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Borgia
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XLI

Bevor Lucrezia nach Ferrara abreiste, rief sie den römischen Infanten, der inzwischen fünf Jahre alt geworden war, zu sich.

Mit Tränen in den Augen verabschiedete sie sich von ihm.

Ich kann dich nicht mitnehmen, mein liebes Kind. Ich muß dich hier beim Heiligen Vater und beim unheiligen Bruder lassen, Narziß. Sie werden dich schützen und behüten und ein Erzengel wird über dich wachen.

Der Knabe sah mit großen Augen zu Madonna Lucrezia auf und begriff nicht, warum sie weine.

Ich werde nie nach Rom zurückkehren. Behüte dich Gott, wenn er einen Borgia behüten mag. Der Heilige Vater hat dich auf meinen Wunsch heute zum Herzog ernannt und dir das Lehen von Nepi verliehen. Narziß, Herzog von Nepi. Aber das begreifst du alles noch nicht und wirst es erst später begreifen. – Leb wohl, mein kleiner Herzog!

Sie hob den Knaben an ihre Brust und küßte ihn stark auf den Mund.

 

Es war drei Uhr nachmittags, als Lucrezia Rom verließ.

Sie ritt auf einem Schimmel. Ihr Kleid, mit Hermelin besetzt, war von roter Seide und floß schillernd an den Flanken des Pferdes herab.

Ihr blondes Haar zitterte im Wind.

Den Reisehut hatte sie herabgerissen und hielt ihn mit den Zügeln an den Hals des Pferdes gepreßt.

Alle Kardinäle, viele Adelige, viel Volk gab ihr bis zur Porta del Popolo das Geleite. Links neben ihr ritt auf einem Falben Cesare.

Vor dem Tore richtete er sich im Steigbügel auf und reichte ihr die Hand.

Sie nahm sie nicht an und blickte ihm nur düster ins Auge.

Er blieb mit den andern Römern zurück, und noch lange sah er ihr blondes Haar in der Nachmittagssonne glitzern.

Wie Herbstfäden, dachte er. Die Herbstfäden der Borgia.

Sie deuten auf baldigen Winter. –

Zwanzig Miglien von Ferrara entfernt, vor dem Kastell Bentivoglio, begegnete Lucrezia ein Jäger zu Pferd. Er hatte Hasen am Sattel hängen, und sie ließ durch einen Ritter ihres Gefolges ihn bitten, ob er nicht zur Abendmahlzeit ihr ein paar Hasen ablassen wolle.

Der Jäger zeigte sich mit größter Artigkeit dazu bereit.

Er lüftete den Hut.

Man stellte sich vor,

und es stellte sich heraus, daß der Jäger Don Alfonso, Erbprinz von Ferrara war, der ihr eben in absentia angetraute Gemahl. Überrascht, aber dann schnell gefaßt, um sich vor dem Gefolge keine Blöße zu geben, musterten sich die Ehegatten, die sich vorher noch nie gesehen hatten.

Lucrezia war dem Erbprinzen von Ferrara aufgezwungen worden, aus politischen Gründen.

Es genügten zehn Minuten höflichen, oberflächlichen Gespräches, und er war von Lucrezia bezaubert wie jeder Mann zuvor.

 

Der Einzug Lucrezias in Ferrara bot eines der prächtigsten Schauspiele jener Zeit.

Es ritten voran fünfundsiebzig Bogenschützen zu Pferde, gekleidet in die Farben des Hauses Este: weiß und rot. Danach kamen hundert Trompeter und Pfeifer. Hinter ihnen ritt, ganz allein, Don Alfonso, der Bräutigam, gekleidet in rotem Samt, ein schwarzes Samtbarett mit einer goldenen Agraffe auf dem Kopf, schwarze Samtgamaschen und schwarze Stiefel.

Es folgten die Adeligen Ferraras, auf kostbar aufgezäumten Pferden, dann Pagen, spanische Granden, Bischöfe, die Abgesandten Roms.

Drei Hofnarren Lucrezias kobolzten nun einher, an der Spitze eines Zuges von dreißig Zwergen, die alle fortgesetzt Rad schlugen und andere Possen trieben.

Dann kamen zehn auserlesen schöne Pagen, in die Farben des Regenbogens gekleidet. Und dann

Lucrezia,

die Braut,

auf ihrem Lieblingsschimmel.

Sie trug ein glattes, schwarzes Samtkleid, mit goldenen Borten besetzt, über das Kleid einen Mantel von Goldbrokat.

Ihr volles blondes Haar war in ein schleierartiges Netz von dünnem Gold gehüllt, so daß man die Haarfäden und Goldfäden nicht unterscheiden konnte. Eine Sonne flammte über ihrer Stirn.

Sie ritt unter einem purpurnen Baldachin, den die ordentlichen Professoren und Doktoren der Universität Ferrara trugen, da es an Dienern mangelte.

Der Gesandte Frankreichs ritt hinter ihr, neben dem Herzog Ercole von Este. Es folgten wieder Prinzen, Edle und Pagen und dann in vierzehn Galakarossen die Ehrendamen und Hofdamen des Hofes von Ferrara.

Sechsundachtzig Maultiere, darunter zwei weiße, führten die Garderobe der Braut.

Mit vielen Ah's und Oh's bewunderten die gaffenden Weiber Ferraras die kostbaren Gewänder, Teppiche, Schmuckgegenstände. Aber manch ein Bauer und Bürger stand am Weg und dachte:

Dies sind die Steuern und Abgaben, die eine heilige Kirche von uns erpreßt hat – für die Borgia. –

Da – da – auf dem Rücken der Maultiere ziehen sie dahin: meine und deine »Sankt Peterspfennige«. Aus Pfennigen werden Gulden, aus Gulden Dukaten und viele Dukaten machen jene breitärmelige Camorra von grünem Samt oder jene fünffach um den Hals des einen weißen Maultiers geschlungene Kette von Rubinen und Perlen. Neben den beiden weißen Maultieren schritt auch ein roter Stier, das Wappentier der Borgia.

Er wurde von der Volksmenge gehänselt und gestichelt, da sie sich an die Borgia selbst nicht wagten.

Aber stolz, unnahbar, schritt er vorüber, den Kopf gesenkt, um die Menschen, die er verabscheute, nicht sehen und riechen zu müssen.

 

Auf dem Domplatz, wo Seiltänzer, die zwischen zwei Kirchtürmen tanzten, sie begrüßten, stieg Lucrezia vom Pferd.

Der Rektor der Universität, Professor Nicolò Leoniceno, Ordinarius für Mathematik, ein alter kurzsichtiger Herr, hielt ihr die Steigbügel.

Pfeifer, Trompeter, Trommler, Pauker, Posaunisten begannen mit den Glocken der Kirchen um die Wette zu lärmen.

Lucrezia. der alles Laute verhaßt war, zog ein wenig den Mund schief, ließ aber dann ein Lächeln um ihre Lippen spielen, das jedermann entzückte.

Im Empfangssaal nahmen Lucrezia und Alfonso auf dem rosengeschmückten Thron Platz.

Nach alter Sitte durfte die Braut einen Wunsch äußern, der sofort erfüllt wurde. Lucrezia bat, sämtlichen Gefangenen der Stadt Ferrara die Freiheit zu schenken.

Spanische Buffone begannen, sie anzusingen.

Als erster Orator begrüßte sie der Dichter Ariost:

O Rom! O armes Rom, in Nacht gestürzt,
Da dich die Sonne Borgias jäh verließ
Und in Ferrara nun ihr Licht entzündet:
Lucrezia, holdestes Gestirn, erkoren,
Uns künftig Flamme, Wärme, Glück zu spenden –
O geuß den Krug des Feuers auf uns hin,
Und brenne uns zu Fackeln, Königin!
Daß wir zu deiner Ehre himmlisch brennen
Und noch als Asche uns zu dir bekennen!

Unnatürlich bleich verneigte sich der junge, siebenundzwanzigjährige Dichter und trat mit linkischer Grandezza zurück.

Lucrezia sandte ihm einen sanften Blick nach – aus ihren occhi bianchi – ihren hellblauen Augen.

Noch am gleichen Abend, in seine einsame Kammer zurückgekehrt, schrieb er den Vers:

Das Weib ist ein gefährliches, großes Kind,
sie hat die Augen der Taube und den Griff der Pantherin.

 

Das Hoftheater von Ferrara, im Saal des Podestà, faßte dreitausend Personen.

Es war am Abend der Festvorstellung zu Ehren der Vermählung des Erbprinzen überfüllt.

Vor Beginn der Vorstellung traten sämtliche Schauspieler an die Rampe und stellten sich dem Publikum devotest vor.

Der Direktor verkündete das zu spielende Stück.

Ariost hatte seine »Cassaria« eingereicht, aber sie war als zu modern abgelehnt worden. Der Herzog und das Publikum waren für »das Klassische«.

Die Vorstellung begann damit, daß Plautus selbst auftrat und es mit besonderer Freude begrüßte, daß eine seiner Komödien gespielt werden sollte.

Man spielte den Epidicus.

Der größte Teil des Publikums langweilte sich und wurde erst bei den Balletts munter, die zwischen die Akte eingeschoben wurden.

Da tanzten zehn Neger mit Kerzen im Munde. Da tobte ein Gladiatorenkampf. Besonders applaudiert wurde ein feuerspeiender Drache und eine schöne, nackte Jungfrau auf einem Einhorn.

Zum Schluß aber gab es ein unbeholfenes frühchristliches Legendenspiel von der Hetäre Thais, das Lucrezia im innersten Herzen erregte.


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