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7

Zu Fuß schritt Boris, sein Köfferchen in der Hand, durch die ganze Stadt; er lief beinahe, als verfolgte ihn jemand. An der Pontonbrücke, die auseinandergenommen war, mußte er lange warten. Die Sonne, ebenso blaß und weiß wie die Petersburger Nächte im Vorfrühling, ging jenseits der Newa auf.

Auf dem Nikolai-Bahnhof mußte er wieder am geschlossenen Schalter warten. Als er die Beamtin hinter dem Fensterchen hantieren hörte, erwachte er aus seiner Versunkenheit, und da erst kam ihm in den Sinn, daß er fortreisen wollte und gar nicht wußte wohin. Einerlei wohin; in ein Kloster. Er kannte kein Kloster, doch Fenjas Beichte fiel ihm ein; von einem Kloster in einem weltverlorenen Winkel, in einem einsamen finsteren Walde hatte sie gesprochen; Belobereshsk hieß es, »das weiße Ufer« …

Er erinnerte sich auch daran, was sie über dieses Kloster gesagt hatte; aber das war einerlei. Wo die Versuchung am stärksten ist, dort war sein Platz, dort konnte er Buße tun und sich durchringen zur Läuterung.

»Wohin?«

Um seine Spur zu verwischen, nannte er einen Ort, der mehrere Haltestellen hinter Belobereshsk lag; weder Fenja noch seine Eltern sollten erfahren können, wo er sich verberge.

Als er im Wagen saß, überkam ihn ein Schwächeanfall. Sein Körper war wie zerschlagen, ein Schüttelfrost rann ihm den Rücken hinab, ging durch Arme und Beine, und zugleich war ihm heiß; in allen Gliedern spürte er noch die Glut der verzehrenden Umschlingungen. Zuweilen überkam ihn Übelkeit, die trockenen Lippen klebten aneinander, im Munde spürte er einen bitteren Geschmack nach dem Weingenuß und dem jähen Ausbruch der Leidenschaft, in der sein Körper ohne sein Wollen das Mysterium der weiblichen Wesenheit in sich geschlürft hatte.

Menschen kamen und gingen. An jeder kleinen Haltestelle stand der Zug, nahm Post in Empfang, rollte im Schneckentempo weiter. Boris saß in sich versunken da; die Gedanken huschten ihm ebenso schnell und unerfaßbar durch den Kopf wie am Abend vorher. Nur eins sah er klar; daß alles zu Ende war. Ihm war nichts geblieben als Gebet und Buße. Und irgendwo tief innen erstand ihm die Gewißheit, daß seine Lina jetzt – danach! – nicht mehr, nie mehr zu ihm kommen würde; er war Gottes Weisung nicht gefolgt und hatte dadurch sie, seine Braut, auf Erden für immer verloren.

Seine Nerven waren so gespannt, daß er nicht essen konnte. In Moskau ging er zu Fuß vom Nikolai-Bahnhof zum Brianskij-Bahnhof. Dann saß er wieder die ganze Nacht durch im Zug in einem vollgerauchten Wagen und erwartete, hin und hergeschaukelt, den zweiten Zugwechsel. Er klammerte sich an den Gedanken, daß es nun nicht mehr weit sei bis zur Stätte der stillen Zuflucht.

 

Dröhnend fuhr der Zug durch den dichten Wald und hielt auf einem kleinen Bahnhof. Eine große Anzahl Wallfahrer stieg aus; ein Mönch, mit einem Glöckchen in der Hand, schritt den Zug ab und sammelte Almosen.

Als der Klosterwagen, vollgepfropft mit einem Teil der Pilger, abgefahren war, trat Boris auf den Mönch zu.

»Sagen Sie, bitte, wie komme ich zum Kloster?«

»Schließen Sie sich den Wallfahrern an, Sie holen sie leicht ein.«

Die Frühlingssonne war aufgegangen, und im Walde duftete es nach Weihrauch. Boris' Füße sanken tief in den Sand, ihm schwindelte; schon den zweiten Tag hatte er nichts gegessen. Mühsam, oft gegen Wurzeln stoßend, schleppte er sich, sein Köfferchen in der Hand, bis zu den Klosterherbergen.

Bäuerinnen und Kleinbürgerinnen mit Kopftüchern kehrten von der Frühmesse zurück, aus den geöffneten Fenstern der Herbergen blickten Städter, neben der Säule am Eingang saßen auf einer Holzbank junge Mädchen mit einem lockenköpfigen Novizen. Boris fragte diesen, an wen er sich zu wenden habe.

»An den Herbergsvater, im Gang links.«

Boris ließ sein Köfferchen in der Herberge und ging mit vor Erregung zögernden Schritten zur heiligen Pforte. Er betrachtete die von Mönchshand gemalten Bilder, die die weißen Klostermauern zierten und den Leidensweg des Herrn und über der Pforte die Auferstehung des Lazarus darstellten. Wieder wurde ihm übel; er setzte sich auf eine Bank unter dem Fensterchen des Pförtners.

Ein hochaufgeschossener Mönch trat heraus; es war Waßja der Blöde. Waßja sah Boris an und begriff, daß dieser sich nicht wohl fühlte.

»Was ist Ihnen?«

»Mir ist schwindelig.«

»Wasser müssen Sie trinken, einen Schluck Wasser … Der Satan plagt Sie, der Satan. Stillen Sie Ihren Durst mit Wasser und Sie werden sich erfrischt fühlen.«

In einer Holzkelle brachte ihm Waßenka kaltes Wasser von gelblicher Färbung.

»Der Satan peinigt das sterbliche Fleisch …«

»Ja, er peinigt es …«

»Am Tage schleicht er unseren Spuren nach wie ein Dieb und in der Nacht peinigt er das schwache Fleisch, martert es mit teuflischen Bildern … Durch Fasten und Gebet und Buße vor dem Herrn sollen wir den Satan überwinden.«

»Ich will ihn überwinden durch Buße, Gebet und Fasten …«

»Verständige Worte vernehme ich aus dem Munde eines Laien, aus einer jungen Seele Gottes Weisheit. Beten Sie, daß der Teufel der Mitternacht von Ihnen weiche.«

»Ich will darum beten, Vater …«

»Woher kommen Sie? Wer sind Sie? …«

»Ich bin Student.«

»Vor dem Sozialismus suchen Sie Zuflucht im Kloster? … Wir haben sie gesehen, die Genossen! Wie die Teufel überfielen sie uns bei Nacht, wollten den Zufluchtsort menschlichen Jammers schänden. Aber er, er – wer hätte das von Nikoluschka erwartet? – er hat die Bruderschaft gerettet, das Kloster vor Schändung durch die Ungläubigen bewahrt. So wurde er denn einstimmig zum Abt gewählt …«

»Ich will zu ihm … Wo finde ich den Vater Abt?«

»Er sorgt für die Klosterwirtschaft, sieht überall selbst nach dem Rechten … Wir hatten es uns nicht träumen lassen, daß wir einen Beschützer und Eiferer nach Gottes Beschluß in Nikoluschka finden würden … Er war ein kläglicher Novize, der Satan plagte ihn in Gestalt einer buhlsüchtigen Jungfrau; damals schon habe ich ihm immer gesagt: Vertreib sie mit dem Besen, mit dem Besen, die kleine Fenja, die Tochter des Bösen …«

Boris zuckte zusammen, riß die Augen weit auf.

»Was für eine Fenja?«

»Fenitschka Bakina, Drakina, Grakina, mit der züngelnden Schlange im Rücken, die hat ihn giftträufelnd umwunden … Er hat nicht acht gegeben auf meine Worte … So hat er Qual und Jammer von ihr erworben; der Herr hat ihn gestraft wie einen geilen Hund …«

»Der Herr hat ihn gestraft … wie einen geilen Hund … Wegen der Mißachtung seines Gebots? …«

»Durch sie hat er leiden müssen wie ein Märtyrer …«

»Sie ist eine züngelnde Schlange, eine Schlange … In das unterirdische Verlies hat sie ihn gebracht … Und auch mich, auch mich wollte sie zugrunderichten.«

»Fenja Grakina, Sie? …«

»Ja, ja, die Grakina … Halte schirmend deine Hand über mir auf meinen sündigen Wegen, Herr … Der Herr hat Nikoluschka gestraft, aber alsdann Gefallen an ihm gefunden und ihn erhoben, wie jenes verbuhlte Weib in der Heiligen Schrift, das an ihrem Fleische litt. Der Herr hat ihn würdig befunden und ihn an die Stelle gesetzt, die der gerechte Starez Simeon, unser Klostergründer, einst inne hatte. Gottes Finger wies auf ihn, und wir fügten uns dem Willen des Allmächtigen, dessen Segen auf Nikoluschka ruhte. Unser Abt ist er jetzt, gehen Sie hin zu ihm, zu dem demütigen Mönche, dem würdigen Bruder … Setzen Sie sich auf die Stufen vor seiner Zelle; dort jenes Haus mit den sieben Säulen – die sind wie Kerzen in einem siebenarmigen Altarleuchter – ist die Abtei …«

Freudig erregt darüber, daß er einem Sünder den rechten Weg hatte weisen dürfen, eilte Waßja in die Zelle des Pförtners und murmelte vor sich hin:

»Auf allen Wegen weisest du mich zurecht, o Herr, mit deiner Hand … Ehre sei Gott in der Höh und Frieden auf Erden, Ehre sei Gott in der Höh und Frieden auf Erden …«

 

Boris konnte sich noch immer nicht entschließen, zum Abt zu gehen. Er wanderte, vor Müdigkeit und Hunger schwankend, durch den Klosterhof, gelangte in den Hinterhof, zu der Backstube und dem Speisesaal, wo es nach frischem Brot und Kohlsuppe roch. Boris taumelte, stützte sich auf das Geländer der Küchentreppe und sank erschöpft auf die Stufen nieder. Vor seinen schwarzen Augen, die tief in den Kopf gesunken und von dunklen Ringen umgeben waren, tanzten rote Kreise.

Ein Mönch, der aus der Küche in den Keller eilte, sprang die Treppe herab und wäre fast auf die zusammengekauerte Gestalt getreten.

»Warum sitzen Sie hier?«

Boris atmete schwer; er konnte nicht sprechen.

»Dem ist wohl schlecht geworden …« Der Mönch lief in die Küche zurück. »Väter, auf den Stufen sitzt einer mit glänzenden Knöpfen; ihm scheint nicht wohl zu sein …«

Die Mönche traten vor die Tür, umringten Boris, hoben ihn auf und trugen ihn in die Küche. Sie brachten in einer Schöpfkelle Wasser und gaben ihm zu trinken; Boris schlug die Augen auf und flüsterte stotternd:

»Geben Sie mir ein Stück Brot … Ich habe zwei Tage lang nichts gegessen.«

Hinter ihm tuschelten die Mönche:

»Sein Anzug ist ganz neu. Wohl aus vornehmem Hause, hat aber zwei Tage nicht gegessen … Vielleicht fastet er …«

Man brachte ihm Kwas in einer Kelle und ein Stück Brot mit Salz.

»Trinken Sie Kwas dazu … Dann schmeckt's besser.«

Zum ersten Male im Leben aß Boris voll Dankbarkeit im Herzen ein Stück trockenen Schwarzbrotes. Seine Kräfte kehrten zurück. Er ging zu dem Haus mit den sieben Säulen, um hier auf den Abt zu warten.

Er setzte sich auf die Stufen und gedachte der kleinen Fenja, durch jenen Mönch an sie erinnert; offenbar war sie hier noch in frischer Erinnerung. Fenja hatte gesagt, ein Mönch namens Nikolai habe sie in den Wald gelockt und ihren Leib verwüstet, tagelang … Er glaubte jetzt nicht mehr recht an ihre Aufrichtigkeit, nachdem sie von selber zu ihm gekommen und sich ihm hingegeben hatte. Es wird wohl eher so gewesen sein, daß sie dem Mönch den Kopf verdreht, ihn durch ihre Schönheit zur Sünde verlockt hatte, dachte Boris. Mit anderen Gefühlen sah er jetzt der Begegnung mit dem Abt entgegen.

Ein semmelblonder Novize trat aus der Abtei.

»Warten Sie auf jemand oder sitzen Sie hier nur so? Das ist vor der Abtei nicht gestattet.«

»Ich warte auf Vater Nikolai, den Abt.«

»Unser Abt heißt Vater Gerwaßij.«

»Aber an der Pforte hat mir ein Mönch doch gesagt, der Abt hieße Nikolai?«

»Das wird wohl Waßja gewesen sein? … Der ist krank … Ein Blöder … Der weiß ja nichts, spricht immer in Gleichnissen, von Versuchungen.«

»Ich weiß aber, daß er mir die Wahrheit gesagt hat.«

»Sie irren sich; unser Abt heißt Gerwaßij. Ich bin der Dienstbruder des Abts, da muß ich's wohl wissen …«

Boris konnte sich das nicht zusammenreimen. Der Dienstbruder des Abts behauptete, dieser hieße Gerwaßij, während Waßja den Namen Nikolai in Verbindung mit Fenja erwähnt und auch Fenitschka jenen Mönch Nikolai genannt hatte.

»Wenn Sie auf den Abt warten wollen, so kommen Sie herein oder gehen Sie sonst wohin, auf den Stufen der Abtei darf man nicht sitzen – mir würden wegen meiner Unachtsamkeit hundert Verneigungen auferlegt werden.«

Boris ging nicht in die Abtei; er fragte den flachsblonden Novizen:

»Wann wird der Abt zu sprechen sein?«

»Bald wird zum Mittagsmahl geläutet werden; nach Beendigung des Mahles mit der Bruderschaft wird der Abt in seine Gemächer zurückkehren. Sie können ja im Speisesaal auf ihn warten.«

In den Speisesaal mochte Boris nicht eintreten; er setzte sich zu einigen Wallfahrern auf die Stufen vor dem Eingang.

»Warum gehen Sie denn nicht in den Speisesaal, Herr?«

»Ich mag nicht.«

»Unsereinen lassen die Mönche nicht hinein, Herrschaften aber dürfen nicht nur in den Saal, um zuzusehen, sondern werden auch gleich zu Tisch gebeten. Und das Essen da ist viel besser als das, was man uns in die Baracken schickt. Sie können auch in die Herberge gehen, Herr, da erhält man dasselbe Essen wie hier. Nachher bekommen Sie nichts mehr, das ist hier so üblich. Wo kommen Sie denn her? … Und tragen Sie die glänzenden Knöpfe dienstlich oder bloß zum Vergnügen? …«

»So laß ihn doch in Ruhe, Mascha; was belästigst du ihn? Der Mensch sitzt ruhig da, mag er; was willst du denn von ihm?«

»Man darf einen wohl nichts mehr fragen? …«

Boris mochte nicht sprechen; seine bevorstehende Unterredung mit dem Abt erregte ihn. Er erhob sich und ging nach der alten Kathedrale. Ein Greis mit langem weißem Bart, dürr, von mittlerem Wuchs und mit stillen, klaren, gütigen Augen, kam ihm entgegen. Boris entschloß sich, den greisen Mönch anzureden.

»Vater, sagen Sie mir bitte, wie heißt der Abt?«

»Gerwaßij … Warum fragen Sie?«

»An der Pforte hat mir doch ein Mönch gesagt, der Abt hieße Nikolai?«

»Das war wohl Waßenka. Er nennt den Abt immer noch Nikolai.«

»Warum?«

»Hat er Ihnen das nicht gesagt?«

»Nein; von einer kleinen Fenja hat er gesprochen …«

»Das ist so eine Redensart von ihm; Fenja, die Tochter des Bösen, verjag' mit dem Besen … Der Abt hieß als Novize Nikolai; als er die Weihen empfing, erhielt er den Namen Gerwaßij … Wollen Sie zum Abt? Haben Sie ein Anliegen an ihn?«

»Darf ich es Ihnen sagen?«

»Mir kann man alles sagen … Ich bin alt, habe vieles gesehen, vieles gehört.«

»Ich will mich dem Herrn widmen, Mönch werden.«

»So, so … Wissen Sie, was ich Ihnen sagen will? Sie sind noch zu jung dazu … Sie haben das Aussehen eines keuschen Jünglings … Wie es in der Heiligen Schrift heißt: ein unbefleckter Jüngling; so sehen Sie aus. Warum wollen Sie zu uns? Sie haben noch nicht gelebt, und schon flüchten Sie ins Kloster? … Es ist schlimm, wenn es einen dann nachher wieder in die Welt zieht … Solche jungen Leute leben hier eine Weile, versuchen es und gehen wieder … Auch Sie werden wieder fort wollen. Mönch sein ist eine große Glaubenstat.«

Der alte Mönch sann nach, bewegte die Hand, als wolle er Boris abwinken; ein gütiges Lächeln huschte über seine Züge, und seine Augen leuchteten freundlich.

»Sagen Sie mir die Wahrheit … als beichteten Sie vor dem Antlitz des Herrn … Warum sind Sie zu uns gekommen?«

»Meine Braut ist gestorben …«

»Ihre Braut? … Als junges Mädchen? … Unberührt? … Und da wollen Sie Ihre Seele ihr in Reinheit erhalten? Um ihretwillen, nicht um des Herrn willen? … Und um ihretwillen wollen Sie auch die Keuschheit Ihres Leibes bewahren, Jüngling? …«

Es war, als blickte der Alte ihm geradeswegs in die Seele und sähe alles. Nachdem er die Eitelkeit des Lebens begriffen hatte, war Vater Akakij ins Kloster gegangen und Starez geworden, doch auch in seinem Nichtsein war seine Seele lebendig geblieben; in diesem Nichtsein bejahte er jede Menschenseele als solche und wies, aus langer Erfahrung heraus, irrenden Herzen den rechten Weg.

»Kehren Sie zurück in die Welt. Ein neues Leben wird Ihnen erstehen, und wenn die Hand des Herrn Sie dann später einmal hierher führt, werden Sie besser vorbereitet sein und der Herr wird Sie aufnehmen in seinen stillen Hafen.«

»Ich gehe nicht wieder fort von hier.«

»Es liegt mir fern, Sie vertreiben zu wollen … Brot reicht für alle in der Welt; auch hier werden wir nicht zu kurz kommen. Wenden Sie sich an den Abt; die Bruderschaft hat ihr Mahl beendet und zieht sich in die Zellen zurück.«

Der Abt ging mit weiten Schritten vorüber, schwenkte im Gehen gleichmäßig den Arm, mit der Miene des Hausherrn; im Winde wogte die faltige Soutane. Er sah niemand an und verschwand in der Abtei.

Smoljaninow trat auf das Haus mit den sieben Steinsäulen zu, schritt die Stufen hinauf und blickte durchs Fenster. Der flachsblonde Novize erschien.

»Sie wollen zum Vater Abt? … Er ist eben zurückgekehrt. Wen soll ich melden?«

»Ich heiße Boris Smoljaninow und bin Student.«

Er wurde ins Empfangszimmer gebeten.

Nur noch in Käppchen und Kutte, einen Rosenkranz um die breite Hand gewunden, sah Nikolka den Eintretenden mit demselben gierigen, um fromme Gaben bettelnden Blick an und sagte mit singender, samtweicher Stimme:

»Sie wünschen mich zu sprechen? …«

Boris erinnerte sich an die Unterweisung im Gymnasium, wie man einen Geistlichen um seinen Segen bittet, faltete die Hände über der Brust und trat auf den Abt zu.

»Ich bitte um Ihren Segen, Vater Nikolai …«

Der Name Gerwaßij war ihm in der Erregung entfallen; unwillkürlich hatte er den Mönch mit dem Namen angeredet, den er von Fenja und eben auch von Waßja gehört hatte.

Der Abt war leicht zusammengezuckt und fingerte nervös den Rosenkranz.

»Warum nennen Sie mich Nikolai?«

»Verzeihen Sie mir, Vater … Gerwaßij.«

»Woher kennen Sie den Namen Nikolai?«

Boris spürte, daß er an etwas Verborgenes gerührt hatte; er fürchtete, die Wahrheit zu sagen, wollte aber auch nicht lügen.

»An der heiligen Pforte nannte Sie ein Mönch so …«

»Waßenka? …«

Boris sagte leise, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, warum:

»Auch Fenitschka …«

»Ich kenne keine Fenitschka …«

»Grakina.«

Der Abt trat nah an ihn heran und sagte in zornigem Flüsterton: »Sie kommen in ihrem Auftrage? … Plötzlich erinnert sie sich meiner? … Sprechen Sie, schnell, was will sie von mir?«

»Nehmen Sie mich in Ihr Kloster auf …«

»Wen? … Sie? …«

Der Abt starrte Boris verwirrt, verständnislos an …

»Also kommen Sie nicht von ihr?«

Boris sank vor ihm auf die Knie.

»Doch, ich komme von ihr … Ich bin vor ihr hierher geflohen …«

»Wie? Was? Geflohen? … Vor ihr? … Zu mir? …«

Jetzt fühlte sich Boris verwirrt. Vor Erregung, darum, weil beide ihren eigenen Gedanken nachhingen, und infolge seines Hungers, der Erschütterung durch all das Erlebte, wurde dem jungen Manne wieder schwindelig; er sah plötzlich wieder Fenja nackt vor sich, durchlebte noch einmal das jähe Verstehen, das ihn so erschüttert hatte, und rief fast schluchzend, einem Weinkrampf nahe:

»Sie hat mich betrunken gemacht … Ist zu mir, dem Berauschten, gekommen … War bei mir … Gott hat mich gestraft … um der … Verstorbenen willen …«

Nikolka hörte ihm gespannt zu, und der Gedanke huschte ihm durch den Kopf, daß einst Fenja ihn hinausgeworfen habe, während jetzt ihre Anbeter ihr von selber davonliefen … Er wollte mehr über sie wissen, Neugier plagte ihn; die Geschichte dieses zerknirschten Sünders mußte er in allen Einzelheiten erfahren. Dabei empfand er eine Art Genugtuung darüber, daß dieser Student vor ihr geflüchtet war. Er würde schon alles von ihm herausbringen, nicht jetzt, nicht von dem Studenten, sondern später von dem Novizen, kraft seines Amtes als Abt. So sagte er denn freundlich in seinem samtenen Bariton:

»Was wollen Sie also von mir?«

»Gestatten Sie mir, mich dem Dienst des Herrn zu weihen …«

Zufrieden, daß der Student vor ihm kniete, fragte Nikolka:

»Wie heißen Sie?«

»Boris Smoljaninow.«

»Sie werden vorerst als Gast unseres Klosters in der Herberge leben.«

»Nehmen Sie mich ins Kloster auf …«

»Sie sehen, ich schicke Sie nicht fort … Beten Sie zu der heiligen Gottesmutter … Üben Sie sich im Beten und Fasten. Später treten Sie dann in den Dienst des Herrn. Der fromme Dienst ist wichtiger als Beten und Fasten. Sie werden dem Herbergsvater unterstellt sein, dem Sie Gehorsam schulden und der Sie unterweisen wird. Sie werden die Laien in der Herberge in Demut bedienen … Der Herr segne Sie bei dieser schweren Glaubenstat.«

Vergnügt segnete der Abt Boris, indem er ein weites Kreuz über ihn schlug.


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