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Die Gemüsegärten hatten sich gut angelassen. Die jungen Mönche und Novizen waren vom Morgen bis zum Abend mit der Pflege der Beete beschäftigt. Aus den nahegelegenen Fabriken hatte man sich die nötigen Werkzeuge beschafft, und ein Schlosser hatte mit Hilfe eines Mechanikers vom Flüßchen her eine Pumpanlage zu Bewässerungszwecken gebaut.
Die alten Mönche gingen im Bogen um die Gemüsegärten herum, warfen Vater Polykarp heimlich scheele Blicke zu, schlugen das Kreuz und flüsterten:
»Den Antichrist haben wir in unsere Mitte eindringen lassen! …«
Den Vater Jewtichij, in der Welt Boris genannt, verjagten sie von dem Sarkophag mit den Reliquien des Heiligen.
»Troll dich zu deinem Schwarzen!«
Gemeinsam mit den übrigen grub er Beete um, jätete, schleppte Wassereimer. Die Sonne hatte ihn braun gebrannt, seine Muskeln waren fest und straff geworden, und in seiner Seele war Stille eingekehrt. Als Wächter der Anlagen wohnte er im Freien in einer Laubhütte, begrüßte das frühe Morgenrot mit stillem Gebet, verfolgte entzückt das Weben von Nebel und Tau, badete im Fluß und aß sein Morgenbrot – ein Stück Schwarzbrot und Wasser. Dann begann der Arbeitstag.
Vater Polykarp sprach zu den Mönchen:
»Das Reich Gottes ist in uns, es liegt in der Liebe zu unserem Nächsten. Fürchtet euch nicht vor dem Zeitgeschehen. Unser Heiland hat verkündet, so müsse es sein, denn der Bruder werde sich gegen den … Bevor das Evangelium nicht in der ganzen Welt gepredigt wird, kann das Reich Gottes nicht in die Welt kommen. Geschlechter mögen vergehen, das Wort des Herrn aber vergehet nimmer! …«
Boris sah den Lehrer seltsam an und wagte nicht, die Worte des Evangeliums in dieser Fassung zu deuten.
»Der Arbeitende verdient seine Nahrung; auch wir müssen arbeiten und nicht auf Liebesgaben warten, noch Nichtstuer sein, dem falschen Knechte gleich, der sein Pfund in der Erde vergrub!«
Die Mönche fragten:
»Warum sollen wir auch für die alten Mönche arbeiten und sie ernähren, mögen sie doch selber arbeiten!«
Der schwarze Mönch sprach beruhigend:
»Es sind verirrte Schafe … Zürnet nicht; denn sie wissen nicht, was sie tun.«
Zur Stunde des Sonnenuntergangs setzte sich Vater Polykarp vor die Laubhütte, zog ein kleines Evangelium aus der Tasche, schlug es auf und las vor, langsam, nicht alles, nur das Wichtigste, deutete die Gleichnisse.
In der ersten Zeit begegneten ihm die Mönche mit Mißtrauen; allmählich aber hörten sie ihm willig zu, und neues Leben begann leise in den Herzen zu sprießen, tastend und scheu und schreckhaft; mit jedem Male aber schlug es tiefer Wurzel, wuchs, erstarkte, und näherzurücken schien das kommende Reich. Sie scheuten sich, Fragen zu stellen, doch warteten sie nun auf die Stunde des Sonnenuntergangs, der Stille und Betrachtung. In der Ferne, eine halbe Werst weit, schimmerte weiß das Kloster, die große Glocke brummte, und am Ufer des Flusses sprach Vater Polykarp zu einer kleinen Gruppe andächtig lauschender barfüßiger Mönche in verschossenen Kutten, fadenscheinigen Käppchen. Am jenseitigen Ufer dunkelte der Wald, in nimmermüdes Geflüster versunken. Honighauch wehte von den Wiesen, Harzgeruch und Kräuterduft vom Walde her, hell schimmerte der weiße Sandstreifen am Ufer. Das Wasser plätscherte in der kühlen Abendstille, Tau sank herab.
Der schlichte Novize Alexej sagte zu Vater Polykarp:
»Gestatte, daß wir uns hier am Flusse Zellen bauen; laß uns fortziehen von dort, hat der Herr doch gesagt, beten könne man überall, denn das Reich ist in uns …«
Vater Polykarp furchte schmerzlich die Brauen und antwortete:
»Die Zeit ist noch nicht gekommen …«
Stumm gingen die Mönche auseinander, einige begaben sich ans jenseitige Ufer und schliefen im Walde. Boris kroch in seine Laubhütte, streckte sich auf dem Rücken aus, lag gedankenlos da, ganz dem Gefühl neuen Lebens, neuer Kraft hingegeben, und sank friedlich in Schlaf, das leise Rauschen der Fichten und das Murmeln des Flusses noch in Ohr und Sinn.
Das Bild der Verstorbenen war entschwunden, verblichen; dankbare Erinnerung, stille Wehmut ihm geblieben, und irgendwo tief innen lebte heimlich etwas, was er einst gestreift, aber nicht ausgekostet hatte, das wiedererstanden war und unbewußt vielleicht in jedem Straffen seines Körpers sich aussprach, sich in Betätigungsdrang und Arbeit ergoß: ein heimliches Weben und Schweben, das wie der erdentstiegene Saft der Fichten unter der sonnedurchhauchten goldbraunen Schuppenhaut zu Licht und Leben empordrängte.
Es zog ihn nicht in das Kloster, er hätte sich gern mit dem Novizen Alexej im Wald eine Zelle gebaut, mit diesen grob gewordenen Händen, in die etwas von der Urkraft des Waldes geströmt zu sein schien. Ihn quälten nicht Versuchung und fleischliches Verlangen; er freute sich an dem weißen Uferstreifen, wenn er in den geisterhaften Morgenfluten badete. Nur ein unbestimmtes Sehnen beengte zuweilen die Brust. Bei der Arbeit verging das wieder.
Von fern sah er zuweilen Schwester Sina Belopolskaja, ja ein Besuch von ihr hätte ihn sogar erfreut; er gedachte ihrer Sorge um ihn. Und als der Herbst nahte und die Bauern volle goldene Garben in ihre Scheuern fuhren, sehnte er sich nach seinem Studentenzimmer.
Er hörte Axtschlag im Walde und lauschte; die Bauern fällten Bäume, bauten ihr Haus.
Auch die alten Mönche hatten bald bemerkt, daß die Bauern wieder im Klosterwalde Bäume fällten, und zischelten:
»Ha, da sieht man, was der Schwarze ausgerichtet hat – die holzen uns den ganzen Wald ab!«
Ein dunkles Gerücht verbreitete sich: aus dem Süden nahen treue Vaterlandssöhne, um die Welt vom Antichrist zu erlösen.
Der Abt besuchte jetzt Soßja Kartschewskaja in dem Landhäuschen des Klosters, wo Soßja wieder zusammen mit ihrer Mutter wohnte. Die Genossen von der Fabrik hatten sie aus dem Lazarett entfernt; um dem heimatlosen Mädchen zu helfen, hatte man Soßja in der Küche angestellt.
Schwester Sina Belopolskaja genoß die eingetretene Stille. Des Nachts wurde sie nicht mehr durch Liebesgeflüster nebenan in Soßjas Zimmer im Schlaf gestört; wunsch- und gedankenlos schlief sie ein, um am Morgen aufs neue an die Arbeit zu gehen. Es schien, als wäre ein Leben beendet und als könne sie ohne Petrowskij kein neues beginnen; sie gedachte seiner und suchte die Gedanken zu verscheuchen … Er glich jetzt wohl den Genossen, die sich im früheren Lazarett, jetzt einem Erholungsort, niedergelassen hatten.
Im Sommer war eine neue Bürde auf ihre Schultern gesunken. Als Soldat verkleidet war Leutnant Wladimir Belopolskij, ihr Bruder, heimlich bei ihr aufgetaucht.
»Sina, du mußt mich retten.«
Sie erblaßte, antwortete aber nicht.
»Schwester, hörst du, was ich sage? Mir droht der Tod.«
Schweigend holte sie seinen Brief hervor und reichte ihn ihm.
»Ha, Bolschewistin bist du geworden! Verdammte Idiotin! …«
Er ging, aber im Herbst kam er wieder. Sina hatte die Arbeiter im Lazarett sagen hören:
»Sie bringen Züge zur Entgleisung, die Lumpen! Es ist aber niemand gefunden worden, die Bande hatte Zeit zu fliehen.«
Belopolskij erschien mit einem Soldatensack auf dem Rücken.
»Sag' den Genossen, daß ich aus deutscher Gefangenschaft komme.«
Sie ging zum Vorstand des Erholungsheims und wiederholte hilflos Wort für Wort, was ihr der Bruder aufgetragen hatte; sie konnte es nicht übers Herz bringen, ihn wieder abzuweisen.
»Wird er ganz bei Ihnen wohnen?«
»Bloß einige Tage, um sich nach der langen Reise zu erholen.«
Er wurde einige Tage lang mißtrauisch gemustert, nachher bemerkte man ihn nicht mehr.
»Ach, bloß der Bruder der Belopolskaja, kommt aus deutscher Gefangenschaft.«
Einmal im Walde traf Belopolskij Soßja; sie hielt nach dem Abt Ausschau und antwortete auf Belopolskijs Gruß nicht. Er grinste und verschwand im Walde. Jeden Tag wanderte er bis zum Abend im Walde umher, wartete in seinem Unterschlupf die Zeit ab, da er sich dem Obersten an einem anderen Orte zur Verfügung stellen könnte. Haß und Wagemut leiteten ihn; er spielte mit dem Leben, und es war so lustig von fern zu beobachten, wie die Güterwagen schwerfällig vom hohen Eisenbahndamm herunterkullerten und schlaftrunkene Menschen aufheulten, dann aus den umgestürzten Wagen krochen und blindlings ins Dunkel schossen. Wachtposten wurden ausgestellt, der Unterbau wieder instand gesetzt, und fünfzig Werst weiter fand alsbald eine neue Entgleisung statt!
Leutnant Belopolskijs ganzes Leben war jetzt nur Spannung und Rache, nichts als Rache. Menschen gab es für ihn nicht mehr: weder Frauen, noch Kinder, noch Greise; hier, jenseits der weißen Grenze, gab es nur den Feind.
Abt Gerwaßij hatte sich im Laufe des Sommers beruhigt. Die in der Klosterherberge untergebrachten erholungsbedürftigen Arbeiter hatten das Kloster in Ruhe gelassen, Gerwaßij hatte angeordnet, daß die Mönche die Nähe der Herbergen meiden sollten, und wenn sie Pilze und Beeren suchten, in den Wald jenseits des Flusses zu gehen hätten. Seine Liebschaft mit Soßja nahm ihren Fortgang. Er wartete jetzt auf den Herbst, um mit ihr zu fliehen. Zuweilen brachte er ihr Geld. Dann ging ihre Mutter ins Dorf, kaufte Eier, Butter und klagte jedesmal ihrer Tochter:
»Bitte ihn um mehr, Soßja, es ist alles so teuer, so unglaublich teuer …«
Das sogenannte Zarengeld nahmen die Bauern noch, Kerenskij-Scheine hatten sie pfundweise.
»Haben Sie nicht Geld mit dem Zarenbild? Dann kriegen Sie's billiger. Mit den Kerenskijs können wir die Stube tapezieren.«
Das Moos roch nach Herbst; Spinnwebfäden flogen durch die Luft, als wären es Haare von Waldschraten, flatterten einem ins Gesicht; die Abenddämmerung brach früher an, scheuchte Nebel auf, die verbargen den Abt und Soßja hinter den Fichten. Wie trunken kehrten sie zurück; der süß-bittere Geruch sonngedörrter Kräuter, über die ein feuchter Sumpfhauch strich, weckte Sehnsucht und Rausch.
»Wenn der Herbstregen einsetzt, wollen wir aufbrechen … Mutter nehmen wir mit.«
Während sie sprach, glaubte Soßja an die gemeinsame Flucht; vor dem Einschlafen aber dachte sie wieder an das Geld des Abtes.
Der Fremdenwagen wurde nach wie vor regelmäßig zu den Zügen nach der Bahnhalte gesandt; des Morgens beförderte er zuweilen beurlaubte Arbeiter ins Erholungsheim oder zurück; zum Abendzug fuhr er mehr darum, weil das nun einmal so Brauch war.
Eines Abends trat in der Dunkelheit in Begleitung des an der Bahnhalte wachthabenden Mönches ein kleiner, dicker Mönch in hoher Kappe an den Wagen.
»Den Vater Xanfij bringst du ganz im geheimen ins Kloster, verstanden?!«
»Schön!«
»Niemand von jenen darf ihn sehen; du führst ihn geradeswegs zum Vater Abt, hörst du?!«
»Wohl …«
Der Kutscher zog die Zügel an, die Räder rollten knirschend durch den Sand; er fragte:
»Wohl aus der Stadt?«
»Vom Bischof … Bei euch sollen ja Fabrikarbeiter leben? … Genossen aus den Sowjets … Oh, die letzten Zeiten sind gekommen – wir haben gesündigt –, da ist die große Prüfung gekommen …«
»Schwere Zeiten …«
Der Kutscher, ein Novize, wagte nicht zu fragen, der Mönch verstummte. Schweigend erreichten sie das Kloster. Der flachsblonde Novize Kostja öffnete die Tür, zwinkerte müde mit den Augen.
»Der Vater Abt muß geweckt werden, sage ihm, ein Bote vom Bischof sei da.«
Nikolka trat verschlafen aus seinem Zimmer, sah Vater Xanfij unruhig an, segnete ihn, dann setzten sich beide.
»Ich komme mit traurigen Nachrichten, mit einer Hiobsbotschaft, Vater Abt …«
Vater Xanfij sprach in halb singendem Tonfall; seine Kutte schlotterte ihm um den Leib, er hatte stark abgenommen, litt an Wassersucht; sein Bauch, die Säckchen unter den Augen, das Doppelkinn hingen schlaff herab. Er atmete hastig und schwer.
»Der Herr erhalte seine Eminenz …«
»Seine Eminenz läuft jetzt zu Fuß; sie treiben ihren Spott mit ihm … Er schickt mich her, damit ich euch vorbereite.«
»Kommt Seine Eminenz her?«
Nikolka fiel dem Sprechenden vor Erregung immer ins Wort, konnte es nicht erwarten, bis dieser in seiner schleppenden Art endlich mit der Sache herausrückte.
»Eine große Prüfung sendet der Herr diesem Kloster, eine große Prüfung … Faßt Euch … Die letzte Stunde naht … Sie kommen, um den Reliquienschrein des heiligen Simeon zu öffnen …«
Als blieben ihm die Worte im Halse stecken, stieß der Abt stotternd hervor:
»Die … Reliquien?!«
Bis spät nach Mitternacht beratschlagten die beiden.
»An eine verborgene Stelle im Walde bettet den Heiligen … an eine geheime Stelle … gleich morgen nacht … Den Rechtgläubigen aber erklärt, der heilige Starez sei entschwunden, habe sich hinwegbegeben, habe nicht dulden wollen, daß der Antichrits sich ihm nahe – ein Wunder habe er vollbracht zum Ruhme des Klosters …«
Der Abt wiegte verzweifelt den Kopf.
»Laßt dieses heilige Wunder geschehen …«
»Sie werden es ja nicht zulassen!«
»Im Geheimen, bei dunkler Nacht, – wer könnte es verhindern?!«
»Die jungen Mönche!«
»Den Heiligen verraten? … Solche Gottesleugner gibt es doch gar nicht …«
»Der Schwarze läßt es nicht zu, der Vater Polykarp.«
»So soll ihn das gerechte Gericht treffen … Im Namen des Herrn … Zu Gottes größerem Ruhm soll den Gottesschänder des Rächers Hand schlagen …«
»Er hat Helfer.«
»Wen? Die Genossen in der Klosterherberge?!«
»Die jungen Mönche!«
Vater Xanfij schlug die Hände zusammen, wackelte verzweifelt mit dem Kopf, daß die Strähnen seiner rötlich blonden Haare hin und her baumelten. Er blickte sich im Zimmer um, trat an die Tür und spähte ins dunkle Nebengemach.
»Ist kein Lauscher da?«
»Niemand als Kostja …«
Mit einem Blick fragte der Mönch, ob der auch zuverlässig sei.
»Verschwiegen wie das Grab …«
»Man muß den Heiligen fortschaffen, unbedingt, der Herr wird euch erleuchten, einen Weg weisen.«
Er erkundigte sich eingehend über Vater Polykarp, verweilte lange bei der Mühle und den Gemüsegärten, fragte den Abt nach allen Einzelheiten aus, drehte die Worte langsam hin und her, und plötzlich schlug er sich an die Stirn, kniff die Augen zusammen, daß es schien, als sähe er nun mit den schwarzen Ringen über den Augensäcken.
»Herr, hilf, erleuchte mich, erbarme dich deines unwürdigen Knechtes! …«
Mit der weißen, gedunsenen Hand berührte er den Abt, beugte sich vor und zog ihn zu sich heran; vor Begeisterung bekam er den Schlucken … Lange sprach er im Flüsterton auf Vater Gerwaßij ein, immerfort Blicke nach der Tür werfend; Nikolkas Augen begannen zu glühen, und als der Mönch schließlich verstummte, rief Vater Gerwaßij hingerissen:
»Das macht dem Antichrist den Garaus!«
»Aber gib acht – gleich in derselben Nacht … Und auf der Station soll Tag und Nacht ein nimmermüdes Auge wachen …«
Vater Xanfij legte sich auf dem Diwan im Empfangszimmer zur Ruhe; Nikolka warf sich angekleidet auf sein Bett, er konnte nicht einschlafen, er fühlte, daß das Ende nahte … Wenn er jetzt nicht mit Soßja flüchtete, so war es um ihn geschehen. Bis zum Anbruch des Morgens grübelte er; es wurde ein unruhiger, geschäftiger Morgen.