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8.
Heimliche Besucher

Nicht lange darauf folgte der Winter: frühzeitig stellte sich kaltes Frostwetter und Schneegestöber ein. Weiße Wälder, weiße Felder erblickte man von allen Seiten auf der Ebene des Unterlandes und schon um vier Uhr nachmittags fing den Horizont der dunkle Dunstkreis zu umziehen an, welcher von Minute zu Minute höher steigt, bis er endlich am Himmel anlangt und es Nacht wird. Nur der glatte blendendweiße Schnee verbreitet einiges Licht über die Gegend.

Blasse, fahle Bänder glänzen auf dem großen Schneeteppich, welche die kommenden und gehenden Schlitten von einem Dorf bis zum andern gezogen haben.

Düster und melancholisch ragt das Karpáthfalvaer Schloß über die einförmige und unansehnliche Landschaft empor. Ehedem glänzten schon von ferne die Fenster am Abend und lustige Jägergruppen tummelten sich in dem volkreichen Hofe herum; jetzt brennt kaum in zwei, drei Fenstern Licht und nur der blaue Rauch der Schornsteine zeigt, daß es noch bewohnt sei.

Auf einem der fahlen Wege sieht man beim Hereinbrechen der langen Mitternacht einen schellenlosen Bauernschlitten einhergleiten, welcher sich durch das Halbdunkel der endlosen Ebene Karpáthfalva immer mehr und mehr nähert. Im Innern des Schlittens sitzt ein Mann in einen einfachen Mantel gehüllt, voran treibt ein Bauer in einen Schafpelz gehüllt die beiden magern Pferde.

Der hinten Sitzende stellt sich oft auf und schaut, als ob er etwas suchte, in der Gegend herum.

Schon dunkeln die Wälder des Karpáthfalvaer Tiergartens vor ihm und als sie auf eine Brücke kommen, erblickte der Ankömmling, was er gesucht.

– Sind das nicht Tannenbäume dort? fragte er seinen Kutscher.

– Ja, Herr. Man kann sie leicht erkennen, weil sie auch dann grün bleiben, wenn alle anderen Bäume ihre Blätter haben fallen lassen. Sie wurden alle von Herrn Johann gepflanzt.

– Hier, Gevatter, werden wir stehen bleiben. Kehrt indes in das Wirtshaus ein, welches an der Straße liegt. Ich werde diesen Weg einschlagen und längstens eine Stunde ausbleiben.

– Wäre es nicht gut, Herr, wenn ich Sie begleiten würde, wenn Sie irgendwohin zu gehen haben? Es pflegen auch Wölfe hier herum zu streifen.

– Nicht notwendig, guter Freund, ich fürchte mich nicht.

Somit stieg er aus dem Schlitten, nahm seinen Fokos in die Hand und schlug durch das Schneefeld den Weg dahin ein, wo die Tannen stehen.

Was befindet sich unter den Tannen?

Der Begräbnisort der Familie Karpáthi – und der Ankömmling, der in dieser Stunde ihn besucht, ist – Alexander Barna. Der junge Handwerker hatte von der heimkehrenden Therese erfahren, daß Fanny gestorben sei, daß die hochgeborne Frau ebenso in das Grab steigen mußte, wie die Frau des ärmsten Handwerkers – und ihr Grab war vielleicht verlassener als das der letzteren.

Alexander machte die Alten mit seinem Entschluß bekannt. Er mußte hinwandern zu dem Grab der ihm so Teuren, die er im Leben so sehr angebetet, und welcher er, da sie unter der Erde liegt, bekennen kann, daß er sie geliebt, daß er auf ihr ausgekühltes Herz nun dieselben Rechte wie jeder andere auf Erden hat.

Die beiden Alten suchten ihn nicht zurückzuhalten. Möge er hingehen, sagten sie, möge er seinen Kummer dort vergessen, vielleicht wird er froheren Sinnes werden, wenn er sich dort ausgeweint haben wird. Also nach kurzer Beratung reiste der junge Mann ab und nach der Beschreibung, welche er von Theresen erhalten hatte, erkannte er bald das Tannenwäldchen, welches Johann Karpáthi um die Familiengruft gepflanzt hatte, damit es dort noch grün sei, wenn sonst alles schon erstorben und weiß ist.

Er verließ den Schlitten und ging querfeldein, der Kutscher kehrte in dem Wirtshause an der Straße ein.

Währenddessen sehen wir auf einem andern Wege zwei Reiter einher kommen. Einer, der hinter dem andern etwas zurückbleibt, führt vier starke Windspiele an einer langen Leine.

Ich sehe Fuchsspuren, Martin, sagte der vordere Reiter, indem er sich gegen den Nachkommenden wendet, wir können sie im frischen Schnee sehr leicht verfolgen, wenn wir aufmerksam sind und sie fangen, bevor wir nach Karpáthfalva kommen.

Der Reitknecht scheint die Behauptung des Herrn zu bestätigen.

– Folge du der Spur geradeaus und gieb mir zwei von den Windspielen, ich treibe sie indes vom Walde auf.

Hiermit übernahm der Sprechende die zwei Hunde und indem er seinen Begleiter vorausgehen ließ, bog er seitwärts ein, langsamen Schrittes in den Schnee trabend.

Als er jedoch seinen Begleiter aus den Augen verlor, veränderte er plötzlich seine Richtung und ritt mit scharfem Trab auf den Tannenwald zu.

Dort angelangt, stieg er vor dem den Wald umgebenden Graben ab, band sein Pferd an einen Strauch, die Windspiele an den Sattelknopf und kroch über den schmalen Graben.

Beim Mondlicht schritt er sicher auf das gesuchte Ziel hin.

Ein großes Denkmal von weißem Marmor erhebt sich an der Seite eines grünen Hügels, darauf der trauernde Engel des Todes mit umgekehrter Fackel. Der nächtliche Reiter hielt gerade vor dem Denkmal an.

Dieser Besucher ist Rudolf.

So sind also alle beide gekommen und das Schicksal wollte es, daß sie hier zusammentreffen, Rudolf eilte gerade zum weißen Denkmal hin und blieb erschrocken stehen, als er an dessen Fuße eine zusammengesunkene Gestalt in knieender Stellung sah. Aber auch diese erschrak vor ihm.

Keiner kannte den andern.

– Was suchen Sie hier, mein Herr? fragte Rudolf, der seine Kaltblütigkeit bald zurückgewann und dem Knieenden nähertrat.

Alexander erkannte die Stimme, er wußte, daß es Rudolf sei und konnte nicht begreifen, warum er hierher komme und zu dieser Stunde.

– Herr Graf Szentirmay, sagte er gelassen: ich bin jener Handwerker, dem Sie einst so viel Güte zu teil werden ließen; üben Sie auch jetzt Ihre Großmut dadurch aus, daß Sie mich hier allein lassen und mich um gar nichts befragen.

Rudolf erkannte staunend den Jüngling. Jetzt tauchte es in seinem Gedächtnisse auf, daß dasselbe Weib, bevor sie Karpáthis Gattin geworden, mit einem armen jungen Handwerker verlobt wurde, welcher für sie so tapfer, mit so ritterlicher Kühnheit sein Leben dem Tode preisgab. Nun verstand er alles.

Er ergriff die Hand des jungen Mannes und drückte sie.

– Sie haben dieses Weib geliebt; sind Sie gekommen, um an ihrem Grabe zu weinen?

– Ja, mein Herr. Es giebt niemanden, den ich damit kompromittieren konnte. Die Gestorbene darf man lieben. Ich habe diese Frau geliebt, ich liebe sie jetzt noch und werde niemals eine andere lieben.

Sie war also mit ihm verlobt, dachte Rudolf bei sich. – – – – – – – Wie glücklich wäre sie geworden, wenn sie außer diesem Jüngling niemanden gekannt hätte; sie lebte noch jetzt und wäre glücklich. Welchen Edelmut, welche uneigennützige Liebe hätte sie in dem Herzen dieses Jünglings gefunden, von dem sie sich so weit losreißen ließ, daß er sie nur an ihrem Grabe wieder besuchen kann.

Und der Handwerker fragte den Magnaten nicht: Was bringt Sie her zu solcher Stunde, was suchen Sie hier bei der Toten? Er war mit etwas anderem beschäftigt. Er dachte an das fröhliche Kind, welches in einfacher bürgerlicher Kleidung dort neben ihm in der Jasminlaube saß und voll kindlicher Freude mit ihm besprach, welche gute Hausfrau sie einst sein werde! – – – – – Und als er seine Stirne an den kalten Marmor anlehnte, dünkte es ihm, daß sein Haupt an ihrer glatten Schulter ruhe.

Rudolf fühlte Mitleid mit dem jungen Manne.

– Bleiben Sie hier, ich lasse Sie allein. Außer dem Friedhofe werde ich Sie erwarten; wenn ich Ihnen mit etwas dienen kann, so verfügen Sie über mich.

– Ich danke, mein Herr, ich gehe ebenfalls; ich habe das schon beendigt, um deswillen ich herkommen mußte. Sehen Sie, ich hätte nicht leben können, der Gedanke, daß sie gestorben ist, ohne daß ich ihr nahe war, hätte mich getötet, hätte mich elend gemacht. Ich mußte herkommen, um zu sehen, ob das herzinnige Gefühl einen tötet? Jetzt weiß ich schon, daß es nicht tötet und ich will probieren, auf welche Weise ich ferner werde leben können.

Auf dem Leichensteine war der Name der teuren Verstorbenen mit goldenen Buchstaben eingegraben. Im Mondlicht glänzten die Buchstaben: » Frau Fanny von Karpáthi, geborene Mayer

Der junge Handwerker nahm seine Kopfbedeckung ab und küßte mit Inbrunst und Ehrfurcht, wie man die Lippen eines Toten zu berühren pflegt, alle Buchstaben des Namens »Fanny«. – Vor Ihnen schäme ich mich dieser Schwachheit nicht, sagte er, indem er aufstand, zu Rudolf; Sie haben ein edles Herz und werden mich nicht verspotten.

Rudolf antwortete nichts, aber er wendete sein Gesicht ab. Gott weiß es, warum er nicht wollte, daß ihm der junge Mann jetzt ins Gesicht sehe.

– Jetzt können wir schon gehen, mein Herr.

– Wo wollen Sie denn die Nacht zubringen? kommen Sie mit mir nach Szentirma.

– Ich danke, mein Herr. Sie sind sehr gütig gegen mich. Aber ich kehre sogleich zurück. Der Mond wird bald aufgehen, der Weg ist licht genug. Ich muß eilen, weil ich sonst viel Arbeit versäume.

Es war nicht möglich, weiter in ihn zu dringen, der Schmerz des Mannes will keinen Trost.

Rudolf begleitete ihn zu Pferde bis zu dem am Wege befindlichen Wirtshause, wo der Schlitten bereits auf ihn wartete; er konnte es nicht unterlassen, ihm innig die Hand zu drücken und ihn zu umarmen.

Alexander konnte nicht begreifen, weshalb dieser hohe Herr so freundlich war.

Der Schlitten verschwand bald im nächtlichen Dunkel aus dem Weg, welchen er hergekommen war. Rudolf kehrte wieder zu den Tannen zurück. – Er suchte das weiße Denkmal wieder auf. Dort stand er und dachte an das Weib, welches so viel gelitten, welches vielleicht auch hier unten an ihn denkt. Im Geiste sah er jetzt, wie sie den weggeworfenen Amaranthen nachschaute, wie sie auf unbändigem Pferde vor ihm hersprengte, wie sie mit vor Liebe verzweifeltem Gesichte an seine Brust sank, damit sie dort zwischen süßer Pein und schmerzlicher Wonne ihren Schmerz ausweine, welchen sie jahrelang verborgen trug. Und indem er an dies alles dachte, füllten sich seine schönen Augen mit Thränen.

Die Spuren, welche die Kniee des bereits entfernten jungen Mannes zurückgelassen hatten, waren noch in dem Schnee sichtbar, welcher das Fußgestell der Denksäule bedeckte. Rudolf dachte: hat dieses Weib, welches gelitten und geliebt hat, von mir nicht dasselbe verdient? Und auch er beugte seine Kniee vor dem Denkmale.

Und er las den Namen... Wie Geisterruf zogen ihn die fünf Buchstaben »Fanny« an.

Lange kämpfte es in ihm. Er dachte... und dachte wieder nach ... Zuletzt neigte er sich hin und küßte der Reihe nach die fünf Buchstaben, so wie es der andere gethan hatte.

Sodann warf er sich aufs Pferd. Sein Reitknecht, welcher seinen Herrn nicht finden konnte, blies schon ungeduldig am Rande des Waldes ins Horn. Er erreichte ihn bald und nach einer halben Stunde waren sie im Hofe Karpáthis angelangt, welcher Rudolf noch in dieser Nacht eiligst hatte rufen lassen.


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