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Nicolo Macchiavelli, aus einer einfachen Popolanenfamilie stammend, humanistisch gebildet, Sekretär des florentinischen »Rates der Zehn«, wird in außerordentlicher Botschaft zu Cesare Borgia gesandt.
Florenz, zu schwach, um einem drohenden Angriff des Fürsten zu widerstehen, will sich gütlich mit ihm einigen. –
Nicolo Macchiavelli lebte auf einem kleinen Landgute bei Florenz.
Er stand früh am Tage auf, jagte Krammetsvögel, betätigte sich in seinem kleinen Wäldchen als Holzhauer, saß den halben Tag im Wirtshaus, um mit dem Wirt, mit dem Bauern Gismondo Buonarotti (einem Bruder des Bildhauers Michel Angelo Buonarotti), mit Metzger, Bäcker, Fuhrherrn und Ziegelbrenner zu schwatzen und Cricca oder Trick-Track zu spielen.
Er stritt sich mit ihnen um jeden Quattrino und man hörte ihr Geschrei die Landstraße auf und ab eine halbe Meile.
Abends, bei Einbruch der Dämmerung, stapfte er nach Hause, zog den Bauernkittel aus, und im bloßen Hemd saß er an seinem Schreibtisch, las Dante und Petrarca, Tibull und Ovid.
Er las Ovids Ars amandi und seufzend gedachte er seiner eigenen früheren Liebschaften.
Das war vorbei.
Er hatte eine Frau und vier Kinder, und nur hin und wieder mal trieb ihm der günstige Wind in seinem Wäldchen eine Bauernfrau oder Magd ins Gehege.
Wenn er des Ovid überdrüssig war, klappte er ihn zu und seine Schreibmappe auf und setzte seine Studien fort »sul arte del stato«: über die »Staatskunst«.
Er konnte sein Bauernanwesen kaum verwalten, aber über Republiken und Monarchien regierte souverän sein Geist:
Der Geist eines klugen, scharfsichtigen, scharfsinnigen, unbestechlichen Menschen: bestechlich nicht durch Gold und nicht durch Schmeichelei, unbeeinflußbar durch Sympathien und Antipathien.
Ihn bewegte die »Politik an sich«, ihre Methodologie. Und das Maß seiner Maßstäbe gab allein der Mensch, der Politik und Geschichte macht.
Wie war das Wesen des niedrigen Menschen beschaffen? Er war dumm, feige, selbstsüchtig, treulos –
Wie war das Wesen des höheren Menschen beschaffen?
Er war klug, tapfer, selbstisch und sich selbst treu. Seine Klugheit gebot, die Dummheit, der andern zu benutzen, seine Tapferkeit, ihre Freiheit zu unterwerfen, seine Treue gegen sich selbst konnte als Treulosigkeit andern gegenüber in Erscheinung treten. Töricht, wer Wortbrüchigen Wort hielt, dumm, wer Klugen dumm kam, feige, wer vor Meuchelmord zurückschreckte – wenn die andern ihm schon den Gifttrank bereitet und den Galgen errichtet hatten. Es kam darauf an: der erste zu sein: bei einer Frau, bei der Politik.
Früh zu Bett gehen – und früh aufstehen – wenn die andern erwachten, mußte die Hälfte des Tagwerks schon getan sein.
Er hatte dann schon sieben Krammetsvögel gefangen – und Cesare Borgia sieben verräterische Condottiere.
Die Florentiner wußten, was sie taten, als sie Macchiavelli zu Cesare Borgia sandten. Es war nicht das erste Mal, daß der bäurische Kerl mit der Seele eines Staatsmannes ihnen in wichtigen Missionen diente.
Im Palast Cesare Borgias fand jenes denkwürdige Gespräch zwischen Cesare und Macchiavelli statt, das dem Florentiner die Anregung zu seinem Traktat über den »Fürsten« geben sollte.
Es war noch sehr früh am Tag. Dämmerung hing noch im Zimmer. Cesare hatte Macchiavelli um sechs Uhr früh zur Audienz gebeten. Seit Monaten zeigte sich der Borgia nicht mehr bei Tageslicht.
Die Krankheit hatte sein Gesicht mehr und mehr verwüstet. Es war von eitrigen Pusteln über und über bedeckt. Die Nase war angefressen. Nur seine hellen blauen Augen funkelten unversehrt und herrisch.
Nehmen Sie Platz, sagte der Borgia. Er setzte seinen Gast so, daß dessen Gesicht im Licht war, während er selbst im Dunkeln blieb.
Macchiavelli nahm Platz: in einem tiefen Sessel, in dem der kleine, beleibte Herr fast ganz verschwand.
Cesare lachte:
Ja, da haben Sie gleich ein Beispiel meiner politischen Methode: ich zwinge meine Gäste immer, tief unter mir in einem weichen Lehnstuhl zu versinken. Das macht sie mir »untertänig« und ihren Verstand weich und nachgiebig. Ich selbst pflege auf einem harten, hohen Holzstuhl zu sitzen.
Macchiavelli sah von unten nach oben und sprach dorthin, wo er im Dunkeln den Borgia vermutete:
Ich bewundere Sie, Hoheit.
Der Borgia fragte:
Was macht Florenz? Man ist uns nicht besonders wohl gesinnt dort: Seiner Heiligkeit und mir.
Macchiavelli versuchte, eine abwehrende Handbewegung zu machen.
Cesare fuhr fort:
Man sieht es nicht gern, daß ich mich in Umbrien und der Romagna festsetze, daß ich mit Ludwig XII. von Frankreich d'accord bin. Man schimpft mich den Grausamen. Aber diese Grausamkeit hat die Romagna zusammengehalten, während die überaus gerühmte Milde der Florentiner die Zerstörung von Pistoja auf dem Gewissen hat. Wer ist nun in Wahrheit grausamer? Meine Grausamkeit hat in der Romagna vielleicht fünfzig Menschen getötet. Aber die Milde der Florentiner in Pistoja: zweitausend!
Und er zitierte Virgil:
Res dura et regni novitas me talia cogunt Moliri, et lati fines custode tueri. |
Macchiavelli:
Es muß das Bestreben von Florenz sein, sich als autonomer Staat in dem Wirrwarr der Zeit zu behaupten, solange –
Der Borgia: Nun, solange –?
Macchiavelli fuhr vorsichtig fort:
Solange sich diese Zeit nicht geändert hat.
Der Borgia lachte leise.
Nun, diese Zeit ist ein abstrakter Begriff. Sie wird sich nicht selbst ändern. Wir sind berufen, sie zu ändern. Wir Menschen.
Ja, schmeichelte Macchiavelli. Ihr Menschen, ihr großen Menschen! Ihr Borgia!
Cesare wandte sich einen Moment angewidert ab:
Hat Florenz Sie gesandt, mir Weihrauch zu schwingen und Zuckerstücke wie einem tanzenden Jahrmarktsbären zu reichen? Ich verabscheue beides.
Der Rat der Zehn von Florenz schickt mich, Ihnen seine Hochachtung zu bezeigen – auch wenn zwischen Ihren und seinen politischen Überzeugungen ein Abgrund klafft.
Borgia:
Was für ein Abgrund?
Macchiavelli:
Wir Florentiner sind Republikaner.
Der Borgia lächelte:
Ich nicht. Ich bin Borgia.
Macchiavelli:
Ob Republik, ob Monarchie – gute Gesetze sind das Fundament des Staates.
Cesare:
Gute Gesetze können nicht bestehen ohne ein gutes Heer.
Macchiavelli:
Ein gutes Heer bedarf vor allem der Disziplin, also wiederum – des Gesetzes.
Cesare:
Ein gutes Heer setzt sich aus guten Soldaten zusammen. Gute Soldaten sind eigentlich nur Landeskinder, das heißt Menschen, die ihre Heimat lieben, die ausziehen, ihren eigenen Grund und Boden, ihr Gewerbe, ihre Frauen und Kinder zu verteidigen.
Macchiavelli:
Aber Sie haben sich oft der Söldner und fremder Kriegsknechte bedient –
Cesare:
Die Not zwang mich dazu. Das Ideal eines Heeres ist das Nationalheer. Nur aus diesem Grunde konnte Karl VIII. von Frankreich Italien so schnell überrennen, weil seinem disziplinierten französischen Heer unsere zügellosen Haufen Mietlinge und Knechte aller Länder nicht gewachsen waren.
Macchiavelli:
Aber wie kann ein Nationalheer ohne Nation aufgestellt werden?
Cesare sprang auf, und nun glänzte sein fahles Gesicht plötzlich grell im stärker einströmenden Morgenlicht:
Sie haben recht. Hier liegt der Kardinalpunkt der italienischen Politik. Italien muß eine Nation werden. Das ist mein und meines erlauchten Vaters innigstes Ziel. Ein geeintes Italien, ein einiges italienisches Heer.
Macchiavelli unterbrach höflich:
Und ein König?
Cesare stand jetzt am Fenster und sah einer Amsel zu, die den Morgentau aus ihrem Gefieder stäubte:
Jawohl. –
Macchiavelli fragte zögernd:
Und wer soll dieser König sein?
Cesare:
Ein – ein – er brach den Gedanken ab, – ein schöner Tag wird heute. –
Macchiavelli erhob sich:
Ein Borgia, Hoheit, wollten Sie sagen.
Cesare schnitt das Gespräch mit einem Hieb der Reitgerte ab, die er durch die Luft sausen ließ:
Wir werden sehen, kommt Zeit, kommt Rat –.
Macchiavelli:
Kommt Borgia –
Cesare:
Nach Florenz.
Macchiavelli:
Ich habe die Ehre, Eurer Hoheit ein Bündnis der Stadt Florenz anzubieten. Sie würde sich glücklich schätzen, Eure Hoheit als Condottiere, als Truppenführer, zu gewinnen, Sie bietet Eurer Hoheit ein Jahresgehalt von 36.000 Golddukaten.
Cesare geleitete den Gesandten der florentinischen Republik bis an die innere Tür:
Ich bitte Sie, mir im Namen der Signoria einen Vertragsentwurf vorzulegen. Ich habe mich vortrefflich mit Ihnen unterhalten; besuchen Sie mich gelegentlich wieder.
Macchiavelli verneigte sich tief.
Macchiavelli ging, erschüttert von dem Gespräch, durch den frühen Morgen.
Er lief planlos durch die Gassen und stieg dann auf den Monte Pincio, die Stadt Rom im Morgenglast zu betrachten.
Er dachte: ein Ungeheuer – wenn man will – und wenn man die eine Seite der Medaille sieht – aber dreht man sie um: ein Genie – ein politisches Genie wie sein Vater – sie tun alles nur für sich, aus einem fanatischen sacro egoismo. Aber siehe: ihre Gedanken und Taten münden organisch in das große Weltgeschehen.
Er will die Einigung Italiens – für sich – um König zu werden – aber ist sie nicht das größte und würdigste Ziel eines heutigen Italieners?
Seine Gedanken sind scharf wie spanische Klingen.
Auch was sein Vater tut und plant – die hypertrophische Machtübersteigerung des heiligen Stuhls – ist nur gedacht im Sinne Borgias. Aber später einmal werden seine Nachfolger noch davon zehren, daß er dem Papsttum an sich das feste politische Fundament gelegt. Wo sind sie hin, die Orsini, die Colonna, die generationenlang den Papst in seiner eigenen Stadt zur Ohnmacht verdammten? Nein, dumm sind diese Borgia nicht, es sind – es sind –
und er suchte nach einem Wort, da hörte er eine Amsel.
Es sind Genies der Amoralität. Sie wissen nicht, was böse oder gut ist. Sie kennen nur den Nutzen einer Sache, soweit sie sie selbst betrifft.
Der Kentaure Chiron ist ihr Lehrer gewesen: halb Mensch, halb Tier, und sie selbst sind Kentauren geworden.
Sie empfangen ihre Bestimmung und ihr Licht vom Sternbild des Kentauren.
Vier Jahre braucht das Licht, um vom Kentauren zur Erde zu gelangen.
Eine Ewigkeit dauert es, um von den Borgia Licht und Wärme zu empfangen.
Sie haben ihr Herz hundertfach umpanzert. –
Er neigte sich zur Erde. Sieh da!
Eine Blüte der Centaurea! Was haben die Kentauren, die Borgia damit zu tun? – Es gibt eine Art der Centaurea, deren bittere Wurzel als Gegenmittel gegen – Gift angewendet wird. –
Und er begann sich Notizen auf ein paar Zettel zu schreiben, die er aus dem Rock kramte:
Die Borgia verstehen sich darauf, beide Naturen, die menschliche und die tierische, gut zu verwenden, weil eine ohne die andere nicht lange besteht. Sie verstehen sich darauf, Bestien zu sein und nehmen vom Fuchs und Löwen, was ihnen paßt. Die Fuchsgestalt ist nötig, um die Schlingen kennen zu lernen, die Löwenmaske, um die Wölfe zu verjagen. Wer nur den Löwen spielt, versteht seine Sache nicht.