Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9.
Das Testament

Rudolf wurde im Schlosse schon erwartet. Als er vom Pferde sprang, führte ihn der in der Vorhalle wartende Paul sogleich zu Karpáthi hinauf.

Die ganze Dienerschaft hatte, seitdem die Herrin begraben wurde, schwarze Kleider bekommen und die Spiegel und Wappen waren wie am Begräbnistage mit Trauerfloren umzogen.

Karpáthi wartete in seinem Zimmer auf Rudolf; als er ihn eintreten sah, stand er von seinem Sitze auf, ging ihm eilends entgegen und schüttelte ihm kräftig die Hand.

– Ich danke dir Rudolf, ich danke dir, daß du gekommen bist. Du verzeihst, daß ich zu solcher Stunde und mit solcher Eile um dich geschickt habe. Sei willkommen. Ich danke dir sehr, daß du gekommen bist.

Rudolf, ich befinde mich so sonderbar. Seit drei Tagen durchdringt ein so ungewöhnlich angenehmes Gefühl meine Glieder, daß es mich bei Nacht aus dem Schlafe erweckt; ich finde nirgends Ruhe wegen der seltsamen Freude, oder wie ich dieses Gefühl nennen soll. Ich fühle meinen Tod sich nähern. Ich bitte dich, sprich nichts dagegen. Ich fürchte mich nicht vor ihm; ich sehne mich nach ihm. Manchmal saust ein scharfer Zug an meinem Ohr vorüber, wie wenn etwas neben mir schnell vorüberflöge. Weiß ich, was das bedeutet? Zweimal habe ich einen solchen Windhauch verspürt: Ich glaube, es wird jetzt der letzte sein. Mit Freuden denke ich an den Tod und habe nicht die mindeste Furcht vor ihm, darum habe ich nach dir geschickt, damit ich noch bei klarem Verstand und ruhigem Blute mein Testament machen könne, zu dessen Vollstreckung ich dich aufzufordern wünschte. Übernimmst du diesen Auftrag?

Rudolf gab schweigend seine Einwilligung zu verstehen.

– Komm also in das Archiv mit mir, die andern Zeugen warten schon alle dort. Es sind lauter ehrliche Leute, die ich eilends zusammenbrachte.

Während sie drei, vier Zimmer durchschritten, hielt Johann Rudolf oft an, indem er zu ihm sprach: »Siehe, hier in diesem Zimmer habe ich sie zum letztenmale lachen gehört – dort auf jenem Stuhl vergaß sie ihren Shawl, er liegt noch dort – auf diesem Tisch sind die Handschuhe, welche sie zuletzt getragen; hier las sie – hier zeichnete sie, dort ist ihr Klavier noch jetzt offen, die Phantasie, die sie zuletzt gespielt, ist noch aufgeschlagen. Hierauf öffnete er ein Zimmer, in welchem Rudolf, als es erleuchtet wurde, zusammenschrak.

– Wir gehen nicht den rechten Weg, Alter, du hast dich in deinem eigenen Hause verirrt, das ist das Schlafzimmer deiner Gattin.

– Ich weiß es. Aber ich kann nie an demselben vorübergehen, ohne hinein zu treten; heute sehe ich es ohnedies zum letztenmal, denn morgen lasse ich's vermauern. Siehst du, alles ist so, wie sie es gelassen, stehen geblieben. Nicht in diesem Zimmer starb sie, erschrick daher nicht davor. (O, Rudolf hatte eine ganz andere Ursache an diesem Orte Schrecken zu fühlen.) Jenes geht nach dem Garten. Sieh, alles ist noch am alten Platze: die Lampe, bei der sie zu schreiben pflegte, auf dem Tische ein halbvollendeter Brief, welchen niemand gelesen hat. Hundertmal habe ich seitdem diese Zimmer betreten und habe doch nie einen Buchstaben davon gelesen. Es ist ein Heiligtum in meinen Augen. Vor dem Bette stehen noch die gestickten Pantoffeln, so groß, als wenn sie für ein Kind verfertigt worden wären. Auf dem Tisch liegt ein aufgeschlagenes Gebetbuch, zwischen dessen offenen Blättern eine Irisblume, eine Amaranthe und ein Ahornblatt liegen. Sie liebte diese Blumen sehr.

– Gehen wir weg von hier, gehen wir, drängte Rudolf; was du sprichst, thut mir weh.

– Mir thut es aber wohl. Ganze Tage habe ich an diesen Orten zugebracht und mir jedes Wort, das sie gesprochen, ins Gedächtnis zurückgerufen. Ich sah sie überall vor mir, wachend, schlafend, lächelnd und traurig. – Ich sah sie, wie sie sich über die halbfertige Stickerei beugte, ich sah sie, wie sie ihren schönen Kopf an die Polster lehnte; ich sah sie schlafen und sterben ...

– O, gehen wir, gehen wir weg von hier.

– Wir gehen Rudolf. Nun komme ich nie wieder hierher zurück. Morgen wird an der Stelle der Thüre eine glatte Wand sein und an die Fenster werden Eisenplatten kommen. Ich fühle, daß ich sie nicht mehr hier werde aufsuchen können. Anderswo, anderswo werde ich sie wieder aufsuchen, in einem andern Zimmer werden wir wieder zusammen wohnen. Gehen wir nun, gehen wir.

Und thränenlos lächelnd wie einer, der sich auf seine Hochzeit vorbereitet, verließ er das Zimmer, von der Thüre aus noch einen letzten Blick mit dem Auge und einen stummen Kuß mit der Hand in die Finsternis werfend, als ob er ein nur von ihm und keinem andern gesehenes Wesen zum letztenmale grüßte.

– Gehen wir, gehen wir.

In dem großen Archivsaale warteten schon die Zeugen. Es waren ihrer vier: der Ortsnotar, ein junger Mann mit vollem Gesicht, der sich mit dem Rücken an den warmen Ofen lehnte; der Güterdirektor, der menschenfreundliche Peter Varga, der sich die Gnade ausgebeten hatte, wie die übrige Dienerschaft schwarze Kleider tragen zu dürfen und der jetzt nur selten ein Wort spricht und dessen Rede, mit wem er auch spricht, stets mit den Worten endigt: »Alles was gut und schön ist, muß früher sterben und nur wir – wir alte Sünder leben so lange.

Der dritte Zeuge war der Geistliche, der vierte war Kis Miska. Der gute Mensch hatte die glänzenden Salons, deren gefeierter Held er war, verlassen, um die traurigsten Tage seines alten Freundes zu erheitern. In der That war das eine große Wohlthat, Auch der Fiskal befindet sich dort und schneidet für alle Federn, die er dann bis zur Hälfte in die Tintenfässer taucht, welche auf dem runden Tische in Bereitschaft stehen; da keiner von den hochadeligen und hochehrwürdigen Bekannten des Nabob zugegen war, so läßt sich's leicht denken, wie sehr derselbe mit der Anordnung seines letzten Willens eilte.

Als Karpáthi und Rudolf eintraten, begrüßten die Versammelten mit ernster Feierlichkeit die Ankommenden, wie es bei solchen Gelegenheiten der Brauch ist, wenn ein Lebender verfügt, was nach seinem Tode zu geschehen hat. Herr Johann winkte allen sich niederzusetzen, ließ Rudolf zu seiner Rechten und Kis zu seiner Linken Platz nehmen und setzte sich gegenüber dem Fiskal, damit derselbe verstehe, was gesprochen wird. An das äußerste Ende des Tisches setzte sich Herr Varga, der alle Lichter vor sich hinstellte. Er weiß, warum.

– Meine Mitmenschen und Freunde! begann der Nabob, während alle in tiefem Schweigen verharrten: Gott hat meine Tage gezählt und wird mein vergängliches Leben in ein rühmlicheres verwandeln, daher seien Sie meine Zeugen, daß ich alles, was ich in dieser Stunde spreche, mit gesundem Verstande spreche. Von jenen irdischen Gütern, welche die heilige Majestät Gottes meinen Händen anvertraut hat, kann ich über mehr als eine Million an barem Gelde verfügen, das ich selbst erworben habe. Gebe Gott, daß mehr Segen darauf ruhe, als in meinen Händen darauf geruht hat. Ich beginne meine Anordnungen mit derjenigen Person, die mir auf dieser Welt die Teuerste war und die nun im Grabe ruht. Dieses Grab sei der Anfang und das Ende meiner irdischen Verfügungen, sowie es mein erster Gedanke ist, wenn ich erwache und mein letzter, wenn ich mich niederlege und auch mein ewiger Gedanke sein wird, wenn ich einst nicht mehr erwache. Mein erstes Legat von fünfzehntausend Gulden vermache ich dem Herrschaftsgärtner, der dafür verpflichtet sein soll, vom frühen Frühling bis zum späten Herbste Jasmin und Amaranthen, welche »Sie« so sehr geliebt, zu ziehen und mit diesen das Grab meines unvergeßlichen Weibes zu bepflanzen. Desgleichen vermache ich zehntausend Gulden den Madaraser Schloßgärtnern, deren, sowie ihrer Kinder und Kindeskinder Schuldigkeit es sein soll, den dem Glashause nahestehenden Baum, unter welchem sich eine weiße Bank befindet, zu pflegen ... Dies war ihr Lieblingsort; – Johann sprach hier zu sich selbst ... Dort saß sie ganze Nachmittage hindurch... der Gärtner soll neben denselben noch einen andern Ahornbaum pflanzen, damit er nicht allein stehe. Wenn der Baum einst absterben, oder wenn ein ehrloser Nachkomme denselben niederhauen lassen sollte, so soll das ganze Kapital den Armen zufallen. Rudolf saß mit kaltem, unbeweglichem Gesichte neben dem Sprechenden. Niemand konnte den Eindruck wahrnehmen, welche diese Worte auf ihn machten.

Wie thöricht war dieser Alte noch in seinen letzten Tagen, werden die Nachkommen sagen, wenn sie einst diese Bestimmungen lesen werden; alles hat er für Gras und Bäume vermacht, werden sie spöttisch sagen.

– Ferner, fuhr Karpáthi fort, bestimme ich fünfzehntausend Gulden zu dem Zwecke, daß von den Interessen dieses Kapitals arme wohlgesittete Mädchen ausgeheiratet werden. Jährlich an demselben Tage, an welchem ich mit meinem unvergeßlichen Weibe getraut wurde, sollen sich in der Kirche sämtliche Mädchen der Herrschaft versammeln und für die Verstorbene beten, dann überreiche man dreien von den versammelten Jungfrauen vor den Augen der Gemeinde den Jungfernkranz und die entfallende Summe. Diese sollen sodann zu »ihrem« Grabe gehen und Blumen darauf streuen und beten, daß sie Gott in der andern Welt glücklicher mache, als sie es auf dieser Erde gewesen ist.

Hier hielt er inne, damit der Advokat seinen Worten auf dem Papier nachkommen könne.

Eine schmerzliche Stille herrschte indes in dem Saale, welche nur durch das Kritzeln der eilenden Feder unterbrochen wurde.

Als der Advokat, um anzuzeigen, daß er fertig sei, vom Papiere aufblickte, seufzte Karpáthi auf und ließ sein Haupt niedersinken.

– Wenn Gott jene Stunde über mich kommen lassen wird, in welcher ich mein vergängliches Leben verlassen werde, fuhr er mit eifriger klarer Stimme fort (alle seine Worte hallten so im Zimmer, wie wenn dasselbe ganz leer gewesen wäre, zurück), wenn ich sterben werde, so wünsche ich, daß man mir dieselben Kleider anlege, welche ich an meinem Hochzeitstage getragen habe; mein treuer Diener Paul wird dieselben noch kennen. Der Sarg, in den man mich legen soll, steht schon fertig in meinem Schlafzimmer; ich habe mich oft in denselben hineingelegt und daran gedacht, wie gut es sein wird, wenn ich nicht mehr heraus zu steigen brauchen werde. Derselbe ist ganz so wie der »ihrige« verfertigt, nur mit dem Unterschiede, daß alles, was weiß an ihrem Sarge, an dem meinigen schwarz ist. Auch der Name ist mit silbernen Buchstaben ausgeschrieben, nur die Jahreszahl ist noch hinzuzufügen. Ich will in demselben Zimmer, in welchem sie aufgebahrt war, ausgestellt werden und derselbe Geistliche soll für mich die Gebete sprechen, welcher für sie gebetet hat.

– Mein Herr, unterbrach ihn der Geistliche, wer hat in dem Buche des Todes und des Lebens gelesen, wer länger von uns beiden leben wird?

Karpáthi winkte ihm, er möge beruhigt sein, er wisse dies besser.

– Ich wünsche, daß bis dahin alle Trauerflöre in den Zimmern bleiben sollen, und daß alles so bleibe, wie es bei ihrem Begräbnisse war. Man soll dieselben Chorstudenten von Debrezin kommen lassen und sie sollen dieselben Trauerchöre singen, keine anderen. Mir haben diese Gesänge so wohl gethan, als man sie ihr nachsang.

– Herr, sagte der Geistliche, diese Jünglinge können bis dahin schon Männer sein.

Karpáthi schüttelte den Kopf und fuhr fort: Und wenn man die Gruft öffnet, so soll man die Scheidewand, welche die beiden Gräber trennt, durchbrechen, damit zwischen meinem und ihrem Sarge gar kein Unterschied sei, auf daß ich mit dem glücklichen Gedanken ins Grab steige, daß ich neben ihr bis zum glücklichen Auferstehungstage schlafen werde, welchen Gott seinen Gläubigen verleihen möge. Amen.

Und die ernsten Männer um den Tisch herum weinten alle; keiner schämte sich vor dem andern; selbst der kaltblütige Advokat zerschnitt seine Federn und sah die Worte nicht, welche er niederschrieb ... Nur auf Karpáthis Gesicht war keine Traurigkeit; er sprach wie einer, der seine Hochzeit anordnet.

– Nach meinem Begräbnisse soll man meinen Grabstein, welcher ebenfalls fertig in meinem Museum steht, neben den ihrigen stellen. Auf demselben steht mein Name und darunter die Worte: »Er lebte nur ein Jahr und schlief in den übrigen.« Ich will, daß man außer der Jahreszeit nichts mehr hinzuschreibe und daß er so bleibe, wie er gegenwärtig ist. So viel von uns, von den Verstorbenen. Ich habe einen Schatz, der unter der Erde ist, mit dem ich bald vereinigt sein werde und einen andern Schatz, meine Freude, die Hoffnung meiner Seele, welcher hier bleibt. Dieser ist mein Sohn.

Bei diesen Worten glänzte die erste Thräne in dem Auge Karpáthis, er trocknete sie, es war eine Freudenthräne.

– Er soll mir in nichts ähnlich werden, er werde besser, klüger, als sein Vater war. Schreiben Sie diese Worte, Herr Advokat. Vor wem sollte ich etwas verheimlichen? Ich stehe vor Gottes Thron: Ich will, daß mein Sohn besser werde, als ich es war. Vielleicht wird Gott, wird das Vaterland für seine Tugenden verzeihen, was wir – ich, meine Voreltern und alle diejenigen die ein dem meinigen gleiches Leben geführt, gegen dasselbe verbrochen haben. Er soll durch sein Leben zeigen, wie wir hätten sein sollen. Der Reichtum soll nicht sein Herz verderben, damit er in seinem Alter nicht seine Jugend bereuen müsse. Wäre man meiner so bedacht gewesen! hätte mein Vater für die eine Hälfte seiner Schätze mir einen Mann, einen Führer verschafft, der mich gelehrt hätte, die andere Hälfte nützlich anzuwenden! Ich will, daß mein Sohn glücklich werde. Was ist Glück? Geld? Besitztum? Macht? Keines von diesen. Ich habe alles besessen und war nicht glücklich. Nur Seelenreinheit ist das wahre Glück, darum soll er vernünftig, ehrlich, mutig, ein guter Bürger, ein guter Patriot werden und soll seinen Adel nicht bloß im Wappen, sondern auch im Herzen tragen.

Bei diesen Worten ward das Antlitz des alten Mannes so erhaben und nahm einen solchen ehrfurchtgebietenden Ausdruck an, daß allen, die ihn ansahen, unwillkürlich jene längst verblichenen Helden in den Sinn kamen, welche, nachdem Streitaxt und Armbrust ihren Händen entfallen war, den horchenden Sprößlingen Rat erteilten.

– Ich weiß wohl, fuhr Karpáthi fort, daß, wenn die Vormundschaft meines einzigen Sohnes auf seine nächsten Verwandten käme, oder wenn irregeführte Richter selbstsüchtige, schmeichelnde Vormunde für ihn ernennen würden, diese sein Herz verderben und ihn, weil die Laster der Reichen den Eigennützigen gewöhnlich mehr Nutzen bringen, als deren Tugenden, zu einem leichtsinnigen, unverständigen Menschen erziehen und seine Seele geflissentlich dem Verderben preisgeben möchten. Ich will daher zum Heile meines Kindes auch meine Anordnungen treffen, denn ich schaudere vor dem Gedanken zurück, es unter dem verderblichen Einflusse meines Neffen oder eines solchen Führers zu wissen, wie mein Neffe Bela ist! Lassen Sie nichts aus von diesen Worten, Herr Fiskal! Ich klage ihn vor dem Richterstuhle Gottes an, daß er ein schlechter Mensch, ein schlechter Verwandter, ein schlechter Patriot ist; vielleicht kann nur seine Thorheit, seine Schlechtigkeit ihn entschuldigen. Nein! Er soll das Herz meines Sohnes nicht verderben. Ich will ihn in eine solche Hand geben, wo jedes Gefühl in ihm sich in Tugend verwandeln wird, in eine Hand, welche ihn auf dem Weg der Ehre und des vaterländischen Ruhmes leiten, welche ihn besser beschützen und verteidigen wird, als wenn ich meine Hand aus dem Grabe für ihn ausstrecken könnte; ich will ihn den Händen eines Mannes anvertrauen, der ihm ein besserer Vater, als ich es hätte sein können, sein wird, und der, wenn er ihn auch nicht so innig wie ich wird lieben können, ihn doch weiser lieben wird ...

... Dieser Mann, welchen ich zum gesetzlichen Vormund meines Kindes ernenne, ist: Graf Rudolf Szentirmay.

Bei diesen Worten reichte der gute Alte Rudolf die Hand. Dieser sprang von seinem Sitze auf, fiel ihm um den Hals und umarmte ihn. So hielten sie sich lange umschlungen; währenddessen sprach niemand ein Wort.

Dann setzte sich Rudolf nieder und sprach mit gedämpfter Stimme, daß er die Vormundschaft annehme.

– »Sie« hat es auch so gewünscht, sprach der Nabob. In ihrer letzten Stunde, als sie ihren Sohn in die Hände deines teuren Weibes legte, sprach sie die Worte: »Sei meinem Kinde Mutter.« Ich habe dies nicht vergessen; und jetzt spreche ich zu dir wieder: »Sei meinem Kinde Vater!« Glückliches Kind! Welchen guten Vater, welche gute Mutter lassen wir dir zum Erbe! Der gute Alte konnte lange Zeit nicht wieder zu Worte kommen, als er diesen Teil seiner Beschlüsse anführte. Das starke Gefühl übermannte ihn so, daß er sich kaum beherrschen konnte und es dauerte einige Zeit, bis er wieder zu Kräften kam und seine Rede fortzusetzen imstande war.

– Nun will ich von demjenigen sprechen, welcher die bittersten Stunden meines Lebens verursacht hat, von meinem Neffen nämlich, der Bela getauft wurde und sich Abellino nannte. Ich will nicht seine Sünden, welche er gegen Gott – gegen mich und das Vaterland begangen hat, aufzählen! Möge ihm Gott und das Vaterland ebenso verzeihen, wie ich ihm verzeihe; aber ich wäre ein Heuchler, ein Litauer, wenn ich in dieser Stunde sagen würde, daß ich ihn liebe. Ich bin so kalt gegen ihn, wie gegen einen Fremden, den ich nie gesehen habe; und halte es für eine Strafe Gottes, die über ihn gekommen, daß er mein Vermögen, nachdem er das seinige auf thörichte Nichtigkeiten im Auslande verschwendet hat, nicht erben kann. Hätte er mir an meinem Namenstage statt der Aussöhnung nicht einen Sarg geschickt. Wäre er in seinen Ränken nicht damit umgegangen, das Seelenheil einer unschuldigen Jungfrau zu untergraben, so würde ich nie der Gemahl dieser Jungfrau geworden sein, welcher Gott in der Erde ihre Ruhe geben und die er im Himmel verherrlichen wolle – ich hätte dann keinen Sohn bekommen und er wäre mein alleiniger Erbe geworden. Gott wollte es so und er hat selbst das Unheil über sich gebracht. Nun ist er an den Bettelstab gekommen, denn er hat mehr Schulden als Haare am Kopfe; was wird nun aus ihm werden? Arbeiten kann er nicht, da er nichts versteht und nichts gelernt hat, was ihm wieder aufhelfen könnte. Er wird sich nicht umbringen, denn Wollüstlinge können nicht Selbstmörder werden. Ich will auch nicht, daß er einer werde, sondern daß er lebe, damit ihm Zeit zur Besserung bleibe; ich wünsche nicht, daß er darbe und auf das Mitleid anderer Leute angewiesen sei, sondern ich verordne, daß ihm jeden Tag ein Dukaten bei meinem Rechtsanwalt in Pest ausgezahlt werde, was, wie ich glaube, hinreichen wird, ihn vor völliger Not zu schützen. Dieser Dukaten muß täglich von ihm selbst erhoben werden, er darf niemandem außer ihm übergeben und darf nicht als Schuldablösung für ihn ausgezahlt werden; desgleichen darf er diesen Dukaten für keinen Tag voraus erheben und an dem Tage, an welchem er ihn abzuholen unterlassen hat, verbleibt derselbe dem Advokaten als Eigentum. Wenn jedoch der Tag von Johannis Enthauptung kommt, so soll man ihm, damit er sich von Jahr zu Jahr auf diesen Tag freue und sich dessen erinnern könne, jedesmal hundert Dukaten auszahlen.

Mit ihm habe ich meine Geschäfte auf Erden beendigt; andere Verwandte, deren ich mich erinnern könnte, habe ich keine mehr.

Meine Freunde kann ich leicht herzählen, ich kenne bloß drei, welche ich wirklich nicht nur aus bloßem Herkommen so nennen kann. Der erste ist Rudolf; ihm habe ich mein Kind anvertraut. Der zweite ist Kis, der mich stets geliebt, und der, wenn mich ein Unglück traf, immer an meiner Seite war; ihm vermache ich meine Lieblings-Reitpferde und Windspiele, da ich weiß, daß ich ihm kein schöneres Andenken und den Tieren keinen bessern Herrn geben könnte. Mein dritter wahrer Freund ist Peter Varga, mein Güterdirektor.

– O, mein Herr ..., stammelte der Alte, aber seine Zunge wollte sich nicht bewegen.

– Ihm vermache ich meinen alten Diener Paul und den alten Vidra, meinen Hausnarren; dazu die Lapájer Pußta, welche ich selbst erworben habe; er soll mit meinen treuen Dienern glücklich leben. Alle jene, welche gegenwärtig auf meinen Gütern angestellt sind, sollen ihre Bezahlung beibehalten und sollen auch dann, wenn sie wegen Verkrüppelung oder Altersschwäche dienstuntauglich werden, ihren Gehalt ausgezahlt bekommen. Was noch überdies an verfügbarem Vermögen übrigbleibt, soll nach der weisen Einsicht des anwesenden Testamentsvollstreckers, des Grafen Szentirmay, zu solchen gemeinnützigen, vaterländischen Zwecken, welche zur Hebung des Nationalsinnes beitragen, verwendet werden. Ich bitte Gott, daß das Vaterland, in dessen Boden meine Ahnen ruhen und in welchem ich ebenfalls bald ruhen werde, ewig glücklich sein und fortblühen möge, daß der Stamm, dessen Mitglied mir Gott zu sein erlaubte, unter den besseren und weiseren Nachkommen einen würdigen Platz unter allen gebildeten Nationen einnehme und daß die Fremden seinen Namen schätzen lernen sollen. Mich haben finstere Zeiten geboren und das neue glücklichere, edlere und verständigere Zeitalter bedarf meiner nicht mehr; ich kann nur so viel Gutes thun, daß ich den Bessern meinen Platz überlasse.

Und indem ich meine Seele dem Herrn und meinen Leib der Erde empfehle, erwarte ich ruhig meine Auflösung und harre mit auf Gott gesetztem Vertrauen der Stunde entgegen, wo ich in Staub verwandelt werde.

Die letzten Worte wurden ebenfalls niedergeschrieben. Sodann verlas der Advokat das Testament, welches sowohl von Karpáthi als auch von den anwesenden Zeugen unterschrieben und mit ihren Siegeln versehen wurde; noch in derselben Nacht wurde ein zweites gleichlautendes Exemplar ausgefertigt, welches Rudolf als Komitatsvorstand erhielt.

Dann sprach Karpáthi zum Geistlichen, daß er den Küster hereinrufe.

Dieser erschien und stellte einen goldenen Becher mit Wein und einen goldenen Teller, in welchem längliche Brotschnitte lagen, auf den kleinen, ebenholzenen Tisch. Es war des Herrn heiliges Abendmahl, das letzte, welches man dem Todeskranken reicht.

Der Geistliche trat zu dem Tisch, auf welchem der Wein und das Brot sich befand, hin und Karpáthi näherte sich mit christlicher Demut den heiligen Symbolen; die andern standen stumm um ihn her.

Der Geistliche reichte das gebrochene Brot: »Jesus der Erlöser nehme dich in die Wunden seines Leibes auf.«

Und er reichte ihm den Becher: »Sein Blut wasche deine Sünden ab.«

Johann betete mit Inbrunst nach der einfachen Ceremonie und sagte dann mit frommer Ruhe zu dem Geistlichen: Bald werde ich jene glücklichere Welt sehen können; wenn ihr hört, daß ich krank bin, so haltet für meine Genesung keine Gebete ab, es wäre umsonst, sondern betet für mein neues Leben. Und nun kommt zu meinem Sohne. O, welches Gefühl, welche Wonne liegt in dem einen Worte: »mein Sohn.«

Alle Anwesenden gingen hin und stellten sich um die Wiege des Kindes, welches so ernst auf die Gesichter der schweigsamen Männer blickte, als ob es auch einer von ihnen wäre und als Karpáthi es auf seinen Armen emporhob, schien es ihn mit großen Augen zu betrachten und drückte, als der Alte es herzlich küßte, stets aufs neue seine kleinen Lippen an. Nachdem ging es der Reihe nach auf die Arme aller Anwesenden über, auf alle blickte das Kind so ernsthaft, als ob es wüßte, daß es lauter ehrenwerte Männer vor sich habe, als es aber zu Rudolf kam, fing es zu lächeln und zu hüpfen an, schlug die kleinen Händchen zusammen und streichelte ihn, wie es Kinder in ihrer Freude zu thun pflegen; wer weiß warum? Rudolf küßte dem Kinde die Stirne und Karpáthi sagte: »Wie es sich freut, als ob es wüßte, daß du ihm künftig Vater sein wirst ...«

Bald darauf saß die ganze Gesellschaft beim Abendmahle.

Es fiel auf, daß Herr Karpáthi weder Speise noch Trank anrührte.

Er sagte, daß er nach dem heiligen Brot und Wein keine gewöhnliche Speise zu sich nehmen wolle, und daß er bis morgen nichts essen werde.

Sein alter Diener aber, der auftrug, flüsterte Rudolf zu, daß sein Herr seit gestern Abend keinen Bissen zu sich genommen habe.


 << zurück weiter >>