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Sechstes Kapitel

Dem greisen Peteranton war nämlich sein Hund zu alt geworden. Er fand, daß er nicht mehr warm gebe, und er liebte doch ein hundegewärmtes Bett über alles. Deshalb hatte er sich einen andern angeschafft und trieb den Feldmann mit Steinwürfen aus dem Hofe. Der Hund überlegte sich, bei wem im Dorfe er wohl Aufnahme und Schutz in seinen alten Tagen finden könne. Er musterte den Kreis seiner Bekannten vom Amtsrichter bis zum Nachtwächter und kam als Menschenkenner zu dem Entschluß, es zunächst einmal bei dem Michael Hely zu versuchen. So stand er eines Abends winselnd vor der Tür und bettelte um Einlaß. Der Einsiedler auf dem Turm öffnete. Der Hund war über die Maßen froh, schleppte seinem Gastfreund den Stiefelzieher herbei und traktierte in seiner Ausgelassenheit die Filzschuhe seines Wohltäters derartig, daß der sparsame Michael Hely, der nicht gerne etwas umkommen ließ, keinen andern Gebrauch davon zu machen wußte, als sie in den Ofen zu schieben und sein und des Hundes Abendessen damit zu Wärmen.

An einem der folgenden Tage traf der Michael Hely den Postknecht auf der Straße und fragte ihn, ob er wisse, wo sein Hund sei. Der grobe Mensch gab zur Antwort, daß er es wohl wisse, daß es ihm aber einerlei sei, ob sich das abgestandene Vieh beim Teufel befinde oder beim Dorfteufel. Von diesem Augenblick an betrachtete sich der Michael Hely als den Besitzer des Hundes und überließ uns Jungen, die wir zu seiner Gesellschaft gehörten, den Nießbrauch.

Wenn wir nun oben mit Sägen und Hämmern, Nageln und Leimen müde waren, so spannten wir den Feldmann, der mit uns die treueste Kameradschaft hielt, vor einen ausgedienten Blechhafen, den wir an irgendeinem Müllhaufen ausgegraben hatten und jagten mit ihm unter Donnergepolter über das Pflaster der Straßen hin, daß die friedlichen Handwerker erschreckt die Fenster aufrissen. An manchem Hause aber öffnete sich auch die Tür, und ein stumpfer Besen oder sonst eine Liebesgabe, die man uns zugedacht hatte, flog hinter uns her.

Doch es gab auch Gelegenheiten, bei denen das Auftreten des Hundes ein würdigeres war, und die Art, wie man ihn von seiten des Publikums empfing, eine sympathische.

Zu den vielen Ehrenämtern seines jetzigen Herrn gehörte auch das, daß er die Hochzeitszüge nach der Kirche zu führen hatte. War nun im Hause der Braut die ganze Gesellschaft versammelt und war über den wogenden Busen der Frauen und Mädchen und um den Hut der Männer unter Scherzen und Necken der Rosmarinzweig befestigt, so erschien der Michael Hely. Bei einer solchen Gelegenheit war er ein anderer Mensch. Seine Schultern richteten sich auf, seine Haltung war eine stramme, kurzum er war wieder der Legionär, obwohl er statt des Gewehres nichts anderes zu schultern hatte, als einen polierten Stock aus Hainbuchenholz, und obwohl seine Schultern keine Epauletten drückten, sondern nur die Achselstücke einer Bauernkutte, die mit großen Messingknöpfen überreich ausstaffiert war.

Seine Aufgabe war, dem Zuge vorauszuschreiten und die Gänse zu verscheuchen, die in ihrer Zudringlichkeit dem Brautschleier gefährlich werden konnten. Dieses sein redliches Bemühen unterstützte nach bestem Können der Hund. Es genügte schon seine bloße Gegenwart, um das freche Federvieh im Zaume zu halten. Hocherhobenen Halses standen sie Spalier und wenn sie sich in ihrer Neugier mit einem Auge den Zug ansahen, so schielten sie doch mißtrauisch mit dem andern nach dem Hunde und erst bei den letzten Teilnehmerinnen des Zuges wagten die Kühnsten es, die Kleider der Hochzeitsgäste zwischen den harten Branchen ihrer gelben Schnäbel zu zwicken.

Das Gesicht des Michael Hely bei einem derartigen Aufzuge glich übrigens einer Landschaft, über die ein Hagelwetter hingezogen ist. Trostlose Öde, geknickte Halme, zerstörte Hoffnungen wohin man blickt und über dem Werk der Verwüstung lagert sich der brütende Gedanke, daß alles aus sei und daß es kein Wiederaufblühen mehr gibt. War er nicht auch vor Jahren dem Glücke, ein gutes Weib zu besitzen, so nahe gewesen? Ja, hatte er es nicht ganz besessen? Was anders fehlte ihm, um seinen Besitz zu einem dauerhaften zu gestalten, als dieses billige Sakrament der Ehe, das man von jedem Pfarrer um zwei Gulden erkaufen konnte.

Bitterkeit und Neid nagten in solchen Augenblicken wie Würmer an der alten Wunde seines Herzens und erzeugten neue Schmerzen. Gewiß, er gönnte jedem das Glück, eine Familie zu gründen, und er begleitete, wie es seine Pflicht war, jeden Hochzeitszug bis zum Tor der Kirche, aber Leichenbegängnisse – Leichenbegängnisse – waren ihm lieber.

Sobald der festliche Zug die erste Stufe der Kirchentreppe erreicht hatte, kehrte der Michael Hely mit seinem Gehilfen um und erschien bei uns Knaben in der Glockenstube. Während wir uns zu zweien oder dreien an das Seil der kleinen Glocke hingen, ergriff er das der großen und zog mit wahrem Ingrimm, daß die Glocke mit Ächzen und Stöhnen sich in ihrem Lager wälzte, daß der Glockenstuhl schwankte und krachte und zu brechen drohte. Wie er so dastand und das grimmige Antlitz mit dem im Winde flatternden Haar in gleichem Takte mit der Glocke wiegte, glich er einem Titanen, der an den Säulen der Erde rüttelt, um unter ihren Trümmern sterben zu können. Soviel ist sicher, wäre der Turm einstmal bei einer solchen Gelegenheit eingestürzt, seine Steine hätten einen Unerschrockenen erschlagen.

Aber wenn das Brüllen und Schlagen da oben schwieg und sein Auge sich niedersenkte zu den hellen Kindergesichtern, dann wich der böse Zauber, er wurde wieder freundlich, fuhr dem oder jenem durch das Haar und bat uns, ihn an den langen Winterabenden, wo alte Erinnerungen so viel Zeit hatten, auf ihn einzustürmen, nicht allein zu lassen.

 


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