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Johnstons Chemie des täglichen Lebens mit ihrer lehrreichen Abhandlung über den Taback, nebst den Angaben über den unermeßlichen Verbrauch Deutschlands, ist ganz 118 dazu geeignet, den Geist von der Theorie des Tabacks auf seine Berliner Praxis übergehen zu lassen. Schon vielen denkenden Köpfen des In- und Auslandes ist die Menge der hiesigen Cigarrenläden so sehr aufgefallen, daß bei der weit geringeren Anzahl der Schlächter- und Bäckerläden jenes alte Vorurtheil beinahe gerechtfertigt erscheint, nach welchem die Naturalverpflegung von Berlin nur den mäßigsten Ansprüchen des Magens gerecht zu werden trachtet. Erfahren wir außerdem von Johnston, daß anhaltendes Tabackrauchen den Hunger zu beschwichtigen im Stande ist, so fassen wir eine höhere Meinung von den Cigarrenläden, und erblicken nicht allein solche Geschäfte darin, welche nur ihren Besitzern eine scheinbare Sättigung vorheucheln, sondern verdienstliche Anstalten, die von den modernen Staaten auf alle mögliche Weise in Schutz genommen werden sollten. Mit Rücksicht auf diese hungerstillende Eigenschaft des Tabackrauchens haben also wahrscheinlich einige erleuchtete Regierungen die Sache der Nation zu der ihrigen, und aus dem Taback ein Monopol gemacht. Es ziemt jeder Mutter, ihren Kindern die Nahrung in eigener Person vorzulegen. Wenn wir aber bei dem Tabacksverkaufe von Berlin stehen bleiben, so fällt uns jedoch auch ebenso sehr, als die hungerstillende, die dursterregende Eigenschaft des Tabacks auf, zumal wir hinter jeder Pumpe und neben jeder Bierstube auch einen Cigarrenladen mit Bestimmtheit antreffen werden. Wir sprechen hier nicht von den exclusiven Lokalen, nicht von den Großkaufleuten in feinen Cigarren mit ihren Kistchen, die, obgleich nur mit zierlichen Tabacksröhrchen gefüllt, doch ebenso viele werthvolle Chatoullen repräsentiren; wir besuchen diesmal nur die Proletarier des Tabacks.
Wenn in allen anderen Handelszweigen eine Befähigung, eine längere Erfahrung und Ausbildung vorausgesetzt wird, so glaubt Jeder einen Cigarrentrödel ohne solche Eigenschaften etabliren zu können. Die meisten Besitzer von Cigarrenläden sind die Dilettanten des Handelsstandes. Da Jeder raucht, glaubt er mit dem Rauche 119 auch die Kennerschaft eingesogen zu haben. Es gehört nicht viel dazu, um einen Cigarrenladen zu etabliren, ein Minimum von Credit, eine Mauerritze und einige Thaler zu baaren Auslagen für die Ladeneinrichtung und die Gasröhren.
Man verschaffe sich aber vor allen Dingen mehrere Hundert leere Kisten, aus denen man einige vielversprechende Mauern im Laden aufrichtet. Mit einer solchen Umwallung muß sich die Reputation des neuen Cigarrenhändlers gegen böswillige Concurrenten und Zweifler im Publikum zu vertheidigen suchen. Die obersten Ziegeln dieser Mauern werden aber durch gefüllte Cigarrenkisten gebildet, die nach Erforderniß als besondere Raritäten heruntergeholt und vor den Augen verwöhnterer Käufer geöffnet werden können. In einem, durch einen Glasdeckel weniger gegen den Staub, als gegen lange Finger zu schützenden Kasten liegen, sorgfältig sortirt, alle Glimmstengelein in einzelnen Fächern. Sie werden theils an unscheinbaren Nummern, theils an wohlthuenden Fremdnamen erkannt. Eine Kundschaft von Droschkenkutschern, Gesellen und Soldaten begnügt sich mit der einfachen Nummer, die jungen Lords, Knights und Earls von Elle und Waageschale fordern tönende Titel. In der Sache wird damit keine Veränderung hervorgebracht. Betrachten wir diese köstliche Waare ein wenig näher. Die heimtückische »Esperanza« ist eine wahrhaft feuerfeste Cigarre, zu der Lungen wie Borsig'sche Blasebälge gehören. Die kleine »Fides« hat den Teufel im Leibe und brennt mit rasender Eile, während sie zuweilen kleine glühende Kohlenstückchen auf die Kleider fallen läßt. Die große dicke »Hermandad« glimmt langsam, wie der Meiler eines Kohlenbrenners, und das Feuer frißt immer nur an einer Seite bis an die Lippen hinauf. Die winzige, trockene »Isabella« spritzelt ein kleines Salpeterfeuerwerk um sich und lodert gerade zwei Minuten; zur Noth kann man damit schon statt mit Pulver eine Pistole laden. Die unsterbliche»Granada« hat man bis zu Ende geraucht und 120 es noch nicht entdeckt. Sie kohlt so arg, daß man dasselbe Exemplar der radikalen Vertilgung wegen eigentlich zweimal rauchen müßte. Manche Cigarrenhändler suchen das Vertrauen ihrer Käufer dadurch zu erhöhen, daß sie ihnen alle Sorten vorrauchen und mit verzückten Augen den Rauch mit hohler Hand der Nase zuzuschleudern versuchen, als wäre der Verlust auch nur eines Qualm-Atoms ein unersetzlicher Schaden.
Der proletarische Cigarrenladen hat keinen festen Käuferkreis, sondern nur eine sogenannte Laufkundschaft. Er verkauft nie Kisten oder auch nur Packete von fünfundzwanzig Stück und Dutzende, sondern nur höchstens – sechs Stück. Das größte Geschäft wird bei dem Verkauf von 1/1000 Kisten nebst freier Emballage gemacht. Sonntags nach der Kirche bis gegen Mitternacht ist die Blüthe des Unternehmens. Dann nimmt der feierliche Grenadier dem befreiten Schusterknaben von dreizehn Jahren, der finstere, unvollkommen gewaschene Schlosser dem krummbeinigen geleckten Schneider, die rothnasige Nr. 1111 dem einsprechenden Nachtwächter den brennenden Fidibus aus der Hand. Aber keiner greift wieder zum Thürdrücker, ohne vorher seine Finger in das riesige Büffelhorn getaucht zu haben, das, mit schlechtestem Schnupftaback gefüllt, wie ein muhamedanisches Karavanserai zur Erquickung aller Nasen offen steht.
Die Woche hindurch ruht das Geschäft im Ganzen; nur am Mittwoch und Sonnabend versehen sich die Landleute mit ihrem Bedarf an uckermärkischen Varinas. Aber an den Wochentagen dienen dafür die Cigarrenläden höheren Zwecken; sie erfüllen die Mission, welche früher den Barbierstuben oblag. Seit die Barbiere in unglaublicher Nachgiebigkeit gegen den menschlichen Eigensinn, den Kunden bis in die Schlafzimmer nachlaufen, sind die nach Seife duftenden Hallen der Redefreiheit verödet. Jetzt versuchen die Cigarrenläden sie zu ersetzen. Alle Neuigkeiten fangen sich dort zuerst. Die Nachricht vom ausgerissenen Pintscher, vom verbrühten Kinde, von der fortgeschickten Köchin wird man am ausführlichsten und 121 correctesten jedesmal im Cigarrenladen erfahren. Aber es bleibt nicht bei den kleinen Vorkommnissen des bürgerlichen Lebens. Besitzer von Cigarrenläden sind meistens Mißvergnügte und sehen wie Verrina gern zahme Verschworene bei sich. Wenn man neben der Thür eine Bank oder gar ein kleines Sopha erblickt, so kann man gewiß sein, daß von dort aus die gediegensten Vorschläge zur Verbesserung der städtischen Finanzen und Straßenreinigung, wie zur Verminderung der Abgaben, in die Environs des Tabackgeschäftes verbreitet worden sind.
Ein eigentlicher Segen ruht auf keiner dieser Miniaturhandlungen. Sie haben eine Zukunft, wie ihre Waare – Rauch und Asche. An einem schönen Morgen, gleich nach dem Ersten des Quartals, klettert ein Mann eine Leiter hinauf und kehrt mit der Firma in das niedere Erdenleben zurück, nach einer Stunde werden auf einem Wagen die leeren Kisten abgeholt, welche zum Theil so ausgetrocknet sind, daß sie dem auspackenden Jungen unter den Händen zerbrechen, die sonstige Ladeneinrichtung hat der Nachfolger erworben – der Besitzer ist aufgeraucht– die Pfeife muß ausgeklopft werden. Schon vorgestern hat er seine Pässe nach Amerika genommen, weil er nicht langer der Versuchung widerstehen konnte, endlich einmal wirklichen Taback kennen zu lernen. 122