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Peterle hatte seinen Aufsatz über »Die Leiden und Freuden des Winters« geschrieben. Alle Buben im Deutschen Reich schreiben im Dezember Aufsätze über »Die Leiden und Freuden des Winters«. Peterle war auf seine Dichtung sehr stolz und trug das Diarium zu seinem Freunde, dem alten Gottlieb Peuker, der in seiner kleinen Stube im Hinterhause der Hartmannschen Besitzung mit der Tabakspfeife am Tische saß.
Gottlieb setzte die Brille auf und besah das Aufsatzheft. »Ziemlich gut bis auf die liederliche Schrift!« las er ab. »Ach, Vater Gottlieb, das is ja die Zensur vom vorigen: Das Leben eine Wanderung.«
»Das is a hübsches Thema«, sagte Gottlieb nicht ohne Sarkasmus. »Gerade was Neues is es ja nich. Ich hab's jetzt schon an die sechzigmal in jeder Jahresschlußpredigt gehört. Na siehste, ich kenn' das! Und schön geschrieben haste ja wirklich nich.«
»Gib mir amal das Heft her, Vater Gottlieb, ich werd' dir mein'n neuen Aufsatz lieber vorlesen.«
Er setzte sich breit an den Tisch, hustete dreimal und begann: »Die Leiden und Freuden des Winters. Der Winter is eine schlechte Zeit.«
»Nee, nee,« sagte Gottlieb, »das is nich wahr. Die Ernte is viel schlechter.«
»Das hat aber der Lehrer gesagt«, verteidigte sich Peterle und las weiter: »Der Winter ist eine schlechte Zeit. Er beginnt am 21. Dezember.«
»Warum is denn nu das grade so 'ne Schlechtigkeit vom Winter, daß a am 21. Dezember beginnt?« erkundigte sich Gottlieb.
Peterle sah ihn mißmutig an.
»Nu, wenn a doch amal am 21. Dezember anfängt. Das macht a doch! Und schlecht is a einmal. Laß mich ock lesen! Am 21. Dezember. Auf dem Felde erfrieren die Hasen und die Rehe, und der Fuchs geht auf Raub aus.«
»Peterle,« warf Gottlieb dazwischen, »haste schon amal 'n erfrorenen Hasen gesehen? Nich? Ich hab' schon zwei Stück gesehen. Und lebendige hab' ich aber mehr gesehen. Viel mehr! Und haste schon amal 'n Fuchs auf Raub ausgehen gesehen? Nich? Ich auch nich! Bei uns gibt's ja gar keene Füchse.«
»Aber wenn's doch nu amal anderswo welche gibt! Laß mich ock lesen! Der Schnee liegt höher als ein Haus, und das arme Mütterchen sucht Holz im Walde.«
»Was für a armes Mütterchen?«
»Nu, halt a armes Mütterchen.«
»Wenn die ock nich etwa gar in dem haushohen Schnee stecken bleibt. Sowas sollte das alte Weib lieber nich riskieren.«
»Vater Gottlieb, du bist aber – Na, laß mich ock lesen! Die armen Leute frieren in den Stuben und haben nichts zu essen.«
»Na, lange werden das die armen Leute aber nich aushalten. Da is bloß gutt, daß ich und du so reiche Kerle sind. Da frieren wir doch nich und haben auch was zu essen.«
»Gottlieb, wenn du so bist, da – da mag ich überhaupt nich mehr.«
»Nu, ich kann doch nich dafür, daß wir reich sind. Na, da lies weiter! Jetzt kommen wohl die Freuden des Winters dran?«
Peterle sagte mit knurriger Stimme:
»Nee, noch ein Leiden! Wenn Eiszapfen am Dache hingen, dann fallen sie unachtbaren Kindern auf den Kopf.«
Er machte eine Pause, weil er wieder einen Einwurf erwartete, aber Gottlieb nickte nur ernsthaft mit dem Kopfe, als wollte er sagen: »Ja ja, diese Eiszapfen! Sie sind eine rechte Landplage!«
»Der Winter hat aber auch seine Freuden. Die Kinder laufen Schlittschuh.«
»Ach, fährst du jetzt auch Schlittschuh?«
»Nee, ich hab' ja gar keene. Aber andre! Laß mich ock lesen! Und manche fahren lustig auf dem kleinen Handschlitten.«
»Da haste auch keenen?« fragte Gottlieb.
Peterle schüttelte den Kopf.
»Der Schnee ist wie ein Leichentuch. Nee, verflixt, das paßt nich zu a Freuden. Das paßt bloß vornehin zu a Leiden. Da wär' ich Leichentuch ausstreichen und Brautkleid darüber schreiben. Das is alles dasselbe. Wie ein Brautkleid! Der liebe Niklas bringt schöne Geschenke. Und am schönsten ist das heilige Weihnachtsfest. Fertig!« »Nu ja ja«, sagte Gottlieb. »Voriges Jahr haste ja nischt zu Weihnachten gekriegt. Aber du kannst's ja schreiben. 's is a recht hübscher Aufsatz. Ich tät'n ja anders machen.«
»Du?« fragte Peterle abfällig. »Wie willst du 'n denn machen, wenn du alles gar nich mit in der Schule gehört hast?«
»Nu, ich werd' amal probieren. Ich werd' amal denken, ich bin der Peterle und mach' 'n Aufsatz. Wenn bloß das Schreiben nich wär', ich kann noch schlechter als du!«
Gottlieb Peuker suchte unter dem Kleiderschrank ein Tintenfläschchen und eine Feder hervor, prüfte die arg verrostete lange auf seinem Daumennagel, nahm endlich einen Briefbogen aus der Tischschublade und fing an zu schreiben. Er stöhnte ein paarmal leise dabei, und die Feder kratzte jämmerlich, aber es lag ein schöner Zug auf dem Gesicht des alten Schreibers. Peterle las indessen in einem Buch über den Krieg von 1864. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, dann sagte Gottlieb:
»Nu werd' ich dir meinen Aufsatz vorlesen. Die Leiden und Freuden des Winters, Aufsatz von Peterle.«
»Der Winter ist nicht sehr schön, weil ich lieber barfuß gehe als in den schweren Holzlatschen. In Holzlatschen kann man gar nicht schnell rennen. Mein Vater geht im Winter in die Fabrik, aber die Mutter verdient weniger. Da können wir bloß Sonntags Fleisch essen. Und Wurst gibt es gar nicht. Im Sommer ist die Kost besser. Sonst gibt es nicht viel Leiden in Teichau. Bloß die alte Pätzolden hat es schlecht, weil sie Botenfrau ist, und der Briefträger und der Wilke-Bauer, der immer die Gicht kriegt. Ich muß mich auch immer sehr wurmen, weil ich keinen Schlitten und keine Schlittschuhe habe. Wenn ich die 1 M. 50 Pf., die ich gespart hatte, weil ich im Sommer immer auf Arbeit gehe, nicht hätte auf ein Halstüchel gebraucht, da hätt' ich Schlittschuhe und es wär' eine Freude des Winters. Der Winter hat auch seine Freuden. Ich stehe erst um halb 8 Uhr auf. Das paßt mir. Und ich schmeiß' alle Jungen und Mädel mit Schnee. Das paßt mir auch. Der Kaufmann freut sich, weil er viel Petroleum verkauft. Mein Freund, der alte Gottlieb Peuker, freut sich auch, weil er nichts zu tun hat und immerzu Pfeife rauchen kann. Alle Leute sind im Warmen, sogar die im Gemeindehause. Alle haben zu essen. Es ist eine Freude des Winters, daß wir den Herrn Dr. Friedlieb haben. Und der Hund freut sich, weil er am Ofen liegt. Das Feld freut sich, weil es nicht gepflügt und nicht gekratzt und nicht gewalzt und nicht geschnitten wird. Aber dem Felde sieht man die Freude nicht an, man kann sich's bloß denken. Die Hasen freuen sich nicht sehr. Das is, weil sie Faulpelze und Dummriane sind. Zu Weihnachten haben wir keine Schule. Da freuen wir uns mächtig darüber.«
»Fertig?« schloß Gottlieb. »Was meinste zu meinem Aufsatz?«
Peterle starrte ihn an. Vor Erstaunen hatte er keinen Einspruch gewagt. Jetzt raffte er sich auf:
»Keile tätste kriegen«, sagte er. »Übergebuckt würd'st du! Zeig' amal her!«
Gottlieb reichte ihm den Briefbogen. Da las Peterle und stieß viele Schreie jubelnden Entsetzens aus und nahm Gottliebs Feder und fing an anzustreichen. Am Schluß holte er tief Atem.
»35 Fehler ohne die Komma«, sagte er. »Ungenügend! Liederlich! Nachsitzen! Noch einmal! Strafe!«
Gottlieb lächelte verlegen.
»'s is noch nich alles«, sagte er. »Du mußt amal a Bogen umdrehen.«
Da wandte Peterle das Papier und las noch:
»Eine sehr große Freude des Winters ist es, wenn der alte Gottlieb einen Aufsatz schreibt und so viel Fehler macht, daß man sich halbtot lachen muß. Und dann ist es auch eine große Freude des Winters, daß mir der Gottlieb zu Weihnachten ein Paar Schlittschuhe kauft und mir morgen im Holzschuppen einen kleinen Schlitten macht.«
Peterle wurde blaß vor Schreck.
»Das is ja nich wahr –«
»Nu, hast du's nich schriftlich? Da wird's doch wahr sein.«
»Ein Paar Schlittschuh! Einen Schlitten! Da muß ich heim!«
Er machte drei wilde Freudensprünge, nahm das Papier und raste davon. Aber er kam bald wieder und guckte verlegen zur Tür herein.
»Gelt, Gottlieb, du bist doch nich böse, weil ich das von den 35 Fehlern gesagt hab'?«
»Nee, nee, Peterle, die uff der zweiten Seite haste ja nich mitgerechnet.«
* * *
Nun war Gottlieb allein. Er sah wehmütig nach der Tür, hinter der Peterle verschwunden war, und dachte bei sich: Da ist mir nun auch eine Freude des Winters davongerannt.
Es kamen Schritte auf seine Tür zu. Frau Hartmann trat ein. Sie war eine Frau von kaum fünfzig Jahren, sah aber älter aus. Alles an dieser Frau war streng. Die Haare schnurgerade gescheitelt und zu beiden Seiten glatt weggekämmt. Die Augen spähend, immer mit einem kleinen Mißtrauen im Blick, die Nase scharf, der schmallippige Mund an den Ecken leicht nach unten gezogen, die hagere Figur ohne jeglichen Reiz. Die Kleider geschmacklos, ohne irgendeinen kleinen, freundlichen Schmuck, aber peinlich ordentlich und sauber.
»Ein Leiden des Winter«, dachte Gottlieb, als sie eintrat.
Sie war heute erregter als sonst, das Gesicht gerötet und das Polizistenhafte im Blick einer weiblichen Angst gewichen.
»Gottlieb, ich hab' einen Brief gekriegt – der Junge, der Berthold – hat – hat –«
»Was hat er?«
Sie reichte ihm den Brief, und Gottlieb las:
»Liebe Mutter, ich bin sehr froh und glücklich, denn ich habe einen Herzfehler und da komm ich vom Militär los. Morgen muß ich bloß noch vom Oberstabsarzt untersucht werden, dann komm ich abends 9 Uhr 30 mit der Eisenbahn an, und Du kannst mich abholen lassen. Krawutschke II hat mich durchgeprügelt, weil er nicht auch einen Herzfehler hat. Das macht der Neid. Und ich grüße Euch alle und am meisten die Lore.
Dein Sohn Berthold.«
»Ist das nicht schrecklich, Gottlieb?«
»Och nee, er is ja sehr fidel dabei –«
»Ja, weil er's nicht versteht. So ein Kind! Ach Gott, so a Kummer! Mit 'm Herzen das is doch sehr schlimm!«
»Nu ja ja –«
»Gottlieb, du bist ja alt und erfahren. Denkste denn, 's kann was Gefährliches sein? Sie würden ihn doch sonst nicht vom Militär entlassen.«
»Nu, 's Militär is halt vorsichtig. Sie denken, eh' was passiert, is besser, sie schicken ihn heim, 's wird wahrscheinlich beim Militär ohne a Berthold ooch gehn.«
Sie überhörte den kleinen Spott, schlug die Hände zusammen und jammerte. Die Angst um den verzärtelten Liebling sprach aus ihrem Gesicht. Endlich sagte sie:
»Gottlieb, du mußt 'n heute von der Bahn holen.«
»Ich? Nee, ich nich! Erstens fahr' ich nich mehr gern in der Nacht, und dann muß ich doch um zehne uff die Nachtwache ziehn.«
»Das is egal. Um halb 11 biste ja wieder zurück. Da kommste noch lange uff die Wache zurecht. Du mußt fahr'n.«
»Aber warum denn ich? Da kann doch der Robert fahr'n.«
Ihr Gesicht wurde finster.
»Der darf a Berthold nicht holen. Der würd' ihm a schönes Gesicht zeigen, denn er wird's doch gleich merken, daß a jetzt übrig is.«
»Was? Der Robert? Übrig? A soll fort?«
»Ja! Sobald als möglich! Wenn der Berthold wieder da is, brauchen wir ihn nich, und dann – a is mir überhaupt zuwider.«
»Also – also einfach nausschmeißen?«
Gottlieb fing an leise zu zittern.
»Was heißt rausschmeißen! Wir brauchen ihn nich mehr, und da werden wir ihm zum 1. Januar kündigen.«
Gottlieb ging durch die Stube und blieb vor der Frau stehen. In seine gutmütigen Augen trat Haß.
»Nu ja ja – kündigen! Da muß a dann am 1. April gehen. Da kann a mir gerade noch räumen helfen.«
»Räumen? Dir? Willst du denn ausziehen?«
»Ja! Zum April bin ich siebzig, da krieg' ich meine Altersrente, a paar Pfennige hab' ich mir erspart, Nachtwächter und Totengräber kann ich ja bleiben, na, da wird's schon gehen. Ich werd' amal a alten Hellmich fragen, ob der nich a Stübel für mich übrig hat.«
»Gottlieb!«
»Warum schrei'n Sie denn so, Frau Hartmann? Warum soll ich denn nich zu a alten Hellmichleuten ziehn? Das sind die bravsten Leute im ganzen Dorfe.«
»Zu den – gerade zu den –«
Gottliebs Gesicht wurde bitter ernst.
»Haben sie Ihnen was getan, Frau Hartmann? Ich glaube nich. Eher sind Sie ihn'n was schuldig – die Tochter.«
»Gottlieb, das verbitt' ich mir! Sollt' ich's – sollt' ich's etwa damals dulden, daß so a freches Frauenzimmer im Hause –«
»Ruhig!«
Der Alte brüllte auf und hob die Hand hoch. Aber er beruhigte sich schnell.
»Schimpfen Sie ruhig – Sie schimpfen ja immer! Aber was Sie damals hätten tun müssen, das will ich Ihn'n endlich amal sagen, 's is traurig genug, daß a alter Mann sowas einer Frau sagen muß. Als Sie's wußten, wie's um die Hellmich Martha stand, da hätten Sie 'm reichen Hartmann-Sohn absagen müssen: Heirat' das Mädel, zu dem du gehörst. Ja, das – das – das!«
Das Weib lachte spöttisch.
»Er konnte ja – er hatte ja die Wahl.«
»O ja! Und gewählt hatte er ja auch schon! Aber Sie klimperten halt zu laut mit Ihrem Geldsack, und da macht' a 'ne Dummheit und nahm Sie!«
Darüber wurde sie rasend.
»Gottlieb, du bist ein alter, frecher, frecher Lump; du bist –«
»Sagen Sie wenigstens ›Sie‹ zu mir, Frau Hartman«. Ich bin jetzt siebzig, da kommt man in das Alter, wo man gesiezt werden kann. Und von Ihn'n kann ich das ›Du‹ nich mehr hör'n.«
Sie sprang vom Stuhle auf und wollte hinaus. Aber sie blieb doch stehen. Leute gibt es mit stumpfem, schlechtem Gewissen, die an Geißelhieben von Zeit zu Zeit ein halbes Wohlgefallen haben.
»Als wenn ich schuld wäre – als wenn ich schuld wäre«, sagte sie mit nervösem Lachen.
»Sie sind an vielem schuld, Frau Hartmann, an viel mehr, als Sie denken. Zum Beispiel: den richtigen Erben vom Hartmannschen Vermögen haben Sie hinausgedrängt –«
»Du bist wohl verrückt?«
»Sagen Sie ›Sie‹, Frau Hartmann! Und verrückt bin ich nich, wenigstens nich sehr. Sehn Sie, ich weiß ganz gut, a uneheliches Kindel gilt nischt. Hauptsächlich wenn die Mutter arm is, da gilt's gar nischt. Suchen Sie 's ganze Land ab: in jedem Dorfe hat's 'ne Kirche. Müßte man denken, in jedem Dorfe wohnen christliche Leute. Das is aber nich wahr! Denn es gibt überall verlassene Kindel, und das is eine Schande, die zum Himmel schreit. Und was sagen selbst die Leute, die sich recht christlich vorkommen, wenn amal a reiches Bürschel a armes Mädel unglücklich gemacht hat? ›Gib ihr halt jede Woche 'n Taler, daß sie nich verhungert, und heirat' dir a reiches Mädel, da kommt's wieder raus.‹ Sehn Sie, Frau Hartmann, das sind Lumpen, und wenn ich a Herrgott recht versteh', wird der mit dem Taler wohl nich zufrieden sein. Wird's ihnen schon anstreichen, denen, die's tun, und denen, die's verteidigen. Wenn ich Geistlicher wär', ich tät keine Ehe einsegnen von einem, der a andres Mädel mit einem Kinde im Stiche läßt. Denn a Kind is was Heiliges, und es hat a Recht, was sich mit Geld nich ablösen läßt.«
Frau Hartmann versuchte zu lachen.
»Von dir is man solche konfuse Predigten schon gewöhnt.«
»'ne Predigt is das nich, Frau Hartmann. Zum Predigen bin ich viel zu dumm. Aber man denkt sich so manches, wenn man tage- und jahrelang hinterm Pfluge hergeht.«
»Das möcht' ja 'ne schöne Wirtschaft werden, wenn jeder junge Kerl, der sich amal mit einem leichtsinnigen Mädel vergißt, die dann heiraten müßt'.«
»Soll sich's vorher überlegen! Soll lieber 'ne Scheune anzünden oder 'n Meineid leisten, als so was tun. So a Kindel in die Welt setzen, um das a sich nich kümmern kann! Und wenn's doch passiert is, wir sind ja alle schwache Menschen, wenn der dann das Mädel nich heiraten kann aus irgendeinem Grunde – Armut is aber kein Grund –, also wenn a 's nich kann, dann soll a sich doch sein ganzes Leben lang um das Kindel kümmern, als wenn's sein eheliches Kindel wär'! Soll's nich rumlaufen lassen wie a verlorenes Schaf, soll ihm a Weg durchs Leben und a Weg zum Herrgott zeigen.«
Der alte Mann zitterte, und die Frau ließ ein wenig den Kopf sinken, aber dann lachte sie doch wieder kurz und trotzig auf.
»Lieber 'ne Scheune anzünden oder 'n Meineid leisten; du bist ja a feiner Heiliger.«
»Nu, Frau Hartmann, Sie könn' mir's ruhig glauben, daß ich noch keine Scheune angezündet und auch noch kein' Meineid geleistet hab'. Das war bloß so gleichnisweise gesagt. Ich meinte bloß, so einer, der a Kindel im Stiche läßt, der is noch schlechter wie a Anzünder und wie a Meineidiger. Denn eine Scheune, die kost' vielleicht a paar tausend Taler, und a Meineid, der kost' vielleicht 'n Unschuldigen 's Gefängnis, aber a schlechter Vater kostet seinem Kinde alles. Das Leben! Und vielleicht noch mehr!«
»So schlecht denkst du also von deinem Herrn?«
»A hat's nich richtig erfaßt. A war damals a junger unverständiger Mensch, a hat's halt damals gemacht, wie's so gang und gäbe is. Aber wenn er's jetzt gutmachen könnte, da tät' er's. Mit 'm Herrn Hartmann hab' ich nischt, gar nischt.«
Sie sah ihn lauernd und mißtrauisch an. Gottlieb fuhr gleich fort:
»Der Herr Hartmann is a ganz guter Mensch. Es macht ihm schweren Kummer im stillen, daß das damals so gekommen is.«
Leidenschaftlich fuhr die Frau auf.
»Du denkst wohl, daß es ihm leid tut, daß a mich –«
»Es tut ihm leid, daß die alten Hellmichleute noch immer umsonst auf eine Nachricht von ihrer Tochter passen. Haben Sie denn das noch nich bedacht, Frau Hartmann? Haben Sie sich noch nich bedacht, daß die Martha zugrunde gegangen sein muß, da doch gar keine Nachricht kommt –«
Tränen schossen dem alten Gottlieb in die Augen.
Die Frau wandte sich ab. Gottlieb wagte das Äußerste: »Und sehn Sie, der Winter Robert, das is ja auch so a armer Kerl, der in der Welt rumirrt wie a verlorenes Schaf. Das is ja auch einer, der niemanden hat, der froh is, daß a amal a festes Dach überm Koppe hat. Und wenn da der Herr Hartmann amal a gutes Werk tun will, da sollten Sie's ihn tun lassen.«
Frau Hartmann wandte sich rasch um und sah Gottlieb scharf in die Augen.
»Ich weiß Bescheid«, sagte sie und ging hinaus.