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Dürre, schwüle Julitage waren angebrochen. Den Tag über mußte man die Fenster des Giebelstübchens dicht verhängen, um der Sonne und der Hitze zu wehren. Dort saß Rosa an der Wiege ihres Kindes. Sie durfte schon das Bett verlassen, sich regen und frei schaffen. Das Gesicht war noch von überzarter Blässe, zeigte jedoch einen ruhig befriedigten Ausdruck. Rosa fühlte das wohl. Das stete Ringen, das qualvoll verwickelte Grübeln, mit dem sie doch nimmer ins reine kam, waren fort, waren von dem Interesse an den kleinen Vorkommnissen der Kinderstube verdrängt. Die Vorhänge, die das Fenster verhüllten, verhüllten für Rosa auch die ganze übrige Welt. Nur das Giebelstübchen blieb, dessen Mittelpunkt die Wiege bildete.
Lange Stunden einsamen Stillsitzens kamen auch jetzt zuweilen. Das Kleine schlief. Rosa saß ihm zu Häupten und wehrte mit einem Erlenzweig den Fliegen. Aber nie – nie ward sie mehr von dem nagenden Sehnen nach Freuden und Glück, von dem bittern Bedauern der Vergangenheit gequält. Farblos und fern erschien ihr die Zeit, da das Kleine noch nicht war. Natürlich war sie damals unglücklich gewesen; jetzt verstand sie das, denn sie blickte auf jene Zeit mit ruhiger Überlegenheit zurück.
Nach Liebe hatte dieses leidenschaftliche Mädchenherz verlangt. Es war ihm in ihrer Abgeschlossenheit zu eng geworden, es hatte die Liebe beschleunigen, erzwingen, sich zu ihr überreden wollen. Jetzt, da sich die Liebe in ihrer ganzen Wirklichkeit und Reinheit nahte, jetzt gab sich ihr dieses Herz rückhaltlos hin und war tief beruhigt. Daß der Gedanken- und Wirkungskreis sich eng um das kleine nackte Kindeshaupt zusammenzog, übersehbar, verständlich und ganz mit Liebe ausgefüllt, das brachte den Frieden über Rosa.
Allzuviel Zeit zum Nachdenken fand sie ohnehin nicht. Das Kleine war unruhig, weinte viel. Oft mußte Rosa es die ganze Nacht über auf ihren Armen wiegen. Dann studierte sie eifrig dieses kleine Wesen, das da schrie und nicht still sein wollte. Wo fehlt es ihm? Was will es? Sie wandte es hin und her – sie fragte, untersuchte es, legte es an die Brust, und half alles nichts, dann weinte Rosa über das unerbittliche kleine Rätsel.
»Wie kann ich dir denn helfen, wenn du mir nicht sagst, wo es dich schmerzt? Ich will ja nicht, daß du leiden sollst. Alles, nur das nicht! Aber, wie kann ich's ändern? So weine doch nicht, mein Engel, bitte, weine nicht. Sei vernünftig. Zeige mir, was du willst.«
Eines Tages, da Rosa wie gewohnt neben ihrem schlummernden Kinde saß, lächelte dieses im Schlaf. Die schmalen roten Linien der Lippen verzogen sich und zuckten. Rosa beugte sich ganz nahe auf diese Lippen herab. Ja, unzweifelhaft! Das war Ambrosius' Lächeln, das sanftspöttische Emporziehen des rechten Mundwinkels, das Grübchen in der Wange. »Nun das wieder!« sprach Rosa vor sich hin, wie jemand, dem wieder eine Freude gestört wird. Sie war im Begriff, das Kind zu wecken. So sollte es nicht lächeln. Doch sie besann sich, küßte behutsam die Stirn des Kindes, und ihr Gesicht nahm wieder seinen milden, beruhigten Ausdruck an: Das Kleine sollte fortlächeln. Es gehörte ja ihm auch, und um des Kindes willen wollte sie dieses Lächeln, wollte sie ihn lieben. Gehaßt hatte sie Ambrosius nie, dazu war ihre Liebe zu wenig tief und wahr gewesen. Jetzt, an der Wiege ihres Kindes, dachte sie ohne Bitterkeit und Aufregung an Ambrosius. Es galt ihr als ausgemacht, daß sie trotz allem doch zu ihm gehörte. Er war der Vater ihres Kindes.
Dann wieder schnürte eine große Bangigkeit Rosa das Herz zusammen. Ambrosius' lüstern-süßes Lächeln in diesem Kindergesicht erschien ihr wie eine Gefahr für das Kind. Wurde es dadurch nicht der bösen Welt nähergebracht? Störte es nicht den Kindesfrieden? Großes Mitleid ergriff Rosa, Mitleid für den kleinen Märtyrer, der nicht ahnte, was seiner harrte. Ach Gott, blieb das Kind doch immer so klein, daß sie es vor dem feindlichen Leben schützen könnte. Doch Rosa lächelte über ihre eignen Gedanken. Noch hatte das Kleine viele Jahre in ihren Armen Raum, und niemand durfte es kränken. Es sollte glücklich sein und oft – oft lächeln, wenn es auch Ambrosius' Lächeln war!
Während der folgenden Nacht mußte Rosa das Kind beständig auf ihren Armen wiegen, denn es schrie und jammerte kläglich. Plötzlich wurden die Glieder des Kindes steif, das Gesicht nahm eine blaurote Farbe an, und der Kopf wurde krampfhaft zurückgerissen. Anfangs war Rosa starr vor Schreck, dann rief sie nach Frau Böhk, nach einem warmen Bade. Eine zielbewußte Geschäftigkeit trat an die Stelle des ersten Schreckens und ließ für die Sorge kaum Raum übrig. Erst als das Kind wieder ruhig auf den Knien seiner Mutter schlief, fühlte diese am Beben ihres ganzen Wesens, wie furchtbar es sie erschüttert hatte, ihr Kind leiden zu sehen. Bleich und ernst auf das Kind niedergebeugt, saß sie noch da, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Frau Böhk trat in das Zimmer. »Jetzt scheint es vorüber zu sein. Gott sei Dank«, sagte sie und setzte sich auf einen Stuhl.
»Ja«, erwiderte Rosa, »es schläft ruhig. Wir wollen leise sprechen, damit es nicht erwacht.«
Frau Böhk lachte. »Ach was, das stört so 'n kleinen Kerl nicht. Von der Stimme der Böhk ist noch kein Kind aufgeweckt worden, will ich meinen. Aber«, fügte sie hinzu und rieb sich bedächtig die Schenkel, »ich wollte Sie fragen, liebes Kind, wie wird es mit der Taufe? Morgen ist Sonntag; da haben wir den Pfarrer.«
»Hat denn das Eile?« fragte Rosa erstaunt. »Agnes wollte kommen; und dann...«
»Gut, gut! Ich verstehe schon. Ich meine aber gerade, wir können nicht warten.«
»Wie?«
»Verstehen Sie mich recht, liebes Fräulein.«
Frau Böhk machte ein strenges, höfliches Gesicht. »Das Kind hat in voriger Nacht böse Krämpfe gehabt und ist überhaupt ein verteufelt zartes Würmchen. Jedem Menschen kann etwas zustoßen, wie viel mehr einem so schwachen Kinde. Nicht? – Ich habe nun darauf zu sehen, daß ein Kind getauft ist, wenn etwas passiert. Dafür werde ich verantwortlich gemacht, niemand anderes. Von der Taufe ist auch noch kein Kind gestorben.«
Rosa hatte ernst zugehört, nun schaute sie auf ihr Kind nieder, das ruhig in ihren Armen schlummerte. Sie lächelte. »Nein, Frau Böhk«, sagte sie. »Das wird es nicht tun, das nicht! Sterben kann es nicht.«
Ungeduldig erhob sich Frau Böhk. »Kann – kann! Warum kann es nicht? Wir alle können heute oder morgen sterben. Ich sage nur: Die Verantwortung hab ich zu tragen. An mich muß ich auch denken.«
»Ich habe ja nichts dagegen, daß morgen die Taufe ist«, beschwichtigte Rosa die Hebamme. »Herr Böhk ist vielleicht so gut, der Pate des Kleinen zu sein. Ich sage nur...«
»Dann ist ja alles in Ordnung«, rief Frau Böhk erleichtert aus. »Der Pfarrer kommt ohnehin nur alle vierzehn Tage vom Schloß zu uns herüber, dem Kinde wird's auch guttun, ein Christ zu werden. Hernach trinken wir Schokolade. Das muß so sein; das ist selbstverständlich. Ich besorge schon das nötige, später berechnen wir uns. Die Leb hab ich auch eingeladen. – Sie sind ein liebes, vernünftiges Kind.«
Als Frau Böhk fort war, blickte Rosa sinnend ihr Kind an. Die Hebamme hatte sie erschreckt. So etwas war nicht möglich! Dieses arme, zarte Kindchen und eine so grausame, finstere Sache wie der Tod, was konnten die gemein haben? »Nein, das tust du nicht, mein Engel! Das werd ich dir nie erlauben«, flüsterte sie.
Der Sonntagnachmittag war für die Familie Böhk voll großer Geschäftigkeit. Schon das Aufsetzen der Haube mit den gelben Bändern, die Frau Böhk nur an Tauftagen aus dem Kasten nahm, war ein Ereignis. Herr Böhk, als der Welterfahrenste, besorgte das. »Sitz still, Frau Böhk!« befahl er. »Die eine Seite mit der großen Rose muß zurückgeschoben werden, sonst sieht es steif aus. Eine Haube muß ein wenig schief sitzen, nicht gerade wie eine Nachtmütze. Nein, ein wenig, wie soll ich sagen? Ein wenig liederlich muß es aussehen; so – so – ›Komm und küsse mich‹ – verstehst du?«
»Böhk, Böhk!« mahnte die Hebamme. »Daß du mich nicht ganz gottlos herrichtest!«
»Nein, Wilhelmine!« erwiderte Herr Böhk überlegen. »Du kannst ruhig sein. Für die Würde ist gesorgt, aber auch für die Schönheit. So, jetzt siehst du gut aus, blühend – gelb und rot.«
Für sich holte Herr Böhk einen Frack, weiße Handschuhe und einen Zylinder aus dem Kasten. Er war stolz auf diese Sachen. Die Schöße des Frackes vorsichtig in der Hand haltend, ging er mit ausgebogener Taille feierlich im Zimmer auf und ab, gefolgt von seinem Sohn, der über die Kleidung des Vaters spottete. »Wie dumm das ist, so 'n Frack.«
»Dumm?« erwiderte Herr Böhk hochmütig. »Der Frack ist hier nicht der Dumme.«
»Da fehlt ja vorne was!«
»Lieber Hans, dir fehlt etwas.«
Dieses Mal nahm Frau Böhk die Partei ihres Mannes. »Laß ihn, Hans, du verstehst wirklich nichts davon.« Sie hegte selbst große Achtung vor diesem Kleidungsstück.
Endlich war alles bereit, man wollte jedoch noch warten, bis der Gottesdienst ausgeläutet wurde, um das Gedränge zu vermeiden. Rosa hielt das Kind auf dem Schoß. Sie trug heute ihr weißes Musselinkleid und weiße Rosen im Haar. Wer sie dasitzen sah mit dem erregten blassen Gesicht, hätte sie für ein kleines Mädchen gehalten, das man zur Einsegnung führt.
»Also das Kind wird Ernst nach Ihrem Herrn Papa und Arnold nach mir heißen?« fragte Herr Böhk und blieb vor dem Täufling stehen. Rosa nickte. Da beugte er sich auf das Kind herab und sagte gerührt: »Was machst du, kleines Arnoldchen?«
Als die Kirchenglocken zu läuten begannen, machte sich die Taufgesellschaft auf den Weg. Sie hatte es nicht weit; links hinter dem Böhkschen Hause lag die Kirche auf einer Anhöhe, dicht von alten Ahornbäumen umgeben. Sie war ein achteckiger Pavillon ohne Turm. Das flache Land und die Nähe der See ließen befürchten, ein Turm könnte die Schiffe irreleiten.
Der Gottesdienst war zu Ende. Eine große Menschenmenge bewegte sich die Anhöhe herab.
In der lichtvollen Atmosphäre des Julitages nahmen die sonntäglichen Gestalten, die Bäume, die Kirche mit ihrem spitzen Ziegeldach lustige, schreiende Farben an. Die kleine Schar, von Frau Böhk geführt, ging zuerst in die Sakristei. In dem kleinen Gemach mit den nackten weißen Wänden saß der Pfarrer an einem Tisch: ein dicker alter Herr mit einem sehr weißen, unfreundlichen Gesicht. Er wandte sich hastig nach den Eintretenden um und sagte verstimmt:
»Warum kommen Sie nicht zur rechten Zeit?«
Frau Böhk machte einen Knicks und entschuldigte sich: »Wir warteten, bis der Gottesdienst...«
»Der ist lange schon zu Ende«, unterbrach sie der Pfarrer. »Um fünf Uhr muß ich zum Diner im Schloß sein. Nun also schnell. Wo ist das Kind?«
Er warf einen prüfenden Blick auf Rosa, faßte seinen Talar vorn zusammen und ging voran in die Kirche.
Auf Frau Böhks Anordnung mußte Rosa sich in einen Kirchenstuhl setzen, während die anderen mit dem Kinde vor dem Altar standen. Durch die hohen Fenster schien die Sonne voll herein und badete die Holzgalerie des Chors, die vergoldeten Holzblumen des Altarblattes in gelbem Licht.
Auf dem Altar funkelten der Kelch und die Leuchter; überall ein reges Glimmen und Flimmern. In den Kirchenstühlen lagen welkende Jasminstengel und Feldblumen, die Kinder und Mädchen mit hereingenommen und dort vergessen hatten. Eine Schwalbe hatte sich in die Kirche hineinverirrt und zog ihre Kreise oben an der gewölbten Decke, kurze sanfte Rufe ausstoßend.
Herr Böhk ließ sich das Kind auf die Arme legen; Frau Böhk, Grethe, die Leb standen andächtig mit gefalteten Händen neben ihm. Der Pfarrer blätterte in einem Buch und zog das Gesicht in fette Falten, weil die Sonne ihm in die Augen schien. Das Kind wimmerte – ein leiser Ton, wie das Zwitschern der Schwalbe oben an der Wölbung. Hinter sich hörte Rosa vorsichtige Schritte auf den Fliesen. Die Leute kamen von draußen wieder in die Kirche, standen an den Kirchenstühlen und hörten zu. Jetzt war der Pfarrer bereit. Er wischte sich mit zwei Fingern die Mundwinkel und hielt eine kurze Anrede, leise und schnell sprechend, wie jemand, der bald fertig zu sein wünscht. Er machte die Eltern und Taufpaten darauf aufmerksam, daß ein Kind ein teures, ihnen anvertrautes Gut sei, über das sie einst Rechenschaft ablegen müssen. Nicht den Eltern gehöre das Kind, sondern Gott, und Gott wache eifersüchtig über sein Eigentum, wie der Bibelspruch es schon besage: »Bei deinem Namen habe ich dich gerufen, in meine Hände hab ich dich gezeichnet, du bist mein.«
Rosa entsann sich nicht, daß bisher eine kirchliche Handlung auf sie großen Eindruck gemacht hätte. Das Frösteln unter der kühlen Kirchenwölbung war für sie stets der Inbegriff der Andacht gewesen. Heute aber erregte die Stimme des Pfarrers in ihr ernste Rührung. All die frommen Worte wurden ja zu ihrem Kinde gesprochen, hatte auf dieses Bezug. Es freute sie zu hören, daß ein so allmächtiger Beschützer sich ihres Kindes annahm, ihr half, es zu verteidigen. Dafür nahm Rosa sich vor, recht fromm zu sein, alles zu tun, wovon der Pfarrer Raser im Konfirmationsunterricht gesagt hatte, daß Gott es von den Menschen verlange. Wenn Gott nur auf das Kleine recht Obacht geben würde.
Der Pfarrer schwieg. Frau Böhk nestelte dem Kinde das Häubchen auf, und die Taufe begann. Alle sprachen das Credo; der Pfarrer eilte mit seiner routinierten Stimme voraus, Herr Böhk, der Pathos hineinlegen wollte, blieb stets um einen Satz zurück, bis seine Frau ihn mit dem Ellenbogen in die Seite stieß; da schwieg er ärgerlich ganz. Nun war es zu Ende. Der Pfarrer ging ohne Gruß fort, er fürchtete, zu spät zum Diner zu kommen.
»Den Taufschein und das übrige besorge ich morgen«, meinte er.
Die anderen gingen auch heim.
Über die Wiese waren zahlreiche Spaziergänger verteilt, viele bunte Punkte, die sich bewegten und durcheinanderrannten. Tiglau lag ganz im Laub versteckt da, und über alldem webte ein bläulicher Dunst, der zu leben schien, blickte man hinein.
Gemütlich, mit kleinen Schritten, ging die Taufgesellschaft heim. Herr Böhk erzählte seine Erlebnisse: Er hatte gefürchtet, das Kind fallen zu lassen. Der Pfarrer hatte ihm den Frack mit Taufwasser besprengt. Die Leb fand die heilige Handlung sehr erbaulich, was Herr Böhk bestritt.
»Das Glaubensbekenntnis schleuderte er nur so hin.«
Frau Böhk zuckte die Achseln.
»Es war heute gerade so wie immer«, sagte sie.
Für sie, die so viele Taufen mitgemacht hatte, war eine Taufe kein Ereignis mehr.
Zu Hause trank man Schokolade. Frau Böhk und Grethe nestelten sich die engen Feiertagsjacken auf. Herr Böhk steckte sich eine Serviette hinter den Hemdkragen.
»Du solltest den Frack lieber ausziehen«, riet seine Frau.
Er entgegnete jedoch sehr gereizt: »Warum? Laß mich doch.«
Er fand so selten Gelegenheit, den Frack anzulegen; jetzt, da sie sich bot, wollte er sie ausnutzen.
»Sehr gut«, meinte die Leb und nickte ihrer Tasse zu. »Auch der Stollen ist gut. Zuweilen gelingt es dem Bäcker. Der Arme! Weiß Gott, wen er heiraten wird! Denn heiraten muß er – mit so vielen kleinen Kindern.«
Nun sprach man von der Bäckerin. Ein jeder gab zwischen einem Schluck Schokolade und einem Bissen Stollen seine Meinung ab. Durch die geöffneten Fenster sah man auf den stillen Hof und den Garten hinaus, wo Feuerlilien und einige Rosenbüsche regungslos im Abendsonnenschein standen. Von der Wiese tönten Rufe und Stimmen der sonntäglichen Spaziergänger herüber.
Rosa schwieg und ließ sich von einem angenehmen Feiertagsgefühl wiegen. Die helle Welt ringsum beruhigte sie. Hier war es behaglich und sonnig. Die rechte Welt für den kleinen Ernst. Eine lange, lichtvolle Zukunft, verloren in der stillen Ebene, ein ungestörtes Zusammensein mit ihrem Kinde, ein Leben voll warmer Liebe tat sich ihr auf und tröstete sie. Oben bei ihrem Kinde wollte sie diesen Traum weiterträumen.
»Ah, Sie gehen zu unserem jungen Christen?« fragte die Leb gefühlvoll.
»Arnoldchen wird wohl schlafen«, fügte Herr Böhk hinzu.
»Ernst wird er genannt«, verbesserte Grethe.
Herr Böhk aber machte eine wegwerfende Handbewegung. Er wußte wohl, was er tat. Er war der Pate, er nannte das Kind Arnold; die anderen konnten es halten, wie sie wollten, für ihn gab es keinen Ernst.
In ihrer Kammer drückte Rosa das Kind fest an ihre Brust und sprach ihm leise zu:
»Weine nicht. Hörtest du nicht, wie der Herr Pfarrer sagte, daß der liebe Gott mir hilft, dich bewachen! Sei nur ruhig, groß und schön wirst du werden. Du wirst niemanden betrügen. Du wirst zu lieben verstehen – wirst deine alte Mutter sehr – sehr treu lieben, denn sie hat es nötig. Du wirst von allem Garstigen, das sie erlebt hat, nichts wissen, und wenn du bei ihr bist, wird sie alles, was sie getan und ihr andere angetan, vergessen. Nicht wahr?«