Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Kellner.

Unter allen Klassen, von welcher der Dichter, in seiner Zueignung der Tragödie Faust, am Neujahrsmorgen sang: »Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten, die sich so oft dem trüben Blick gezeigt«, verdienen selbst die gratulirenden Küster und Nachtwächter nicht die liebevolle Aufmerksamkeit, welche dem das ganze Jahr hindurch geplagten Kellner grade in den ersten Tagen des Januar gebührt. Der Ehrentag des Kellners ist der, an dem er seine Jahrestrinkgelder einkassirt; an diesem Tage widmet auch die Literatur ihm einen ihrer festlichen Artikel.

Eine Monographie des Kellners ist unseres Wissens noch nicht geschrieben worden. Mannigfaltige entscheidende Gründe haben zur Constatirung dieser Thatsache mitgewirkt und Stolz und Scham spielten hierbei auf eine merkwürdige Weise in einander hinüber. Denn diejenigen Schriftsteller, aus deren Styl und Ideenfolge man errathen kann, daß sie früher Kellner gewesen sind, pflegen die äußerste Verschwiegenheit über ihre bürgerlichen Antecedentien zu beobachten, und diejenigen Kellner, aus deren mangelhafter Bildungsstufe hervorgeht, daß sie die Treppe der Literatur hinabgefallen und vorher als Schriftsteller gewirkt haben, treiben die falsche Scham so weit, tiefes Dunkel über ihre Vergangenheit zu breiten und jede literarische Enthüllung über ihren neuen Stand sorgfältig zu vermeiden. Aus diesem Grunde bleibt dem 60 Geschichtsschreiber des Kellners nichts übrig, als sich selbst an die Quellen des Studiums zu begeben, und den Kellner am Faß, am Billard, im Ballsaal und an der Table d'hôte zu verfolgen. Große, umfassende und kostspielige Beobachtungen waren hierzu erforderlich, und nur ein vieljähriges, in Wirthshäusern zugebrachtes Leben konnte das nöthige Material an die Hand liefern, aber es gewährt dem Geschichtsschreiber keine geringe Beruhigung, daß jetzt endlich sein Blick dergestalt geschärft ist, daß er im gegenwärtigen Augenblick selbst in den ausgezeichnetsten Kreisen der Gesellschaft und in den distinguirtesten Ständen und Aemtern oft mit tiefer Rührung an alten und jungen Personen diejenigen Eigenschaften entdeckt, welche die Zierde eines jeden guten Kellners zu bilden pflegen. Denn wenn allerdings das Ideal eines solchen nicht ohne einen gewissen Grad ergebenster Dienstbarkeit gedacht werden kann, so darf ihm doch ebenso wenig die nöthige Insolvenz und Brutalität gegen Untergebene und ins Wirthshaus dringende Supplikanten fehlen, so daß auch den Beamten des Bierfasses und der Billardbälle Demuth nach Oben und Hochmuth nach Unten schmücken müssen.

Wie im Mittelalter Ritter und Knappen, so verhalten sich in neuerer Zeit Wirth und Kellner zu einander; aber wie sonst fast jeder Knappe nach Verlauf einer bestimmten Frist von seinem Gebieter zum Ritter geschlagen wurde, so pflegen jetzt die meisten Kellner nach Abschluß hinreichender Ersparnisse ihre Brodherren zu schlagen und selbst Wirthe zu werden. Auch besteht noch heute eine geheimnißvolle Wechselbeziehung selbst zwischen Rittern und Kellnern, denn wie einst so mancher Knappe seinem Herrn das Leben auf dem Schlachtfelde rettete, so schützt mancher Kellner durch Zahlungsvertagung seinen armen Ritter an dem Mittagstische vor dem Hungertode.

Schon als Knabe verräth der Kellner frühzeitig seinen künftigen Beruf. Er fertigt seine Schularbeiten nie an und deutet durch regelmäßiges Zuspätkommen am Morgen sein Talent für Spätaufbleiben an. Nur eine schöne 61 schriftstellerische Begabung entwickelt sich durch eine fleißig geübte Correspondenz mit den jüngeren und zarteren Köchinnen und Stubenmädchen seines Reviers, welche ihn zuerst als geheimen Secretair in ihren Beziehungen zur Stammrolle brauchen, nach zurückgelegtem Termine der Einsegnung zur Mannsperson jedoch auch ihm selber militairische Vorrechte zugestehen. So entwickelt sich organisch der Kellner im großen Hôtel. Er beginnt seine Laufbahn als Zimmerkellner in den Hofwohnungen des dritten Stockwerks, erhält dann die Front nach vorn heraus, steigt später von Stockwerk zu Stockwerk herab und wird endlich die rechte Hand des Oberkellners, bis dieser sich selbst etablirt und er seine Stelle einnimmt. So ist die Laufbahn des Hôtelkellners nicht, wie die Laufbahn anderer großer Männer der Oeffentlichkeit ein Steigen, sondern ein Sinken, so daß man von ihm mit Recht sagen kann, er sei allmälig bis zu den höchsten Ehren seines Standes herabgesunken. Das dritte Stockwerk ist die eigentliche Bildungsschule des Hôtelkellners. Hier beschäftigt er sich fleißig mit der Correspondenz – der Fremden, liest in ihrer Abwesenheit bei den ungeregelten und ungeriegelten Zuständen der Schlösser alle ihre Papiere durch, giebt sich, da im dritten Stockwerke sehr viele außer dem Hause wohnende Geschäftsleute wohnen, ein wenig mit der französischen Sprache ab, in welcher ihm der französische Kellner des ersten Stockes, der Emigrant und Legitimist, behülflich ist, und erwirbt sich eine ziemliche Menschenkenntniß in Betreff der Trinkgelder. Nach einem Jahre ist er weiter gekommen als Gall und Schewe, und erkennt aus dem bloßen Klingeln einer Person, welche Anlagen, Trinkgeld zu bezahlen, dieselbe besitzt. Sind diese hinreichend entwickelt, so erscheint er auf das Geläut; fehlen sie ganz, oder scheinen sie ihm auch nur verkümmert, so kehrt er sich so wenig an die Stubenklingel, als an die Kirchenglocke. Ist der Hôtelkellner endlich im ersten Stocke angelangt, so hat er sich dem protegirten Friseur des Hauses so weit unterworfen, daß dieser ihm, wenn er Vormittags 62 die fremden Damen bedient, auch seine Haare brennt. In diesem Stadium ist er bereits soweit herausgefüttert, daß er sich mit der Venus Kallipygos auf einen und denselben Theil etwas zu Gute thut, und eng anliegende Pantalons nebst einer knappen Jacke trägt. Wie an dem menschlichen Kinn mit fortschreitender Entwickelung Bärte, so wachsen an dieser Jacke allmälig Schöße, je mehr sich der Zimmerkellner des ersten Stockes der Würde des Oberkellners nähert. Jetzt steht er auch schon nicht mehr auf dem Flur und in der Thür des Hôtels, er blickt nicht mehr mit unendlicher Verachtung auf die Stadtbewohner herab, weil sie nie in einem Hôtel wohnen, folglich ihm auch nie Trinkgelder bezahlen; er hat wie der beste türkische Pascha seinen Harem unter den Hôtel verbündeten Schönheiten, raucht seine Rabattcigarren, behorcht politische Gespräche, trägt ächte Oberhemden mit Knöpfen von Kristall, und sieht es gern, wenn der neue Kellner aus dem dritten Stock ihn für einen herablassenden Herrn hält. Mit der Erreichung der Oberkellnerwürde verschwindet er aus der Sphäre der Kellnerschaft; ihn fesselt die Rechnungslegung und das Studium jener feinen Wissenschaft, welche darum die doppelte italienische Buchhaltung heißt, weil auf ächt italienische Weise sowohl der Herr des Hôtels, als der Gast betrogen wird. Als Oberkellner steht ihm der Weg auch zu den höchsten städtischen Würden offen. Nur wenige Schritte führen zum Hausbesitz, zum Gemeindeverordneten, zum Wahlmanne – und warum sollte endlich ein ehemaliger Oberkellner nicht auch die Interessen des einheimischen Volkes eben so gut, als die des besuchenden fremden Volkes mit Erfolg wahrnehmen?

Eine gewaltige Kluft gähnt zwischen der Aristokratie der Kellner und ihrer großen bürgerlichen Fraktion. Nicht Jeden führt ein gefälliges Aeußere, ein hochfliegender Geist und ein cäsarischer Glücksstern in ein Hôtel; die Wiege der Meisten hat nur Sonntags neben dem Schweinebraten und der sauren Gurke ihres Vaters gestanden. Wenn ein Junge von verschiedenen Meistern 63 wegen verschiedener Vergehen verschiedene Male fortgejagt worden ist, darf er mit gerechtem Vertrauen aussprechen, daß die Anlagen eines Billardkellners in ihm schmachvoll vom bornirten Zunftgeiste verkannt worden seien. Schon frühzeitig hat er dieses edle Spiel, das auf die Anziehung und Abstoßung der Kräfte in der Natur gegründet ist, und durch den Namen »Karoline« schon die zarte Jugend des Knaben mit lieblichen Phantasien erfüllte, geübt. Die Entlassung aus dem Handwerke führt ihn endlich dem Berufe dieser schönen Kunst in die Arme; er übt die als Knabe gewonnene Fertigkeit als Jüngling und Mann. Meister auf der grünen Fläche, verbindet er sich auf halben Gewinn mit Billardgaunern, welche ihm Ankömmlinge aus der Provinz zuführen, die er zwei auch wohl drei Partien gewinnen läßt, bis sie, kühn gemacht, hohe Wetten mit den zusehenden Diplomaten eingehen und elendiglich ausgezogen werden. Auf dieser Stufe der Kunst und Industrie angelangt, pachtet er von seinem Herrn das Billard, verheirathet sich und erzieht seine Knaben zu des Vaters Beruf, sobald ihrem Arm der Speer nicht mehr zu schwer ist, und sie mit Hülfe einer Fußbank mit der Nase über die Bande reichen können.

Nicht so einträglich und kunstvoll ist das Amt des Speisekellners; nur wenn er in der Wirthschaft eines großen Restaurants fungirt, wird seine Thätigkeit mit silbernen Früchten gesegnet; für gewöhnlich ist sein Leben sauer, wie die Kartoffeln, welche er servirt, sein Erwerb mager, wie die aufgetragene Suppe, die bedienten Gäste gleichen an Zähigkeit dem von ihnen verzehrten Rindfleische, und in dem täglichen Mittagswettrennen von der Küche nach den Eßzimmern bringt er es sammt seinen Collegen zu nichts als einem netten Ansatz zur Schwindsucht. Im Sommer pflegt dieser Kellner die allgemeine Niederlage der Speisegeschäfte zu benutzen, und eine Brunnenreise anzutreten, welche darin besteht, daß er sich in einem Badeorte verdingt und bei Tische aufwartet. Dann feiert er oft rührende Momente des Wiedersehens 64 mit einzelnen Badegästen, die ihm mit zwei oder drei Thalern »durchgebrannt« sind und nun in der vornehmen Vertraulichkeit der Bäder nicht mehr entwischen können. Im Winter dreht sich seine Einbildungskraft um den Neujahrstag und die aus den Gratulationen der Stammgäste entspringenden Trinkgelder. Schon vor Weihnachten läßt er kleine Cigarrenspitzen und Thonpfeifen mit Blumenguirlanden und Flittergold anfertigen, welche mit vielversprechendem Blicke den regelmäßig und auch wohl den unregelmäßig Speisenden angeboten und mit Achtgroschenstücken königlich belohnt werden. Außerdem stehen für diejenigen, welche nur zuweilen Tischgenossen sind, Teller umher, auf denen einzelne Acht- und Viergroschenstücke als verführerische Lockvögel ausgebreitet liegen. Diese Kellner sind nur arm, und selten wirft ihr kleines, aber anständiges Nebengeschäft etwas ab. Dieses besteht darin, daß sie gern Achtgroschenstücke beim Herausgeben als Viergroschenstücke betrachtet wissen wollen, daß sie zerstreute Schachspieler und Dominospieler gern zweimal bezahlen lassen, und daß sie zu Boden gefallene Taschentücher und Cigarrentaschen im Stillen aufheben und einige Tage darauf durch die dritte Hand das Finderlohn einziehen. Oft haben sie auch nebenbei einen kleinen Cigarrenhandel, doch findet sich diese Art von Betriebsamkeit im Ganzen mehr bei den Bierkellnern.

Diese Klasse muß noch einer Betrachtung unterworfen werden, ehe sie, verdrängt durch die Biermamsells, ganz vom Erdboden verschwindet. Der Bierkellner ist der Proletarier unter den Kellnern; er bildet den naturgemäßen Uebergang zum Bierzapfer und zum Hausknecht. Seit dem Erscheinen der Biermamsells sind wirklich viele dieser Unglücklichen noch bis unter den Besen hinabgesunken. Auf dem Bierkellner lastet wie auf dem Polen das melancholische Bewußtsein des untergehenden Stammes. Um seinen gebeugten Sinn aufzurichten, trinkt er stets das erste Seidel vom frisch angestochenen Fasse, schwört aber stets vor den Gästen, daß das letzte Seidel jenes erste sei. 65 Eine sanfte Trauer lagert auf seiner Stirn, Strohhalme und Federn auf seiner groben Jacke, deren rechter Aermel oft die Stelle des Taschentuches vertreten muß. Er ißt aus angeborner Sparsamkeit Alles auf, was die Gäste auf den Tellern übrig gelassen haben, und streicht gern ein Seidel mehr mit Kreide an, wenn er merkt, daß ein Gast unzurechnungsfähig wird. Arbeitet er mit Biermamsells zusammen, so steht er entsetzlich unter ihrem Pantoffel, besorgt ihre kleinen Bestellungen, putzt ihre Schuhe und genießt gewisse Prozente von dem Ertrage, den das Privatgeschäft seiner Beschützerin abgeworfen hat. Ihm blüht aber kein Neujahr, wenn für seine Herrinnen auch ein fortwährender Sylvesterabend ist.

Weisen diese drei Klassen ganz bestimmte Physiognomien auf, so giebt es doch unter ihnen zahlreiche und auffallende Spielarten, welche theils durch die Orte, an denen sie thätig sind, theils durch ihren früheren Lebenslauf bedingt werden. Nicht Jeder ist Kellner durch freie Wahl; das Leben, wie es oft hochstehenden Naturen die Serviette über den Arm hängt, und Händen, die einst Schwert, Zaum und Feder geführt, den Präsentirteller in die Hand drückt, gefällt sich darin, auch zuweilen aus Stallknechten, Laufjungen und Droschkenkutschern Kellner zu schaffen. Dann erlebt man eigenthümliche, durch Wetteifer mit den feineren Standesgenossen hervorgerufene Bildungsversuche. Bald bestrebt sich ein solcher, das Spiel der Guitarre zu erlernen, bald kämpft er mit dem feuchten Flachs auf seiner Schädelfläche, wenn es sich hartnäckig sträubt, die moderne Frisur anzunehmen, bald versucht er, seine rothblauen Kutscherkrallen, das Entsetzen aller Gäste, denen er ihre Portionen bringt, durch kosmetische Mittel zu bleichen, bald studirt er vor dem Spiegel, ehe Leute kommen, die angenehmsten akademischen Stellungen ein, welche irgend beim Apportiren der Coteletten und grünen Aale vorkommen können! Vor den Thoren der Stadt überrascht man oft in halbländlichen Etablissements, in frühen Nachmittagsstunden, die geistreichen Studien und Uebungen 66 der Eleven der höheren Kellnerei. Durchaus ein Anderer ist der Kellner aus Liebhaberei an Trinkgeldern und auszuleckenden Tellerresten. Diesen findet man nur bei Traiteurs erster Klasse. Ein notorischer Hausbesitzer wartete jahrelang von neun Uhr Abends bis lange nach Mitternacht in schwarzem Frack und weißer Halsbinde in Berlin unter den Linden auf. Er lebte von dem, was die Gäste auf den Tellern übrig ließen, stillte seinen Durst in den verschiedenartigsten Bartneigen, und engagirte sich auch zuweilen bei Familienfesten als Lohnbedienter. Als er nach langer Bedrückung seiner kleinen Miether endlich vor Schreck starb, weil sein eigener Sohn in Begleitung eines Frauenzimmers in dem Hôtel seiner Wirksamkeit erschien und zwei Flaschen Cliquot in Eis nebst einigen anderen Eßbarkeiten, ohne ihn zu erkennen, bei ihm bestellte, fand man in seinem Nachlasse eine höchst interessante Sammlung von silbernen Löffeln, Uhren und werthvollen Dosen, von denen man anzunehmen berechtigt war, daß er sie zum Lohne für treue und aufmerksame Dienste von dankbaren Gästen und Festgebern zum Geschenk erhalten hatte.

So endet ein alter Dilettant, aber das endliche Loos des invaliden Kellners, wenn er es nicht zur eigenen Wirthschaft bringt, ist traurig und herzerschütternd. Einige beschließen ihr Leben in Kellern und verkaufen die rohen Zuthaten zu den gekochten Mahlzeiten, die sie einst in gaserhellte Räume, elegant auftretend, getragen haben; andere pachten den Milchertrag von benachbarten Rittergütern und fahren mit Hunden; die letzte Klasse endlich wandert im Sommer aus und führt auf Exerzierplätzen und an Volksvergnügungsorten ein Squatterdasein voll wehmüthigen Erinnerungen mit sauren und Pfeffergurken. Aber hier in der Unermeßlichkeit der Prairien erkennt man nicht mehr unter der kümmelgebräunten Gesichtsfarbe den feinen Mann, dessen Ideal einst war, bei dem drohenden Ruf der Hungrigen durch die Worte: »Gleich, gleich, meine Herren!« die Gleichheit, wenn auch nicht vor dem Gesetz, so doch vor der Schüssel herzustellen! 67

 


 << zurück weiter >>