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Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Wer von der Höhe des Schwarzwaldes in südlicher Richtung niedersteigt nach dem Rheintal, der tritt auf eine leicht gewellte Hochebene, in der kleine Waldbestände mit grünen Matten wechseln. Unregelmäßig verzettelt liegen die breitausladenden Strohdächer der Bauernhäuser vor den kleinen Wäldern und in den sonnigen Rainen, und nur hie und da gelingt es einem Kirchturm, soviel der moosigen Wohnungen um sich zu sammeln, daß man von einem Dorfe reden kann.

Rauh streicht der Nordwind von der Höhe des Feldberges über die Fluren hin und selbst der Südwind kühlt bei seinem Zuge über den eisigen Firn der Alpen sich ab und bringt im Jahre nur wenig warme Tage. Viele Monate lang liegt der Winter auf den Gefilden und mit Schneewehen die Falten des Terrains füllend, erzeugt er eine weite, weiße Ebene, in welche der Fuß der Menschen nur dünne Pfade von Haus zu Haus getreten hat. Eine Nacht wie die andere spannt sich der wolkenlose blaue Himmel über dem verschneiten Hochland, und aus den kalten Fernen des Weltenraumes blinzeln die Augen des Firmamentes nieder und entzünden tausend mattflimmernde Lichter in gefrorenen Schneesternen; ein kaltes Liebeswerben in der unglücklichen Ehe, die der Himmel mit der Erde geschlossen hat.

In diese Öde nieder blicken, dem Auge auf wenig Kilometer genähert, starr und erbarmungslos die wild zerrissenen Gipfel der Alpen und graben in das Antlitz der Gegend die narbigen Züge einer unerbittlichen Strenge.

Was im Boden wurzelt, hat zwischen Steinen und grobem Kies seine Nahrung zu suchen, und der kurze Sommer reift kaum mehr als Kartoffeln und Hafer, rauhe Obstsorten und das Gras der Wiesen. Alles, was die Sonne an Temperament und Feuer in Trauben und Hopfen legt, bleibt diesem Boden fern. Langsam wächst die Eiche, treibt zähe Jahresringe um den Stamm und knorrige Äste.

Wie die Pflanze, so ist auch der Mensch nur das Produkt dessen, was er von außen aufnimmt, was er atmet, ißt und trinkt und der Charakter, ja der äußere Habitus ganzer Volksstämme wird von diesen Faktoren bestimmt. So ist der Bewohner der südlichen Zone heiter und rasch im Entschluß. Der Nordländer mit seinen langen Nächten melancholisch und schwerfällig.

Auch im engen Rahmen erzeugen gleiche Ursachen oft die gleiche Wirkung, und die Natur scheint geradezu kleine Versuchsstationen angelegt zu haben, um diesen Satz zu beweisen. So lebt im milden Klima des Rheintales mit seinen Obst- und Weingärten ein bewegliches Völkchen, leicht überschäumend in Lust und Schmerz, während wenig Stunden davon auf der Hochebene des Hotzenwaldes, von dem wir reden, eine rauhe Menschenrasse haust mit scharf geschnittenen, markanten Zügen, verschlossenen, ernsten Charakters, mißtrauisch gegen alles Fremde und nur wenig geneigt, Liebe um Liebe zu geben.

Männer dieses Stammes, der in ängstlicher Inzucht die von den Ahnen übernommenen Gebräuche hütet, waren es, die man in der Frühe eines Novembermorgens in dem Dorfe Rickenbach sich sammeln sah. Sie waren im Sonntagsstaat; auf dem Kopfe ein niederer Zylinderhut. Den Oberkörper deckte eine Art Frack aus schwarzem Stoff mit hellblinkenden Metallknöpfen, dann kamen schwarze Kniehosen und ebensolche Strümpfe, die sich in koketten Schnallenschuhen verloren. In diese einsilbige Farbenstimmung brachte eine knallrote Weste eine erfreuliche Abwechslung, belebte den ganzen Menschen und gab ihm das possierliche Aussehen eines Dompfaffen.

Die Hähne krähten aus den Höfen. Grunzend stürzte das junge Volk der Ferkel aus den Stalltüren, überrannte sich gegenseitig und freute sich des Daseins. Nur bei den Menschen herrschte eine gallige, mißvergnügte Stimmung. Die halbe Gemeinde war zum Amtstage nach Säckingen geladen. Ein alter Streit der die Bewohner Rickebachs in zwei feindliche Lager schied, sollte zum gerichtlichen Austrag gebracht werden. Kläger war der »Säuli«, ein Schweineschlächter, sein Gegner war der »Kälbeli«, ein Kälbermetzger, und hinter beiden stand, wie hinter den Eltern von Romeo und Julie, je ein Haufen enragierter Parteigänger.

Der Gegenstand des Streites war ein Hund, der sich unstet im Dorfe herumtrieb und von niemand als Eigentum reklamiert wurde.

In gewöhnlichen Zeitläuften mieden sich die Parteien. Die eine hatte ihr Heerlager und ihren Abendtrunk beim »Löwenmännle«, während die andere beim »Bärenweible« zechte, zwei Wirtshäusern, die so lagen, daß auch beim Nachhausegehen die Gefahr des Aufeinanderplatzens eine geringe war.

Heute aber waren die beiden Heere gezwungen, sich in bedenklicher Weise zu nähern. Sie waren auf die gleiche Stunde geladen und sie hatten den gleichen Weg zu machen.

Das Volk der Weiber, weitsichtiger als das der Männer und von bösen Ahnungen erfüllt, suchte die Gefahr, so weit tunlich, abzuschwächen. Früh waren sie aufgestanden und unter dem Vorgeben, daß die Kälte des Novembermorgens eine unerhörte sei, polsterten sie ihre Ehemänner mit Westen und Unterjacken. So sah auch der Magere wohlhabend aus und konnte zur Not eine Tracht Prügel aushalten. Auch waren die schweren Knotenstöcke mit dem Eisstachel aus den Häusern verschwunden und über ihren Verbleib vermochte niemand Auskunft zu geben. Wehrlos gingen die Männer aus den Türen. Der eine bewaffnete sich an dem Reisighaufen im Hofe, der andere schnitt sich eine Haselrute an der nächsten Hecke.

Beim Gang durch die Fluren sah man sich wohl und grüßte sich verlegen, aber jeder wußte doch, wo er hin gehörte und verkroch sich in seinem Haufen. Nur Hans Abele, der Stabshalter, ein Mann, der über den Parteien stand, schloß sich nirgends an. Er wanderte mühselig genug in den tief ausgewühlten Geleisen des Fahrweges, während die Parteien rechts und links den glattgetretenen Fußpfaden folgten.

So kam man an den Rand der Hochebene. Die Straße verlor sich in einen kleinen Fußpfad, der steil abfallend sich zwischen den Haselnuß- und Hainbuchensträuchern durchzuwinden suchte. Jetzt nahm eine Partei den Vortritt, die andere folgte in respektvollem Abstand. Drunten im Tale erglänzte silbern der Wasserstreifen des Rheines und über einem ansehnlichen Gewirr von Dächern wachten die Türme von der Kirche des heiligen Fridolin. Die Glocken riefen zum Morgengruß das Ave Maria herauf. Die Bauern wurden fromm, nahmen ihre Mützen ab und beteten.

Diese weichere Stimmung benutzte der Stabshalter, der immer wieder zwischen den Parteien ging, um zu vermitteln.

»Was ist mir das für ein Prozeß zwischen dem Säuli und dem Kälbeli?« rief er in den vorderen Haufen hinein.

»Das ist leicht gesagt,« hallte es zurück, »der Hund war nicht mit verkauft, er gehört dem Säuli und ob er nun Postboten beißt oder Gerichtsvollzieher oder Stabshalter, ist ganz egal. Sein Herr hat für den Schaden aufzukommen.«

»Nein, er gehört dem Kälbeli!« schallte es im Rücken des Stabshalters. »Was niet- und nagelfest mit der Hofraite verbunden war, ist auch mit verkauft.«

»Das ist ein Streit um die Worte: niet- und nagelfest. Die Advokaten melken die Kuh, während ihr sie am Schwanz und an den Hörnern haltet, Narren die Ihr seid!« rief der Stabshalter.

»Was, Narren?« erscholl es aus dem vorderen Haufen. »Wer wagt es, uns Narren zu heißen? Uns kommt es nicht darauf an, einen Stabshalter durchzuprügeln,« und die Reisigruten und Haselstecken fuchtelten verwegen über den Köpfen der vorderen Reihen in der Luft herum.

»Versucht's, wenn Ihr es wagt,« schrie der Hinterhaufen, »der Abele ist auch unser Mann nicht, aber wir werden ihn schützen, Euch zum Trutz.«

Der Abele, ein resoluter Kerl, schritt furchtlos aus und trat einen aus dem Vorderhaufen auf die Hacken. Dieser suchte aus der gefährlichen Nähe zu kommen und tat seinem Vordermann desgleichen, und bald drängte und stieß sich die Avantgarde wie eine vom Hunde gehetzte Hammelherde.

Eine Zeitlang herrschte Schweigen; man überlegte. Dann trat der Säuli an den Stabshalter heran und legte zutraulich seine Rechte auf dessen Schulter. Der Säuli war eine klotzige Figur, er hatte das Gesicht eines Bulldoggen, eine niedere Stirn, starke Backenknochen und sein Unterkiefer überragte den Oberkiefer in der Form eines kleinen Weihwasserkessels.

»Was denkst Du,« sagte er, »wenn ich im Unrecht bin, dann will ich gleich mein ganzes Vermögen verlieren.«

»Verliere nur einen winzig kleinen Teil davon und ich halte Dich für einen gescheiten Mann.«

»Hast Du mich etwa seither für einen Dummkopf gehalten? Wage nicht das auszusprechen.«

»Säuli,« sagte der Stabshalter weich, »Gott verzeihe mir die Sünde, wenn ich Euch beide zu hoch einschätze, aber ich halte Dich und den Kälbeli für zwei Kapitalshornviecher.«

Mit dieser wenig diplomatischen Bemerkung war nun freilich das Rind ins Auge geschlagen, denn auch der Kälbeli war gekränkt. Er streckte seinen Mohrenkopf mit dem wolligen Haar zwischen den Tuchjacken seiner Freunde hervor und rief bissig:

»Stabshalter, so klug wie Du kann freilich nicht jeder sein, aber das, was Du bis jetzt Gescheites gemeckert hast, bringt mein Geißbock auch heraus. Mein Recht muß ich haben.«

»Mein Recht muß ich haben,« schrie der Säuli, »und wenn ich noch tausendmal appellieren muß.«

Der Versuch, die Parteien zu vergleichen, war gescheitert. Die Menge freute sich dessen. Man hatte einen arbeitsfreien Tag vor sich, man hatte Zeugengebühren zu erwarten und ein gutes Essen.

So kam man vors Amtsgebäude in Säckingen. Im Hausflur wurden die Bauern von einem Gerichtsdiener mit den Worten empfangen: »Nu, jetzt komme die Kaibe halt doch. Der Termin ist abbestellt. Hättet Ihr die Morgenpost abgewartet, so hättet Ihr gar nicht herzukommen brauchen.«

»Kaibe sinmer? Mer danket a schön und Zeugebühr gibt's nit? Mer kommet a nimmer.« Damit gingen sie fort.

Ein Urteil hatten nun die streitenden Parteien, wenn auch nur das eines niederen Subalternen. Da es sich aber ziemlich mit dem deckte, was der Abele gesagt hatte, so stimmte es sie nachdenklich.

Übrigens zunächst brauchten sie ein Wirtshaus, das sie bald fanden.

Der Wirt machte ein freundliches Gesicht beim Anblick so vieler Gäste, drückte dem einen und dem andern herablassend die Hand, erkundigte sich teilnehmend nach der Veranlassung, die soviel Menschen hierhergeführt, und tat ganz so, als ob es in Gottes weiter Welt keine Seele geben könne, die mehr Anteil nehme an dem Geschick dieser Hinterwälder Bauern, als wie die seine.

Gefällig greift er nach dem Zipfel seiner blauen Schürze und wischt damit von den Tischen die letzten Spuren vergossener Getränke, an denen eben ein Schwarm Fliegen sich eine gute Stunde bereitete. Dann bläst er von den Sitzbrettern der Stühle vertrocknete Brotkrümeln und kleine Überbleibsel von Käserinde, die weder den Weg in den Magen eines früheren Gastes, noch auch, an dessen Hosen hängend, den Weg ins Freie gefunden hatten.

So viel Aufmerksamkeit rührte die Leute und sie setzten sich nieder, fest entschlossen auch ihrerseits durch eine gehörige Zeche den Wirt zufriedenzustellen. Bald tat der Wein seine Wirkung und die Zanksucht erwachte wieder.

»Kälbeli, daß Du's weißt, der Hund bleibt doch an Dir hängen und daß Du e Kaib bist, das hast du ja jetzt von dem Schreiber gehört.«

»Der hat in der Mehrzahl gesprochen, da kann sich jeder von uns sein Teil herauslesen.«

»Was geht uns Euer Streit an,« rief man aus der Menge. »Fechtet's untereinander aus. Wer unterliegt, zahlt für den Hund.«

»Ja, prügelt Euch gehörig, so eine Keilerei frischt die Liebe auf,« ermunterte der Stabshalter.

»Der Säuli wagt es nicht,« rief eine Stimme aus dem Hintergrund.

»Wer hat das gesagt? Der soll herkommen,« rief dieser und stand mit einem Satze mitten in der Stube.

»Damit Du Dich nicht langweilst, Großmaul, komm' ich zu Dir,« brüllte der Kälbeli und stand seinem Gegner gegenüber.

»Erbärmlicher Lausekerl, Du willst mir unter die Finger kommen?«

»Schuft infamer! Mach' Dich mit dem Totengräber bekannt!«

»Daß Ihr räsonnieren könnt, wissen wir, fangt an, Ihr Feiglinge!« rief man ihnen zu.

»Laßt sie doch, sie müssen wie die Hühner erst ein wenig glucksen, bevor sie sich in die Haube fahren,« neckte ein anderer.

»Jetzt hab' ich's dick,« schäumte der Kälbeli und schlug dem Säuli mit der geballten Faust wider den Weihwasserkessel, daß der Getroffene Zähne spuckte. Aber der antwortete mit einem Schlage gegen den Brustkasten des Kälbeli, daß es in ihm gurgelte, wie in einem Wasserhahne.

Dann faßten sich vier mächtige Arme. Als ob zwei Bären sich umschlungen hätten, sah man nur noch eine schwarze Masse, die bald stehend, bald in den Knien liegend sich herüber- und hinüberwälzte. Die Wirtin war in die Einschänk geflohen. Die Bauern kletterten auf Tisch und Bänke, reckten sich und schoben sich an den Wänden in die Höhe. Ein lautes Krachen. Eine Bank war unter ihrer Last zusammengebrochen. Ein Haufen zappelnder Körper lag am Boden, aber auch Pius IX. und Napoleon bei Waterloo, die sich aus schmalen Goldrahmen heraus die Keilerei mit ansehen wollten.

Jetzt war der ringende Klumpen wider den Uhrkasten gefallen. Er hatte den Ofen umgeworfen. Jetzt wälzte er sich dem Gestelle entgegen, auf dem die Spülbrenke stand. Krachend brechen die Latten zusammen und das blecherne Gefäß gießt seinen Inhalt über die Kampfhähne. Das kalte Naß und das wiehernde Gelächter der Zuschauer ernüchtert sie.

Der Kälbeli will auf. Der Säuli hat ihn nur noch an einem Rockzipfel. Das Tuch gibt nach, der Rock reißt von oben bis unten durch. Der Kälbeli hat zwei Flügel an sich hängen und sieht aus, wie der Erzengel Gabriel von hinten.

»Der Säuli blutet,« schrie einer, »er verblutet sich.«

»Der Kälbeli blut' auch,« rief ein anderer, »schafft den Chirurgen herbei. Der Kälbeli läuft aus, sie laufen beide aus. Du lieber Herrgott von Bieberach, sie laufen aus!«

»Wo wohnt der Chirurge, der Chirurge?« rief man von allen Seiten und ein Dutzend Beine kam in eilfertige Bewegung, aber der gute Mann war nicht aufzutreiben.

Da meldete sich einer, der seither unbeachtet in einer Ecke saß und sein karges Mittagsbrot verzehrte. Er wusch die Wunden aus, ließ sich Stecknadeln geben, stach sie durch die Haut und zog die klaffenden Wundränder mit Achtertouren von Seide zusammen. Nicht lange und in den Gesichtern der beiden Raufbolde war fast nichts mehr von einem Schaden zu sehen. Das Haus war ganz, nur der Verputz hatte etwas gelitten. Dieses Kunststück hatte der Lehrling des Nägele vollbracht, der Michael Hely, der auf seiner Wanderschaft nach Säckingen gekommen war. Allein mit dieser Tat hatte er sich in aller Herzen eingeschmeichelt. Man ließ ihn hochleben, nötigte ihn zum Trinken, trank selber, bis man immer mehr in Stimmung kam. Der Kälbeli und der Säuli umarmten zunächst ihren Helfer in der Not, später sich selber, die Wolke von Unmut schwand mehr und mehr, sie einigten sich, den Schaden, den der Hund angerichtet, gemeinsam zu tragen, und sie sangen, sich umschlungen haltend, zur Feier ihrer neuen Freundschaft:

»Freund', ich bin zufrieden,
Geh' es, wie es will.«

Spät brach man auf. Das Mondlicht warf schwankende Schatten betrunkener Bauern auf die Straße. Den Michael Hely nahm man mit nach Rickenbach. Man wollte sich nicht mehr von ihm trennen.

 


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