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Marja Karpowna erzählte ihrem Manne von dem Brief der Frau Grakina.

»Auf die Häuser, sagst du? Die Häuser kenne ich. Fünfhunderttausend gebe ich ihnen nicht, aber dreimalhunderttausend kann er haben. Er arbeitet in großem Stil, der Herr Ingenieur, arbeitet vergnügt mit seinem Gelde und mit dem Gelde seiner Schwester, und nun will er sich auch noch an das Geld seines Mündels heranmachen, hm …«

Er überlegte …

Selbst gehe ich nicht hin, schicke ihm meine Antwort mit einem Vertrauensmann, der soll auch über Fenjas Unterschrift sprechen; sie ist bald mündig und darf Wechsel in Gegenwart zweier Zeugen und eines Bürgen unterzeichnen …

Am nächsten Abend ließ er Afonka zu sich in die Betstube kommen und unterrichtete ihn, daß er zu Drakin gehen solle und wie und was er zu sagen habe.

»Ich vertraue dir – verstehst du das? Gib acht, laß kein unnützes Wörtchen fallen. Ich sei bereit, das Geld zu geben – zu 12 Prozent jährlich, auf drei Jahre. Im Brief hier steht das Nähere. Fjokla Timofejewna muß aber ihre Einwilligung dazu erteilen, es sind ihre Häuser. Die Häuser sind ja wohl mehr wert, wir bringen sie aber auch für dreimalhundertausend Rubel an uns … Wir nehmen Wechsel, und nach einem Jährchen hat sie jemand, der damit umzugehen weiß. Du bist Zeuge meinerseits, erhältst als dir zukommende Prozente dreitausend Rubel.«

»Kaßjan Parmjonytsch, aber wieso denn! Ich bin doch kein Heide, daß ich dafür Geld von Ihnen nehmen sollte! …«

»Solche Geschäfte werden nicht umsonst gemacht, mein Lieber. Bist noch jung, bei mir kannst du was lernen. Gehe jetzt, und der Herr sei mit dir.«

»Ich kann mich gar nicht trennen von Ihren Heiligenbildern, Kaßjan Parmjonytsch. Die ganze Zeit mußte ich sie ansehen – vor solchen Heiligenbildern beginnt die Seele von selbst zu beten.«

»Wenn ich mal wieder verreise und du oben schläfst, darfst du hier beten.«

 

So wurde Afonka Vertrauensmann des Großkaufmanns Klimow. Als er das erste Mal in Klimows Betstube gewesen war, hatte er sich nicht recht umgesehen, diesmal aber hatte er außer den mit Perlen und Saphiren geschmückten Heiligenbildern auch ein Schreibpult aus Nußbaumholz entdeckt. Es stand neben dem Gebetpult und war wie dieses von einer mit silbernen Kreuzen bestickten Samtdecke bedeckt. Unter dem Deckel aber lagen auf einer Seite eigene und fremde Wechsel, in den Ecken Schreibzeug, ganz unten das Kassen- und Hauptbuch und ein Lineal. Bargeld hielt Klimow nicht viel im Hause – das lag in der Kommerzbank in Wertpapieren und auf laufende Rechnung –, nur so viel, als für die täglichen Ausgaben nötig war, hob er in dem Pult auf; dicke Päckchen, nach der Farbe geordnet und mit Bindfaden verschnürt, lagen in langer Reihe an der Vorderwand des Fachs und zu beiden Seiten Goldstücke in kleinen Säulen. Noch seine Großeltern hatten den Ausspannhof eröffnet, Pferde- und Viehställe am Marktplatz gebaut, die Herberge, die Gastwirtschaft, das Manufakturwarengeschäft angelegt, um es den Bauern und Händlern möglichst bequem zu machen: war ein Pferdchen verkauft, so konnte man den Handel gleich mit einem Tröpfchen begießen und der Frau Stoff zum Kleide oder ein Tuch kaufen, es war alles gleich nebenan zu haben. Im Auftrag des Großkaufmanns pflegten zuverlässige Viehhändler den Markt abzuschreiten und den Bauern die besseren Pferde wegzukaufen, zur Ausfuhr ins Ausland oder zum Verkauf an die Remontekommission. Das Haupteinkommen Klimows floß aber aus dem Pfandgeschäft. Hier war ihm alles recht, mit gleicher Bereitwilligkeit streckte er Geld auf ein armseliges Häuschen vor oder an die Herren Edelleute auf ihre Güter oder den Kollegen vom Fach, den Herren Kaufleuten. Wurde die Zahlung – nicht nur des aufgenommenen Geldes, sondern selbst der fälligen Zinsen – nicht prompt entrichtet, so brachte er unverfroren und vor nichts zurückschreckend das verpfändete Gut unter den Hammer. Durch Mittelsmänner kaufte er es meist selbst, erwarb Sachwerte für ein Butterbrot und verkaufte sie in Ruhe zu einem günstigen Zeitpunkt mit einem schönen runden Gewinn weiter. So kam es denn, daß er bei seinen Leihgeschäften nicht nur die gesetzlichen 12 Prozent verdiente, sondern 25 Prozent und darüber, die Auslagen abgerechnet. Nun bot sich ihm die Möglichkeit, sich auf Kosten der kleinen Fenja zu bereichern.

Afonka hatte aufmerksam auf Klimows Ausführungen gelauscht, aber nicht recht begriffen, worum es sich handelte, doch fand sich ein guter Ratgeber, der ihm die Sache auseinandersetzte.

In der Wirtsstube erschien oft, eine Aktenmappe unter dem Arm, ein kleines Männchen in abgetragenem Mantel und ausgefransten Hosen – der Zivilanwalt »Zivilanwalt«: Infolge der Knappheit an juristisch gebildeten, »vereidigten« Rechtsanwälten in Rußland wurden, insbesondere in den Provinzstädten und auf dem flachen Lande, auch Leute mit nicht abgeschlossener juristischer Bildung in den niederen Instanzen als Anwälte zugelassen, die sogenannten »privaten« oder »Zivil«-Anwälte, kleine Winkeladvokaten wie Lossew. Iwan Matwejewitsch Lossew. Er saß an seinem Tischchen, beobachtete, verfaßte Klageschriften für die Bauern, sein eigentliches Gebiet aber war, die Leute zusammenzubringen, die etwas verkaufen, versetzen, verpfänden wollten, und ihnen bei der Abwicklung ihrer Geschäfte behilflich zu sein. Er war in Klimows Gastwirtschaft eine bekannte Persönlichkeit und stand mit der Polizei auf vertraulichem Fuß.

Afonka trat hinter den Schenktisch, Klimows Brief an den Ingenieur Drakin in der Hand; nachdenklich drehte er das Schreiben hin und her und suchte sich alles zurechtzulegen. In der Ecke gegenüber aber – in jener selben Ecke, in der Afonka einst in Mönchstracht gesessen hatte – saß Iwan Matwejewitsch Lossew und beobachtete ihn aufmerksam. Lossew hatte einen feinen Spürsinn und dachte sich gleich, daß es nicht ein einfacher Brief war, den der neue Geschäftsführer da in der Hand wog, sondern daß es sich um einen Auftrag des alten Klimow handelte. Früher führte Petrowitsch dessen Geheimaufträge aus, jetzt genoß aber wohl Afanaßij Timofejewitsch das Vertrauen des Chefs, reimte sich Lossew zusammen.

Lossew trat an den Schenktisch, als wollte er einen Schnaps trinken, und fragte so nebenbei:

»Es ist wohl zum ersten Male, daß Sie einen vertraulichen Auftrag vom Chef erhalten haben, Afanaßij Timofejewitsch?«

»Ja, zum ersten Male …«

Afonka hatte geantwortet, ohne zu überlegen, ganz vertieft in sein Nachsinnen über die Angelegenheit, die sich ja nicht auf irgendwen bezog, sondern auf die kleine Fenja Grakina … In Gedanken versunken, fügte er hinzu:

»Zu der Grakina soll ich …«

»Also um eine Geldangelegenheit handelt es sich! Habe davon gehört – der Herr Ingenieur Drakin sucht Geld. Sie brauchen sich nicht so zu wundern, Afanaßij Timofejewitsch, das gehört doch zum Beruf eines Anwalts, alles zu wissen und aller Welt Vertrauen zu genießen. Tja … Darum bleibt mir nicht so leicht etwas verborgen, denn ein jeder schüttet mir gern vertraulich sein Herz aus …«

Afonka kam der Gedanke, Lossew zu bitten, er möge ihm die Sache auseinandersetzen und ihm erklären, weshalb Fenjas Unterschrift nötig sei und wieso der alte Klimow ihre Häuser an sich bringen könne. Fenja war ihm der teuerste Mensch auf Erden – »mein Stern von Bethlehem auf meiner weltlichen Pilgerfahrt« nannte er sie bei sich. So eigentümlich hatte der alte Klimow seine ohnehin schon kleinen, farblosen Augen ein wenig zusammengekniffen, als er zu ihm sprach, daß Afonka sich über das Schicksal der kleinen Fenja beunruhigt fühlte. Wenn er etwas für sie tun könnte, so wäre das ein Schritt auf sein Ziel zu, um ein Kleines würde es ihn dem ersehnten Hafen auf der irdischen Pilgerfahrt näher bringen.

»Ich würde gern mit Ihnen sprechen, Herr Lossew, aber es ist bald sieben, und dann muß ich mit diesem Brief fort.«

»Mit dem allergrößten Vergnügen stehe ich meinem neuen Gönner zu Diensten, denn da ich bei Petrowitsch einen kleinen Kredit genoß, hoffe ich, daß auch Sie mir einen einräumen werden. Ich bin nicht immer bei Kasse, das bringt schon unser Beruf so mit sich: heute geht's hoch her und morgen herrscht tiefste Ebbe, tja … Es wird mir ein ganz außerordentliches Vergnügen bereiten, Ihnen dienlich zu sein, und Sie können sich darauf verlassen, daß ich Sie aufs beste beraten werde. Es ist nun schon mal so Brauch hier, daß ich dem Geschäftsführer bei den Geschäften behilflich bin. Sie haben hier alle Leute vor Augen, und Ihnen sind die Kellner unterstellt, die in solchen Sachen durchaus zuverlässig und gewitzt sind. Man zahlt ihnen einen kleinen Prozentsatz, und dann hat man nichts zu fürchten … Die Kellner flüstern Ihnen ein Wort zu, und Sie winken mich mit den Augen heran – ich weiß schon, wie man die Sache dann einfädelt. Also, um einen Anfang zu machen, Afanaßij Timofejewitsch, kommen Sie, setzen Sie sich zu mir an meinen Tisch, da können wir ungestört plaudern.«

Der Kellner Wassilij wußte gleich, daß Lossew sich den neuen Geschäftsführer vorgenommen hatte, um ihn zu bearbeiten, und brachte dem Anwalt eine kleine Karaffe Schnaps, kalten Aufschnitt und Fischpastete.

»Darf ich auch Ihnen was bringen, Afanaßij Timofejewitsch, damit Sie anstoßen können auf gutes Gelingen?«

»Ich habe jetzt keine Zeit.«

Afonka berichtete von Drakins Wunsch, Geld aufzunehmen, von Kaßjan Parmjonytschs Absichten und darüber, daß er Fenja Grakinas Unterschrift wünsche; vorsichtig fragte er schließlich:

»Ich verstehe nicht recht, wohinaus das soll?«

»Einen Augenblick Geduld, ich bin gleich mit meiner Pastete fertig und begleite Sie dann, damit Sie nicht zu spät kommen. Kaßjan Parmjonytsch ist in solchen Dingen sehr streng, und hier haben jetzt auch die Wände Ohren. Draußen sind wir allein, da erkläre ich Ihnen alles unter vier Augen. Sie sollten aber lieber allein aufbrechen – an der Ecke vor dem Krämerladen warten Sie auf mich; ich bin gleich da.«

Afonka übergab die Kasse dem ältesten Kellner und ging; hinter der Straßenecke wartete er auf Lossew, der bald erschien, Afonka zurief, er möge ihm langsam folgen und sich ihm an der nächsten Querstraße zugesellen.

»Also Sie sagen, dreihunderttausend will der Alte geben? Und wieviel hat er Ihnen für Ihre Dienste versprochen – wenn es kein Geheimnis ist?«

»Dreitausend.«

»Bei dem Objekt ein bißchen wenig, unter zehntausend hätten Sie es nicht machen sollen! Na, beim ersten Male muß man Lehrgeld zahlen, da ist jetzt nichts weiter zu machen. Wie nun das Fräulein Grakina um ihre Häuser kommen wird, das will ich Ihnen denn auseinandersetzen. Tja … Der Herr Ingenieur erhält also das Geld und steckt es in den Betrieb, wie er alles Geld, das er einnimmt, in den Betrieb steckt; für den Fall der Not ist nichts vorgesehen. Ein Unglückstag kommt aber einmal, er kommt unausweichlich … In drei Raten muß er die Anleihe zurückzahlen und die Prozente dazu. Wenn die erste Zahlung fällig wird, geschieht plötzlich etwas Unvorhergesehenes, das Hanflager geht in Flammen auf, oder auf der Fabrik bricht ein Feuer aus, jedenfalls geschieht ein Unglück gerade um diesen Zeitpunkt: das ist nun mal so! Tja … Man sendet einen Mann, der im Versehen ein bißchen Petroleum auf den Hanf gießt, an einer Ecke – dazu ist gar nicht viel Petroleum nötig, für einen halben Rubel, was sag' ich – für zwanzig Kopeken Petroleum genügt: eine ganz geringe Ausgabe, nicht? … Dann zündet sich jemand zufällig gerade an dieser Ecke eine Zigarette an, läßt das brennende Streichholz fallen – bestimmt wird jemand an jener Stelle rauchen, das ist so eine Art Naturgesetz, das auch nur einer unbedeutenden Anregung bedarf, um in Erscheinung zu treten, ein paar bunte Scheine – und fertig ist die Laube! Tja … Ist auch keine schwere Arbeit, denn wir haben es da mit einer so leicht brennenden Ware zu tun, daß in einer halben Stunde nichts mehr von dem ganzen Speicher übrigbleibt; wenn die Feuerwehr eintrifft, sind bloß noch qualmende Balken da. Und der Zahlungstag steht vor der Tür … Tja … Geld ist natürlich da, kann auch aufgetrieben werden, aber das erfordert Zeit, die Versicherungsgesellschaft macht Schwierigkeiten, leitet eine Untersuchung ein, inzwischen muß der Hanf abgeliefert, also neu und teuer eingekauft werden … Wenn das Unglück aber auf der Fabrik geschieht, so sind unverzüglich Neuanschaffungen zu machen – die Ware muß ja zum Termin fertiggestellt werden … Kurz, es entstehen große Schwierigkeiten, und das Ergebnis ist, daß am Zahlungstage kein Geld vorhanden ist. Kaßjan Parmjonytsch wartet den gesetzlichen Termin ruhig ab und läßt das Geld dann eintreiben, und siehe da, die Häuschen des Fräuleins sind gewesen! Tja … Vielleicht wird auch nicht Klimow selbst den säumigen Schuldner so arg bedrängen, er hat die Wechsel einfach verkauft, und sein Mittelsmann zieht dann die Schlinge zu; es kann ja bloß ein Scheinverkauf gewesen sein, um kein Gerede aufkommen zu lassen. Tja … Und das Geld wird nicht vom Ingenieur gefordert, sondern von dem Fräulein, die Mutter ist ihr Vormund, wie soll eine Frau da mit? Der Ingenieur aber hat die Hände voll zu tun, um den Schaden wieder gutzumachen, und glaubt nicht daran, daß der alte Klimow ihr das Messer an den Hals setzen wird, bis es plötzlich geschieht, und dann ist's zu spät … Und das Fräulein, das die reichste Braut in der Stadt war, hat plötzlich gar nichts; ein paar tausend mögen ihr ja bleiben fürs Alter, aber ihre Häuser sind fort, auf immer! Tja … Das ist eine feingesponnene Sache, Afanaßij Timofejewitsch, nicht umsonst ist der Alte so willig, das Geld herzugeben. Er ist ein gescheiter Kopf. Wenn er dabei nicht sicher und gut verdiente, würde er sich nicht darauf einlassen, die 12 Prozent reizen ihn nicht. Verstehen Sie jetzt, warum ich sagte, daß dreitausend für Sie zu wenig ist? Wenn er Sie schon einmal mit der Sache betraut hat, werden Sie sie auch weiterführen. Einen Mann werden Sie zu finden haben, der eine Schwäche fürs Rauchen hat, und sonst allerlei zu tun haben. Lassen Sie aber nur ja nichts darüber verlauten, daß wir miteinander darüber gesprochen haben. Wenn ich Ihnen in Zukunft behilflich sein kann, etwa um den nötigen Mann zu finden, so stehe ich Ihnen immer gern zu Diensten, denn nun sind Sie mein Gönner, statt des Petrowitsch. Einstweilen leben Sie wohl, Afanaßij Timofejewitsch, ich will Sie nicht länger mit meiner Gegenwart belästigen. Tja … Wünsche Ihnen viel Erfolg …«

 


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