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So war denn der Michael Hely durch Familienrücksichten nicht weiter gebunden und, losgelöst von der Welt, schien er nun erst recht deren Gebieter zu sein. Sein waren alle Wege, sein der Schatten des Waldes, den er, ohne mit der Stunde rechnen zu müssen, beliebig lange genießen konnte. Sein war das große weite Sternenzelt, das nachts seinen Bogen über seinem Lager am Wege spannte, sein war die Hoffnung, die ihn mit tausend glänzenden Aussichten schmeichelnd umwehte.
So lag die Zukunft vor ihm wie ein wohlgepflegter Blumengarten, in den er nur hineinzutreten brauchte, um glücklich und geachtet zu werden. Da war er nur er selbst, wie er sich gab und nicht mehr der verachtete Abkömmling aus einer Reihe übelbeleumundeter Ahnen, der an der Schmach schleppte, die aus der Sünde seiner Väter geboren war.
So malte sich in seinem Kopfe die Welt, als er seiner Meisterin und dem neuen Gesellen, der seine Stelle ausfüllen sollte, Lebewohl sagte, und es wäre gut gewesen, wenn die Wirklichkeit in allen Stücken dem Bilde seiner Vorstellung entsprochen hätte.
Durch viele weise Lehren, mit denen die Ihleins Lisbeth ihren Liebling noch bepackte, hatte das Abschiednehmen sich etwas in die Länge gezogen. Bereits waren die Feuerstellen erkaltet, auf denen man das Frühstück bereitet hatte, und die kräuselnden Rauchwolken über den Schornsteinen hatten sich im unendlichen Blau des Äthers aufgelöst, als er zum Tor hinausschritt.
Die Sonne meinte es gut. Sie trocknete am Wege die kleinen Pfützen aus und ersparte so dem Wanderer die Mühe, auf sein Schuhzeug achten zu müssen.
Da es für den Michael Hely ganz einerlei war, von welcher Seite er die Welt in Angriff nahm, und da er nicht einsah, warum er sich und sein Felleisen gleich von vornherein über die Berge schleppen sollte, so wählte er den bequemeren Weg durch die grünen Matten des forellenreichen Olfentales. Aus den kleinen Waldbeständen lockte der Zeisig und von der Talsohle klang das muntere Klappern der Mühlen, über deren Räder der mutige Bach sich schäumend stürzte. Auf dem Gartenzaune krähte der Hahn, in den Lüften jubelte die Lerche. Der junge Handwerksbursche stimmte ein und pfiff vor sich hin die Melodie zu dem Texte: »Muß i denn, muß i denn zum Städt'le hinaus,« als ihn ein Hundefuhrwerk überholte.
Auf dem kleinen Wagen lümmelte sich ein vierschrötiger Kerl, der mit Eiern, Butter und Handkäsen handelte. Die beiden Köter an der Deichsel waren so fleischlos wie eine Schnitzelbank und die Zunge hing ihnen weit aus dem Maule heraus. Wenn der selige Heinrich Heine sie gesehen hätte, wie sie so im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen mußten, so hätte er gewiß den Gedanken nicht unterdrücken können, daß deren Stammeltern im Paradiese eine verbotene Wurst gefressen haben möchten.
Ihr gegenwärtiger Herr kümmerte sich wenig darum, ob er seinen Tieren mehr als Hundemögliches zumutete oder nicht. Er hoffte von dem Wanderer vor der nächsten Schenke einen freien Trunk zu verdienen und lud deshalb den Michael Hely ein mitzufahren. Dieser lehnte ab aus Mitleid mit dem gequälten Vieh, und so rollte das Fuhrwerk auf seinen kleinen Rädern weiter. Die Hunde sahen sich zuweilen um, wohl aus Furcht, es möchte den Eingeladenen sein Verzicht gereuen und er ihnen nachträglich noch zur Last fallen. Erst als sie einen Wald mit niederm Buschwerk hinter sich hatten, atmeten sie, von einer schweren Sorge befreit, erleichtert auf.
Gegen Mittag war der junge Handwerksbursche in Schönmattenwag und verlangte in einem Wirtshause eine kleine Mahlzeit. Die Wirtin war eine gemütvolle Seele, ein Stück aus der alten, guten Zeit, in der man noch nicht in jedem Reisenden ein Objekt sah, das man nach Herzenslust ausbeuten könne. Sie fragte ihren Gast, ob er mit dem zufrieden sein wolle, was von ihrem Tische übrig geblieben wäre. Als dieser bejahte, setzte sie ihm ein Gericht Linsen vor, in dem sich ein Stück Speck badete, und wünschte guten Appetit dazu. Der Fremde aß, bis er satt war, und als er nach seiner Schuldigkeit fragte, sagte die Frau aus alter Gewohnheit: »Das Wiederkommen.« »Gott vergelte es Euch,« sagte der Michael Hely, und er dachte bei sich: »Wenn ich überall so billig verpflegt werde, dann komme ich mit meiner Barschaft dreimal um die Welt herum.«
Vor dem Dorfe schloß er sich einem älteren Manne an, der eine Rolle Sohlleder an einen Stock gehängt über der Schulter trug. Die beiden verließen jetzt die Landstraße und strebten auf einem Seitenpfade durch Niederholz dem Kamme des Gebirges zu, der das Olfenbachtal von dem Tal des Finkenbachs scheidet.
»Auf der Walz und wohin?« fragte der Fremde.
»Ins Neckartal,« war die karge Antwort.
»Ohne Kropf? Das kannst Du nicht wagen. Du Grünspecht. Weißt Du nicht, daß man in Eberbach einen jeden aufhängt, dem nicht ein Tabaksbeutel zum Hemdenkragen heraushängt?«
»Desto besser, dann wird man viel Särge brauchen!«
»Bist Du mit Deinen kleinen Händen ein Schreiner? Ei Du Spektakel, Du solltest ein Chirurg sein und das Kropfschneiden verstehn, dann fändest Du Dein Auskommen im Neckartal.«
»Ich hoffe auch so nicht zu verhungern.«
»Verhungern, das nicht, aber erfrieren wirst Du oder Dich wund liegen, ei du Spektakel, denn Deine Ohren sind zu klein, Du wirst einen schlechten Meister gehabt haben.«
»Er ist früh gestorben.«
»Da haben wir die Bescherung, ei Du Spektakel, man har Dich nicht genug gezaust. Nun kommst Du zu Leuten, die keine Strohsäcke haben und keine Federkissen, weil sie sich aufs eine Ohr legen und sich mit dem andern zudecken. Wie kommst Du da mit Deinen Lauschern aus? Ei Du Spektakel, in meinem Alter lügt man nicht mehr, aber Dir kann ich nichts Gutes prophezeien.«
Möglich, daß der alte Schwadroneur aus der Schatzkammer seiner Märchen noch einige zum besten gegeben hätte, wenn nicht aus einem kleinen Giebelfenster, das über Haselnußstauden herüberguckte, der Klang von Schusterhämmern herübergedrungen wäre und die Weise des Liedes:
»Kirschhausen, Kirschhausen war ich ein Schusterbu',
Das Haus stand nebendraußen, bei uns ging's lustig zu.«
»Hör einer die Racker! Wenn der Hahn nicht da ist, kräht die Henne. Ei Du Spektakel, denen muß ich mit dem Spannriemen den Takt zu ihrem Liede schlagen,« schrie der komische Alte, machte einen Satz über den Gartenzaun wie ein Ziegenböcklein und war in dem Hause verschwunden.
Lachend sah ihm der Michael Hely nach. Angeregt von dem Geplauder seines Reisebegleiters war er lustig und guter Dinge. Seine einzige Sorge, wenn er überhaupt eine hatte, war in diesem Augenblick, ob er wohl noch vor Einbruch der Dunkelheit das Städtchen Eberbach erreichen würde. Er nahm deshalb den Weg zwischen die Beine und kam eben durch Rothenberg, als der Gänsehirt sein geschwätziges Volk den herrschaftlichen Wohnungen zuführte.
Das kleine Bauerndorf liegt beinahe auf dem Scheitel eines Berges in einer steilen Mulde. Gleich hinter dem Dorfe nimmt der Waldpfad den Namen Kniebrech an und führt in gefährlichen Absätzen über vorquellende Tannenwurzeln und Felsstücke zum Neckar hinunter. Wo seine Füße einen sichern Halt fanden, blieb der Bursche zuweilen stehen und beobachtete durch die Lücken der Zweige hindurch das geschlängelte Band des Neckars, das die Abendsonne vergoldete und die Stadt mit ihren breitausladenden Kirchendächern, die, zwischen dem Strom und den sanften Wellenlinien waldesgrüner Berge eingebettet, gar lieblich dalag.
Als er die Talsohle erreicht hatte, war er dem Städtchen auf Schußweite nahegerückt und er fragte sich bei Leuten, die des Weges kamen, zurecht nach dem roten Ochsen.
Der Wirt dieses berühmten Hauses stand breitspurig unter der Tür. Er hatte einen Zipfel seiner langen Schürze ins Taillenband gesenkt, so daß aus dem weißen Viereck ein rechtwinkliges Dreieck entstanden war. Glich er in der Art von unten gesehen dem Pythagoräischen Lehrsatz, so ähnelte seine obere Hälfte stark dem Tiere, dem sein Gasthaus den Namen verdankte. Auf einem Stiernacken saß ein breitgestirnter, rothaariger Schädel, dem außer den Hörnern wenig zu einem veritabeln Ochsenkopf fehlte. Der Wirt musterte den Ankömmling mit Blicken, die zum mindesten nichts Devotes an sich hatten und nahm seine Persönlichkeit gerade soviel zusammen, als eben nötig war, um dem Gaste den Eintritt ins Haus zu ermöglichen.
Auf den Steinplatten des Flures begegnete dem Fremden die Wirtin, die aussah, als ob sie auf den Verkauf gemästet wäre. Sie hatte breite vorspringende Hüften, auf denen eine Katze spazieren gehen konnte und einen Busen, als ob sie die Auslage eines Bäckers ausgeraubt und zwei Schaubrote hier verborgen hätte. Daß sie einen Kropf hatte, war selbstverständlich und daß dieser selbst durch Spitzen und Halstücher hindurch sich bemerklich zu machen wußte, war sein gutes Recht, das ihm in diesem Lande, wo der Kropf zu den nationalen Zierden gehört, niemand bestreiten durfte.
Das dritte menschliche Wesen, das dem Burschen in diesem Hause begegnete, war die Köchin, die, wenn von ihrem Äußeren auf ihr Inneres ein Rückschluß tunlich war, keine fleckenlose Seele haben konnte. War ihr Herr der Positiv und ihre Herrin der Komparativ von dick, so war sie der Superlativ. Sie war gleichdick vom Halse bis zu den Füßen wie ein Stoßtrog und nur das, was über den Schultern als Kropf sich vordrängte, überragte die übrige Figur noch und hatte die gefällige Form eines Dudelsackes.
Bei dieser dicken Dreieinigkeit also sollte der Michael Hely die erste Nacht seiner Wanderjahre verbringen. Im Gastzimmer saßen am Kopf der Tafel zwei in abgetragener Kleidung und schlechtem Schuhwerk und machten Kasse. Vor ihnen aus dem Tische lag der Inhalt ihrer Taschen, eine unbestimmte Masse, die zumeist aus Brotkrümeln, Streichhölzern und kleinen Papierfetzen bestand. Aus diesem Chaos scharrten sie mit den Fingern die Heller und braunen Kupferkreuzer heraus, die sie über Tag erbettelt hatten, teilten die Summe in zwei gleiche Teile und überschlugen dabei im Geiste, aus wieviel Gängen etwa das Abendessen bestehen könne, das sie sich heute leisten wollten.
Als sie die Tür gehen hörten, blickten sie auf, und der Ältere von ihnen erhob sich und ging dem Eintretenden ein paar Schritte entgegen. Der Holzgeruch, den der Ankömmling in der Herberge ausströmte, unterrichtete den alten Routinier der Landstraße besser, als es irgendeine Uniform der Welt vermocht hätte, über die Zunft, zu welcher der Zugereiste gehörte. »Du bist Schreiner,« redete er ihn an, »wie lange bist Du auf der Walz und wo denkst Du Arbeit zu suchen?«
Der Michael Hely beantwortete diese Frage dahin, daß er gerade den ersten Tag seiner Wanderschaft hinter sich habe und daß er gesonnen sei, zu Berg zu fahren, wie die Schiffer sagen.
Diese Antwort schien den vielgewanderten Stromer zu befriedigen. Er stellte sich als Dachdecker vor, der schon zwei Monate aus der Arbeit sei, und seinen Kollegen als ein ehrsames Schneiderlein.
Nach dieser Zeremonie wurde der Neuangekommene eingeladen sich niederzulassen, und als dies geschehen war, gründeten sie eine gemeinsame Kasse, aus der das Abendessen bestritten werden sollte in der Art, daß jeder zu den Kosten mit einem Dritteil herangezogen würde, von dem gemeinsamen Nutzen aber haben solle, was er für sich zu erhasten vermöchte. Die Gründung derartiger Gesellschaften mit beschränkter Haftpflicht ernährte den zu seinem Unheil mit ausgezeichnetem Appetit gesegneten Schieferdecker sehr wohl, so daß er, wie der Augenschein lehrte, recht gut dabei bestehen konnte.
Nach dem Essen knobelten die drei eine Zeitlang, bis die Wirtin durch fleißiges Nachgießen ihren Rausch soweit gezüchtet hatte, daß sie sentimental wurde und den Vorschlag machte, jenes uralte, schwermütige Volkslied zu singen, das mit den Worten beginnt: »Es zogen drei Burschen wohl über den Rhein.« Man tat ihr den Gefallen, allein aus Mangel an Text kam man über den ersten Reim: »Bei einer Frau Wirtin da kehrten sie ein,« nicht hinaus. Daneben schnarchte der Herr des roten Ochsen wie ein Kontrabaß und die Köchin mit dem Dudelsack um den Hals warf dem Michael Hely verliebte Blicke zu.
Als es Zeit war zum Schlafengehen, sortierte man die drei Reisenden. Wer für sein Nachtquartier zwei Kreuzer aufzuwenden vermochte, erhielt ein Bett mit einer Zudecke, wer aber für einen Kreuzer übernachten wollte, legte sich angekleidet auf einen Strohsack, der zur gegebenen Zeit ins Wirtszimmer hereingeschleift wurde.
Der Schneider und der Dachdecker, seit Jahren an nichts Besseres gewöhnt und zufrieden, wenn sie überhaupt so gelagert waren, daß es ihnen nicht in die Nasenlöcher regnete, entschieden sich für den Strohsack. Die Köchin geleitete den Michael Hely mit einer qualmenden Tranfunzel über die ausgetretene Stiege in eine Dachkammer und vergeudete unterwegs allerlei Liebenswürdigkeiten, die übrigens auf den Michael Hely, zur Ehre seines guten Geschmackes sei es gesagt, keinen Eindruck machten.
Bald lag er im Bett und vertrieb sich die Zeit mit Kratzen, denn noch hatte seine Haut nicht jene stoische Empfindungslosigkeit angenommen, die allein ein friedliches Zusammenleben des Gastes mit der alteingesessenen Bevölkerung dieser Herbergsbetten möglich macht.
Am nächsten Morgen sah man die drei Gestalten zum oberen Tore des Städtchens hinausziehen. Das sparsame Schneiderlein trug seine Schuhe in der Hand und marschierte in dem vom Morgentau benetzten Grasbande, das sich neben der Landstraße hinzog. Wenn es aber mit seinen Barfüßen eine Distel streifte oder in eine Stoppel trat, so jammerte es, daß Gott die Welt doch gar so stachelig und hinterlistig eingerichtet habe.
Das erste, was ihnen begegnete, war ein langes Floß von Rundholz, das langsam auf dem Neckar zu Tale trieb. In dem ruhigen Wasser genügte ein Mann, um es zu steuern und die übrige Belegschaft hatte sich auf dem Bretterboden in der Mitte um ein kleines Feuer niedergelassen, über welchem sie ihr Frühstück bereitete. Ein leichter Rauch stieg kräuselnd in die Luft und mischte sich mit den langgezogenen Nebelschwaden, die in der halben Höhe der bewaldeten Berge schwebten, und deren Hüften züchtig verhüllten, während die Häupter bereits im Golde der Morgensonne badeten. Den milden Gottesfrieden, der auf dem Strome lag und in dem Tal, störte leider der Schieferdecker.
Dieser Schnurrer, der nicht nur die Gegend kannte, sondern auch die Schwächen und kleinen Empfindlichkeiten derer, die sie bewohnten, legte die Hände vor dem Munde zu einer Schalmeie zusammen und schrie, so laut es möglich war, über das Wasser hin: »Jokly sperr!« Dieser Ruf, so wenig beschimpfend er an sich ist, stürzt jeden Floßknecht vom Rhein bis zu den Neckarquellen in einen Paroxysmus von Wut. Kaum, daß die Schallwellen den Weg vom Munde des Schieferdeckers bis zur Feuerstelle auf den schwimmenden Balken zurückgelegt haben konnten, so reckten sich drüben ein halbes Dutzend drohender Gestalten in den Morgennebel und ein wahres Donnerwetter von Verbalinjurien rollte und krachte über dem Neckartal und rief das Echo wach, das, den Lärm vermehrend, aus den Schluchten hervorbrechend antwortete.
Das war es eben was der Schieferdecker wollte und er rieb sich vergnügt die Hände, während der Michael Hely und das Schneiderlein sich wie die Krebse rückwärts konzentrierten und mit der entfernten Möglichkeit rechneten, daß die wilden Gesellen watend oder schwimmend einen Weg finden möchten, das Land zu erreichen.
Glücklicherweise kümmerte sich der Strom nicht um das, was auf ihm vorging, sondern trug das Floß ruhig weiter, trennte die Streitenden, und von der ganzen Flut der Schimpfereien hallten nur noch grob und unverschämt, als ob sie aus dem Munde des Thersites kämen, die Worte des Steuermanns herüber: »Wenn Du Großmaul so lang wärst, als Du dumm bist, dann könntest Du wie die Kette von Mannheim bis Heilbronn im Wasser liegen.«
Als die Gefahr vorübergegangen war, wurden die beiden Genossen des Schieferdeckers, wie Gänse nach einem Gewitter, wieder gesprächig und das Schneiderlein sang nach eigener Melodie das letzte von den zehn Geboten Gottes mit dem volkstümlich zurechtgestutzten Text:
»Fahr' mir nit über mei' Äckerle,
Fahr' mir nit über mei' Wies,
Geh' mir nit zu mei'm schön Schätzele,
Weißt nicht, wie lieb sie mir is.«
Als die drei Reisenden eben aus dem Buschwerk der Böschung heraustraten, stach ihnen das Städtchen Zwingenberg mit den hellglänzenden Fenstern seines Schlosses in die Augen. Der Dachdecker gebot dem Schneider Silentium und benutzte die kurze Wegstrecke, den Neuling auf der Wanderschaft in der Fechtkunst zu unterrichten: »Armer reisender Handwerksbursche bittet um ein Almosen.« Man wird zugeben, daß das Auswendiglernen dieser Formel auch einem Minderbegabten keine allzugroßen Schwierigkeiten bereitet. Aber hier, wie so oft im Leben, kommt es auf die richtige Betonung an, und darin gerade war der Schieferdecker Meister und er wünschte, daß auch die andern es werden sollten zu ihrer aller Heil. Er lehrte seine Schüler, wie sie dieses »Sesam tu' Dich auf« dem Herrn Pfarrer gegenüber mit einem Armensündergesicht, in einem leise brummenden Tone, verbunden mit einem eben hörbaren Zähneknirschen vorzutragen hätten. Wie sie dem Lehrer gegenüber und den Handwerksmeistern schon größere Stimmittel entfalten dürften; wie sie endlich dort, wo sie eine Frau oder eine Tochter allein im Hause antrafen, das Wort »bittet« so betonen könnten, daß es, zusammengehalten mit dem denkbar verwegensten Gesichtsausdruck, die Bedeutung gewinnen mußte: »Gib her, oder ich schneide Dir den Hals ab.«
Der Michael Hely, der sich von jeher in der Kunst der Nachahmung geübt hatte, kopierte seinen Lehrmeister aufs kostbarste, und das Schneiderlein wollte sich schier totlachen über seinen drolligen Reisegefährten.
Bei den ersten Häusern des waldumschatteten Dorfes trennten sie sich, denn der Schieferdecker hatte, um Kraft und Zeit zu sparen, die Arbeit geteilt und jedem der drei seinen Bezirk angewiesen. Nach einer Stunde trafen sie, wie verabredet, am südlichen Ende des Dorfes wieder zusammen und waren mit dem Erfolg ihrer Brandschatzung sehr zufrieden.
Der Michael Hely hatte die größere Summe zur gemeinsamen Reisekasse beizusteuern, denn da er noch frisch und unverdorben aussah und über seiner Kleidung noch nicht der Schmelz des Stromertums lag, so dachte manche Mutter an ihr eigenes Kind in der Fremde und verfügte freigebig über ihre Mittel.
Das Schneiderlein hatte, um seine Stellung in der Welt zu verbessern, zu seinem Privatgebrauch eine ganze Kollektion alter Stiefel zusammengeschleppt, unter denen er, ein strengerer Richter als Sir John Falstaff unter seinen Rekruten, eine fürchterliche Musterung hielt. Alles, was nicht felddiensttauglich war, kollerte über die Steine des Knütteldammes in den Neckar und machte ohne Füße den Weg zurück, den der Schneider kurz vorher ohne Schuhe gegangen war.
Da zufällig ein leeres Fuhrwerk talaufwärts vorüberzog, so saßen die drei Wanderer auf, und der Schieferdecker zahlte mit Aufschneidereien und schlechten Witzen, der Hely mit einer Weise auf der Harmonika den Fuhrmann.
War das Wetter gut, so sah die Morgensonne ebensogut wie der Abendstern die drei Gestalten auf der Landstraße, war es schlecht, so lagerten sie wohl einmal einen Tag auf der Herberge und reparierten mit Nadel und Faden die Schäden ihrer Kleidung oder füllten die müßigen Stunden aus mit Gesang und Kartenspiel.
So durchmaßen sie in einer Woche den grünen Teppich des reizenden Neckartals, freuten sich über die Wolke von Laubwerk, die überall die sanft geschwungenen Hügel deckt und schauten hinauf zu den verfallenen Schlössern, die vom Mondlicht durchglüht tausend Wundermärchen zu erzählen wußten.
Als sie endlich in Stuttgart ankamen, wünschte selbst der Schieferdecker, daß er so lang sein möchte, als er nach der Meinung des Floßknechtes dumm war, weil er dann das Neckartal an allen Stellen gleichzeitig genießen könne.
Wie sie so durch die Straßen der Stadt schlenderten, wunderte sich der Michael Hely, woher man all die Menschen nehmen möchte, die man braucht, um die vielen Häuser zu bevölkern.
Auch bemerkte er die reiche Ausstattung der Fassaden, das feine Spitzenwerk der Balkone und den Luxus der Vorhänge nicht ohne Wohlgefallen und doch hätte er in keinem dieser pompösen Häuser bleiben mögen. In seinen Adern kreiste Zigeunerblut, und der leichte Sinn war in seiner Familie vom Vater auf den Sohn erblich, wie das Geld im Hause Rothschild.
Was soll mir im Keller der eiserne Schrein?
Was sollen die Wände von Marmelstein?
Kommt immer ihr Diebe und stehlt was ihr wollt,
Der Mond ist mein Silber, die Sonne mein Gold.
Das Bündel am Stecken so geht's durch die Welt,
Ein Stuhl ist in jeglicher Schenke bestellt.
In raunenden Wäldern mein Schlafgemach,
Der Kauz und das Eichhorn die gucken durchs Dach.
Was herzt mich die Dirne mit tränendem Blick,
Was spricht sie von Rasten, von Kosen und Glück?
Des Fahrenden Liebe vom Herde verbannt
Streicht flatternd im Winde von Lande zu Land.