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Alles im Schlosse hatte sich frühzeitig niedergelegt, nur Rudolf wachte noch lange. Im Kamine brannte ein freundliches Feuer, dort saß er neben demselben, über Vergangenes und Zukünftiges nachdenkend. Diese Gedanken aufzudecken, wäre Verrat; es giebt Geheimnisse, für welche es am besten ist, wenn sie im Grunde des Herzens bleiben.
Nach Mitternacht entstand ein Kommen und Gehen im Schlosse und Diener liefen auf dem Korridor hin und her. Rudolf, welcher noch halb angekleidet war, trat hinaus in den Hausflur; dort traf er mit Paul zusammen.
– Was giebt's? fragte er ihn.
Der alte Diener wollte sprechen, aber seine Lippen waren geschlossen, sein Kinn zitterte krampfhaft wie bei einem, der sprechen will und nicht kann. Endlich brachte er doch ein Wort hervor und sprach unter Thränen schluchzend: Er ist gestorben ...
– Unmöglich! rief Rudolf aus und eilte in Johanns Schlafgemach.
Dort lag der Nabob mit geschlossenen Augen, die Hände auf der Brust gefaltet, vor ihm das Bild seiner Gemahlin, damit sein letzter Blick noch auf sie falle und sein Antlitz war ehrfurchtgebietend, weil der Tod es von allen irdischen Leidensspuren gereinigt hatte und nur der reine ursprüngliche Gesichtsausdruck in allen seinen Zügen geblieben war. Er starb so ruhig, daß sein alter Diener, der bei ihm im Zimmer schlief, es nicht wahrnahm; nur die vollständige Geräuschlosigkeit war ihm verdächtig und als er zu seinem Herrn hintrat, fand er ihn tot.
Er hatte also richtig seine letzte Stunde geahnt und jene namenlose Freude, jenes unerklärliche Wohlgefühl war die Annäherung des Todes. Rudolf schickte eiligst um den Arzt, obwohl ein Blick auf dies Angesicht ihn überzeugen konnte, daß hier kein Arzt mehr notwendig sei.
Als dieser ankam, war bereits alles zu Ende, man brauchte nur noch den Sarg.
Alles war schon im Schlafzimmer zur Ausstellung der Leiche vorbereitet worden. Sarg, Leichentuch, Wappen und Fackeln. Karpáthi hatte sich jetzt weniger, als damals an seinem Namenstage, vor dem Sarge gefürchtet. Es geschah alles so, wie er es angeordnet hatte. Man stellte in demselben Zimmer den Katafalk auf, in welchem seine Frau gelegen hatte. Man legte ihm dieselben Kleider an, in welchen er mit ihr getraut wurde und that ihn so in den Sarg. Man berief auch dieselben Sängerknaben, welche seiner Frau so schöne und ergreifende Grablieder nachgesungen hatten und dieselben Gesänge wurden auch bei seinem Sarge angestimmt.
Die Nachricht von seinem Tode verbreitete sich schnell in der ganzen Gegend und wie an jenem Freudentage war der Karpáthfalvaer Hof von allerlei Volk gefüllt. Aber anstatt der freudigen Gesichter waren bloß Traurige gekommen. Niemand von den alten Bekannten war ausgeblieben, alles eilte, ihn noch einmal zu sehen und jeder, der ihn sah, sagte, daß er sich so verändert habe, daß er nicht mehr zu erkennen sei; selbst diejenigen sagten dies, die ihn im Leben sich verändern sahen.
Eine große Menge Volk folgte ihm bis zur Gruft; die angesehensten Männer trugen die Fackeln und die ehrenwertesten Damen gingen hinterdrein.
Die Sitte brachte es mit sich, daß der Haupterbe, der einzige Sohn, den Sarg seines Vaters begleite; da dieser erst ein halbes Jahr alt war, so mußte er nachgetragen werden und Madame Szentirmay trug ihn auf den Armen. Jeder, der sie sah, behauptete, daß sie mit dem Kinde so zart umzugehen wisse, als wenn sie seine wahrhafte Mutter wäre.
Glückliches Kind!
Bei den schwersten Schlägen, beim Verlust des Vaters und der Mutter, kommt es ohne Schmerzen durch und gewinnt einen neuen Vater, eine neue Mutter an deren Stelle.
Derselbe Geistliche, dessen Worte über dem Sarge der Frau des guten alten Nabobs so tröstend erklangen, hielt auch jetzt die Leichenrede. Viele weinten, aber am meisten der Geistliche selbst, welcher die andern trösten sollte; er kam erst dann wieder zu sich, als er alle Bekannten des Verstorbenen herzählen mußte; diese lange Liste befreite ihn von aller Rührung. So viele gnädige, hochwohlgeborene, hochgeborene, ehrwürdige, hochansehnliche und ansehnliche Personen sind es, von welchen der Staub gewordene, selige Herr Johann von Karpáthi hiermit Abschied nahm.
Dann trugen sie ihn in jenes stille Gemach hinab, in welchem die Verstorbenen ruhen und bereiteten ihm sein Ruhebett neben seiner verstorbenen Gemahlin. So traurig klang der Chor in die Gruft hinab, daß selbst die Totengräber sich beeilten, heraufzukommen. Dann wurde die schwere eiserne Thüre zugeschlagen.
Jetzt ist er für immer glücklich!