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2

Nikolkas Bariton schallt durch den Wald, rauscht hallend durch den Wald, als hüpfe ein hellstimmiger Waldschrat von Wipfel zu Wipfel.

Vom Boden steigt ein erfrischender Duft auf – es riecht nach Lebendigem, nach keimendem Grün.

Es liegt sich weich auf dem Moose.

Die Kutte hat Nikolka zusammengerollt und sich unter den Kopf gelegt, das Käppchen baumelt an einem Zweig.

»Wenn du das freie Leben kenntest, Waßka, so bliebest du keine Stunde hier.«

»Auf dem Kloster ruht Gottes Gnade und Huld – wohin sollte der Mensch ohne sie?«

»Jene Kaufmannsfrau kommt mir nicht aus dem Sinn. Ein Junge war ich noch, ein Springinsfeld – jetzt sollte sie mir in die Hände kommen, ich würde sie schon lehren, springen müßte sie; damals aber war ich noch keine fünfzehn, nach einem Milchbart ging ihr Gelüsten. Jetzt würde ich nicht mehr so dumm sein, all ihr Geld würde ich an mich bringen, bis zum letzten Groschen; es würde schon den Weg in meine Tasche finden.«

»Damals hat sich in die engelgleiche Kinderseele der Satan eingenistet, und noch immer kannst du ihn nicht überwältigen …«

»Laß das, Waßka, mir machst du nichts weis, wir kennen das, spar' es für die Wallfahrer auf, denen kannst du was vormachen, ich aber bin mit allen Wassern gewaschen – ich sehe durch euch alle hindurch.«

»Was redest du da, was redest du da, Nikolai, ich mein' es doch ehrlich und aufrichtig …«

»Na also schön … Weißt du noch, im vorigen Jahr jenes Mädel aus der Gouvernementsstadt?«

»Jener mit den Schlangen mit zwiegespaltener Zunge im Rücken, jener Teufelin in Mädchengestalt gedenkst du? …«

»Jawohl, die ist's, die gerade meine ich; sie kommt mir nicht aus dem Sinn.«

»Die hat ja keine Zöpfe – züngelnde Schlangen stecken drin, ich habe selber gesehen, wie sie jede der beiden einzeln mit stinkendem Gifte bespritzte.«

»Das war Parfüm, nach Parfüm duftete sie, bei dir aber ist alles Höllengestank. Dabei riechst du selber nach Hund.«

»Die also meinst du? …«

»Das Mädel ist gerade erblüht, die Säfte gären in ihr; die möchte ich hier haben – da würde ich selbst meine Witwe vergessen! Schau doch nur um dich – der Wald hier bei uns, wohin man solch ein Mädel auch bringt, überall ist es herrlich … Und wenn erst die Beerenzeit anbricht, gehe ich mit ihr Beeren sammeln – wenn sie nur kommen möchte!«

»Soll ich dir mal was sagen? …«

»Sag's nur, Waßja, ich höre …«

»Ich hab' einen Traum gehabt!«

»Was hat dir denn geträumt?«

»Daß sie schon hergekommen ist, von dir aber gar nichts wissen will, weil du Hörner hast.«

»Das lügst du bloß, Waßja, denkst dir allerlei aus.«

»Gestern abend hat mir das geträumt, ein wundersamer Traum war's, und ihre Zöpfe, die züngelten nach mir und wollten mich beißen, da bin ich denn am Abend zu dir gelaufen.«

»Also ist sie wirklich da? Rede vernünftig!«

»Die Kutscher haben gestern die Pferde baden lassen, die glänzten nur so in der Sonne, das wahre Wunder Gottes!«

»Also ist sie da? So sprich doch endlich!«

»Frag' bei den Kutschern nach, ich weiß von nichts.«

»Willst du, so mach' ich dir ihre Mutter gefügig – sie ist ein molliges Weib.«

»Akindin ist gestern gleich zu ihr hingelaufen, geschwitzt hat er vor lauter Lüsternheit.«

»Also sind sie angekommen – hättest es mir längst sagen können, statt zu schwatzen!«

Der Wald steht da in seiner Herrlichkeit, von feuchtwarmen Hauchen durchweht, nur über die Wipfel hin streicht rauschend der Wind, und eigentlich ist es kein Wind, bloß ein leichtes Wehen, und die dunklen stachligen Nadelkronen der Fichten rauschen.

Ganz in Gold getaucht ist der Wald; ebenmäßig ragen die Stämme aus dem bronzenen Dickicht empor, und zwischen den dunklen Nadelkronen blinken hellblaue Lichtschachte; blickt man lange in solch einen Lichtschacht, so schwimmt der ganze Wald – es scheint, nicht die Wolken, sondern der Wald ziehe schwebend dahin.

Auch Nikolka, dem Novizen, wird schwindlig davon.

Er liegt weiß da, in Hemd und Unterhosen aus Hanfleinwand, und kalbsledernen Stiefeln.

Ihm ist schwindlig, und seine Gedanken kreisen, man kriegt sie nicht am Schwänzchen zu fassen, als seien es Eidechsen.

»Sind sie in der alten oder in der steinernen Herberge abgestiegen?«

»Sie sind beim Abt gewesen und haben um seinen Segen gebeten: eines der Landhäuser wollen sie für den ganzen Sommer beziehen.«

»Was hast du das denn nicht gleich gesagt? Tropfenweis muß man jedes Wort aus dir herauspressen.«

Nikolka stand auf, streckte sich; träge knackten die Knochen; er zog die Kutte an, fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das Ringelhaar, warf es in den Nacken zurück, setzte das samtene Käppchen auf.

»Gehen wir, Waßja!«

»Wohin denn plötzlich, Nikolka, wohin? Ich komm nicht mit, geh nur allein – ein Satan bist du, Nikolka, ein Satan, führst mich in Versuchung! Ich bleib' hier in der Sonne liegen und wärme mich.«

Geradeaus durch den Wald schreitet Nikolka, die Richtung hat er im Gefühl.

Das Reisig am Boden knackt, die Stiefel schmatzen an sumpfigen Stellen, Farnkrautwedel huschen über seine Füße …

Bloß einen Blick will Nikolka auf die kleine Fenja, das Kaufmannstöchterchen werfen, sie nur einmal am Fenster erspähen.

Im Gehen singt er ein weltliches Lied.

»Wieder singst du teuflischen Singsang, Nikolka?«

»Das ist ein schönes, altes Lied, man singt es bei uns im Dorf – vom Hausmeister Wanja und der jungen Bojarin –, dir aber ist ja alles Teufelswerk, du bist selber ein Teufel, du Scheinheiliger! Nicht hinsehen will er und dabei hüpft er nur so im Trab, um bloß einen Blick auf ein Weib werfen zu können.«

»Am Abend komme ich zu dir, Nikolka, darf ich? Ich habe Angst, allein im Kämmerlein – sobald es dunkel wird, da kommt sie wieder; schon ein Jahr lang kommt sie immer wieder.«

»Sieh doch nicht hin, speie sie an – dann verschwindet sie.«

»Mit Gebeten such' ich sie zu vertreiben, sie aber setzt mir zu und läßt mich nicht.«

»Ich will dir ein Mittel sagen, wie du sie los wirst.«

»Sag mir's, ich will's versuchen.«

»Geh zu den Weibern in Polpenki.«

Wieder schallte dröhnendes Gelächter durch den Klosterwald.

Sie schritten zusammen dahin; da aber machte Waßja wie ein Hase jäh einen Seitensprung. Nikolka rief nach ihm, vergeblich; er war spurlos verschwunden. Allein ging Nikolka weiter, machte einen Bogen um die Herbergen und schritt geradeswegs auf die Landhäuschen zu; er hoffte, das junge Mädchen am Fenster zu erblicken.

 

Frau Grakina war mit ihrem Töchterchen Fenja eingetroffen, um für den Sommer eines der dem Kloster gehörigen Landhäuschen zu beziehen; sie hatte eine Freundin, Frau Klimowa, mitgebracht. Gleich nach ihrer Ankunft war Frau Grakina zum Abt gegangen, um bei ihm um ein Landhaus nachzukommen.

An Gönner des Klosters wurden die Landhäuschen von Vater Sawwa für den Sommer vermietet; man ging vor dem Abendessen in sein Empfangszimmer, und Vater Sawwa kam mit kleinen trippelnden Schritten heraus und erteilte dem Besucher seinen Segen …

»Sie kommen, um Ihre Andacht im Kloster zu verrichten?«

»Ich möchte mit meiner Tochter den Sommer hier verbringen; darf ich um Ihren Segen dazu bitten?«

»Von woher kommen Sie denn? Mein Gedächtnis ist schwach geworden und unsicher, nicht immer erkenne ich unsere Wohltäter gleich wieder.«

»Wir kommen aus der Gouvernementsstadt, Witwe Grakina und Tochter.«

»Der Herr segne Sie, Mütterchen. Warum sollte unser Herrgott nicht solch frommes Verlangen einer züchtigen Witwe segnen! So bleiben Sie denn hier, im Namen unsers Heilands. Haben Sie Dank, daß Sie uns, Armen des Geistes, Ihre Wohltaten nicht vorenthalten.«

Und aufs neue erteilt er seinen Segen, geschäftig und emsig, während seine listigen Äuglein nur so hin- und herlaufen, nur so betteln.

Vater Sawwa erwartet zur weihevollen Zier des dürftigen Klosters eine fromme Gabe von der Witwe Grakina, soviel sie stiften kann.

Drei Hundertrubelscheine hat sie auf den Tisch gelegt.

Er wollte das Geld zuerst gar nicht nehmen, bloß für Weihrauch und Kerzen nahm er es schließlich.

»Dürfen wir uns auch Milch vom Viehhof schicken lassen?«

»Da bin ich nicht zuständig; der Leidende hat ja wohl Gottes Segen dazu, ob aber bei den Viehmägden etwas an Milch übrigbleibt, darüber müssen Sie sich bei dem Vater Haushalter erkundigen.«

Dem Vater Haushalter steckte Frau Antonina Kirillowna Grakina einen Hundertrubelschein zu, zur Wohlfahrtspflege im Kloster, dafür wird man sie nun den ganzen Sommer über mit Milch, saurer Sahne, Quark und Butter versorgen.

Das war so Brauch im Kloster. Handelte es sich um einen angesehenen Wallfahrer – das Ansehen richtete sich nach dessen Wohlhabenheit –, so bemühte sich die Bruderschaft eifrig um ihn; waren es einfache Leute, so konnten sich die auch mit Kwas behelfen: sucht jemand das Kloster auf, so gehört es sich wohl, daß er fastet, Leckerbissen kann er sich zu Hause vorsetzen lassen. Der Frau Grakina aber durfte man schon Entgegenkommen erweisen, war sie doch eine angesehene Witwe, die zusammen mit ihrem Bruder einem Millionenunternehmen vorstand, das mehreren Tausend Arbeitern Unterhalt bot und mit dem Ausland in Geschäftsverbindung stand – auch Nikolka wußte das alles ganz genau, nicht bloß der Abt allein.

Der Diakonensohn hatte ein Auge auf die kleine Fenja geworfen, auf das schöne Mädchen mit der reichen Mitgift; ihr Onkel würde da gewiß nicht knickerig sein. Und sich ausleben, das wollte er, wollte es so ungestüm, daß er es gar nicht sagen konnte.

Als die Grakins zum ersten Male gekommen waren, hatte er sich vergeblich um die Witwe bemüht; im vorhergehenden Sommer hatte er sich dann an das Töchterchen herangemacht; wie Himmelsmanna hatte er sie dann aufs neue erwartet.

Aber auch Afonka, der dienende Bruder beim Abt, war hinter ihr her, hatte Spaziergänge mit ihr gemacht; keiner der beiden wollte vor dem andern zurücktreten; beide hatten das junge Mädchen einen ganzen Monat ergebnislos umworben …

Nikolka ging an ihrem Fenster vorüber, versicherte sich persönlich davon, daß die Grakins eingetroffen waren, und sprach in der Bude vor, um Teufelschrisam – Branntwein – zu kaufen.

Das Fläschchen verbarg er in der Hosentasche unter der Kutte und schritt wieder langsam an ihren Fenstern vorüber.

Bloß einmal; dann ging er in seine Zelle.

Er wußte schon, was er wert war, der schmucke Bursche, ein Bild von einem Novizen, übermittelgroß, schlank, ohne hager zu sein – mit dem kastanienbraunen Ringelhaar, das bis auf die Schultern herabfiel, der samtweichen Stimme; der einzige Mangel an ihm waren seine gierigen Augen; fiel sein Blick auf etwas, was er mochte, so umstrickten sie es, huschten hin und her, als wollten sie es an sich reißen – bloß hingen die Trauben meist zu hoch für ihn. Gierige Augen hatte Nikolka; sie waren gierig geworden seit der Zeit, da er als Vorsänger sich blanke Zwanziger zusammengespart hatte, und gespart hatte er, um dereinst ein sorgloses Dasein zu führen; in Wohlstand und Ruhe wollte er leben.

Auch jetzt noch waren Zwanziger da, zwar die neuen, blanken waren längst abgewandert, aber alte waren dafür in dreifacher Zahl zurückgekommen, sie wuchsen ihm unter den Händen und vermehrten sich.

Im Winter hatten die Brüder keine Einkünfte, während sie im Sommer so manche Gabe von den Wallfahrern erhielten, auch schenkten sie ihnen geschnitzte Löffel und bekamen dafür eine Kleinigkeit zum Dank. Der Winter jedoch brachte nichts ein; im Herbst wurden die Sommereinkünfte verzehrt, dann kamen die Brüder zu Nikolka, um Geld von ihm zu borgen.

Nikolka war immer bereit dazu – warum hätte er ihnen nicht borgen, den Brüdern nicht helfen sollen? …

Er streckte gern einen Rubel vor, nahm Handwerkszeug als Pfand, und begannen dann die Brüder im Frühjahr Löffel zu schnitzen, so bezahlten sie ihm in Waren, in geschnitzten Löffeln, das Zwei- und Dreifache.

Kam dann der Sommer, so hatten sich bei Nikolka wohl dreißig Dutzend Schnitzlöffel angesammelt. Er brachte sie als Erinnerungsgabe den Wallfahrern in die Herberge; die setzten ihm zum Dank Leckerbissen aus der Stadt vor und gaben ihm darüber hinaus zwanzig Kopeken für den geschnitzten Ahornlöffel, manch einer auch ganze fünfzig Kopeken, wenn er's hatte.

So wuchsen denn die Zwanziger bei Nikolka; er nahm keine Prozente von den Brüdern, die Zwanziger aber wuchsen und wuchsen, ohne daß er sie hätte begießen müssen.

Mit dem Löffelschnitzen begann die Bruderschaft gegen den Frühling, wenn die Tage länger wurden; im Winter wurden Ahornklötzchen getrocknet, im Frühjahr die trockenen Klötzchen dann ausgemeißelt; wenn die Sonne wieder wärmer schien, wurden die Vergißmeinnicht und Rosetten darauf mit Farbe bedeckt.

Auch Waßja der Blöde schnitzte Löffel von morgens früh bis abends spät und gab alles Nikolka ab, bei dem er tief in Schulden steckte. Er arbeitete sauber, wurde darin von niemand übertroffen; den Stiel versah er mit Schnitzwerk in beliebiger Gestalt: drei Finger, zum Kreuzschlagen vereint, oder ein Fischlein mit goldenen Schuppen, oder drei zum Bekreuzigen gekrümmte Finger, die ein kleines Ei hielten.

Als Nikolka in seine Zelle gekommen war, ließ er das Fläschchen an einem Bindfaden in den Vorratsraum unter dem Fußboden hinab, öffnete seine kleine Truhe und suchte unter Waßjas Kunsterzeugnissen ein Paar der schönsten Stücke aus.

Kaum war er damit fertig, als zur Messe geläutet wurde.

Nikolka holte seine neue Lüstrinkutte hervor, dazu ein neues Käppchen, kämmte sich das Haar mit einem breiten Kamm, träufelte auf diesen ein wenig Rosenöl und zerrte ihn aufs neue durch seine Mähne.

Während der Abendmesse stand er da und äugelte, ließ seine schwarzen Augen blitzen, warf der kleinen Fenja Blicke zu.

Fenja trat mit ihrer Mutter zusammen aus der Kirche; würdevoll ging er auf sie zu.

»Willkommen, Antonina Kirillowna! Sie haben geruht, zu uns zu kommen, um hier zu weilen und zu beten?«

»Fenja braucht Erholung, sie ist in die siebente Klasse versetzt worden; da sind wir denn hergekommen, um den Sommer hier zu verbringen.«

»Erinnern Sie sich noch, ich hatte Ihnen Löffel mit Goldfischstiel versprochen; gefallen Ihnen vielleicht diese?«

»Weshalb verwöhnen Sie uns so, Vater?«

»Wenn Sie mit diesen Löffeln essen, gedenken Sie unseres Klosters und der Bruderschaft.«

Er begleitete sie bis an das Häuschen und wurde zum Tee eingeladen.

»Wenn Sie gestatten, werde ich es für meine Pflicht erachten, morgen nach dem Mittagsmahl bei Ihnen vorzusprechen, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen.«

»Bitte schön, Vater, kommen Sie nur, es wird uns eine Freude sein.«

Nikolka verneigte sich würdevoll, blitzte die kleine Fenja gierig an und schritt gemessen seines Weges.

Unterwegs bog er in den Gemüsegarten des Klosters ein, riß sich heimlich grüne Zwiebeln ab – das Fläschchen war ihm in den Sinn gekommen. Als er in seine Zelle trat, saß Waßja wartend auf dem Bettrand.

Nikolka zog aus dem Kellerschlupf das abgekühlte Fläschchen hervor … Waßja saß da und schwieg, starrte bloß das Fläschchen an.

Nachdem er ein heiliges Lämpchen voll Schnaps bis auf den Grund geleert hatte, löste sich seine Zunge.

»Ich bin so verwirrt, habe solch einen Schreck gehabt!«

»Was hat dich denn so erschreckt, Waßja?«

»Ich habe rein Angst, es zu erzählen.«

»Trink man noch ein heiliges Lämpchen aus, dann vergeht die Angst schon, fort ist sie plötzlich, wie mit der Hand weggewischt. Also erzähle, mein lieber Freund.«

Es wurde noch je ein Lämpchen geleert, darauf aß man Brot mit Salz und grünen Zwiebeln.

»Na, also erzähl', Waßja, was hat's gegeben?«

»Wie so verschieden einem doch der Satan erscheint, in welch wechselnder Gestalt er einen nicht versucht!«

»Na?«

»Mutter Jewstafia kennst du doch?«

»Schwester Nikodimowa meinst du?«

»Ja, Kolenka, die meine ich, aber nicht sie war es – es war der Satan der Sinneslust.«

»Also, was war denn das für ein Satan?«

»Ins Gras hieß sie mich niedersetzen – nach dem Abendessen hatte sie mich gebeten, heilige Orte mit ihr zu besuchen: ›Du bist ein Mann Gottes‹, sagte sie, ›unsichtbar ruht die Gnade des Herrn über dir, komm mit mir‹.«

»Wohin wart ihr gegangen?«

»Nach dem fernen Brunnen des Eremiten, nach jenem bei dem Domänenwald.«

»Also an den abgelegensten Ort?«

»Ich erzählte ihr von dem Erdenwallen des Heiligen, sie aber setzte sich ins Gras und sagte: ›Ich höre dich schlecht, komm, setz' dich näher zu mir, Waßenka, Liebling.‹ Ich erzähle ihr von dem Eremiten, sie aber fängt plötzlich an, meine Hände zu küssen. Ich sage ihr, ich sei dessen nicht wert, sie aber antwortet: ›Du bist ein Mann Gottes, Segen ruht über dir … Deine Füße muß ich, sündige Magd, küssen, Offenbarung sendet mir der Herr durch dich, Waßenka, seinen Segen sendet er‹.«

»Was wollte sie denn von dir haben?«

»Ich weiß nicht, Kolenka, was sie von mir haben wollte, es war ja nicht sie, Satan äffte mich im Walde, Satan hat sich an mir ergötzt. ›Deine Füße will ich küssen‹, sagte sie, dabei aber … ›dann strömt der Segen des Herrn aus dir in mich über!‹ – dabei aber fuhr sie, die Jewstafia, mir in die Hosen, so daß ich tödlich erschrak. Ein Zittern befiel mich vor Schreck, ich rannte sogar davon, sie aber brach in Tränen aus, daß mich ihr Anblick dauerte, und doch war es bloß der Satan, der Verfluchte, und sie weinte so, bebte am ganzen Leibe. ›Um fromme Seligkeit bringst du mich mutwillig, der Herr sei dein Richter! …‹ schluchzte sie … Gib mir noch ein Lämpchen, Nikolka; gibst du mir noch eins?«

»Wo ist die Jewstafia denn geblieben?«

»Plötzlich war sie verschwunden, Kolenka, ganz plötzlich. Als ich vor ihr floh, war sie auf einmal nicht mehr da. Ich kehrte nachher zurück, um nachzuschauen, aber sie war verschwunden, bloß das Gras war niedergedrückt; ins undurchdringliche Dickicht ist sie geschlüpft.«

»Na, meine Jewstafia entschlüpft mir jetzt nicht mehr, Bruder!«

»Hast du sie denn gesehen? Hast sie im Walde getroffen, ja? … Ich gehe jetzt nicht weg von dir, sonst kommt sie mir noch in meine Zelle, die Ertrunkene. Ich habe sie ja nachher gesucht, bin durch den ganzen Wald gestreift, habe alle Schlupfwinkel abgesucht, bis zum Sumpf bin ich gelaufen, habe hineingeschaut, und da ist ein Loch, eine schwarze Grube … Mir war, als müßte Jewstafia wirklich da gewesen sein, aus dem Loch gluckste Schluchzen herauf – es zog mich, es drängte mich, hineinzuschauen, aber ich schlug nur das Kreuz über den üblen Ort. Da hörte das Schluchzen gleich auf, und das Loch verschwand – es war alles bloß Satanswerk. Satan versucht mich unablässig – ich habe solche Angst vor ihm, dem eklen Schmutzfink, er trippelt hinter mir her, zupft mich an der Kutte … Ich gehe nicht weg von dir, Kolenka, tu, was du willst, ich gehe nicht weg! Jage mich nur nicht davon, sonst kommt die Jewstafia in der Nacht wieder zu mir, wieder gerate ich in Versuchung – jage mich nicht weg, jage mich nicht weg, Kolenka!«

»Und meine war heute zur Abendmesse, Bruder!«

»Du mußt das Kreuz über sie schlagen, vor dem Kreuz haben sie Angst, das Kreuz mußt du über sie schlagen, hörst du, Kolenka!«

»Küssen muß ich sie, das Kreuz hilft mir nicht.«

»Die Teufelin küssen, Kolenka?!«

»Ach was, Teufelin – die kleine Fenja Grakina meine ich, du hast sie doch gesehen? Du selbst hast mir ja von ihr erzählt.«

»Fenja, die Tochter des Bösen, vertreib mit dem Besen …«

»Ach, Waßja, wenn du aus dem Lämpchen geschleckt hast, wirst du sofort ganz zum Idioten – du solltest zum Bruder Samariter gehen. Es ist bald aus mit dir, Waßja, aus und zu Ende; deine Löffel aber sind gut, Bruder, und dann bleib ich ohne Löffel.«

»Vertreib den Satan, Kolenka, vertreib ihn!«

»Die Löffel haben ihnen gefallen – zum Tee haben sie mich auf morgen eingeladen; komm mit! Zum Tee gibt's ja wohl Chrisam, und ihr Chrisam ist gut und stark.«

»Haben sie auch heilige Lämpchen zum Trinken? … Nimm deine mit, die sind so schön groß!«

»Na, trink dein Lämpchen aus und dann troll' dich in deine Zelle – kannst da den Teufel vertreiben mit deiner Jewstafia, sonst geht er nach innen.«

»Ich gehe nicht hin, Kolenka, ich habe Angst, schreck' mich nicht mit der Teufelin …«

»Also nun geh, sag' ich.«

»Aber in meine Zelle gehe ich nicht, da wartet Jewstafia auf mich.«

»Bald hängst du dich auf, Waßja; noch eine Weile geht's mit der Zersetzung weiter, und aus ist's mit dir, bei lebendigem Leibe verfaulst du. Du tätest besser, dich zu erhängen; ich will dir auch einen Strick als Gastgeschenk mitgeben, du tust einem schließlich leid – na, da hast du noch ein heiliges Lämpchen zum Abschied, Waßja.«

»Ich gehe schon, Kolenka, ich gehe schon, jage mich nur nicht fort, ich gehe schon von selbst – nur daß der Nachtteufel so fürchterlich ist, ach, wie fürchterlich! …«

Nikolka holte einen Strick hervor, reichte ihn Waßja, begleitete den Blöden bis an die Schwelle und legte sich dann selbst auf die Bank, um von der kleinen Fenja Grakina zu träumen. Es war eine Mondnacht, die Nachtigallen schlugen im Klostergarten, und sein ganzes Leben lag noch vor ihm – und die kleine Fenja stand da, wie lebendig, und lächelte …

 

Waßja irrte durch den schlafenden Klosterhof, Nikolkas Strick in der Hand, kam nicht zur Ruhe und dachte bei sich, daß er den Teufel wohl doch nicht dadurch vertreiben würde, daß er sich eine Schlinge um den Hals legt und sich aufhängt.

Zerzaust, betrunken, schwankte er die Holzstege entlang von Zelle zu Zelle.

Die Gedanken wogten ihm durch den Kopf wie schwelende Teufel.

»Dem Teufel mache ich eine Freude, ergötze den Satan mit diesem Strick hier, schände Gottes Wesenheit … Kasteiung des geilen Leibes, das ist's, wodurch man ihn vertreibt! Der Strick aber soll mir gute Dienste leisten zur Züchtigung des schwachen Fleisches, wenn es um eine Spende bettelt, wie der Blinde an der Kirchentür … Herr, ich flehe zu dir, erhöre mich … Erhöre mich, Herr!« sang er in trunkenem Fistelton und wankte zu dem Glöckner.

Die Tür zum Glockenturm des Klosters stand offen; dunkel stieg die Treppe hinan; unter der Treppe befand sich die Höhle des alten Glöckners.

Durch das hallende Dunkel zitterte Waßjas dünner trunkener Tenor, schlug an die verschlafenen Glocken, und bronzenes Geflüster zog durch die Finsternis.

»Der mitternächtige Teufel umstrickt deinen ruchlosen Knecht; er weiche von mir! Herr, erbarme dich meiner, Herr, sei mir Ruchlosem gnädig!«

Unter der Treppe wühlte er sich in das stickige Heu, lauschte, vor jedem tieferen Atemzug bange, dem bronzenen Gemurmel und schlief schließlich ein, den Strick um die Hand gewunden.

Nikolka dachte noch einmal an Waßja, drehte sich auf die andere Seite und begann in trunkenem Halbschlaf wieder von der kleinen Fenja Grakina zu träumen; so, unentkleidet, schlief er denn auch ein, in seiner neuen Lüstrinkutte.

 


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