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Borgia
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XL

Wir brauchen einen Heiligen unter uns, einen heiligen Borgia. Weißt du keinen? fragte der Papst, als er eines Tages in der Legenda aurea blätterte, den Sohn Cesare.

Cesare lachte hell auf, um sich sofort zu fassen.

Ich bitte für mein unziemliches Verhalten um Vergebung. Man darf die Form nie außer acht lassen – sagte der Glockengießer, aber da war es schon zu spät und die Glocke war verpatzt. Ja – wen soll ich dir da empfehlen? Calixtus macht keine besondere Figur. Der Herzog von Gandia ist zwar tot, aber nicht heilig zu kriegen. Lucrezia – wäre eine schöne Heilige – aber sie lebt ja noch. Ebenso dieser Knabe Narziß. Warten wir ein paar hundert Jahre, Papa di Roma. Wenn wir Borgia uns ausgetobt haben, werden wir auch noch einen Heiligen zustande bringen. Und er wird genau so heilig sein, wie wir unheilig waren. Denn ein Borgia tut nichts Halbes. Addio, Rodrigo.

Er nannte seinen Vater nur in besonders zärtlichen Momenten Rodrigo.

Der Papst sah ihm innig nach:

Ein kluger Kopf, dieser Cesare. –

Er rieb die Hände aneinander.

Er fror zum erstenmal in seinem Leben. Ich werde alt.

Draußen war Juni. Der 27. Juni 1500.

Er befahl, im Kamin Feuer zu machen.

Es war ein uralter Kamin, an dem schon Calixtus III. seinen Borgiacorpus gewärmt hatte.

Wann war das gewesen?

Vor – vor etwa fünfzig Jahren – dachte der Papst erstaunt.

Das sind schon fünfzig Jahre her!

Er lehnte sich an den Kamin.

Und plötzlich war ihm, als ob der Kamin ein feuerspeiender Krater sei.

Die Erde begann zu zittern.

Mit donnerndem Gepolter brach der Sims des Kamins über ihm zusammen.

Lucrezia fand ihn und schrie laut um Hilfe. Ihre Zofe und einige Soldaten der Schweizergarde zogen ihn unter dem Schutt hervor. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie den Wunsch, der alte Mann dort, ihr Vater, der sie in dieses Leben gezerrt hatte – er möchte tot sein, ganz und für immer tot. Aber er war bärenstark, stierkräftig. Der Kamin hatte seinen Schädel nur geschrammt. Er hatte ihn nicht zerschlagen können.

Lucrezia pflegte ihn.

Nach seiner Wiedergenesung zelebrierte er ein Hochamt in der Kirche Santa Maria del Popolo.

In seinen noch zitternden Händen hielt er einen mit dreihundert Dukaten gefüllten Pokal und schüttete ihn vor dem Altar der Jungfrau aus:

Dreihundert, drei–hun–dert Dukaten opfere ich dir als Dank für meine Genesung, allerheiligste, allerjungfräulichste, allergnädigste Madonna! –

Die Dukaten rollten über die Altarstufen hinab.

Des Nachts aber überkam ihn plötzlich die Reue.

Er fuhr aus Träumen auf, zumal er abends eine schwer verdauliche Langustenpastete gegessen hatte.

Dreihundert Dukaten! dachte er. Die Madonna wäre auch mit zweihundert zufrieden gewesen. Oder – hundertfünfzig. Schweiß stand ihm vor der Stirn.

Er klingelte.

Aber der wachthabende Offizier der Schweizergarde im Vorzimmer schlief.

Der Papst knüpfte sich einen Knoten in sein Bettuch und beschloß, sofort am nächsten Tag zweihundert Dukaten von der Santa Maria del Popolo zurückholen zu lassen.

Als er sich schlaflos von einer Seite auf die andere wälzte, machte er nochmals Licht, griff zu seinem Notizbuch und begann, sich allerlei zu notieren:

Mein Ziel ist – die Autorität des Kirchenstaates unter meinem Zepter unverrückbar zu gestalten.

Wer sich von den Fürsten mir entgegenstellt, den zerschmettere ich. Meine Feinde sind dem Untergang geweiht. Ich fluche ihnen mit dem päpstlichen Fluche. Vide Karl VIII. und Fra Girolamo.

Die Orsini und Colonna, meine inneren Feinde in Rom, werden im Jenseits eine Ewigkeit an mich zu denken haben.

Die Unterwerfung der Este zu Ferrara gelingt nicht? Gut, wird Lucrezia einen Este heiraten und wir gewinnen sie so und borgisieren sie auf diese Weise.

Man muß die Menschen gegeneinander ausspielen: die italienischen Fürsten und Städte gegen die ausländischen Mächte und umgekehrt. Innen beständig sein, aber sich nach außen nicht festlegen. Das heißt Politik. Im Klaren die Angel werfen und im Trüben fischen. Alles versprechen und den Teil halten, den man zu eigenem Nutzen halten muß. Mag Italien dabei mager werden: wir Borgia mästen uns. Italien muß in Unordnung gebracht werden, damit wir in unserer Ordnung verbleiben.

Und er stand auf, schlüpfte in seine Pantoffeln und schlürfte in den Keller hinab, wo er sich eine Zelle als seine Schatzkammer hatte herrichten lassen.

Niemand durfte sie betreten. Auch Cesare und Lucrezia nicht.

Die Schränke an den Wänden waren gefüllt mit Säcken von Dukaten, Kästen voll Edelsteinen, Smaragden, Rubinen, Saphiren, goldenen Schalen, Kreuzen, Figuren. Altargeräte, Abendmahlpokale standen auf Regalen. Der Papst schüttete einen Sack Dukaten auf den Tisch und wühlte darin.

Von seinen Lippen troff Speichel dazwischen. Seine Augen öffneten sich gierig wie die eines Habichts, der einen Hasen erspäht.

Und vor Wollust des Besitzes und Geizes ergoß er seinen Samen in ein goldenes Gefäß.

 

Alexander rief Lionardo da Vinci, den bekannten Militäringenieur und Erfinder, der in Diensten Cesares stand, zu sich.

Lionardo, der gerade an einer Federzeichnung »Der Gehängte« strichelte, kam sehr unwillig.

Der Borgia ließ sich vernehmen:

Ja, die Erde kenne ich nun,

Berge, Täler, Städte, Dörfer, Männer, Weiber.

Du hast mir einen Globus verfertigt,

er steht auf meinem Schreibtisch,

und manchmal fährt meine Hand zärtlich über die Rundung der Kugel,

als wäre es eine Frauenbrust.

Dies alles

ist mir tributpflichtig,

zollt mir Achtung, Ehre, Gut und Geld:

Italiener, Spanier, und wie ich höre, sogar Deutsche und Mohren.

Nun aber will ich einmal Sterne um mich haben.

Bau mir ein Planetarium!

 

Und als das Planetarium gebaut war, saß der Borgia unter den Sternen, unter Uranus, Neptun, Saturn, Sonne, Mond, unter Planeten und Fixsternen.

Er griff mit seinen immer leicht schweißigen Händen danach und sie ließen sich in die Hand nehmen wie kaum flügge Vögel. Dann ließ er sie wieder los:

Flieg, Sonne!

Flieg, Mond!

Und sie kreisten in edler Ellipse um seine Stirn.


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