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Eher als man übrigens hatte erwarten sollen, fand sich die Gelegenheit, Rache zu nehmen an dem unbarmherzigen Pfarrherrn und sie wurde von dem Dorfteufel mit Freuden benützt.
Dem alten Käsjörg, einem Manne mit sehr wackeligem Untergestell, der das Amt eines Nachtwächters mit Gewissenhaftigkeit seither verwaltet hatte, war das Horn aus den Händen gefallen, und er selber war heimgegangen zu seinen Vätern. Dieser Pluralis in einer besseren Welt war übrigens einem Manne zu gönnen, der in dieser unvollkommenen sogar den Singularis entbehren mußte; denn nicht einmal im Taufprotokoll war trotz eifrigen Suchens der Name eines irdischen Vaters zu entdecken gewesen. Auch von seiner Mutter wußte man nichts. Man hatte eines Tages das Kind auf der Kirchentreppe gefunden und hatte es in der Armenpflege groß gezogen. Dafür zeigte sich späterhin der Mann erkenntlich, indem er alle Ehrenämter, die man auf ihn lud, gewissenhaft verwaltete. Er war nacheinander Ausscheller, Kuhhirte, Flurschütz und zuletzt Nachtwächter gewesen. Doch jetzt war er tot.
Der Ortsvorstand suchte nach einem passenden Ersatz für den entschlafenen Wächter und richtete sein Augenmerk auf den dicken Radelfresser. Zu diesem auffallenden Beinamen war dieser Ehrenmann, der den Rücken eines Stieres und die Kauwerkzeuge eines Orang-Utan besaß, deshalb gekommen, weil er einst bei einem Schlachtfeste aus Versehen ein Spinnrad mitgeschluckt haben sollte. Sei dem, wie ihm wolle, es steht fest, daß er außer einem gesegneten Appetit auch noch andere gute Eigenschaften besaß, die ihm das Vertrauen des Ortsvorstands sicherten. Er war wachsam, wenn er nicht schlief, und nüchtern, wenn er nichts zu trinken hatte. Wer war also geeigneter als er, einen solch verantwortungsvollen Posten zu übernehmen? Man hatte ihn aufs Rathaus kommen lassen und nachdem er seine Bereitwilligkeit zur Übernahme des Amtes erklärt und seine Aussage zu Protokoll diktiert hatte, überreichte man ihm probeweise das Horn, damit er einmal hören ließe, was er auf diesem Instrumente, das nun sein Acker und Pflug werden sollte, zu leisten vermöchte. Dieses Examen fiel überraschend gut aus, und man war der übereinstimmenden Ansicht, daß auf zehn Stunden im Umkreis kein Dorf sei, das sich rühmen könne, eine gleich hervorragend musikalische Kraft als Nachtwächter zu besitzen. Leider stellte sich im weiteren Verfolg der Prüfung heraus, daß der Kandidat nicht zählen konnte. Diese bedauernswerte Lücke in seinem Wissen glaubte man bei dem vorhandenen guten Willen in der Art ausfüllen zu können, daß man ihm eine Hilfskraft so lange zugesellte, bis seine Kenntnisse im Rechnen sich vervollkommnet hätten.
So kam man allmählich auf den Gedanken, zu diesem Dienste den Michael Hely, der als ein geweckter Junge galt, heranzuziehen und zum Nutzen der Allgemeinheit zu verwenden. Man schickte den Polizeidiener nach ihm, Und er kam auch. Man versprach ihm, wenn er seine Aufgabe mit Geschick löste, ein Paar neue Schuhe, auf der Sohle mit Plattköpfen beschlagen und auf dem Absatz mit Zwergstiften, und er willigte ein.
Als die erste Nacht der Amtsführung für den neuen Wächter kam, ging er vollkommen nüchtern mit seinem Assistenten zu dem obersten Wirtshaus des Dorfes hinein. Hier fand er lockere Vögel, denen er mancherlei zu übersehen hatte, wenn er sie in der Nacht einmal auf verbotenen Wegen finden sollte. Die bewarben sich um die Gunst des neuen einflußreichen Beamten durch Zutrinken. Andere hänselten ihn und boten ihm gleichfalls das Glas. Der gleiche Vorgang wiederholte sich in allen folgenden Wirtschaften, und als der viel Gefeierte und viel Verspottete gegen Mitternacht aus der untersten Wirtschaft herausfiel, da war er so weit, daß alle Institutionen der Welt für ihn ihre Bedeutung verloren hatten. In dem Gefühle ungeheurer Überlegenheit wollte er eine Rede an die Menschheit halten, wollte das Dorf an vier Ecken in Brand stecken, das Gefängnis stürmen, die Gefangenen befreien, kurzum er wollte etwas tun, was noch keiner getan und was die Aufmerksamkeit aller auf ihn lenken mußte.
Diese Seelenstimmung benutzte der Michael Hely und führte den sinnlos Betrunkenen durch den Schnee der eisigen Dezembernacht bis vor das Pfarrhaus. Hier gab er ihm das Horn in die Hand, und alles weitere vollzog sich nun mit der zwingenden Notwendigkeit eines Naturgesetzes.
Ein furchtbares Tut – Tut – Tut, das kein Ende nehmen wollte, durchschnitt die schwarze Finsternis. Erschrocken, als ob die Posaunen des jüngsten Tages zum Gerichte riefen oder der rote Hahn von jeder Dachfirst krähte, fuhr der friedsame Bürger von seinem Lager. Läden wurden aufgestoßen, Haustüren knarrten verschlafen in ihren Angeln, und bald sah man einige Laternen unsicher wie Irrlichter über der Schneedecke schweben.
Der Michael Hely fühlte, daß es für ihn Zeit wäre, sich zu entfernen. Er trat dem Trunkenbold in die Kniekehle, daß er nach hinten übersank, und schlich wie der Marder über die Schneedecke. Außer Schußweite blieb er stehen und hörte den folgenden Dialog:
»So ein Vieh! Wo mag er nur das Geld herhaben, sich so sinnlos zu besaufen?«
»Tritt ihn doch einmal zwischen die Rippen, ich glaube er lebt nicht mehr.«
»Wenn er schon tot ist, mag er liegen bleiben bis morgen, überfahren wird er heute nacht nicht mehr.«
»Er regt sich, er will sogar wieder anfangen zu blasen.« »Schlag ihm doch die Trompete in die Zähne hinein, aber wir können ihn nicht liegen lassen.«
»Wo sollen wir mit ihm hin?«
»In mein Haus kommt das Schwein nicht; da der Pfarrer soll ihn nehmen. Wenn er die Nächstenliebe predigt, muß man ihm Gelegenheit geben, sie zu üben.«
Im nächsten Augenblick schon wurde die Klingel am Pfarrhause heftig gerissen. Der Pfarrer erschien und die Laternen beleuchteten ein Gesicht, das verzerrt aussah, als ob sein Besitzer einen Igel geschluckt hätte.
»Was soll das Ungetüm in meinem Hause?« herrschte er die Männer an, die den Trunkenbold über die Treppe schleiften.
»Vor Ihrer Tür haben wir ihn gefunden, keiner von uns hat Platz, ihn aufzunehmen, und liegen bleiben kann er nicht. Basta.«
Damit zogen die Sprechenden den Bewußtlosen über die Schwelle, lüfteten ihre Mützen ein wenig und verschwanden mit ihren Laternen in der Dunkelheit der Nacht.
»Wo ist der Dorfteufel, der ihn führen sollte?« schrie der Pfarrer ihnen nach.
»Wir wissen es nicht,« klang es aus der Ferne.
Und in der Tat – sie hatten davon keine Kenntnis. Derjenige aber, der es wußte, lachte still vergnügt in sich hinein, schlug sich die frierenden Hände um die Schultern, damit sie warm würden, stapfte heimwärts durch den Schnee und schlief bald auf den Hobelspänen seines Bettkastens.
Als man ihn am nächsten Tage in das Rathaus zitierte, zog er es vor, nicht persönlich zu erscheinen, sondern bevollmächtigte seine Mutter, die Erklärung abzugeben, daß er auf die Schuhe und alles, was man ihm für seine gemeinnützige Tätigkeit sonst noch allenfalls zugedacht hätte, mit feudaler Großmut verzichte. Übrigens richtete er in den nächsten Tagen seine Ausgänge so ein, daß sie ihn weder am Rathaus noch am Pfarrhaus vorüberführten.
Es ist nicht zu leugnen, daß dieser neue Schelmenstreich in den höheren Sphären der Gesellschaft böses Blut machte. In den niederen aber, wo man sich zunächst herzlich auslachte, erstanden bald einige Wortführer, die dem Jungen eine gewisse Genialität, verbunden mit Heroismus zuerkannten und diese Führer fanden Leute, die ihre Ansicht teilten. So hatte der Dorfteufel bald alle jene hinter sich, die immer hinter dem stehen, der den Regierenden etwas am Zeuge flickt, und so schwamm er wohlgemut einige Monate auf den Wellen der Volksgunst, bis sich etwas ereignete, was ihm diese leider wieder entzog.