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Auf unsere Bitte hin, uns einige Angaben über seine Persönlichkeit und seinen Entwicklungsgang zu senden, erhielten wir vom Verfasser eine Selbstbiographie, die sich in der Eigenart der Darstellung und des geschilderten Dichterschicksals als so aufschlußreich und kennzeichnend für den Verfasser und seinen Werdegang inmitten des stürmisch bewegten Zeitgeschehens erwies, sich so ungezwungen als Ergänzung seines Romans in das Gesamtbild einfügt, daß wir uns erlauben, diese Selbstbiographie in gekürzter Form in den »Anhang« aufzunehmen.
Um den Leser in die eigentümliche Welt des russischen Klosterlebens einzuführen und ihm zu helfen, sich in dieser Welt zurechtzufinden, fügen wir als zweiten Teil des Anhangs einen kurzen Überblick über das russische Mönchswesen bei.
Der dritte Teil des Anhangs gibt erklärende »Anmerkungen« zu schwer verständlichen, spezifisch russischen Ausdrücken und Wendungen unter Hinweis auf die entsprechende Seite und Zeile des Textes.
Der vierte Teil des Anhangs enthält ein Namenverzeichnis der Haupthelden des Romans, was bei der großen Anzahl der handelnden Persönlichkeiten eine leichtere Übersichtlichkeit vermitteln dürfte, sowie einige Hinweise auf die Aussprache der russischen Namen.
Aus einer Selbstbiographie des Verfassers
Am 1. Januar 1890, um 12 Uhr mittags, als in Orel, wie überall in Rußland, Neujahrsgratulanten ihre Besuche abstatteten, verkündete im Hause meines Vaters die weise Frau, daß ein neuer Gast zum Besuch auf Erden eingetroffen sei.
Meine frühesten Kindheitserinnerungen: Vaters alter Uniformkittel, der nach Siegellack und staubigen Paketen roch, und sein Gesicht, nervös und erschöpft, hilflos vor der Not des Lebens. Gut erinnere ich mich seiner Leidenschaft für Vögel. Auf dem Tisch liegen dünne, aus Birkenholz geschnitzte Stäbchen zum Bau von Käfigen. Oft gehe ich mit meinem Vater auf den Vogelmarkt; nach langer Wahl wird ein neuer Sänger nach Hause gebracht.
In der Stube pfeift eine kleine Meise, und Vater erzählt mir von ihren Charaktereigenschaften. Sorglos zwitschert ein spießbürgerlicher Zeisig, lebhaft von Stange zu Stange hüpfend. Ein Dompfaff mit roter Brust knackt eifrig Hanfkörnchen, springt plätschernd in das Badehäuschen, und ein Regenschauer tropft auf den Fußboden. Eine lustige, zu mutwilligen Streichen aufgelegte Kohlmeise fliegt frei im Zimmer umher, flattert von einem Fikus zum andern, scharrt in den Blumentöpfen und neckt ihre Freunde in den Bauern. Sie setzt sich auf das Häuschen der Meise, die aufgeregt hin und her fliegt und versucht, mit dem spitzen Schnabel dem Gast auf dem Dach in die Zehen zu picken.
Am Abend erzählt mir Großmutter Märchen. Mutter, die seit elf Jahren krank liegt, stöhnt in ihrem Bett. Die letzte Ölung, das heilige Abendmahl wiederholen sich am Krankenlager in kritischen Augenblicken. Das ist meine Kindheit in einer bescheidenen Bürgerfamilie. Weder Schwestern noch Brüder. Selten einmal ein Spielgefährte. Das einzige Vergnügen ist die Schaukel unter dem vorspringenden Dach der Scheune, auf der man sich den ganzen Tag wiegen und drehen kann, bis einem schwindelig wird. Man kneift die Augen zusammen und blickt in die Sonne, verfolgt das Spiel von Schatten und Licht – geheimnisvolle Linien und Kreise, phantastische Hieroglyphen, die unlösbar bleiben.
Das humanistische Gymnasium, Kameraden, das Revolutionsjahr 1905; als Tertianer werde ich ausgeschlossen wegen eines Schulstreiks. Die Proskriptionslisten des Ministeriums verschließen mir die staatlichen Schulen. Ein privates Realgymnasium bietet die rettende Hand. 1911 Eintritt in die volkswirtschaftliche Abteilung des Petersburger Polytechnikums.
Und all die Jahre überragt von der gestrengen und ruhigen Gestalt des Großvaters. Er spricht in kurzen Sätzen, ist verschlossen, einsam; seine Frau ist geisteskrank. Die Liebe zu ihrem Sohne, meinem Vater, war so stark, daß sie irrsinnig wurde, als ihr jemand sagte, er sei verhaftet worden.
Den Großvater hatte es von Jugend an, schon als Student des geistlichen Seminars, zur Kunst gezogen; er wollte Maler werden. Sein Vater, ein Geistlicher, drohte mit seinem Fluch und weigerte sich, dem Sohn den Austritt aus dem geistlichen Stande zu gestatten. So war denn mein Großvater sein Leben lang Diakonus am städtischen Friedhof.
Der Friedhof war mein Spielplatz.
Von Kindheit an sang ich des Morgens im Klosterchor, im Altarraum, zusammen mit Großvater bei den Seelenmessen an Gräbern. Nach dem Mittagessen wurden die Friedhofswege gereinigt, die Bäume und Pflanzen betreut. Jeder Pfad auf dem Friedhof, jedes Grab, jeder Gedenkstein, jeder Fliederstrauch, Faulbaum waren mir wohlbekannt und vertraut; im Herbst aß ich Äpfel und Birnen vom Friedhof. Und daneben – fortwährend das Empfinden des Todes: Begräbnisse, Seelenmessen, weinende Hinterbliebene, die irrsinnige Großmutter, die todkranke Mutter. Das ist meine Jugend bis zu den Studentenjahren.
Meine ersten Gedichte entstanden auf dem Friedhof, und auf dem Friedhof blühte mir die erste Liebe, in der Abenddämmerung, wenn Glühwürmchen wie heilige Lämpchen auf den Gräbern leuchteten.
Im Sommer verbrachte ich jedes Jahr zur Erholung mehrere Wochen in einem Mönchskloster in den Wäldern von Briansk. Mit den jungen Novizen war ich mehr oder weniger befreundet. Wir machten zusammen den Sommerfrischlerinnen, die in den Landhäuschen und Herbergen des Klosters wohnten, den Hof, spielten im Walde Fangspiele, saßen plaudernd am Lagerfeuer, angelten im See. Großvater und Vater waren mit den Mönchen befreundet. Großvaters Bruder war Eremit; seine Klause lag verloren im Walde. Großvater, streng und in seine Einsamkeit versunken, glich selbst einem Mönch. Mönche, Priester, der Friedhof, das Kloster: in dieser Umwelt verlief meine frühe Jugend, empfing ich die ersten Eindrücke von der Welt. Religions- und Glaubensfragen wurden in diesem Kreise nicht berührt; das Alltägliche, die Freuden und Sorgen des äußeren Lebens, Neid und Klatsch, Liebedienerei und Ausschweifungen, die sich unter der schwarzen Kutte demütiger Scheinheiligkeit verbargen, herrschten hier allgemein.
Die Krankheit weckte in Mutter Sehnsucht nach Wunder und Heilung; Klöster und Grabstätten von Heiligen wurden besucht, Nonnen kamen als Trösterinnen ins Haus.
Mit fünfzehn Jahren fange ich an Gedichte zu schreiben. Mit dem Gelde, das ich durch Nachhilfestunden verdiene, kaufe ich Bücher, die Vaters Bibliothek vervollständigen; neben der Vogelliebhaberei ist er ein leidenschaftlicher Leser. Lebensbeschreibungen russischer und ausländischer Dichter interessieren mich am meisten. Großvater opfert sein Diakonsgehalt, um mein Studium zu ermöglichen; er hofft, daß sein gescheiterter Sehnsuchtstraum, sich der Kunst zu widmen, an mir in Erfüllung geht.
Während einiger Sommer, die ich im Hause eines Dorfpriesters, eines entfernten Verwandten, verbringe, mache ich mich zum ersten Male daran, Volkslieder zu sammeln: rituelle Spiel- und Hochzeitslieder, Lieder der Jahreszeiten.
Der Akademiker Schachmatow erwirkt mir einen Auftrag von der Akademie der Wissenschaften: ich erhalte einen Phonographen, Walzen und fünfzig Rubel Reisezuschuß.
Die Bauern empfangen mich mißtrauisch. »Märchen willst du aufschreiben?« sagen sie höhnisch, mit einem verschlagenen Lächeln. »Wozu sollen denn die plötzlich gut sein?«
Die Möglichkeit, das Erzählte sofort wieder vom Phonographen vorgetragen zu hören, bringt schließlich Kinder, Bäuerinnen, Greise zum Sprechen.
Die alten Weiber schütteln den Kopf.
»Ach, Mädel, das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Der Herr wird dich einst im Himmel fragen: ›Hast du in die Maschine gesungen?‹ und du kannst es nicht leugnen, wenn sie die Maschine aufziehen und da oben alle zuhören. ›Wessen Stimme ist das?‹ – ›Der Marja ihre!‹ Was wirst du dann zu deiner Rechtfertigung vorbringen? …«
In den nächsten Jahren ging es besser. Im Laufe von vier Sommern habe ich rund fünfhundert Märchen, vierzig Druckbogen, und zwanzig Druckbogen ethnographischen Materials gesammelt. Die Akademie der Wissenschaften stellt die Mittel zur Veröffentlichung zur Verfügung; von der Geographischen Gesellschaft erhalte ich die Verdienstmedaille.
Jede Einzelheit in den Bauernstuben prägt sich ins Gedächtnis ein; Ethnographie ist eine gute Schule für den Schriftsteller. Die Aufzeichnungen erweitern in ungeahntem Maße meine Sprachkenntnisse, mein Vokabularium. Meine Notizbücher sind eine unerschöpfliche Fundgrube für mich.
Das Feld meiner Tätigkeit war dasselbe Gouvernement Orel, das meine Landsleute P. Jakuschkin und die Brüder Iwan (1806-55) und Peter (1808-56) Kirejewskij durchstreift haben, aus deren Sammlungen auch Puschkin Märchenstoffe geschöpft hat; sie sind ein Sprachreservoir, das Turgenew, Leskow, Andrejew, Bunin und andere im Orlowschen gebürtige Dichter benutzt haben.
Gleichzeitig wachsen Alben mit Photographien heran: Märchenerzähler, Charakterköpfe, Bauten, Heimarbeiten, Spiele, Tänze, Landschaftsbilder: hier ist Turgenew auf die Jagd gegangen, hier haben die Dichter Tjutschew, Apuchtin, Feth gelebt. Es ist das Rußland Gogols, Leskows, Petschorskijs, Samjatins.
Es fiel mir immer noch schwer zur Prosa überzugehen. Meine Gedichte erscheinen in W. S. Miroljubows »Monatszeitschrift« und in W. Posse's »Leben für alle.«
Das Jahr 1915 ist der Wendepunkt. Bisher unbekannte Märchenthemen ergeben das Sammelwerk: »Die Stimme des Dorfes«. Meine ersten Erzählungen und Novellen entstehen und erscheinen.
Der Krieg entreißt mich meiner Arbeit. Die Studenten werden einberufen. Ich verbringe sechs Monate in der Kriegsschule. 1916 werde ich mit Maxim Gorkij bekannt. Er fordert mich zur Mitarbeit an seiner Zeitschrift »Das Segel« auf. Doch ich muß an die Front.
1917 entsteht eine längere Erzählung, und ich beginne einen Roman aus dem Klosterleben: »Weiße Ufer«. Die Revolution wirft alles durcheinander. Ich werde Statist, bearbeite die Materialien der Volkszählung in den Städten. Nervöse Erschlaffung, Krankheit; ich komme auf einen Monat in eine Nervenheilanstalt. Orel wird von weißen Truppen besetzt. Ich bin krank, vollständig mittellos, trotzdem bringt mich meine Frau nach Noworossijsk. Kriegshospital, Verzweiflung. Ich will nach Moskau, wo das neue Leben entsteht. Meine Nervenkrankheit fesselt mich ans Bett. Als Kranker werde ich nach Ägypten evakuiert; eine unfreiwillige Flucht, die zur Emigration wird.
Der Orient; Kairo; ein Lager an der Grenze der syrischen Wüste; Alexandria; das Mittelmeer. Neue Eindrücke und Beobachtungen.
Ich verdiene meinen Lebensunterhalt als Straßenhändler, verkaufe Zigaretten in Bars, Cafés, in arabischen Stadtteilen. Wenn kein Käufer da ist, schreibe ich auf der Straße stehend, meine Verkaufslade über die Brust gehängt, Gedichte über den Orient und verzeichne Entwürfe zu Prosaarbeiten, vor allem zu meinem Klosterroman: Prosa schreiben kann ich nicht, es ist zu teuer; Papier kostet Geld. Papierfetzen, die ich von der Straße auflese, Einschlagpapier, alles was Bleistift annimmt, wird mit Aufzeichnungen bedeckt. Ich kann nicht schweigen. Schweigen ist eine Qual. Auch unter Heimatlosen, »lebendig Begrabenen« zu leben, ist eine Qual. Ein Brief von meinen Eltern trifft ein; ich soll doch zurückkommen. Und in einer Nachschrift die Mitteilung, daß Maxim Gorkij auf einer Schriftstellertagung sich über mich und mein Schicksal erkundigt hat.
Von Ägypten geht's nach Bulgarien und schließlich in die Tschecho-Slowakei. Hier kann ich wieder literarisch arbeiten. Ich lerne Tschechisch, Mährisch, Slowenisch, übersetze Märchen aus diesen Sprachen. Aus dem Gedächtnis schreibe ich noch einmal das Sammelwerk »Die Stimme des Dorfes« nieder, das in tschechischer Sprache erscheint. Eine längere Erzählung »Die Schlangenfrau« entsteht. Aber ich will vor allem meinen schon 1917 in Rußland begonnenen Klosterroman zu Ende bringen, allen Unbilden zum Trotz.
Ich arbeite als Korrektor in einer russischen Druckerei. Aus einem Vorstadtdorf fahre ich täglich um 5 Uhr morgens mit der Bahn nach Prag, schlafe auf der Hin- und Rückfahrt im Zuge. Um 7 Uhr abends komme ich wieder nach Hause und arbeite bis Mitternacht. An den Sonn- und Feiertagen und während des jährlichen achttägigen Urlaubs arbeite ich auch am Tage an meinem Roman – um ungestört zu sein, auf dem Dachboden vor einer Luke. Das ging so dreieinhalb Jahre lang.
Ein weiteres Jahr verwandte ich in gleicher Weise auf meinen Roman »Die Biber« und das Schauspiel »Klosterfrauchen«, womit eine Entwicklungsperiode (1922/27) zu Ende gebracht war. Die Institution der »Klosterfrauchen« ist eine merkwürdige Erscheinung des russischen Klosterlebens. Dostojewskij sagt darüber in den »Brüdern Karamasow« mit dem Munde des alten Karamasow: »In der Nähe des Klosters befindet sich eine abgelegene Vorstadt, und es ist allen bekannt, daß hier ausschließlich ›Klosterfrauen‹ wohnen, wie sie dort genannt werden, etwa dreißig Frauen. Ich war da, und weißt du, die Sache ist in ihrer Weise interessant, durch ihre Eigenart natürlich. Schlimm ist nur, daß dort ein fürchterlicher Russizismus herrscht, es gibt noch gar keine Französinnen, obwohl es durchaus möglich wäre; nicht unbedeutende Mittel stehen zur Verfügung.«
Zur Zeit schreibe ich an einem neuen Roman, der die Russen in der Zerstreuung zum Vorwurf hat: »Lebendig Begrabene«, und an einem Theaterstück »Karneval«.
Kurze Übersicht über das russische Mönchswesen
Die geschichtliche Rolle der russischen Klöster als Keim- und Verbreitungsherde von Kultur und Kolonisation gelangte unter Peter dem Großen zum Abschluß, der als erster einer ungesunden Entwicklung entgegenstrebte; die Klöster waren durch testamentarische Verfügungen sterbender Bojaren im Laufe der Jahrhunderte zum Eigentümer ungeheurer Ländereien und zahlloser Leibeigener geworden. Unter Katharina II. wurden der Kirche die leibeigenen Bauern fortgenommen und die Zahl der Klöster bedeutend eingeschränkt.
Durch weitere Reformen wurden die Klöster in mehrere Kategorien eingeteilt. An der Spitze standen die »Staats«- oder sogenannten »etatmäßigen« Klöster, die in ihren Mauern die Reliquien eines Heiligen beherbergten. In solchen Klöstern war die Zahl der Mönche streng begrenzt; sie erhielten von der Kirchenverwaltung ein bestimmtes Gehalt. Alle übrigen Klöster waren »nicht-etatmäßige« und zerfielen in zwei Hauptgruppen. Die erste Gruppe bildeten die Klöster, die an christliche Kommunen erinnerten. Hier sorgte das Kloster für den Unterhalt der Bruderschaft; alle Mönche erhielten vom Kloster Kleidung und Verpflegung, jedoch kein Geld. Die Mönche verschafften sich einen kleinen Verdienst, indem sie Löffel schnitzten und Heiligenbilder malten, die sie im Klosterladen, zum Teil auch an Wallfahrer verkauften. Die zweite Gruppe umfaßte die sogenannten »Selbstversorgungsklöster«, in denen die Mönche selbst für ihren Unterhalt sorgen mußten, also eigene Mittel besaßen oder sich durch irgendwelche Arbeiten ihren Unterhalt verdienten; diese Klöster befanden sich meist in den Städten.
Außer diesen Hauptgruppen gab es noch die sogenannten »außer-etatmäßigen« Klöster, die ihre geschichtliche und religiöse Bedeutung eingebüßt hatten, jedoch als Denkmäler der Vorzeit noch eine gewisse Aufmerksamkeit genossen. Es waren meist äußerst arme Brudergemeinschaften mit nur wenigen Mönchen; sie dienten als Verbannungsort für Geistliche und Mönche, die sich irgend etwas hatten zuschulden kommen lassen.
Die Mönche wurden in verschiedene Kategorien eingeteilt; es gab Dienstbrüder, Novizen, »kuttentragende« Mönche, »soutanentragende« Mönche, Skitniki, Hierodiakone und Hieromonachen, Skimniki, Klausner, Schweiger und Starezen.
In den letzten Jahren war den Klöstern verboten worden, halbwüchsige Jünglinge aufzunehmen, und die Institution der Dienstbrüder kam in Fortfall. Die Dienstbrüder, Knaben von zwölf bis achtzehn Jahren, waren Sänger im Klosterchor oder verrichteten leichtere, ihrem Alter entsprechende Wirtschaftsarbeiten.
Wer Mönch werden wollte, mußte zuerst mehrere Jahre lang Novize sein. Der Novize stand unter Obhut und Leitung eines Mönches und war ihm zum Gehorsam verpflichtet. Die Novizen verrichteten die grobe Arbeit im Kloster, betätigten sich in der Küche, in der Backstube, in den Pferdeställen oder als Dienstbrüder der Mönche, in deren Obhut sie sich befanden.
Die »kuttentragenden Mönche« widmeten sich bereits fast ausschließlich dem Dienste Gottes, hatten aber noch nicht endgültig der Welt entsagt. Sie erledigten allerlei Arbeiten, die mit der Klosterkirche, dem Wirtschaftsbetrieb, der Verwaltung zusammenhingen, waren Glöckner, Pförtner, Vorsteher des Klosterladens, der Klosterherbergen usw.
Die Dienstbrüder und Novizen trugen Kutten und auf dem Kopfe ein oben spitz zulaufendes schwarzes Käppchen. Von den kuttentragenden Mönchen an trugen die Mönche eine schwarze Kappe oder Mütze, die die Form eines hohen, nach oben sich leicht erweiternden steifen Zylinderhutes aus Tuch, ohne Krempe, hatten; hinten fiel eine viereckiges, längliches Stück Tuch aus demselben Stoff vom Rande der Kappe auf die Schultern und den Rücken hinab.
Mönche, die der Welt endgültig entsagt hatten und das Kloster nicht verlassen durften, trugen die Soutane. Nach der Klosterregel durfte das Gelübde der endgültigen Weltabkehr erst nach Erreichung des dreißigsten Lebensjahres abgelegt werden, was mit dem Alter Christi zusammenhing, der nach der Überlieferung als Dreißigjähriger zu predigen begonnen hatte.
Die Soutane (»Mantija«) war ein weiter, faltiger Umhang, der die ganze Gestalt einhüllte, vorn bis an die Füße hinabreichte und hinten sogar eine kleine Schleppe hatte.
Zu Hierodiakonen und Hieromonachen, die die Diakonswürde besaßen, konnten nur soutanentragende Mönche erhoben werden. Die Äbte, die Hieromonachen sein mußten, waren oft auch »Mitraträger«, d. h. sie durften bei den Gottesdiensten die Mitra tragen – ein feierlicher Kopfschmuck, der sonst nur den Bischöfen zustand.
Die »Skitniki« – ein Wort, das wir in Ermangelung eines genaueren Ausdruckes mit »Einsiedler« übersetzt haben – wohnten nicht im Kloster selbst, sondern in einer kleineren, klosterartigen Ansiedlung (dem »Skit«), die in der Regel im Walde verborgen lag und also ein Kloster im Kloster darstellte. Hierher zogen sich oft alte Mönche zurück, die mit Laien – Wallfahrern – nicht in Berührung kommen wollten.
Die »Skitniki« waren oft auch »Skimniki«, d. h. Mönche strengster Regel, die nicht nur der Welt entsagt hatten, sondern – wie man es ausdrückte – »gleich lebendig Begrabenen waren«. Eine Einsiedelei (»Skit«), in der Skimniki lebten, durften nur Männer betreten; Frauen hatten nur einmal im Jahr Zutritt, zu Maria Verkündigung, d. h. an dem Tage, da der Engel der Jungfrau Maria erschienen war und Gottes Gnade über sie ausgeschüttet hatte. Die Skimniki hatten die Pflicht ununterbrochen zu beten. Oft wurden alte Mönche, von schönem, ehrwürdigem Äußern, das an irgendeinen Heiligen erinnerte, veranlaßt, zur Zierde des Klosters Skimnik zu werden. Sie mußten während der Gottesdienste in der Klosterkirche Psalmen und die Namen der Verstorbenen lesen, die in das »Seelenregister« des Klosters eingetragen waren. Sie durften sich während des Gottesdienstes nicht hinsetzen und verharrten meist in vollkommen regloser Haltung. Ihr Gewand erinnerte an die Soutane, die kapuzenartig auch den Kopf verdeckte. Über der Stirn auf der Kapuze und auch vorn an ihrem schwarzen Gewände waren weiße Schädel, Gebeine, ein Kreuz und das Emblem der Kreuzigung aufgestickt.
Auch die Klausner lebten meist in der Einsiedelei (dem »Skit«). Der Klausner war ein Mönch, der nicht nur den Umgang mit Laien, sondern auch mit Mönchen mied; er kam mit keinem Menschen zusammen. Das Essen wurde ihm durch das Fenster seiner Zelle gereicht.
Die Schweiger hatten nicht nur gelobt, ihre Zelle nicht zu verlassen, sondern auch das Gelübde des ewigen Schweigens abgelegt.
Die Starezen (von »stary« = alt, eigentlich: ehrwürdige Greise) waren greise Mönche, von vorbildlichem Lebenswandel, die die Sehergabe besaßen, in Menschenseelen zu lesen und durch ihr Wort Leidgebeugten Trost und Linderung zu spenden. Eine klassische Darstellung eines Starez hat uns bekanntlich Dostojewskij in der Gestalt des Starez Soßima gegeben (»Brüder Karamasow«). Die Starezen – eine Erscheinung, die erst in jüngerer Zeit aufgekommen ist – wurden von der Kirchenobrigkeit nur ungern geduldet, da sie außerhalb der Klosterregel standen, zuweilen Lehren predigten, die mit den Kirchensatzungen nicht übereinstimmten, und vom Volke oft als Heilige verehrt wurden. Besonders berühmt durch seine Starezen war das Kloster Optina. Oft wurden auch alte Mönche, nur wegen ihres greisen Alters, Starezen genannt. Ein Starez in dem oben angedeuteten Sinne ist in unserem Roman nur der Starez Akakij.
Anmerkungen. Erster Band. Zweiter Band
Als Fußnoten eingepflegt. Re für Gutenberg.
Namenverzeichnis
Afanaßij Timofejewitsch Kaljàbin, Novize; Afònja, Afònitschka – Koseformen von Afanaßij; Afòn, Afònka – leicht verächtlich, burschikos.
Akakij, Starez, Klausner.
Akindin, Mönch, Vorsteher des Klosterladens.
Arischa, Novize.
Awraamij, Mönch, Pförtner.
Barmanskij, Valentin Viktorowitsch, höherer Beamter, im Gefolge des Gouverneurs.
Belopòlskaja, Sinaìda Nikolajewna, Sina, Sìnotschka.
Belopolskij, Wladimir Nikolajewitsch, Leutnant, Gutsbesitzer, ihr Bruder.
Chljupin, Polizeispitzel.
Doßifèj, alter Mönch.
Dràkin, Kirill Kirillowitsch, Onkel Kirja, Ingenieur, Fabrikbesitzer, Frau Grakinas Bruder, Fenjas Onkel.
Dunja, Jewdokia Semjonowna Denìßowa, Dienstmädchen bei Klimow, als Nonne Mutter Jewdokia.
Gràkina, Antonìna Kirillowna, Tonja, Drakins Schwester und Fenjas Mutter.
Gràkina, Fjokla Timofèjewna; Fènja, Fènitschka – Koseformen von Fjokla; Fenka – leicht verächtlich.
Gurnowa, Lina, Jelena.
Gurnowa, Olga Grigorjewna, Linas Mutter.
Iòna, Mönch, Herbergsvater.
Ioßàf, Bischof, Fürst Alexander Nikolajewitsch.
Jepifràs, Mönch, Weihbrotbäcker.
Jewdokìa, siehe Dunja.
Kaljàbin, siehe Afanaßij.
Kartschèwskaja, Frau.
Kartschewskaja, Soßja, ihre Tochter.
Klimow, Kaßjàn Parmjonytsch, Großkaufmann.
Klìmowa, Marja Kàrpowna, Mascha, Màschenka, seine Frau.
Kostìzina, Wera Alexejewna, Frau des Vorstehers der Gouverneurskanzlei, Gutsbesitzerin.
Kostja, Dienstbruder beim Abt.
Làsarew, Andrej, siehe Polykarp.
Lòssew, Iwan Matwejewitsch, kleiner Winkeladvokat.
Maschenka, siehe Klimowa.
Mawrikij, Mönch, Müller.
Michail, Mönch, Kwasbrauer.
Mißail, Novize, Herbergsvater, Mönch.
Moißej, Moischa, Matwej, junger Jude, Krugwirt.
Nikolai Predtètschin; Kòlenka, Nikòluschka – Koseformen, Nikòlka, Nikòl – leicht verächtlich, burschikos; als Mönch: Vater Gerwàßij.
Obolènskij, Wassilij, Akademiker, Bewahrer der Kirchengeräte (Kirchenwürde), im Gefolge des Bischofs.
Paìßij, Mönch, Haushalter.
Pamwla, Mönch, Hierodiakonus.
Petrowitsch, Geschäftsführer bei Klimow.
Petrowskij, Nikodim Alexandrowitsch, Schüler des Lehrerseminars.
Polykarp, Hieromonach, Akademiker, als Laie Andrej Lasarew.
Predtètschin, siehe Nikolai.
Rjasnàja, Valeria Sergejewna, Prinzessin, seine Tochter.
Rjasnòi, Sergej, Fürst, Gouverneur, (sprich: Ssergèj).
Sawwa, Abt (sprich: Ssàwwa).
Simeon von Beloberèshsk, Klostergründer (sprich: Ssìmeon).
Smolenskij, Pjotr Iwanowitsch, Archidiakonus, im Gefolge des Bischofs.
Smoljanìnow, Borìs, Bòrenka, Bòrja, Gymnasiast; als Mönch: Jewtìchij.
Smoljanìnowa, Anna Jèwgrafjewna, Boris' Mutter.
Waßja, Wàßenka, Waßka, ein Blöder.
Wosdwìshenskij, Sergij, Oberpriester, im Gefolge des Bischofs.
Xanfij, Mönch.