statt, daß oft der Herr Vater und die Brüder kein Sterbenswörtchen davon erfahren. Diese Hausfractionen sind mit ihrem gemüthlichen Spott die natürlichen Feinde des aufkeimenden poetischen Enthusiasmus der armen verfolgten Backfische. Unglücklich ist die Siebzehnjährige, die einen fünfzehnjährigen Bruder hat, doppelt unglücklich, wenn sie auch noch einen neunzehnjährigen besitzt. Jener wird sie bis aufs Blut necken, dieser sie wie ein Pedant hofmeistern. Die unschuldigsten beneidenswerthesten Freuden der Menschen werden, wie die schönsten duftigsten Blumen, am meisten von der Plumpheit gestört oder beschädigt. Die jungfränlichen Lesekränzchen werden klug veranstaltet, wenn der Herr Vater sich auf der Ressource befindet und die Herren Brüder durch Privatlectionen außer dem Hause gefesselt sind. Wie die Nymphen der Diana stäuben sie auseinander, wenn ein männlicher Fuß ihr lispelndes Heiligthum entweiht; nur auf den Zehen schleichend darf man sich ihnen nahen und nur dem Ohre ist es gestattet, sie zu belauschen. Von dieser Andacht und Inbrunst der Vorlesung hat die heutige Kunst der Bühne keine Ahnung mehr; mit einem Fünkchen dieser Begeisterung für die Dichtung könnte man ein ganzes trocken deklamirtes Schiller'sches Trauerspiel mit bengalischen Flammen illuminiren, einen ausgestopften Liebhaber lebendig, ja unsterblich machen; aber ein so zartes Feuer schwebt wie das Licht der Sterne unerreichbar über dem schuldbewußten Leben. – Es klingelt, die getreuen Zofen ihrer jungen reizenden Herrinnen sind mit Muffen, Halskragen und Mänteln eingetroffen, um sie sicher vor Anfechtungen der verdorbenen Menschen nach Hause zu geleiten, der ironisch schmunzelnde Hausherr 72 tritt ein, die Absätze der Brüder in der oberen Etage werden laut; ihr lieblichen Nymphen flieht mit eurer Jungfrau von Orleans oder Maria Stuart, ehe ihr der hausbackenen Prosa und der wohlfeilen Secundaner-Ironie in die Hände fallt.
Das Streichquartett hat einst eine glänzende Rolle unter den geistigen Erholungen der vornehmen Welt gespielt; Kaiser und Könige haben es nicht unter ihrer Würde gehalten, die zweite Violine oder die Bratsche zu spielen und die herrlichsten Meisterwerke der Nation sind auf Bestellung kunstsinniger fürstlicher Mäcenate entstanden. Seit die glücklichsten Söhne der Welt in ihre Paläste nicht mehr vierstimmige Kammermusik sondern Tänzerinnen bestellen, ist das Streichquartett die Domaine der Stillvergnügten geworden. Man hat in der heutigen Zeit über die Abnahme der Freundschaftsbündnisse nicht minder geklagt, als über das Aussterben der wahren Liebe; man hat Unrecht daran gethan. Wenn es während der lieblichen Luftschwingungen klingenden Goldes und Silbers noch immer Leidenschaften auf Leben und Tod giebt, gehören nur vier Streichinstrumente dazu, um eine Quadrupelallianz von Damon und Pythias, Orestes und Pylades zu bilden. In Darmsaiten und Roßhaaren liegt für das männliche Geschlecht eine wunderbare sympathetische Kraft. Eine Violine in einsiedlerischen Registratorshänden kann der stillen Nacht nicht ihr Leid klagen, ohne, wie ein lyrisch gestimmter Kater, die Stimme eines Unterstradivarius in der Nachbarschaft zu wecken. Bald wetteifern Beide, ohne der an die Wand pochenden Stiefelknechte der im Schlaf gestörten Nachbarn zu achten, in kühnen Passagen, Arpeggien und Trillern und bald ergiebt sich die unverkennbare Ueberlegenheit des registratorischen Paganini. Das Verhältniß zwischen erster und zweiter Violine hat sich zwanglos aus den Umständen selber ergeben. Die beiden Violinisten achten und ehren sich, noch ehe sie einander kennen gelernt. In der zweiten Nacht mischt sich plötzlich ein dumpfer Laut in ihren Wetteifer; 73 er klingt nicht wie »Unkenruf an Teichen«, aber wie eine Bratsche, die vom Boden zwischen alten Hüten, zerbrochenen Guckkästen und ausgedientem Kinderspielzeug hervorgeholt, abgestäubt und frisch bezogen worden ist. Diese verführte Bratsche hat ihr jahrelanges Stillschweigen gebrochen und ächzt verständnißinnig in die jubelnden Violinklänge hinein. In der dritten Nacht wiederholt sich das Tonspiel, aber alle zehn Minuten unterbrechen sich die Virtuosen, um zu lauschen, ob ihre Locktöne nicht ein etwa in der Gegend hausendes Cello geködert haben. Da erschallt nach langem Harren endlich, erst leise, dann stärker, ein so tiefes Summen, daß die drei Virtuosen, in der ehrfurchtsvollen Ueberzeugung, es auf ihren höherstrebenden Instrumenten nicht hervorbringen zu können, dieselben, wie Faust in der Osternacht die Phiole, überrascht niedersetzen und dem ergreifenden Gesange zuhören. Er entstammt einem starken Cello, aber sein Spieler ist nur schwach. Der Ton dieses Cellos hat etwas Widersetzliches, Starres, als ob es seinen individuellen Mißmuth über die Fehlgriffe äußern wollte, die sich sein leider rechtmäßiger Besitzer darauf erlaubt. Das schöne Cello bockt und bäumt sich, wie ein edles Roß, das von den Händen eines Sonntagsreiters mißhandelt wird. Was kümmert aber sein Zorn die Violinen und die Bratsche; der Vierte im Bunde ist gefunden, und schon am folgenden Tage findet die Organisation des Quartetts der Stillvergnügten statt. Die idyllischen Musiker kommen zusammen und reden mit einander, als hätten sie sich schon von Kindesbeinen an gekannt, und als nun gar der Name »Haydn« ausgesprochen wird, umarmen sie sich und drücken einander die Hände, als wären sie eines Vaters Söhne und zum festlichen Besuche aus fernen Provinzen zusammengereist. Ihr Quartett kommt an jedem Sonnabend um sechs Uhr abwechselnd bei jedem der Musikbündler zusammen und wirkt bis neun Uhr Abends, worauf ein frugales sokratisches Mahl folgt, gewürzt mit tiefsinnigen, nur durch Kauen unterbrochenen Gesprächen über die göttlichen alten 74 Tonsetzer, und mit kleinen anmuthigen Neckereien, wie sie unter Musikern vorkommen, die nicht ganz Herren ihrer Instrumente sind und zuweilen auch von der Buchstäblichkeit der vorliegenden Noten abweichen. Man glaube nicht, daß ein solches stillvergnügtes Streichquartett so elegant, glatt und ruhig dahinströmt, wie einst das Spiel der Gebrüder Müller oder anderer Kammermusikmeister; unser wirklich geheimes Quartett muß im Schweiße des Angesichts der Muse abgetrotzt werden. Die stillvergnügten Künstler üben ihre einzelnen Stimmen mit einer so großen Gewissenhaftigkeit, daß sie meistens zu einer subjectiven, höchst originellen Auffassung gelangen, die später sich mit dem Ensemble vereinbaren läßt und ganz unerwartete, theoretisch noch nicht untersuchte Combinationen zu Wege bringt. Mit den Lösungen dieser musikalischen Wirren hat das Quartett, namentlich bei ihm noch unbekannten Werken stets vollauf zu thun; dafür ist seine Freude aber auch desto größer, wenn zuletzt eine liebliche Musik zu Stande kommt, die zwar nicht ganz genau dem ursprünglichen Plane ihres Componisten treu bleibt, aber als eine Kunstäußerung unbescholtener und geachteter Staatsbürger immerhin eine sehr achtungswerthe Stellung im Reiche der Kunst einnimmt, denn auch die neuesten berühmtesten Meister lehren uns, daß es nicht sowohl darauf ankommt, die alten Regeln zu befolgen, als überhaupt nur Regeln, gleichviel wer sie aufgestellt hat, wenn sie uns nur persönlich behagen, was man denn auch aus den strahlenden Blicken der Stillvergnügten und aus ihren heimlichen Seligkeitsseufzern deutlich erkennt.
Das Quartett genießt in Familie und Verwandtschaft eine fast abgöttische Verehrung; es ersetzt den genügsamen Zuhörern Oper und Concert, Spiel und Gesang. Wenn der betreffende Hausvater z. B. seine Bratsche zur Hand nimmt und einige abgerissene Begleitungsstellen, an denen dieser »Esel des Orchesters« so reich zu sein pflegt, bedächtig herunter streicht, lauschen seine Kleinen, wie auf die mysteriösen Hauche der Aeolsharfe, und betrachten das 75 räthselhafte Instrument mit der Ehrfurcht von Wilden, als ob es eine eigene Seele besäße. Wie das so oft von den Reichen muthwillig verschleuderte Geld in den Händen der Armen, kommt die schlechte Musik in den Häusern der Stillvergnügten wieder zu Ehren. Vater Haydn, der volksthümlichste aller Componisten, die je gelebt haben, muß fast immer seine Quartette an den musikalischen Pranger stellen lassen; könnte er aber das Entzücken der Stillvergnügten mit ansehen, er würde lächeln und verzeihen, er würde gewiß verzeihen und sich die Ohren zuhalten. Die Frauen sitzen still mit den Strickzeugen oder in der Stickerei begriffenen Pantoffeln im Nebenzimmer, die Kinder hocken auf Fußbänkchen; wer aufsteht, schleicht ängstlich auf den Zehen einher, als liege nicht nur die Partitur des Quartetts in den letzten Zügen, sondern ein wirklicher theurer Mensch und lieber Angehöriger – glückselige, unschuldsvolle Zustände, man kennt euch nicht in den Häusern, wo schon der Junge, mit dem Miethszettel aus den Unaussprechlichen, das Clavier drischt oder die Violine zwickt und streicht, wo von eingeladenen Künstlern wohl conditionirte Galamusik gemacht wird, und jedes Fräulein den Erlkönig oder trockene Blumen, wie jede Feldgrille ihre Naturzwitscherei, vortragen kann.
Außer diesem lauten Spiel der Stillvergnügten giebt es aber noch ein schweigendes, das sie kaum minder beglückt und über die Mühen des Lebens tröstet; es heißt Vierschach. Dieses öde und langweilige, beschränkte und ideenlose Spiel wird nie von den eigentlichen Schachvirtuosen gespielt; es gehört den verkommenen bequemen Schachphilistern. Zum eigentlichen Schach verhält es sich, wie die Gans zum Schwan, der Kantschu zum Schwert, der Droschkengaul zum Rennpferde, und der Ehrgeiz nach einem Orden zur Ruhmsucht. Es gehören dazu bescheidene Geister, verstockte Gemüther und trockene Temperamente, die an den kleinen immer wiederkehrenden Kniffen dieses Spiels ihr Genügen finden. Vorzeitig gealterte 76 und ungerechter Weise zurückgesetzte Assessoren, Privat-Philologen, pensionirte Polizeiräthe, taub gewordene Musikdirectoren und emeritirte Zahnärzte lieben das Vierschach am leidenschaftlichsten, wenn man ihre amphihienkühle Anhänglichkeit eine Leidenschaft nennen kann. Das Spiel ist diesen Allen willkommen, weil es ihnen fortwährend Gelegenheit giebt, unter dem Anschein des Nachdenkens über seine Verwickelungen den eigenen melancholischen Grübeleien nachzuhängen, ohne die Lippen öffnen zu dürfen. Der Assessor träumt von gut dotirten Präsidenturen, der Philologe von bequemen Hauslehrerstellen mit reichlicher Station, der Polizeirath von munteren Spitzbübchen, die er in besseren jungen Tagen überlistet, der taube Musikdirector von den Festabenden, an denen er den Dirigentenstab geschwungen, der Zahnbrecher, mit jetzt zitternden Fingern, an die seligen Momente, wenn die Patienten, wie Aale unter dem Messer der Köchin, sich unter seinen stählernen grausam schimmernden Instrumenten krümmten. Die hölzernen Figuren stehen unbeweglich vor ihnen und starren sie mit leblosen Gesichtern an, die beiden schlecht geputzten Lampen – so fügt es sich immer im Vierschach der armen Junggesellen – werfen ein unangenehmes Licht auf die schwarzweißen Schachfelder, vier starre Physiognomien und gesenkte Häupter hängen darüber, wie Gewitterwolken über einem schlecht bestellten, dünn bewachsenen Haferfelde! Und dennoch sind diese vier Spieler stillvergnügt auf ihre Weise; ja, ihr Vergnügen kann sogar einen gewissen rauschenden Charakter annehmen, wenn von einem Unaufmerksamen ein Fehler begangen wird, der seinen gegenübersitzenden Mitspieler ins Verderben stürzt. Dann kommen erst langsam, später in rascher Folge, allerlei bittere Bemerkungen hervor, allerlei giftig scharfe Anzüglichkeiten, die ihnen so viele Freude zu machen scheinen, wie den Ottern und Vipern das Beißen. Die schwer beladenen Herzen schütten die Bürde auf die Häupter der Freunde, aber nie entsteht ein nachhaltiger Ingrimm; 77 man sagt sich die Grobheiten, wie weniger eigenthümliche Leute Liebenswürdigkeiten, das Genre der Vierschachspieler bringt es einmal so mit sich. Wenn zwei Partieen beendet sind, stehen die Freunde schweigend auf, nehmen Mantel und Hut, und gehen jeder für sich zu einem andern Restaurant, um zu Nacht zu essen; das ist das originellste Stillvergnügtsein der Ungeselligen, der Cultus des Vierschach, die traurigste Belustigung auf Erden. 78